Protokoll der Sitzung vom 23.06.2010

Das könnte schon alles gewesen sein, was zu diesem Gesetzentwurf und zu dem Änderungsantrag zu sagen wäre, wenn nicht am Anfang der Woche einige mittelhessische Wahlbeamte aus der SPD in nicht zu akzeptierender Weise gemeint hätten, ihren Senf dazugeben zu müssen.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Sie haben eine hohe Meinung von kommunalen Wahlbeamten!)

Ich muss Ihnen dazu etwas sagen. Ich komme wirklich aus einem der schönsten Teile des Hessenlandes.

(Zuruf von der CDU: Na, na, na!)

Von dort kommen viele wunderbare hessische Landespolitiker. Der Wetteraukreis ist hier mit fünf Abgeordneten vertreten.

Leider war auch unser Landrat unter der Gruppe derer, die sich diese Ausfälle geleistet haben.

(Zuruf)

Ja, ich empfinde es als einen Ausfall, wenn man in dieser Frage zu einem Boykott aufruft bzw. androht, sich an der Datenerhebung nicht zu beteiligen. Damit will man bewusst geltendes Recht verletzen, wenn nicht so verfahren wird, wie es einem passt. Diesen Stil finde ich inakzeptabel.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Ich finde, es wäre besser gewesen, wenn diese Wahlbeamten einen Blick auf ihren Amtseid geworfen hätten. Sie haben sich wie Parteisoldaten aufgeführt, die einfach gegen den Innenminister schießen und glauben,sie seien damit besonders aktuell, weil er der nominierte Ministerpräsident ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU– Janine Wiss- ler (DIE LINKE): Der ist unfehlbar!)

Nein, der ist nicht unfehlbar. – Es wäre schön, einmal eine Initiative zur verbalen Abrüstung zu haben. Bei jedem kleinen Punkt wird gleich das ganze große Geschütz aufgefahren. Boykott, Verfassungsbruch – das sind die Worte,

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

die wir in dieser Pressemeldung lesen müssen. Ich finde das dem Punkt bei Weitem nicht angemessen. Das wird noch durch den Antrag der Linkspartei getoppt, die absolut destruktiv sagt: Wir beteiligen uns nicht am Zensus. – Das finde ich für eine Partei, die eine leichte Vergangenheit im SED-Regime hat,

(Janine Wissler (DIE LINKE): Herr Utter, das ist doch nicht Ihr Niveau!)

wo versucht wurde, mit Planwirtschaft ein System zu lenken, bedenklich.

(Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE))

SED heißt in diesem Zusammenhang Planwirtschaft ohne Daten. Wohin das in der DDR geführt hat, haben wir gesehen.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Was? – Lachen bei der LINKEN)

Ich bin gespannt, was die Linkspartei in Berlin und in Brandenburg tun wird – auch dort muss es ein Ausführungsgesetz zum Zensusgesetz geben –, ob sie ihre Linie durchhalten wird, ob sich Berlin und Brandenburg am Zensus 2011 nicht beteiligen werden. Im Nachhinein fordern Sie all die Daten und all die Fakten, aber an der Erhebung wollen Sie sich nicht beteiligen. Das finde ich nun wirklich eine Vogel-Strauß-Politik und diesem Gesetz nicht angemessen.

Ich würde mich freuen, wenn wir mit großer Mehrheit die Verbesserungen für dieses Gesetz abstimmen und es heute in Kraft setzen würden.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Schönen Dank, Herr Kollege Utter. – Als Nächster hat Herr Wilken für die Fraktion DIE LINKE das Wort.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Oh!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir eine Vorbemerkung zu der Entwicklung dieses Gesetzes, weil wir gestern hier gelernt haben, wie wohlüberlegt und geruhsam die CDU-Fraktion Gesetze macht. Der erste Entwurf dieses Gesetzes hat in einer Anhörung erhebliche Datenschutzprobleme und die eindeutige Aussage der Vertreter der Kommunalen Spitzenverbände ergeben, dass das so nicht machbar ist. Unmittelbar nach dieser Anhörung wurde die Frage, ob sich aus dieser Anhörung nicht vielleicht Konsequenzen für den Gesetzentwurf ergeben, seitens der CDU zurückgewiesen, a) mit der Bemerkung, Sie hätten schon den Raum verlassen – redaktioneller Hinweis: Minister Stefan Grüttner war gegen Ende der Hauptausschusssitzung zur Ministerkonferenz geeilt – und b) es müsse nicht überarbeitet werden. Der Gesetzentwurf wurde durchgepeitscht.

Im nächsten Plenum lag er vor. Dieser Tagesordnungspunkt wurde auf Wunsch der CDU-Fraktion zurückgezogen. Daraufhin machte die CDU einen Änderungsantrag, der uns heute vorgelegen hat. Dieser Änderungsantrag wird zurückgezogen und ersetzt. Meine Damen und Herren, so werden also hier von den Regierungsfraktionen Gesetze gemacht und in dieses Haus eingebracht.

Meine Damen und Herren, inhaltlich ist durch den Änderungsantrag, den die Regierungsfraktionen vorlegen, überhaupt nichts gewonnen. Ich will dafür werben, dass Sie unserem Änderungsantrag zustimmen; denn wir brauchen diese Art von Zensus, diese Art von Volkszählung schlicht und ergreifend nicht mehr. Es gibt sehr viel bessere sozialwissenschaftliche Methoden der Erhebung. Diese Methoden erzeugen keinerlei datenschutzrechtlichen Probleme. Sie sind deutlich günstiger, und sie werden auch nicht wie Anno Dunnemal zu erheblicher Aufregung in der Bevölkerung führen müssen.

Täuschen Sie sich doch nicht darüber: Wenn Sie jetzt alle Grundstückseigentümer und Wohnungsbesitzer anschreiben und dann einen Prozentsatz der Bevölkerung befragen, liegen wir auch wieder bei einem Drittel der Bevölkerung, das in diesem Zensus befragt wird. Das wird Unruhe, das wird Proteste auslösen. Folgen Sie unserem Änderungsantrag; wir brauchen es nicht. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Schönen Dank, Herr Kollege Wilken. – Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Kollegin Enslin.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zwar handelt es sich bei diesem Gesetz nur um ein Ausführungsgesetz für eine EU-Verordnung, die hier in nationales Recht umgesetzt werden soll.Durch das Stichprobenverfahren werden erheblich weniger Menschen befragt als in vorherigen

Projekten.Aber immerhin müssen 17,8 Millionen Gebäudeeigentümer und 8,2 Millionen Bürger Angaben machen. Es sind also nicht so ganz wenige.

Was wir sehr bedauern, ist, dass die damalige Bundesregierung über die EU-Vorgabe hinausgegangen ist. Bei der Stichprobe ist man z. B. auf 10 % anstatt nur auf 8 % gegangen. Oder: Man möchte die Religionszugehörigkeit mit abfragen.

Auch wir sehen im Gegensatz zu den LINKEN die Notwendigkeit, nach fast 30 Jahren die Bevölkerungszahlen zu aktualisieren und an den Istzustand anzupassen, um belastbare amtliche Bevölkerungszahlen zu erhalten. Natürlich gibt es Fragen, die ausreichend beantwortet werden müssen. Es besteht z. B. die Frage, wie der Grundsatz der Abschottung bei den Erhebungsstellen eingehalten wird, welche Konsequenzen sich daraus ergeben und wie es die Landesregierung mit dem Konnexitätsprinzip hält.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Erhebungsstellen müssen räumlich und organisatorisch von anderen Verwaltungsstellen getrennt werden. Ebenso dürfen die mit der Erhebung beauftragten Mitarbeiter nicht mit anderen Verwaltungsarbeiten betraut sein. Sie dürfen nur für den Zensus 2011 eingesetzt werden. Das führt zu erheblichen Kosten, die zum derzeitigen Zeitpunkt noch gar nicht exakt beziffert werden können.

Mit dem Hinweis auf die angeblichen Vorteile für Kommunen und Landkreise konnte die Kritik der Kommunalen Spitzenverbände nicht ausgeräumt werden. Nicht ein ernst zu nehmender Vorteil konnte in der Anhörung genannt werden. Die korrekte Einwohnerzahl als Grundlage für die Besoldung der Bürgermeister zu nennen, ist wirklich ein bisschen mager. Natürlich muss das Land das Prinzip der Konnexität einhalten und darf sich nicht vor seiner finanziellen Verantwortung drücken.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir können die Kritik der Kommunalen Spitzenverbände nachvollziehen,die erhebliche Befürchtungen haben,dass wieder ein Gesetz zulasten von Kommunen und Landkreisen umgesetzt werden soll. Ich denke, das hat vielleicht auch mit der schlechten Erfahrung mit dieser Landesregierung zu tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu Recht haben die Kommunalen Spitzenverbände darauf hingewiesen, dass aufgrund der verschärften Leitlinien zur Konsolidierung der kommunalen Haushalte die Spielräume für Personaleinstellung erheblich eingeschränkt wurden, jetzt aber qualifiziertes Fachpersonal für diese Erhebung benötigt wird. Die im Gesetzentwurf bezifferten zusätzlichen Kosten für die Kommunen sind mit 15 Millionen c angegeben. Es kann aber durchaus noch teurer werden,wie wir in der Anhörung zu hören bekamen.

Wir erwarten, dass auskömmliche Regelungen für die Kommunen geschaffen werden und die Kommunen nicht draufzahlen. Ich finde es erfreulich, dass die CDU/FDPKoalition Ergebnisse aus der Anhörung mit aufgenommen hat und dass jetzt die Kommunen in pauschalierter Form eine Kostenerstattung bekommen sollen.

Es darf aber nicht vergessen werden, dass die damalige Bundesregierung von CDU und SPD dieses Bundesgesetz mit heißer Nadel gestrickt hat. Zu Recht hat der Bundesdatenschutzbeaufrage Peter Schaar kritisiert, dass in den Sonderbereichen Gefängnisse, psychiatrische Ein

richtungen, Gemeinschaftsunterkünfte der Datenschutz nicht gewährleistet ist, weil diese Daten nicht anonymisiert erhoben werden, und dass Anschriften und Gebäuderegister eher zweckentfremdet genutzt werden.

Auf diese erheblichen Defizite haben wir im Bundestag, aber auch in diesem Hause hingewiesen.Wenn auch die finanziellen Belastungen für die Kommunen jetzt geregelt erscheinen, bleiben unsere grundsätzlichen Bedenken bestehen, dass die Vorgaben des Volkszählungsurteils von 1983 nicht eingehalten werden können. Aus diesem Grund werden wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen.– Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schönen Dank, Frau Kollegin Enslin. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Herr Siebel das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Utter hat bereits darauf hingewiesen: Wenn man die Zeitungen liest,hat man den Eindruck, man sei in die Achtzigerjahre zurückversetzt. „Kreisanzeiger Wetteraukreis“: „Boykott des Zensus angedroht“, oder, wer es gerne für kluge Köpfe haben möchte, „FAZ“: „Unmut in Kommunen über Volkszählung“. Wer glaubt, diese Schlagzeilen ließen einen neuen Volkszählungsboykott am Himmel aufblitzen, der hat sich geirrt. Nein, diese Schlagzeilen bringen zum Ausdruck, dass offensichtlich eine Reihe von Kommunalpolitikern meint, die Hessische Landesregierung möchte die Kosten für den Zensus auf die Kommunen abwälzen.

Nun hat Herr Utter eine Änderung zum Gesetzentwurf vorgetragen, die am 08.06. eingegangen ist. Ich weise darauf hin: Diese Stellungnahmen der Kommunalen stammen vom 21.06. bzw. 23.06. Da würde ich mir als CDU/FDP einmal Gedanken machen: Offensichtlich ist es so, dass das, was Sie hier aufgeschrieben haben, nicht dazu beigetragen hat, dass bei den Kommunen angekommen ist:Die Hessische Landesregierung gedenkt,die Kosten für diesen Zensus zu übernehmen oder einen entsprechenden Kostenausgleich herzustellen. – Das stelle ich einfach nur fest.

(Zuruf der Abg. Karin Wolff (CDU))

Jetzt gibt es angeblich eine Aussage aus einer der vielfältigen Runden mit den Kommunalen Spitzenverbänden, Herr Finanzminister Weimar habe gesagt, der Zensus werde den Kommunen nicht zum Nachteil gereichen – oder andersherum gesagt: Die Hessische Landesregierung übernehme die Kosten für den Zensus.