Protokoll der Sitzung vom 24.06.2010

Wenn man Naturschutz haben will, muss man wissen: Tiere und Pflanzen brauchen Flächen. Welches sind bei uns im Land die großen Flächen? Zum Beispiel sind 40 % der Fläche des Landes Hessen Waldgebiet. In etwa der gleichen Größenordnung haben wir auch landwirtschaftliche Nutzflächen. Wir haben in erheblichem Maße Wasserflächen. Das sind die großen Flächen unseres Landes.

Wenn wir uns mit dem Naturschutz beschäftigen wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass die Mittel so eingesetzt werden, dass wir mit angemessenem Aufwand dafür sorgen können, dass die Artenvielfalt erhalten bleibt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und bei der FDP)

Was haben wir mit den Maßnahmen, die wir bisher gemacht haben, erreicht? Bisher haben wir naturschutzrechtliche Ausgleichsmaßnahmen immer nur dann ergriffen, wenn wir wegen Infrastrukturmaßnahmen Eingriffe in die Landschaft vorgenommen haben. Da muss man doch sehen, dass die Erfolge in dieser Hinsicht relativ mäßig sind. Haben wir durch diese Maßnahmen beim Artenschutz wirklich das erreicht, was wir uns vorstellen? Ich glaube, wir haben es bei Weitem nicht erreicht, und wir werden es mit diesen Maßnahmen auch nicht erreichen.

Wenn ich die Erkenntnis habe, dass unser Konzept, Artenschutz zu betreiben, wenn ich einen Eingriff mit einer Infrastrukturmaßnahme mache, nicht aufgeht, dann muss ich mir doch überlegen:Wie viel kostet denn das bisherige Verfahren, was wenden wir dort auf? Ist das Geld, das wir dort einsetzen, wirklich zielführend eingesetzt?

Ich muss dazu sagen: Ich kann Ihnen darauf keine Antwort geben. Wir, die Mitglieder der CDU und der FDP, wissen das auch nicht. Deswegen sind wir der Meinung, dass wir dazu eine Anhörung brauchen. Wir müssen uns intensiv mit dieser Frage beschäftigen. Dass ausgerechnet Sie etwas dagegen haben, kann ich überhaupt nicht verstehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Wie sieht es denn bei den Baumaßnahmen konkret aus? – Bei der Ortsumfahrung Ludwigsau-Friedlos der B 27 ist es so, dass das Projekt einmal im Bundesverkehrswegeplan mit 12,5 Millionen c vorgesehen war. Seit dem Jahr 2004 wurde aufgrund der Verfahren die Fuldaaue als FFH-Gebiet, als EU-Vogelschutzgebiet und Ähnliches gemeldet. Daraufhin wurden Verträglichkeitsprüfungen mit dem Ergebnis durchgeführt, dass nunmehr die Variante, die das alles berücksichtigt, 25,9 Millionen c kosten soll.

Das heißt, die Kosten haben sich mehr als verdoppelt. Schauen Sie sich einmal den Betrag an.Was hätte man mit diesem Betrag für den Naturschutz tun können?

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Dabei sehe ich einmal ganz davon ab,dass es zu einer zeitlichen Verzögerung von fünf Jahren gekommen ist.

Lassen Sie mich ein anderes Beispiel nennen. Das betrifft den Bauabschnitt Helsa Ost bis Hessisch Lichtenau West der A 44. Da war es so, dass zur Minimierung der Zerschneidungswirkung der natürlichen Lebensräume verschiedener Tierarten durch die A 44 bereits in der ur

sprünglichen Planung zwei getrennte Tunnelbauwerke vorgesehen waren. Die Zerschneidungswirkung hätte hierdurch so weit reduziert werden können, dass die Lebensräume nördlich der A 44 weiterhin zu immerhin 90 % nutzbar geblieben wären.

Hier hat aber dann das Bundesverkehrsministerium geäußert, dass dies aufgrund der naturschutzrechtlichen Bestimmungen, die wir haben, bedenklich wäre, und hat im Jahre 2002einen durchgehenden Tunnel empfohlen. Das hat immerhin dazu geführt, dass die Baukosten in Höhe von ursprünglich 180,3 Millionen c auf nunmehr 241,8 Millionen c angestiegen sind, also eine Kostensteigerung von etwa 34 % und eine Verzögerung der Baumaßnahme um sechs Jahre.

Wenn Sie jetzt einmal nicht nur die Differenz dieser beiden Beträge sehen und überlegen, was Sie in dieser Zeit und mit diesem Geld für den Naturschutz hätten machen können, sondern auch sehen, dass uns ein wirtschaftlicher Schaden dadurch entsteht, dass eine Infrastrukturmaßnahme später ergriffen wird, und dass es, wenn dieser Schaden nicht eingetreten wäre, z. B. zu früheren und mehr Steuereinnahmen geführt hätte, mit denen wiederum Naturschutzmaßnahmen hätten gemacht werden können, dann können Sie sehen, dass auch das kontraproduktiv für den Naturschutz in unserem Land ist.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Lassen Sie mich noch ein letztes Beispiel bringen,nämlich die A 44. Dort wurde 1998 ein Raumordnungsverfahren beschlossen, um insbesondere betroffene Ortsteile von Kaufungen zu entlasten. Durch die Nachkartierung und Feststellung von Bechsteinfledermäusen wurde eine Umplanung vorgenommen. Im Endeffekt geht es konkret darum, dass vier Quartierbäume für diese Tiere erhalten bleiben sollen,dass deswegen die Trassenführung der A 44 nunmehr unmittelbar an das Gemeindegebiet von Kaufungen herangerückt wurde und die Anwohner durch hohe Lärmschutzwände geschützt werden.

Wenn man überlegt, was man tun würde, wenn Menschen statt der Tiere betroffen worden wären: Dann hätte man z. B. einen landwirtschaftlichen Betrieb an der gleichen Stelle umgesiedelt und ihn entsprechend entschädigt.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was machen Sie denn mit den Fledermäusen?)

Hier ist auch zu überlegen, ob diese Güterabwägung in der Form wirklich sachgerecht ist, insbesondere bei dem finanziellen Aufwand, der ergriffen worden ist. Ich halte also fest: Uns geht es um mehr Naturschutz und nicht um weniger.

(Zuruf der Abg. Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Zweitens wissen wir, dass wir Naturschutz nur erreichen können, wenn wir die Ressourcen effizient und gut nutzen. In welcher Form wir das in Zukunft am besten tun können, dazu soll die Anhörung dienen.

(Zuruf des Abg. Dr.Thomas Spies (SPD))

Ich würde mich schon sehr wundern, wenn ausgerechnet diejenigen, die immer von Naturschutz reden, unserem Antrag,in dem mehr Naturschutz gefordert wird,nicht zustimmen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Caspar. – Von der Landesregierung hat nun Minister Posch das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß, dass das ein Thema ist, das sehr emotional diskutiert wird. Ich weiß auch, und das ist völlig unbestritten, dass jede Infrastrukturmaßnahme – ich bitte Sie, das nicht auf die Straße zu reduzieren, das gilt nämlich für die Schiene in gleicher Weise, wo es häufig um SPNV geht, den wir gemeinsam wollen – immer mit einem Eingriff in die Natur verbunden ist. Den können wir nicht wegdiskutieren. Das ist so.

Die Frage, die wir zu stellen haben, ist, ob das, was wir an gesetzlichen Vorgaben und nach zehn Jahren FFH teilweise an nicht gesetzlichen Vorgaben haben, richtig und vertretbar ist oder nicht. Das, was wir wollen, ist nichts anderes, als zu evaluieren. Zehn Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie und ungefähr sechs Jahre nach Übernahme dieser Vorschrift in das nationale Recht macht es Sinn, darüber nachzudenken. Ich will Ihnen sagen, warum ich der Meinung bin, dass wir darüber nachdenken müssen.

Es macht keinen Sinn, darüber zu polemisieren und das nicht zur Kenntnis zu nehmen. Wenn wir im Bundesverkehrswegeplan des Deutschen Bundestages für die Jahre 2010 bis 2014 ein Investitionsvolumen von 150,3 Milliarden c haben und nach unseren Feststellungen davon ausgehen, dass davon 6,3 Milliarden c, also über 10 %, für Artenschutz ausgegeben wird,dann ist es wohl berechtigt, die Frage zu stellen: Ist das richtig so, können wir uns das leisten, und sind die Instrumente, die wir haben, die richtigen?

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Deswegen will ich eines sagen, weil das etwas untergeht. Es geht nicht darum, dass wir nicht einen Eingriff ausgleichen müssen. Das ist nach nationalem Recht völlig unstreitig. Das müssen wir machen. Es geht um das, was wir on top durch europäische Rechtsregeln bekommen. Es ist on top. Niemand denkt daran, einen Eingriff nicht ausgleichen zu wollen.

Die Frage, die Herr Sürmann in einem anderen Zusammenhang gestellt hat, ist die Frage, ob der Ausgleich immer das adäquate Mittel ist, wo er manchmal an Stellen erfolgt, weil er möglicherweise von der landschaftlichen Situation her überhaupt nicht erforderlich ist. Deswegen stellt sich die Frage, ob man nicht eine Abgabe nimmt, um beispielsweise zur Frage der CO2-Reduzierung Forschungsvorhaben zu finanzieren, um einen anderen Ansatz zu denken.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Judith Lannert (CDU))

Deswegen will ich Ihnen ein paar Zahlen nennen, die in dem Zusammenhang eine Rolle spielen. Wenn wir feststellen, dass wir heute bei Verkehrsinfrastrukturvorhaben, z. B. bei Bundesstraßen, einen prozentualen Anteil der Bürokratiekosten von 25 bis 28 % haben – das ist nicht Planung, das ist nicht Bau, das ist nicht landschaftspflegerischer Begleitplan,sondern das sind lediglich bürokratische Verfahren –, dann müssen wir uns in Deutsch

land doch fragen, ob das vertretbar ist. Das sind die Fakten.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Judith Lannert (CDU))

Eine letzte Zahl. Diese Veränderung des Regelwerks hat dazu geführt – wir haben es einmal bei zehn Projekten ausgerechnet –, dass wir dort eine Planungsverlängerung von 38 Jahren haben. Das sind anerkannte Fakten. Das sind die Grundlagen, warum wir gesagt haben, uns darüber einmal unterhalten zu wollen. Ich sage Ihnen sehr offen, ich will diese Diskussion mit den Umweltpolitikern führen, weil ich weiß, dass wir das mit den Umweltpolitikern im Konsens machen müssen.

(Abg. Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schüttelt den Kopf.)

Frau Hammann, Sie schütteln den Kopf. Sie sind nicht dabei. Ich diskutiere das mit Verkehrsministern, die gleichzeitig Umweltminister sind. Die haben für dieses Problem sehr wohl Verständnis. Darüber müssen wir diskutieren.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Judith Lannert (CDU))

Die Beispiele sind zum Teil genannt worden. Viele von uns glauben, wenn ich sie fragen würde, wie ein Infrastrukturprojekt geplant wird: Jawohl, wir machen einen Plan, und dann fragen wir, welche Auswirkungen das für den Wald, für die Landwirte, für den Arbeitsmarkt hat, und wir wägen ab; und am Schluss kommt es zu einer Entscheidung. – Diese landläufige Vorstellung haben wir häufig. Das stimmt aber nicht.

Wir haben die Situation der Alternativenprüfung. Die Alternativenprüfung ist nicht limitiert; die Alternative hört nicht nach dem Motto auf, wenn sie 10 % teurer ist. – Nein, wir müssen die Alternative intensivst untersuchen, und wir können sie manchmal nicht ausschließen.

Jetzt sage ich Ihnen einmal Folgendes. Beim Lärmschutz habe ich im Immissionsschutzrecht eine Grenze, die besagt, bei 62 dB(A) ist die Lärmempfindlichkeit zu hoch tangiert, sodass wir Verkehre von der Straße nehmen müssen. Verehrte Frau Hammann, wenn ich eine Straße baue und auf einmal auf die Feldlerche stoße, wissen Sie, was ich dann machen muss? – Dann muss ich die Lärmempfindlichkeit der Feldlerche untersuchen. Wissen Sie, was das bedeutet? – Das bedeutet, dass ein Gutachter der Universität an diesem Forschungsvorhaben sitzt und nachher auf einmal sagt: Da ist die Lärmempfindlichkeitsschwelle bei x.

Dazu sage ich: Das kann doch nicht wahr sein. – Wir haben es mit folgenden Grundlagen zu tun. Lassen wir einmal unsere Rollen weg, die wir alle aufgrund unserer politischen Zugehörigkeit wahrzunehmen haben. Wenn ich so etwas sehe,stelle ich Folgendes fest.Ich habe auf der einen Seite eine gesetzliche Norm, die mich verpflichtet, eine Straße oder eine Schiene zu bauen. Auf der anderen Seite habe ich eine andere gesetzliche Norm,die mich verpflichtet, eine Alternative zu untersuchen. Auf einmal stellen wir fest, dass das kollidiert. Die Lösung nach unserem deutschen Planungsrecht besteht darin, dass der Biologe, von dem ich eben gesprochen habe, letztendlich entscheidet, ob die Alternative zu realisieren ist oder nicht.

Verehrte Frau Hammann, wenn Sie mir zuhören würden, müssten Sie mir anschließend zustimmen: Wenn eine solche Interessenkollision aus unterschiedlichen gesetz

lichen Normen eintritt, dann bin ich nicht der Meinung, dass es der Entscheidung eines Wissenschaftlers obliegt, der das beurteilt, sondern diese Interessenkollision ist der klassische Fall, wo politisch entschieden werden muss.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Denn in diesem Fall muss politisch entschieden werden, was Vorrang hat. Das kann im einen Fall so sein und im anderen Fall anders.

Ich bin nicht der Meinung, dies sei ausschließlich eine fachliche Diskussion. Deswegen sage ich unter dem Stichwort Demokratisierung des Planungsrechts sehr deutlich: Es könnte sein, dass der Gesetzgeber auf Bundesebene, der den Verkehrswegeplan beschließt, bei einer solchen Kollision in solchen Einzelfällen sagt: Diesen Konflikt lösen wir so und so. – Deswegen habe ich eben noch einmal versucht, darzustellen, dass es nicht damit getan ist, dass wir abwägen können und uns am Schluss für das Abwägungsergebnis rechtfertigen müssen.

Das ist eine Folge des europäischen Naturschutzrechts, über die wir diskutieren müssen. Man kann zu einer anderen Schlussfolgerung kommen.

Ich sage auch noch Folgendes: Diese Richtlinie kann doch überhaupt niemand für sich politisch in Anspruch nehmen. Die Vogelschutzrichtlinie ist altbekannt. Als die gemacht wurde, war unsere Bundeskanzlerin Umweltministerin. Aber nach zehn Jahren müssen wir doch darüber nachdenken, ob das noch interessengerecht ist.