Protokoll der Sitzung vom 08.09.2010

Auch wenn wir uns wünschen würden, dass erneuerbare Energien schon alles andere ersetzen könnten, wissen wir, das kurz- und mittelfristig auch andere Energien notwendig sind. Ich muss außerdem darauf hinweisen, wir verbrauchen nicht nur Strom, sondern wir benötigen Wärme zur Warmwasserbereitung und zur Beheizung von Wohnhäusern, Büros und Betrieben, und wir benötigen Kraftstoffe zur Aufrechterhaltung unserer Mobilität. Bitte behalten Sie auch das im Auge.

(Norbert Schmitt (SPD): Haben Sie das auch schon gemerkt?)

Ich halte es für ein Gebot der Aufrichtigkeit, der Öffentlichkeit zu sagen: Wir werden die Nutzung erneuerbarer Energien fördern und vorantreiben. Wir wollen, dass erneuerbare Energien in Zukunft konventionelle Energien vollständig ersetzen können. Wir müssen aber bis dahin konventionelle Energieträger wie Kohle, Gas und Kernkraft für die Energieversorgung der Bevölkerung nutzen. Denn wir wollen auch weiterhin wirtschaftlich erfolgreich und wettbewerbsfähig sein.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Frau Ministerin, ich will Sie nur darauf hinweisen, dass die Redezeit der Fraktionen abgelaufen ist. Sie dürfen natürlich weiterreden.

Das muss ich jetzt dranhängen, weil mir die Zeit durch die Unterbrechung der Zwischenrufe ein bisschen kurz geworden ist.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Die hessische Opposition behauptet beharrlich, dass sie den Umstieg auf erneuerbare Energien in kurzer Zeit vollbringen werde. Ich will nur dieses eine kurze Beispiel bringen von einem Land, wo Sie mit Verantwortung tragen – von mir aus gesehen links, aber dieser Weg geht schnell vorbei –: Die Koalitionsvereinbarung in Nordrhein-Westfahlen sieht durchaus vor, dass dort Kohle eingesetzt werden soll, wo sie nicht in Konkurrenz zu erneuerbaren Energien steht.

Es ist unaufrichtig, den Menschen zu sagen, dass es jetzt schon ohne Kernkraft ginge. – Sie waren gespannt auf meine Position bezüglich der Kernkraft.

Das Energiekonzept der Bundesregierung beschäftigt sich in weiten Teilen mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien und der Ertüchtigung der Netzinfrastruktur. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass ich erstens das Konzept begrüße und zweitens, auch wenn Sie den Begriff nicht hören mögen, die Kernenergie ein Baustein eines umfangreichen Energiekonzepts ist. Sie ist ein Baustein, und dieser Baustein ist die Brückentechnologie, die auch notwendig ist.

(Zuruf des Abg. Manfred Görig (SPD))

Das Energiekonzept stellt Verlässlichkeit und Planungssicherheit her. Gleichzeitig nimmt es, ganz anders, als Sie es darstellen,die Energiekonzerne finanziell in die Pflicht,in die Verantwortung.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Ha!)

Mit den Beträgen, die von den Unternehmen gezahlt werden, ist der schnellere Ausbau der erneuerbaren Energien möglich und wird gefördert.Alles andere ist falsch.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wer heute behauptet, dass durch diese Vereinbarung der Ausbau behindert würde,hat schlicht und einfach eine falsche Einschätzung. Ich bin der Meinung, dass durch den weiteren Einspeisevorrang von erneuerbaren Energien und die finanzielle Beteiligung der Unternehmen die erneuerbaren Energien in einem ganz anderen Maß eine Zukunft bekommen haben.

Vielleicht noch der eine Satz, wenn Sie behaupten, das gehe an der Bevölkerung vorbei. Die Bevölkerung hat in der letzten Umfrage von Infratest dimap ganz deutlich gesagt: 75 % der Bevölkerung befürworten eine Verlängerung der Laufzeiten, wenn die Unternehmen finanziell in die Pflicht genommen werden und wenn zusätzliche Gewinne abgeschöpft werden.– Also ist es genau das,was die Bevölkerung will.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP – La- chen bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb in einigen wenigen Worten: Für uns als Hessische Landesregierung gilt eines ganz klar, wenn Sie Biblis ansprechen: Sicherheit ist für uns nicht verhandelbar.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Günter Ru- dolph (SPD): Ah! – Zuruf des Abg. Manfred Görig (SPD))

Für uns geht Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit. Das sollte Ihnen eigentlich auch recht sein. Insofern können Sie sich darauf verlassen, dass wir immer die Position haben werden:

(Zuruf der Abg. Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die Kernenergie als Brückentechnologie ist sicher und gut für die Menschen, weil hier eine Verlässlichkeit dargestellt ist. Wir wünschen uns wie Sie alle miteinander diesen Weg, und wir werden ihn auch beschreiten, dass die Energieversorgung möglichst bald auf erneuerbare Energien umgestellt werden kann. Bis das aber der Fall sein kann, brauchen wir die Kernenergie, weil wir eine Brücke in ein neues Zeitalter brauchen. Deshalb ist die Kernenergie nicht mehr und nicht weniger als eine Brücke. – Vielen Dank.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Manfred Görig (SPD) – Ministerpräsident Volker Bouffier gratuliert Ministerin Lucia Puttrich.)

Schönen Dank, Frau Staatsministerin Puttrich. Das war Ihre erste Rede vor diesem Haus. Herzlichen Glückwunsch dazu.

(Allgemeiner Beifall)

Für die Oppositionsfraktionen hat sich jetzt eine Redezeit von fünf Minuten pro Fraktion ergeben. Als Erster hat sich Herr Kollege Schäfer-Gümbel gemeldet. Bitte schön.

(Günter Rudolph (SPD): Mehr als fünf Minuten! – Zuruf des Ministers Michael Boddenberg)

Herr Boddenberg, ich habe Ihnen gestern schon etwas erklärt. Ich erkläre es Ihnen heute gerne noch einmal an anderer Stelle. – Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Puttrich, ich habe Ihre Lautstärke vernommen.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Ihre Kollegen waren lauter!)

Ich will Sie gleich am Anfang auf einen sehr formalen Punkt – das ist vielleicht ein Stockfehler, weil es die erste Rede war – hinweisen. Sie haben eben gesagt, dass Sie als Umweltministerin natürlich auf der Grundlage des Koalitionsvertrages stehen und deshalb auch den Koalitionsvertrag umsetzen. So weit, so gut.

Ich will Sie aber ganz formal und förmlich darauf hinweisen – das werden wir in 92 Tagen noch einmal aufrufen –, dass Sie als zuständige Ministerin der Atomaufsicht verpflichtet sind.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Sie sind nicht dem Koalitionsvertrag verpflichtet, sondern den sicherheitspolitischen Auflagen für Atomanlagen.

(Zuruf des Abg.Wolfgang Greilich (FDP))

Selbstverständlich haben Sie am vergangenen Wochenende in Berlin über die Sicherheitsfragen verhandelt.Sie haben die Sicherheitsfragen verscherbelt, und Sie haben zu den Fragen,die Herr Schmitt aufgerufen hat,ob es eine

Nachrüstungspflicht für die Atommeiler gibt, ob es eine Nachrüstungspflicht für die Notstandswarte gibt, ob es eine neue sicherheitstechnische Überprüfung gibt, kein einziges Wort gesagt. Frau Ministerin, das ist Ihre Dienstpflicht. Da kann Ihnen kein Koalitionsvertrag helfen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Zweiter Punkt. Sie haben eben gesagt, man solle nicht über die Köpfe der Menschen hinweg entscheiden und die Menschen nicht bevormunden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist wirklich Heuchelei.

(Beifall bei der SPD)

Das genaue Gegenteil haben Sie doch gerade in Berlin und auch in den letzten Jahren hier vom Kabinettstisch aus immer getan. Sie haben doch mit Planungshindernissen, mit Verhinderungsplanung, mit Behinderung von Durchsetzungsstrategien für die erneuerbaren Energien konsequent darauf gesetzt, dass die erneuerbaren Energien in Hessen schlechter gestellt sind als die konventionellen. Das ist doch Ihr Versäumnis als Regierung gewesen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen richtet sich dieser Vorwurf gegen Sie.Sie haben die Menschen bevormundet. Sie sind doch nicht in der Lage, beispielsweise Regelungstatbestände zu schaffen, die erneuerbare Energien, die vor Ort gewollt werden, durchzusetzen. Sie haben doch die Kampagne zu den Windkraftmonstern gestartet. Das ist doch Ihr Punkt gewesen.

(Beifall bei der SPD – Zurufe der Abg. Florian Rentsch (FDP) und Clemens Reif (CDU))

Tun Sie nicht so, als würden Sie für die Zukunft und für die Durchsetzung von Bürgerinteressen stehen. Das genaue Gegenteil ist passiert.

Dann will ich noch etwas zum Atomkonsens sagen. Das hat zwei Ebenen. Erstens wurde mit dem Ausstieg aus der Atomenergie, wie er im Atomkonsens vertraglich vereinbart wurde, ein gesellschaftspolitischer Großkonflikt beendet. Diesen Konflikt haben Sie wieder geöffnet. Das ist Ihr historisches Versagen. Das ist eine Krückentechnologie und keine Brückentechnologie.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie von Akzeptanz reden,bin ich sehr gespannt,was Sie in den nächsten 92 Tagen im Hessischen Landtag zur Umsetzung des Energiekonzepts vortragen werden und was Sie an sicherheitstechnischen Nachrüstungen der Anlage in Biblis A und B vorschlagen.

Meine Damen und Herren, natürlich war das am Wochenende ein schmutziges Geschäft.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Zuruf des Abg. Flo- rian Rentsch (FDP) – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

Herr Rentsch, Sie haben in Berlin die Verantwortung dafür, dass geschachert wurde, ohne die sicherheitstechnischen Fragen zu klären.