Protokoll der Sitzung vom 08.09.2010

Um den Haushalt und seine Einzelheiten beurteilen zu können, bedarf es zunächst eines Blicks auf die wirtschaftlichen und finanziellen Problemstellungen, in deren Rahmen sich der Haushalt auch bewegen kann und muss. Der zentrale Punkt dabei ist – das darf man bei manch positiver Schlagzeile dieser Tage nie vergessen –,dass wir mit den Auswirkungen der stärksten Finanz- und Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg immer noch massiv zu kämpfen haben. Die öffentlichen Haushalte sind noch mittendrin in der Bewältigung dieser Probleme. In unserer schnelllebigen Zeit gerät es schnell in Vergessenheit, welch dramatischen Absturz unsere Volkswirtschaft im letzten Jahr hatte. Der Absturz des Bruttoinlandsprodukts um fast 5 % war so dramatisch wie kaum etwas anderes in der Geschichte zuvor. Jetzt könnte man sagen, es hätte noch schlimmer kommen können, die Prognosen lagen bei über 6 %. Gleichwohl ist es ein dramatischer Einbruch.

Auch wenn es so aussieht, als ob unsere Volkswirtschaft nicht nur begonnen hätte, wieder Tritt zu fassen, sondern es auch tut – im zweiten Quartal 2010 hatten wir ein Wirtschaftswachstum vom 2,2 %, das höchste seit der deutschen Wiedervereinigung –, zeigt das eindrucksvoll die Stärke unseres Landes und die Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Bei aller Euphorie – die ist durchaus angebracht – sollten wir den Blick dafür nicht verlieren, dass sich Deutschland in einer singulären Entwicklung befindet. Ein Blick über die Landesgrenzen innerhalb der Eurozone oder innerhalb Europas in Summe zeigt, dass wir einsam vorangehen. Man braucht nur in Länder zu schauen, die in den vergangenen Jahren noch als aufstrebend galten – in Spanien sind 57 % der unter 24-Jährigen arbeitslos –, um zu sehen, welche Herausforderungen in Europa in den kommenden Jahren zu bewältigen sind.

Auch wir in Deutschland – ich will die Euphorie keineswegs bremsen – werden noch lange brauchen, bis wir das Niveau vor der Wirtschaftskrise wieder erreicht haben,sowohl was die nominelle Wirtschaftsleistung anbetrifft, als auch die Höhe der Steuereinnahmen. Letztere wird die Finanzpolitiker in besonderer Weise interessieren.

Der Staat hat bei der Bewältigung der Krise, wie ich meine, richtigerweise eine wichtige Rolle gespielt. Soziale Marktwirtschaft ernst genommen bedeutet in einer solchen Krise auch eine starke Rolle eines starken Staats.Ich erinnere an die Konjunkturpakete I und II und auch an die zusätzlichen Entlastungen wie die Wiedereinführung der Pendlerpauschale oder das Bürgerentlastungsgesetz.

(Norbert Schmitt (SPD): Das glauben Sie doch selbst nicht!)

Wir haben an der Stelle deutliche Akzente gesetzt. Das darf man auch sagen. Bei allem Streit über Details, bei aller Diskussion über Einzelheiten, hat die deutsche Politik in ihrer Entschlossenheit, gehandelt zu haben, einen ganz wesentlichen Beitrag zur Bewältigung der Krise geleistet, und das über alle Parteigrenzen hinweg.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich will in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Auflage des Hessischen Sonderin

vestitionsprogramms mit einem Volumen von 1,7 Milliarden c nachweisbar – das zeigen die makroökonomischen Daten und insbesondere die Entwicklung der Bauwirtschaft und des Handwerks in unserem Land – einen besonderen Erfolg gelandet und gezeigt hat, dass wir in der Lage sind, in kurzer Zeit passgenaue Lösungen bereitzustellen, wenn eine Krise dies erfordert.

All dies hat natürlich auch eine Kehrseite. Die Kehrseite ist, dass sich die Lage der öffentlichen Haushalte in einer dramatischen Weise verschlechtert hat. Der staatliche Finanzierungssaldo,also die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben,verschlechterte sich im Jahr 2009 schwunghaft von minus 5 Milliarden c – wir waren relativ dicht an der Nulllinie – auf minus 88 Milliarden c. Im laufenden Jahr müssen wir trotz der positiven konjunkturellen Effekte eine Verschlechterung auf 120 Milliarden c befürchten.

Das Defizitkriterium der EU wurde schon 2009 mit minus 3,1 Prozentpunkten knapp verfehlt. In diesem Jahr landen wir wohl bei 4,5 Prozentpunkten. Auch in den kommenden Jahren werden die 3 Prozentpunkte wegen der Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise verfehlt werden müssen. Gleiches gilt für die Schuldenstandquote von 60 %, die wir deutlich überschreiten werden.

Nun beruhigt wieder ein bisschen der Blick über unsere Grenzen:Allen anderen geht es schlechter als uns. Es darf uns aber keineswegs beruhigen, dass dieser innereuropäische Vergleich positiv für uns ausfällt.Wir müssen konstatieren, dass eine Reihe der ergriffenen Maßnahmen unsere Haushalte dauerhaft und strukturell belastet. Deshalb brauchen wir dauerhafte und strukturelle Konsolidierungsbeiträge, um dies auszugleichen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, um es an der Stelle noch deutlicher zu formulieren: Wer glaubt, nachdem man richtig ins Tal abgerutscht ist, auf halbem Wege des Aufstiegs schon über Verteilungsmöglichkeiten neu nachdenken zu können, ist auf dem Holzweg. Konsolidierung ist die Priorität der Stunde.

(Zuruf des Abg. Marius Weiß (SPD))

Herr Abgeordneter, bei der Verfolgung der Debatte in der letzten Stunde habe ich so manches Mal den Eindruck gehabt,

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

dass manche Ideen schon wieder in Dimensionen sprießen, die mit finanzpolitischer Verantwortung schlicht nichts zu tun haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir sind zum Glück weit von Griechenland weg, nicht nur geografisch, sondern zum Glück auch ökonomisch. Aber eines hat die Griechenland-Krise doch eindrucksvoll unter Beweis gestellt:dass eine Finanzpolitik,die sich im Wesentlichen mit Laisser-faire und Laisser-aller beschäftigt und die sich im Wesentlichen darauf verlässt, dass andere es schon richten mögen, keineswegs verantwortlich und letztlich nicht in der Lage ist, die Grundlagen für ein gedeihliches Zusammenleben in der Zukunft zu ermöglichen. Nur wenn wir unsere öffentliche Schuldenkrise in den Griff bekommen, haben wir eine Chance, auf Dauer von derartigen Ereignissen und auch von den Versuchen

von Spekulationen gegen unsere Währung verschont zu bleiben.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Demonstrati- ver Beifall des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, gleichzeitig muss ich aber auch vor übertriebenen Erwartungen warnen. Wer glaubt, man könne das mit ein bisschen mehr Wirtschaftswachstum in zwei Jahren regeln, der irrt. Wir haben eine langfristige Herausforderung zu bewältigen. Das betrifft nicht nur uns.Gestern ist lange über den Blick über den Rhein diskutiert worden. Ich glaube, die Kollegen da drüben wären froh,wenn ihre Probleme unsere Dimensionen hätten. Die Probleme einen alle Bundesländer und den Bund. Wir haben gemeinsam große Probleme. Wir müssen versuchen, diese gemeinsam zu bewältigen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Haushaltsplanentwurf für 2011 gibt eine sachgerechte und überzeugende Antwort auf die geschilderten gesamt- und wirtschaftspolitischen Herausforderungen. Im Fokus ist dabei nicht mehr, wie in den Vorjahren, die unmittelbare Stützung der Konjunktur. Wir leiten mit dem Haushalt 2011 und der mittelfristigen Finanzplanung bis ins Jahr 2014 vielmehr den zum Abbau der krisenbedingten Ausgangsverschuldung notwendigen finanzpolitischen Paradigmenwechsel ein. Denn wir haben ein klar definiertes Ziel:Wir wollen spätestens im Jahr 2020 nicht mehr neue Schulden zur Finanzierung des Landeshaushalts aufnehmen.Das ist das klare Ziel.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Dies vorangestellt, will ich versuchen, Ihnen die wichtigsten Eckpunkte des Regierungsentwurfs zu skizzieren. Ich verzichte dabei, Ihr Verständnis vorausgeschickt, darauf, Einzelheiten der Einzelpläne in besonderer Weise darzustellen. Ich glaube, dafür ist in den Ausschussberatungen, in den kursorischen Lesungen und in der zweiten und dritten Lesung ausreichend Zeit und Gelegenheit.

Auf der Einnahmenseite sieht der Haushaltsplanentwurf bereinigte Einnahmen von gut 18 Milliarden c vor. Sie liegen damit um rund 30 Millionen c niedriger als im Soll des Jahres 2010. Das zeigt die Stagnationstendenz in den Einnahmen. Bestimmt wird diese Entwicklung im Wesentlichen durch die Steuereinnahmen, die auf Basis – das ist ein wichtiger Punkt – der Mai-Steuerschätzung dieses Jahres veranschlagt wurden.Sie bleiben mit gut 14,5 Milliarden c nahezu unverändert. Erst nach Länderfinanzausgleich ergibt sich dort eine geringfügige Steigerung.

Ich will darauf aufmerksam machen – deshalb habe ich sehr auf die Mai-Steuerschätzung hingewiesen –:Die MaiSteuerschätzung ging von einem deutlich geringeren wirtschaftlichen Wachstum in unserem Land aus.Wir rechnen damit, dass sich nach der November-Steuerschätzung die Hoffnung auf Steuermehreinnahmen etwas stärker manifestiert, als das im Moment am Horizont absehbar ist. Ich glaube, dass wir vor der endgültigen Verabschiedung des Haushalts in dritter Lesung die Gelegenheit haben werden, die Werte noch etwas zu korrigieren.

Entgegen der üblichen Praxis halte ich es in der aktuellen Situation für vernünftig, bei einer solchen Anpassung dann auch den Kommunalen Finanzausgleich erneut anzupassen und die Werte nach oben zu korrigieren. Denn sonst würden unsere Kommunen die positiven Effekte erst sehr viel später durch die Spitzabrechnung erfahren.

In der besonders prekären Lage aller Haushalte sollten wir versuchen, den Kommunen möglichst tagesaktuelle Daten zur Verfügung zu stellen. Ich werde unmittelbar nach der November-Steuerschätzung mit den Kommunalen Spitzenverbänden über diese Frage reden.Wir werden einen Weg finden, dies zu realisieren.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Konsolidierungserfolg, den wir in diesem Haushalt erreichen, zeigt sich, nachdem die Einnahmen stagnieren, in besonderer Weise auf der Ausgabenseite. Durch umfangreiche Sparanstrengungen gelingt es, die Ausgaben gegenüber dem Vorjahr deutlich zurückzuführen. Die bereinigten Gesamtausgaben sinken im Vergleich zu 2010 um rund 680 Millionen c. Das ist, selbst wenn Sie den Länderfinanzausgleich wieder abziehen, immer noch ein Ausgabenrückgang von weit über 2 %. Alle Ausgabenkomponenten weisen nur äußerst moderate Wachstumsraten auf oder sinken teilweise sogar deutlich.

Ich will das an einem Beispiel deutlich machen.Wir haben Personalausgaben von etwas mehr als 7,8 Milliarden c im Jahr. Diese steigen im Haushaltsplanentwurf 2011 lediglich um 37 Millionen c. Wenn man da noch herausrechnet, dass die Steigerung um 30 Millionen c für die Pensionsempfänger unvermeidbar ist,dann bedeutet das,dass das Personalausgabenniveau für das kommende Jahr praktisch konstant ist. Das zeigt, wie eng die Situation ist, wie herausfordernd die Situation für die Ressorts sein wird, aber auch wie konsequent wir gemeinsam diesen Weg gegangen sind.

Die Investitionsausgaben – wir haben das gestern bereits in der Fragestunde diskutiert – gehen überdurchschnittlich zurück.Meine sehr verehrten Damen und Herren,das ist auch richtig so. Ich habe eben vorgetragen, dass der Staat auf dem Höhepunkt der Krise richtigerweise massive konjunkturstützende Akzente bei den Investitionen gesetzt hat. Dann ist es aber genauso richtig,das staatliche Investitionsverhalten genauso intensiv in die andere Richtung zurückzuführen, um nicht bei anziehender Konjunktur wieder prozyklisch zu wirken und auch noch die öffentlichen Haushalte zu ruinieren. Wir müssen uns als Staat daran gewöhnen,dauerhaft antizyklisch zu arbeiten. Das ist die Herausforderung.

(Beifall bei der CDU und der FDP sowie des Abg. Michael Siebel (SPD))

Ich will noch einen weiteren Ausgabenblock herausheben: die konsumtiven Ausgaben. Wir haben in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben,dass diese pro Jahr nominal nur um 0,5 % steigen dürfen, also jeweils unter der Inflationsrate.Wir haben für das Jahr 2011 nicht nur keine Steigerung, sondern sogar einen Rückgang der konsumtiven Ausgaben um 2,8 %, was die Sparanstrengungen deutlich dokumentiert.

(Beifall bei der CDU)

Trotz dieser umfangreichen Einschnitte verzichten wir nicht darauf,vor allem bei der Bildung,der Forschung,der inneren Sicherheit und bei der Kinder- und Familienförderung neue Akzente zu setzen. Ich will an dieser Stelle einige wenige Beispiele nennen. Bei der Bildung werden wir ab dem kommenden Schuljahr 2011/2012 500 neue Lehrer als dritte Tranche, wie in der Koalitionsvereinbarung verabredet, einstellen.

Im Bereich der Forschung steigt der Etat der gemeinsam geförderten Forschungseinrichtungen nach dem Pakt für

Forschung und Innovation bis 2015 um jährlich 5 Prozentpunkte. Das ist in diesen Zeiten eine dramatisch positive Entwicklung. Diese Vereinbarung setzen wir im Haushalt 2011 um. Zusätzlich kommen die Mittel aus dem Sonderinvestitionsprogramm für den Hochschulbau, sodass sich die Haushaltsansätze für den Hochschulbau von 65 Millionen c auf 117 Millionen c erhöhen, also nahezu verdoppeln. Ich glaube, das ist ein eindrucksvoller Beleg für unsere Bereitschaft, in die Bildung zu investieren.

Bei der inneren Sicherheit sorgen wir dafür, dass im vierten Jahr in Folge wieder 550 Kommissaranwärter eingestellt werden, um den erforderlichen Personalstand für die Leistungsfähigkeit unserer Polizei zu erreichen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Bei der Kinder- und Familienförderung führen wir ein auf zwei Jahre befristetes Bonusprogramm für einen beschleunigten und qualitätsvollen Ausbau von Betreuungsplätzen für unter Dreijährige ein und stellen die Mittel hierfür zusätzlich zu den 30 Millionen c bereit, die für die Umsetzung der Mindestverordnung etatisiert sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, trotzdem führt die von mir beschriebene Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, unter Berücksichtigung all dessen, was wir an Sparanstrengungen unternommen haben, noch immer zu einer Nettoneuverschuldung von 2,8 Milliarden c. Die Landesregierung befindet sich mit diesem Wert im Einklang mit der Hessischen Verfassung; denn wir sind im Moment dabei, mit den Auswirkungen der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise der Republik zu kämpfen. Ich glaube, eine eindrucksvollere Bestätigung für die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts kann man an der Stelle nicht finden.

(Zuruf von der SPD)

Wir haben auch unser Ziel erreicht, die Nettoneuverschuldung unter 3 Milliarden c zu begrenzen, und das trotz zwangsläufiger Mehrbelastungen von 250 Millionen c, die unabweisbar sind. Letztlich ist eine Verringerung der Nettoneuverschuldung von über 500 Millionen c ein eindrucksvoller Beleg für diesen Sparkurs.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, wir sind mit diesem Konsolidierungserfolg noch nicht am Ende der Fahnenstange. Wie ich Ihnen vorhin schilderte, wird die November-Steuerschätzung nach allen Erwartungen sowohl für das laufende als auch für das kommende Jahr höhere Steuereinnahmen prognostizieren,sodass wir in Umsetzung dieser Basiseffekte die Nettokreditaufnahme des Jahres 2011 im Laufe des Beratungsvorgangs in einem Nachtrag bzw. mit Änderungsvorlagen noch signifikant werden nach unten drücken können.

Werfen wir einen Blick auf die mittelfristige Finanzplanung, die Bestandteil dieser Vorlage ist. Die mittelfristige Finanzplanung bis zum Jahre 2014 zeigt deutlich, welche Herausforderungen vor uns liegen, aber auch, welchen Willen zum Sparen die Landesregierung hier dokumentiert. Wir werden bis ins Jahr 2014 die Nettokreditaufnahme bis auf 1,3 Milliarden c herunternehmen.Das sind vom Ausgangswert innerhalb weniger Jahre 2 Milliarden c weniger an Nettokreditaufnahme, die im Haushalt erfolgen wird. Das zeigt wiederum eindrucksvoll, wie wir uns gemeinsam auf den Weg zur Schuldenbremse machen.