Protokoll der Sitzung vom 08.09.2010

Werfen wir einen Blick auf die mittelfristige Finanzplanung, die Bestandteil dieser Vorlage ist. Die mittelfristige Finanzplanung bis zum Jahre 2014 zeigt deutlich, welche Herausforderungen vor uns liegen, aber auch, welchen Willen zum Sparen die Landesregierung hier dokumentiert. Wir werden bis ins Jahr 2014 die Nettokreditaufnahme bis auf 1,3 Milliarden c herunternehmen.Das sind vom Ausgangswert innerhalb weniger Jahre 2 Milliarden c weniger an Nettokreditaufnahme, die im Haushalt erfolgen wird. Das zeigt wiederum eindrucksvoll, wie wir uns gemeinsam auf den Weg zur Schuldenbremse machen.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Tarek Al-Wa- zir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Na ja!)

Meine Damen und Herren, das wird alles andere als leicht. Es wird nicht so sein, dass es bei diesen Dingen nur Freude geben wird. Wir werden weiter hart ringen müssen. Auch in den Ressorts wird es manche Wünsche geben, die wir nicht werden befriedigen können. Manche Ideen dieses Hauses, von denen wir gemeinsam sagen, dass es eigentlich gut wäre, wenn wir sie haben könnten, werden wir am Ende nicht oder nicht zu der Zeit realisieren können, wie wir uns das gemeinsam wünschen. Aber nur dann, wenn wir gemeinsam akzeptieren, dass wir uns eigentlich für einen überschaubaren Zeitraum stärkere Restriktionen auferlegen müssen, als wir das ursprünglich einmal vorgehabt haben, haben wir eine Chance, diesen Weg gemeinsam zu begehen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Dabei ist mir eines wichtig: Unser Weg hin zu einem ausgeglichenen Haushalt im Jahr 2020 muss nicht damit einhergehen, so drastisch zu sparen, dass das eintrifft, was jetzt von manchen an Horrorgemälden an den Horizont gemalt wird, dass das Land kaputtgespart werde. Ich glaube, wenn wir uns gemeinsam auf den Weg machen, werden wir in der Lage sein, sowohl, wie es der Haushalt des kommenden Jahres zeigt, durch eine Stagnation der Ausgaben als auch durch die erwarteten Steuereinnahmen der Folgejahre, die wieder konjunkturelles Normalmaß erreichen können, die Schere so weit zu schließen, dass wir am Ende eine sehr gute Chance haben,Anforderungen der Schuldenbremse zu erfüllen.

Wichtig ist aber auch,dass wir diesen Weg,das transparent zu machen, was wir ausgeben, fortsetzen. Ich erhoffe mir deshalb auch wertvolle Impulse von den Ergebnissen der Haushaltsstrukturkommission. Die inhaltlichen Arbeiten stehen kurz vor dem Abschluss, und ich hoffe, dass wir die umfangreichen Ergebnisse im Herbst präsentieren können, ohne der abschließenden Kommissionssitzung vorgreifen zu wollen. Wenn wir von Bürgerinnen und Bürgern Sparanstrengungen erwarten, müssen wir sehr transparent darlegen, wofür wir unser Geld ausgeben. Ich glaube, wir haben nur dann eine Chance, Verständnis für Sparanstrengungen zu erwarten.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Deshalb werden wir diesen Kurs, mehr Transparenz herzustellen, in unserem Haushaltswesen fortsetzen. Herr Ministerpräsident Bouffier hat in seiner Regierungserklärung darauf hingewiesen, dass wir jedenfalls versuchen werden, manches, was wir in unserem Rechnungswesen dargestellt haben, zu verschlanken, zu vereinfachen und weiterhin klarere und transparentere Strukturen zu schaffen, um diesen Weg gemeinsam miteinander zu gehen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Erkenntnisse aus den Ergebnissen der Haushaltsstrukturkommission nicht auf dem Wege stecken bleiben dürfen – nach dem Motto: „Schön, dass wir es einmal erfahren haben“ –, sondern wir müssen daraus Konsequenzen ziehen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es!)

Zu den Konsequenzen gehört auch,dass wir beginnen,aus der demografischen Entwicklung unseres Landes und der absehbaren Bevölkerungsentwicklung in allen Teilen dieses Landes, Konsequenzen zu ziehen. Wir werden zwar nicht dümmer und ärmer; wir werden aber weniger und

älter. Das erfordert Veränderungen von Prioritäten, auch quantitative Veränderungen von Schwerpunktsetzungen. Ich glaube, mancher Blick in die ostdeutschen Länder, die davon viel früher betroffen waren, kann uns auch dabei helfen, zu erkennen, was zu tun ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf der anderen Seite haben wir mit einer – vornehm formuliert – exogen vorgegebenen Belastung zu kämpfen, die Hessen über Gebühr belastet. Das, was wir in den Länderfinanzausgleich einzahlen, ist schlicht unvertretbar.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Um sich das noch einmal plastisch vor Augen zu führen: Im vergangenen Jahr haben Hessen, Bayern und BadenWürttemberg,nur diese drei Länder,im Länderfinanzausgleich gemeinsam 98 % der gesamten Ausgleichsleistung getragen. Eine solche Situation ist dauerhaft nicht hinnehmbar, und wenn es auf dem Verhandlungswege zu keiner Einigung kommt, müssen wir den Weg hin zu einer erneuten Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gemeinsam weitergehen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren,eines ist mir auch sehr wichtig: Im Zusammenhang mit der Einführung der Schuldengrenze ist es notwendig, dass wir an die hessischen Kommunen mehr als nur das klare Signal aussenden, dass die Einhaltung der Schuldengrenze nicht zu ihren Lasten gehen wird.

(Beifall bei der CDU und des Abg.Dr.Frank Blech- schmidt (FDP))

Wir kommen nicht umhin, das Verhältnis der Steuereinnahmeverteilung zwischen Land und Kommunen vor dem Hintergrund unserer Situation im Länderfinanzausgleich zu korrigieren.Wir haben diesen Korrekturvorschlag aber so erarbeitet, dass er dem Umstand Rechnung trägt, dass die hessischen Kommunen einerseits im Durchschnitt die höchsten Steuereinnahmen aller Kommunen Deutschlands haben und dass die Unterschiedlichkeit der Kommunen in Hessen andererseits in Deutschland vermutlich die größte Spreizung aufweist. Deshalb haben wir bei der Umsetzung des Korrekturbetrags darauf geachtet, dies streng nach Finanzkraft zu übernehmen. Das heißt: Die Einnahmenstarken, die im Wesentlichen zu unserer Belastung im Länderfinanzausgleich beitragen, tragen die Hauptlast dieses Korrekturbeitrags.

In der gleichen Logik bewegt sich die Idee des kommunalen Schutzschirms, die der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung gestern vorgetragen hat.Wir wollen an der Stelle Hilfen für die besonders von der Schuldenproblematik betroffenen Kommunen haben. Nicht alle werden die Möglichkeiten dieses Rettungsschirmes in Anspruch nehmen können. Wir müssen gemeinsam mit den Kommunalen Spitzenverbänden einen Weg verabreden, nach welchen Kriterien es möglich ist, von den Möglichkeiten des kommunalen Schutzschirmes Gebrauch zu machen, denn wir wollen passgenaue Lösungen. Wir wollen diejenigen Kommunen in besonderer Weise stützen, die heute von der Schuldenproblematik so betroffen sind, dass sie am Ende den Ausweg, einer Rückzahlung ihrer Verbindlichkeiten nicht mehr sehen.

Meine Damen und Herren, ich glaube, das gehört auf der kommunalen Ebene zu den psychologisch schwierigsten Momenten. Kommunale Verantwortungsträger, die die Hoffnung aufgeben, dass es am Ende eine Perspektive geben könnte, die Schulden, die angehäuft worden sind,

irgendwann einmal zurückzuführen, werden in rationaler Art und Weise keine verantwortlichen Entscheidungen für die Zukunft mehr treffen können.Deshalb müssen wir gerade bei den Kommunen ansetzen,die auf dem Weg waren, zu sagen: „Na gut, wir haben halt Kassenkredite in dramatischer Höhe, und diese werden wir nie wieder zurückzahlen können.“ Dort müssen wir ansetzen und mit dem kommunalen Gemeinschaftsfonds einen Weg finden, diese Verbindlichkeiten in diesen Größenordnungen herauszunehmen, im Fonds gemeinsam zu verwalten und nach Möglichkeit Zinsvorteile durch gemeinsame Verwaltung zu erzielen.Ich will an der Stelle auch deutlich sagen: Dass das Land bereit ist, dauerhaft die Tilgung dieser 3 Milliarden c zu übernehmen, ist ein herausragender Beitrag des Landes zur Bewältigung der Finanzkrise der Kommunen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich will aber auch eines ganz klar sagen:Wer beim Schutzschirm mitmacht, muss sich auf einem gemeinsam vereinbarten Konsolidierungspfad bewähren; denn wer von Landesgeldern profitieren will, der muss am Ende dem Land,der Gemeinschaft insofern etwas zurückgeben,dass die Bereitschaft besteht, Konsolidierung noch ein Stück über das Maß hinaus zu betreiben, was ohnehin schon in den kommunalen Haushalten passiert. Ein einfaches „Weiter so“ ist an der Stelle nicht akzeptabel. Wir brauchen einen gemeinsamen Weg: raus aus den Schulden auf kommunaler Ebene.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben ausdrücklich darauf verzichtet, Ihnen einen in allen letzten Details ausgefeilten Vorschlag zu unterbreiten. Dafür gibt es unterschiedliche Modelle, das hätten wir problemlos machen können. Es ist ausdrücklich als Angebot an die kommunale Familie zu verstehen, im Rahmen dessen, was gestern in der Regierungserklärung vorgetragen worden ist, in Gespräche einzutreten, wie die konkrete Ausgestaltung eines solchen kommunalen Gemeinschaftsfonds sein kann, um am Ende ein möglichst konsensuales Modell zu verabreden und zu haben.

Einen solchen großen Meilenstein in der Landespolitik kann man nur installieren, wenn man es gemeinsam macht;gemeinsam verantwortet,denn nur dann haben wir gemeinsam mit den Kommunen den notwendigen Erfolg.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir, dass ich am Ende meiner Ausführungen einige wenige grundsätzliche Anmerkungen mache. Es ist für unsere Zeit kennzeichnend, dass die Herausforderungen in einem Tempo wechseln,wie wir es bisher noch nicht erlebt haben. Das gilt für fast alle Felder der Politik, in besonderer Weise aber für die Finanzpolitik. Das Auf und Ab, sinuskurvenförmige Entwicklungen, um es naturwissenschaftlich zu formulieren, mit zum Teil starken Amplituden und engen Achsdurchgängen, haben natürlich nicht nur die Bürgerinnen und Bürger in den letzten Monaten und Jahren schwindlig werden lassen, zumal in der Diskussion immer wieder Zahlen eine Rolle gespielt haben, die wir vorher kaum für denkbar hielten.

Deshalb müssen wir aufpassen, dass die Finanzpolitik nicht in die Rolle des Getriebenen gerät, regelmäßig – ich formuliere es oberhessisch – Säue durchs Dorf getrieben werden, aber letztlich ohne jeden klaren Kurs. Deshalb müssen wir bei unserer Haushaltspolitik einen klaren Kurs, einen klaren Kompass bewahren. Dieser Kompass richtet sich stark auf die Schuldenbremse im Jahre 2020

aus.Wir fahren einen klaren Konsolidierungskurs, der die Defizite schrittweise zurückführt, um deutlich zu machen, dass wir mit einem schuldenfreien Haushalt neue Perspektiven erreichen können, und zwar ohne Einschnitte vornehmen zu müssen, die die Zukunftsfähigkeit unseres Landes gefährden.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Diese Herausforderung gemeinsam zu bewältigen ist eine Herausforderung für jeden Einzelnen von Ihnen, für mich in besonderer Weise. Ich würde mich freuen, wenn wir, eingedenk der Diskussion über einen neuen Stil, über ein neues Klima in diesem Hause, diesen Weg – trotz aller Unterschiede im Detail, trotz aller Unterschiede in der Auffassung, wie der richtige Weg sein könnte – ein Stück weit, zumindest atmosphärisch, gemeinsam gehen könnten. Ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns, dass wir diese schwierigen Entscheidungen gemeinsam treffen,dass wir zumindest den Grundkonsens haben, dass wir einen schuldenfreien Haushalt brauchen. Ich will meinen Beitrag dazu leisten, diese Gemeinsamkeit zu ermöglichen. – Herzlichen Dank fürs Zuhören.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Dr. Schäfer, für die Einbringung des Haushaltsplans. – Ich eröffne die Aussprache. Als Erster wird Herr Schmitt, SPD-Fraktion, zu uns sprechen. Redezeit: 30 Minuten pro Fraktion.

(Günter Rudolph (SPD): Wir bekommen ein bisschen mehr!)

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Finanzminister Dr. Schäfer – ich muss mich neu orientieren, er sitzt jetzt links von mir –

(Heiterkeit – Peter Beuth (CDU): Keine Sorge, Herr Kollege!)

übernimmt ein schweres Amt in schwieriger Zeit. Herr Dr. Schäfer, Sie übernehmen ein katastrophales Erbe, nämlich ein mit über 58 Milliarden c verschuldetes Landes. Das ist der Gesamtschuldenstand zu dem Tag, als der neue Minister sein Amt übernommen hat. Der neue Finanzminister übernimmt ein strukturelles Defizit aus dem Jahr 2010 in Höhe von 2,8 Milliarden c – so eine Berechnung des wirtschaftsnahen RWI. Die Berechnungen des gewerkschaftsnahen IMK liegen nicht weit davon entfernt. Sie sprechen von einem strukturellen Defizit zwischen 2,7 und 2,4 Milliarden c – also ein richtig dickes strukturelles Defizit, das deutlich über 2 Milliarden c liegt. Alles in allem: eine richtig schlimme Hinterlassenschaft der Herren Koch und Weimar.

(Beifall bei der SPD)

Wenn man sich deren Amtszeit ansieht, muss man sagen: Die Verschuldung wurde im Vergleich zu 1988 innerhalb von zwölf Haushaltsjahren fast verdoppelt. Dafür sind sie verantwortlich. Das strukturelle Defizit wurde vervierfacht. Das ist eine böse Bilanz dieser beiden Herren nach zwölf Haushaltsjahren.

Zudem wurde viel Landesvermögen veräußert. Ein Objekt kam allerdings hinzu: das Schloss in Erbach. Aber

sonst wurde viel verkauft.Herr Dr.Schäfer,Sie treten also ein schweres Erbe an.

(Clemens Reif (CDU): Er hat es doch angenommen!)

Herr Dr. Schäfer, ich bin mir sicher, als Normalbürger und guter Jurist, der Sie sind, würden Sie dieses Erbe ausschlagen. Sie würden sagen: Damit möchte ich nichts zu tun haben. – Da das Land Hessen eine Bilanz aufgestellt hat und in dieser Bilanz das negative Eigenkapital zum Ausdruck kommt, kann man sagen: Sie sind mit 58 Milliarden c richtig dick in den Miesen. Das Land ist mit 58 Milliarden c überschuldet. Das macht deutlich, wie die Lage ist. Sie als Privatmann würden dieses Erbe sicherlich ausschlagen.

(Clemens Reif (CDU): Was würde denn die SPD machen?)

Herr Dr. Schäfer, unser Mitleid hält sich allerdings in Grenzen, denn Sie machen es freiwillig und Sie haben eben selbst gesagt, Sie haben in den letzten Jahren kräftig daran mitgestrickt. Deshalb haben Sie das natürlich auch politisch zu vertreten, und deshalb wird die Kritik, die Sie jetzt trifft, von Ihnen sicherlich akzeptiert werden.

(Zurufe von der CDU)

Dennoch gab es – das will ich auch sagen – eine konstruktive Zusammenarbeit in Ihrer Zeit als Staatssekretär. Zum Beispiel in der Angelegenheit Opel haben Sie aus unserer Sicht sehr, sehr sachkundig agiert. Sie haben auch sehr konstruktive Gespräche mit der Opposition geführt. Da waren wir inhaltlich überhaupt nicht weit auseinander. Wir waren an dieser Stelle enger zusammen als Sie mit Ihrem Koalitionspartner.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Herr Dr. Schäfer, deshalb wünschen wir Ihnen guten Erfolg – natürlich immer in den Grenzen unserer politischen Überzeugung.

Ein solch großer Erfolg für Sie und für unser Land, den wir in den Grenzen unserer politischen Überzeugungen akzeptieren würden, wäre ein Haushaltsentwurf für das Jahr 2011 gewesen, der das Defizit des Landes in einem erträglichen Maß halten würde. Dass wir in diesen schweren Zeiten mit Konjunktureinbrüchen keine Nullverschuldung haben würden, ist völlig akzeptiert. Aber eine Nettoneuverschuldung von 2,8 Milliarden c, die dritthöchste, die wir je hatten, zu feiern und zu sagen, wir seien auf dem Weg der Konsolidierung, das bedeutet: Sie nehmen das Problem anscheinend nicht ernst genug.