Protokoll der Sitzung vom 08.09.2010

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Meine Damen und Herren, natürlich räume ich ein, dass die Schlussbilanz Weimars unterschiedlich interpretiert werden kann. Allerdings sind die nüchternen Zahlen, die in der Eröffnungsbilanz stehen – ich sagte es bereits –, durchaus besorgniserregend. Als Mitte Juli dieses Jahres gewiss wurde, dass Weimar der neuen Regierung nicht mehr angehören wollte, war dies für Insider keine echte Überraschung. Schließlich war es für ihn die beste und eleganteste Gelegenheit, ohne allzu viele bohrende Fragen und journalistische Ursachenforschung den Abgang zu finden. Weimar konnte von dem Respekt, der dem Rücktritt von Roland Koch allerorten gezollt wurde, profitieren,und der Vorwurf,er fliehe aus der Verantwortung, wurde auch nicht laut. Meine Damen und Herren, ein solcher Vorwurf wäre auch, wenn er z. B. von uns erhoben worden wäre, etwas schwierig zu erklären gewesen.

(Clemens Reif (CDU): Genau!)

Denn wer wie wir GRÜNEN die weimarsche Finanzpolitik für grundfalsch hält, kann nicht ernsthaft die Fortsetzung derselben durch personelle Kontinuität fordern. Das gebe ich gerne zu.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Meine Damen und Herren, dennoch will ich festhalten, dass aus unserer Sicht Karlheinz Weimars Rückzug im Persönlichen eindeutig ein Verlust, im Finanzpolitischen aber ein ebenso eindeutiger Gewinn für Hessen ist. Natürlich werden auch wir GRÜNE Weimars bodenständige Art und seine gelegentlich virtuosen Formulierungen, oft auch bei Erklärungen hochkomplexer Sachverhalte, schon vermissen und ebenso noch seiner Fähigkeit zu

spontaner Empörung, die nicht selten die Würze einer Debatte war, nachtrauern.

Aber von Offenheit und von großer Kooperationsbereitschaft gegenüber den Abgeordneten des Landtags konnte bei ihm nun wahrlich keine Rede sein.

(Holger Bellino (CDU): Na ja!)

Kaum ein Minister der Regierungen Koch ist so zugeknöpft und auch so schnodderig mit den Nachfragen aus dem Parlament umgegangen wie Karlheinz Weimar,

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU)

der bis über die Grenze der Unerträglichkeit hinaus parlamentarische Rechte ins Leere laufen ließ.

(Holger Bellino (CDU):Wo denn?)

Ich erinnere an Dutzende Kleine Anfragen nach der Finanzplanung und anderen Dingen, wo immer so schöne Worte gesagt wurden wie, es würde im Rahmen des Haushalts dann konkretisiert und finalisiert.Am Ende wurden die Schulden immer höher.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD) – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Lediglich auf dem Gebiet des Controllings kooperierte Weimar gelegentlich sogar mit der Opposition, was allerdings dann abrupt endete, wenn es um ein Controlling seiner eigenen Finanzwirtschaft ging. Somit ist also der Personalwechsel an der Spitze des Finanzministeriums neben dem Verlust auch eine Chance. Es kommt jetzt darauf an, die Chance zu nutzen und künftig eine andere Finanzpolitik als bislang zu machen.

Sehr geehrter Herr Finanzminister Dr. Schäfer, die Hessinnen und Hessen wollen keine neuerlichen Schuldenrekorde mehr. Sie wollen vielmehr eine verlässliche und transparente Finanzpolitik, die ehrlich ist und nicht gleichzeitig Schuldenabbau und Steuersenkungen verspricht. Ich hoffe, Sie wissen das und haben es nicht bereits im letzten Jahr als Amtschef des Finanzministeriums dauerhaft verdrängt.

Meine Damen und Herren, wir GRÜNE bitten Sie, Herr Finanzminister,ja,wir fordern Sie auf,nein,wir mahnen es nachdrücklich bei Ihnen an, endlich die desaströse Finanzwirtschaft zu beenden und auf die in den heutigen Vorlagen immer noch benutzte dumm-dreiste Schutzbehauptung der Alternativlosigkeit des bisherigen Schuldenkurses künftig zu verzichten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen einen echten Politikwechsel in der Finanzwirtschaft und wollen nicht nur ein „Weiter so“, dieses Mal nur aus einem anderen Mund, hören.

Meine Damen und Herren, in einem Interview in der „FAZ“ von der vergangenen Woche hat Ministerpräsident Bouffier ausdrücklich betont – schade, dass er die Finanzdebatte nicht hören möchte –, er wolle – ich zitiere – „nicht alles beim Alten lassen, wenn Veränderung erwartet wird und auch notwendig ist“. Gestern in seiner Regierungserklärung hat er es ähnlich formuliert. Sehr geehrter Herr Finanzminister, nehmen Sie diese Äußerung Ihres Chefs bitte als Auftrag, an dem vorgelegten Haushalt noch wesentliche Änderungen vorzunehmen. Denn so, wie er sich heute präsentiert und wie Sie ihn präsentiert haben, erfüllt er die von Ihnen selbst postulierten

Ziele keineswegs. Der Haushaltsentwurf stammt von der vergangenen Landesregierung. Er atmet demgemäß auch noch den Geist von gestern, so ihm überhaupt ein Geist innewohnt. Er schafft keinerlei Abbau des strukturellen Defizits, sondern reduziert, fälschlicherweise Konsolidierungsschritt genannt, im Wesentlichen nur die Investitionsausgaben und die Zuschüsse an die Kommunen, zusammen rund 660 Millionen c.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD) – Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Reden wir über den gleichen Haushalt?)

Der Haushalt greift die fachlichen Probleme nicht auf, sondern signalisiert uns allerhöchstens, dass mindestens zwei neue Fachressortchefs, nämlich Frau Puttrich und Herr Grüttner, die bisher in den Häusern nicht tätig waren, zumindest bislang keinerlei eigenen Gestaltungswillen zum Ausdruck bringen wollten oder konnten. Meine Damen und Herren, das alles ist eine ebenso klare wie bedauerliche Absage an die Veränderung der Politik. Genau die erwarten wir. Wir erwarten eben nicht, dass das, was Koch gemacht hat, weiterhin serviert wird, nur von einem anderen Kellner.Nach der gestrigen Erklärung des Ministerpräsidenten soll alles etwas zugewandter werden.

Wir hoffen, dass es auch im fiskalischen Verhältnis zwischen Land und Kommunen tatsächlich besser wird. Es wurden schon einige kritische Bemerkungen dazu gemacht. Wir fänden das begrüßenswert. Aber auch da gilt es,am Ende an den Taten zu messen,was den Haushalt angeht, an den Zahlen. Denn es wäre wirklich ein bisschen schade, wenn das, was anfangs verkündet wurde, bereits nach einer Amtswoche wieder zur Makulatur würde.

Meine Damen und Herren, wir sind wirklich gespannt, wie die neue Regierung es schafft, in den knapp 100 Tagen, die bis zur geplanten Verabschiedung des Haushalts im Landtag noch bleiben, den vom Ministerpräsidenten formulierten Gestaltungswillen noch zum Ausdruck zu bringen. Acht Tage nach Amtsantritt kann man sicherlich noch nicht allzu viel von der neuen Riege erwarten.

Aber, verehrter Herr Finanzminister, ich muss Ihnen sagen: Unser Wohlwollen und unsere Nachsicht werden nicht ewig dauern.Heute und hier müssen wir uns deshalb nochmals mit den weimarschen Zahlen auseinandersetzen. Er hat den Entwurf Anfang Juli der Öffentlichkeit präsentiert. Dabei rühmte er sich, dass die Neuverschuldung – wir haben es schon gehört – von dem Allzeitrekord des laufenden Jahres von 3,375 Milliarden c um 555 Millionen c auf rund 2,82 Milliarden c im kommenden Jahr gesenkt werden könnte. Wenn aber, wie bereits genannt, die Kürzungen der Investitionen und der Zuweisung des Landes an die Kommunen allein zusammen bereits eine Einsparung von 660 Millionen c ausmachen, dann ist der sogenannte Konsolidierungserfolg eher virtuell denn real. Zumindest wurde am strukturellen Defizit nichts wirksam verändert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Es ist in unseren Augen eben genau keine solide Finanzwirtschaft, wenn man für die weitgehend unverändert beibehaltene defizitäre Ausgabenpolitik nur jemand anderen zur Kasse bittet, im Fall des Haushaltsentwurfs 2011 die hessischen Kommunen.

Meine Damen und Herren, das wird jetzt möglicherweise auch die SPD nicht gerne hören: Ich will damit aber überhaupt nicht leugnen, dass es aus Sicht eines Landespolitikers durchaus ein Problem bei der Einnahmenverteilung zwischen Land und Kommunen gibt. Wenn in einem für den Fiskus guten Jahr wie 2008 die hessischen Kommunen insgesamt einen Finanzierungssaldo von 179 c je Einwohner und damit einen mehr als doppelt so hohen Wert wie der Durchschnitt der Kommunen der westdeutschen Flächenländer aufwiesen, während das Land im selben Jahr einen negativen Finanzierungssaldo von 177 c je Einwohner verkraften musste, dann zeigt sich damit zumindest ein Verteilungsproblem.Aber die Argumentation von Weimar und seiner Gefolgschaft in den Fraktionen ist bis heute trotzdem alles andere als glaubwürdig. Für dieses Missverhältnis wird nämlich die Anrechnung im Länderfinanzausgleich verantwortlich gemacht. Das ist aber bereits seit 2005 wirksam. Deshalb kann man die für 2011 geradezu überfallartig geplante Kürzung der Zuweisung an die Kommunen wohl kaum korrekt mit der Tatsache des Länderfinanzausgleichs begründen.

Damit bin ich auch schon bei dem Thema Länderfinanzausgleich. Im Rahmen der Haushaltsdebatte in der ersten Lesung, wo die Finanzwirtschaft im Vordergrund steht, ist das üblicherweise einer der Schwerpunkte der Diskussion. Den hessischen Gemeinden, Städten und Landkreisen werden mit dem Haushaltsentwurf 2011 Finanzmittel zugunsten des Landes entzogen. Dies wird zu großen Teilen über den Kommunalen Finanzausgleich abgewickelt. Ich sage dazu: Es soll auf diese Weise auch verschleiert werden.

Herr Kollege Schmitt hat darauf schon Bezug genommen.

Meine Damen und Herren, hören Sie genau zu. Der Finanzminister sagt, die Finanzausgleichsmasse verringere sich nur um 103 Millionen c.

(Norbert Schmitt (SPD): Ja!)

Der Einzelplan 17 dagegen zeigt, dass sich die Steuerverbundmasse um 174,5 Millionen c, also deutlich stärker, verringert. Da fragt man sich:Wie passt das zusammen?

(Norbert Schmitt (SPD): Jawohl! – Vizepräsidentin Sarah Sorge übernimmt den Vorsitz.)

Das ist zunächst natürlich einfach zu erklären: Der Steuerverbundmasse werden üblicherweise Verstärkungsmittel zugeführt, z. B. die Krankenhausumlage, die Wohngeldentlastung oder auch aus dem Landeshaushalt die Zinsdienstumlage für die Konjunkturprogramme, sodass die Finanzausgleichsmasse stets größer als die Steuerverbundmasse ist. Weil die Finanzminister – ich weiß gar nicht, wer von beiden es war; nehmen wir einmal an, es waren beide zusammen – dieses Sommers aber glauben, die kommunale Seite ein bisschen hinters Licht führen zu müssen, greifen sie in die Trickkiste, Abteilung übler Geruch.

(Lachen des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Erstmals wird die Finanzausgleichsmasse durch eine neue, sogenannte Kompensationsumlage kreisangehöriger Gemeinden mit etwas mehr als 73 Millionen c erhöht.

Meine Damen und Herren, aber genau an dieser Stelle sind wir wieder bei dem eingangs zitierten Menetekel der unseriösen Finanzwirtschaft.

(Norbert Schmitt (SPD): Ja!)

Das angesprochene Verfahren ist weder solide noch transparent, sondern eher windig und nicht ganz seriös.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Dass der Entwurf des Finanzausgleichsänderungsgesetzes, der hier ebenfalls zur Debatte steht, diese Kompensationsumlage enthält, macht die irreführende Darstellung nicht seriöser. Es ist nämlich keine Zuführung zum Topf des KFA, sondern allerhöchstens ein Umrühren oder, wenn Sie so wollen, ein Schaumschlagen innerhalb des Topfes.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Mit dieser Kompensationsumlage erzeugen Sie nämlich einen völlig neuen Zustand. Der Kommunale Finanzausgleich, der auf Art. 137 Abs. 5 der Verfassung des Landes Hessen beruht und der kommunalen Familie, die für die Aufgabenerfüllung erforderlichen Geldmittel zur Verfügung stellt – das wurde auch schon zitiert –, wird damit erstmals aus bereits den Kommunen gehörenden Mitteln, in diesem Fall speziell aus denen der kreisangehörigen Kommunen, gespeist. Das ist so etwas wie die fiskalische Parthenogenese oder auch monetäre Selbstbefruchtung, ein Verfahren der Finanzierung, das gewiss Vorbilder hat, aber seine Alltagstauglichkeit erst noch beweisen müsste.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Seit den Abenteuern des Barons von Münchhausen hat sich niemand mehr am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

Deshalb, glaube ich, wird es der kommunalen Familie gewiss auch nicht gelingen, ihre Finanzprobleme auf diese Weise zu lösen.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))