Protokoll der Sitzung vom 08.09.2010

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Meine Damen und Herren, wenn es der Finanzminister für nötig erachtet, als Maßnahme der durch die Schuldenbremse geforderten Konsolidierung des Landeshaushalts eine kommunale Blutspende an den KFA neu einzuführen, wird damit sehr deutlich unterstrichen, wie nötig es ist, im Rahmen der Debatte über die rechtliche Ausgestaltung der Schuldenbremse für die hessischen Kommunen eine klare Schutzklausel mit Verfassungsrang festzuschreiben.

Unser Fraktionsvorsitzender hat letzte Woche und auch gestern genau auf diesen Punkt hingewiesen und damit deutlich gemacht, dass der von den Koalitionsfraktionen aus unserer Sicht etwas überstürzte und nicht voll durchdachte Verfassungsänderungsentwurf nochmals gründlich überdacht werden muss. Ein schlichtes Abschreiben dessen, was im Grundgesetz steht und damit in Hessen sowieso geltendes Recht ist, macht weder Sinn, noch wird es der gestellten Aufgabe gerecht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

Wir haben gerade die Aufgabe entsprechend der Vorgabe des Grundgesetzes, die notwendigen hessenspezifischen Regeln für eine tatsächlich wirksame Schuldenbremse aufzustellen, und davon ist aufseiten der Regierung bislang noch nichts zu sehen. Das lässt sich auch feststellen, obwohl wir hier erst morgen den Gesetzentwurf der Koa

lition zur Änderung des Art. 141 intensiv und auch politisch beraten werden.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

Da wir in der Debatte der ersten Lesung primär die finanzwirtschaftlichen Aspekte beleuchten, gestatten Sie mir, einen Augenblick lang das Thema Schuldenbremse dennoch unter fachlichen Aspekten aufzugreifen; schließlich ist davon – auch das wurde bereits erwähnt – auf einigen Seiten des vorliegenden Finanzplans auch die Rede.

Im Rahmen der Schuldenbremsdebatte ist sowohl für den Bund als auch für die Länder immer wieder die Rede davon, dass das Neuverschuldungsverbot in konjunkturell normalen Zeiten gelten soll. In Zeiten konjunktureller Schwächen und daraus resultierender Einbrüche sollen auch zukünftig Einnahmen aus Krediten zum Ausgleich des Staatshaushalts zulässig sein.

(Zuruf von der CDU: Eieieieiei!)

Dann kommt natürlich auf alle Beteiligten sofort die Frage zu:Was heißt denn das? – Auf Bundesebene gibt es dazu neben der präziseren Beschreibung im Grundgesetz, Art. 115, auch einfach gesetzliche Regelungen, die unter anderem den Stabilitätsrat geschaffen haben.

(Norbert Schmitt (SPD): Ja!)

Dessen Ergebnisse sind auch für die Länder von großer Bedeutung, entheben sie aber nicht der Aufgabe, ihre eigenen Regelungen zu schaffen. Wie solche Regelungen aussehen sollten, meine Damen und Herren, wird in der Fachwelt bereits engagiert diskutiert. Deshalb wiederhole ich nachdrücklich: Die Vorschriften des Art. 115 Grundgesetz und des Gesetzes zur Ausführung dieses Artikels gelten nicht für die Länder. Wir müssen eigene Regelungen schaffen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir dies müssen, will ich allein eine – allerdings wichtige – Frage erörtern, nämlich wie denn eine Abweichung der wirtschaftlichen Entwicklung von der konjunkturellen Normallage, auch Produktionslücke genannt, ermittelt werden soll. Denn schon hier scheiden sich die Geister.

Derzeit werden mindestens fünf Verfahren debattiert. Das reicht erstens von Hochrechnungen aus Unternehmerbefragungen, zweitens über die Peak-to-Peak-Methode, d. h. die Verlaufskurven der Vergangenheit zu beurteilen und daraus Hochrechnungen anzustellen, und setzt sich drittens über den HP-Filter, Hodrick-PrescottFilter, fort. Das ist übrigens das Verfahren, das die Europäische Zentralbank bevorzugt. Es geht weiter zu Schätzungen über die Produktionsfunktion, ein Verfahren, das von der Deutschen Bundesbank propagiert wird, und endet noch nicht bei der kapitalstockorientierten Methode, die der Sachverständigenrat für die Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Lage favorisiert.

Meine Damen und Herren, jedes dieser Verfahren kommt zu etwas anderen Ergebnissen und damit auch zu anderen Konsequenzen möglicher Kreditfinanzierungen des Haushalts. Deshalb müssen wir doch jenseits der Methodendebatte auch darauf genauer schauen und insbesondere die Spezifika der Volkswirtschaft der jeweiligen Länder, ich meine damit Bundesländer, berücksichtigen, weil z. B. die Finanzmärkte in Hessen bestimmt eine andere Rolle spielen als in Thüringen,aber zugleich anderen konjunkturellen Zyklen unterworfen sind als die realwirtschaftlichen Produktionssektoren.

Meine Damen und Herren, ich erzähle Ihnen dies alles – vor allem Ihnen, Herr Finanzminister, wo immer er hin ist –, weil das, was Sie auf den Seiten 17 und 18 des Finanzplans dazu ausführen, sehr freundlich ausgedrückt, nun wirklich unterkomplex ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD) – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Hier lesen wir nämlich: „Die Konjunkturkomponente ergibt sich aus der Multiplikation der Produktionslücke mit der Budgetsensitivität.“ Den soeben von mir nur sehr punktuell angerissenen Problemen, die dabei zu bewältigen sind, wird diese Aussage jetzt aber gewiss nicht gerecht.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

In meinen Augen als früherer Physiker und damit einer, der der exakten Wissenschaft verschrieben ist, verdienen Volkswirte, denen wir soeben dabei sind uns auszuliefern, dass man ihnen äußerst scharf in die Schuldenbremstrommeln hineinschaut. Ich hoffe, dass sich dies die fachlich eher betriebswirtschaftlich ausgerichtete Spitze des Finanzministeriums auch zu eigen macht, die volkswirtschaftlichen Argumente kritisch betrachtet und die bei Betriebswirten gleichermaßen natürlich vorhandene wie auch notwendige Skepsis gegenüber volkswirtschaftlichen Theorien und Methoden nicht verliert. Die im vorliegenden Finanzplan erreichte intellektuelle Eindringtiefe in das Problem ist auf jeden Fall bei Weitem zu gering.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Mit der Aussage auf Seite 19 des Finanzplans, dass mit der jetzt präsentierten Verfassungsänderung sichergestellt sei – ich zitiere –, „dass Hessen künftig die in Art. 109 Abs. 3 GG vorgesehenen Ausnahmen vom striktem Neuverschuldungsgebot in Anspruch nehmen kann“, irren Sie auf jeden Fall.Zu der Verfassungsvorschrift gehören nämlich zwingend konkrete Regeln, die zwar nicht in der Verfassung stehen, aber existieren müssen. Noch sind diese überhaupt nicht zu sehen.

Meine Damen und Herren, ich dachte bisher immer, das Land Hessen – unter anderem mit dem wichtigsten deutschen, wenn nicht einem oder dem wichtigsten Finanzplatz in Europa, nach London vielleicht – müsse Wert darauf legen, dass uns nicht irgendwelche Regeln, die auch für Mecklenburg-Vorpommern gut sein mögen, übergestülpt würden. Hier ist die Landesregierung nach unserer Feststellung aber dabei, etwas deutlich zu versäumen. Deshalb sage ich, Sie sollten wirklich rasch aufwachen.

Ich möchte meine Betrachtung des Finanzplans damit zu Ende führen,dass ich kritisch festhalte,dass auch der diesjährige Plan, der den Zeitraum bis 2014 umfasst, in gewohnter Weise leider wieder sehr unambitioniert daherkommt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Landesregierung bescheinigt sich sicherheitshalber gleich selbst, dass sie einen Haushaltsentwurf unter Einhaltung der gegenwärtig noch geltenden Verfassungsgrenze für die Kreditaufnahme nicht vor 2014 vorlegen wird, und schweigt sich darüber hinaus weiterhin aus, wie sie das Verfassungsgebot des Haushaltsausgleichs ohne Einnahmen aus Krediten ab 2020 überhaupt erfüllen wird. Extrapoliert man nämlich die Daten des vorliegen

den Planes, stellt man fest: Jedenfalls dieses Ziel wird verfehlt. Der Handlungsbedarf ist also deutlich größer, als uns und der Öffentlichkeit gegenüber auch heute wieder eingeräumt wird. Herr Finanzminister, die Unsitte der Aufnahme globaler Minderausgaben in erheblichem Umfang in die Finanzplanung wurde obendrein leider nicht beendet, sondern fortgesetzt, sodass nach den bisherigen Erfahrungen der Kreditbedarf im Zweifel wieder höher sein wird als ausgewiesen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, alles in allem zeigt der Finanzplan wieder einmal die höchst abschätzige Wertung, die Weimar ihm schon immer zuteil werden ließ – Stichwort: Märchenbuch. Deshalb bin ich ehrlicherweise etwas verunsichert, wenn ich im Finanzplan dann doch echt märchenhafte Aussagen lese – ich zitiere von Seite 27: „Alle Möglichkeiten zur Einnahmeerhöhung sind auszuschöpfen“ – und dies mit der bisherigen Praxis, insbesondere der politischen Praxis der Regierung vergleiche. Noch stärker wird die Verwirrung durch die Lektüre von Seite 29 des Finanzplans. Dort lese ich, dass es „in den kommenden Jahren zu keiner weiteren Schwächung der staatlichen Einnahmebasis kommen“ dürfe. Wörtlich steht dort: „Umfassende Steuersenkungen sind auf absehbare Zeit mit dem vorgezeichneten Pfad zur Rückführung der Nettokreditaufnahme nicht vereinbar.“

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Da staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich. Hat denn die FDP beim Kabinettsbeschluss über den Finanzplan komplett geschlafen, oder waren alle Gelben auf Auslandsreise? Oder was ist sonst schiefgegangen?

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Ich denke einmal positiv, Herr Kollege Milde, und nehme das als Ankündigung, dass die Regierung von Volker Bouffier auf Bundesebene alsbald initiativ werden wird, um die unsägliche Mövenpick-Privilegierung im Umsatzsteuerecht wieder zu korrigieren. Unsere Unterstützung hätte der Herr Ministerpräsident auf jeden Fall.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, die letzte Haushaltseinbringung fand vergangenes Jahr während der Endphase des Bundeswahlkampfes statt. Deswegen gab es in der Debatte auch wahlkampfbezogene Argumente.Diesmal liegt die nächste Wahl in Hessen noch mehr als ein halbes Jahr vor uns: die Kommunalwahl am 27. März. Da hätte man sich das Wahlkampfgetöse eigentlich sparen können. Doch die Koalitionsfraktionen wollten sich wieder einmal über das ewig beliebte Thema Länderfinanzausgleich aufregen und haben deshalb das Nachbarland ins Visier genommen. Schließlich wählen die Rheinland-Pfälzer am 27. März ihren Landtag.

Meine Damen und Herren, ich bin wahrlich kein Verteidiger oder Parteigänger von Kurt Beck. Ich kann die für Hessen höchst peinlichen Entgleisungen des Kollegen Rentsch trotzdem nicht unkommentiert lassen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der FDP)

Seinen bisherigen Rekord in Niveaulosigkeit erreicht er am 4. August durch seinen Vorwurf des „parasitären Ver

haltens“ im Zusammenhang mit der Mitfinanzierung einer Ausstellung am letzten Wohnsitz des ehemaligen Bundeskanzlers der rot-gelben Koalition und Friedensnobelpreisträgers Willy Brandt durch die rheinland-pfälzische Landesregierung. Das war sogar Altbundespräsident Walter Scheel entschieden zu viel,sodass er sich öffentlich vernehmen ließ, er halte diese Ausgabe für sinnvoll und habe selbst eine Spende beigetragen.Verehrter Herr Kollege Rentsch, hätten Sie doch lieber geschwiegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN – Zurufe von der FDP)

Auch gestern haben Sie das Thema noch einmal aufgreifen zu müssen gemeint und dabei wieder verfehlt. Ebenso wie Sie wird der neue Chef der Staatskanzlei bei der Neidkampagne gegen Gebührenfreiheit in der Kinderbetreuung in Rheinland-Pfalz die Wahrheit bestimmt nicht treffen. Herr Kollege Wintermeyer, wenn Sie Ihren Kollegen aus Mainz demnächst treffen, sollten Sie wissen, dass man erstens niemandem vorwerfen sollte, eine bessere Politik zu machen als man selbst, sondern ihn lieber als Vorbild sehen sollte.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Da zeigt der Blick in den Haushalt, dass Sie das nicht beachten. Zweitens sollten auch Sie erkennen, dass besonders in Zeiten des demografischen Wandels attraktive und garantierte Kinderbetreuungsplätze, wie sie Rheinland-Pfalz bietet – was Sie denen vorwerfen –, ein exzellentes Element erfolgreicher Strukturpolitik sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben das einmal nachgerechnet. Eine Beispielrechnung zeigt:Wenn sich 2.500 Familien mit insgesamt 10.000 Personen – also mit jeweils zwei Kindern – in RheinlandPfalz, statt z. B. in Hessen, ansiedeln, weil sie z. B. die Kinderbetreuungsplätze attraktiv finden, dann führt dies ceteris paribus zu einer Mehreinnahme für das Nachbarland in Höhe von rund 20 Millionen c. Da kann man nur sagen: Als Nehmerland machen die genau das, was Sie als Geberland Hessen immer fordern; sie versuchen nämlich, ihre Einnahmen zu steigern. Wo ist da berechtigte Kritik anzusetzen?

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Damit sage ich nicht, dass der LFA so, wie er ist, gut und richtig sei. Ganz im Gegenteil, wir haben hierzu gemeinsam mit Ihnen einen Beschluss gefasst. Ich verweise auf Drucks. 18/2095. Mich wundert aber, wie kurzlebig bei Ihnen gemeinsam gefasste Beschlüsse sind. Den haben Sie anscheinend schon längst wieder vergessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der FDP)

Ich sage im Einklang mit diesem Beschluss: Die Baustelle Länderfinanzausgleich sollte mit Vernunft und nicht mit Schaum vor dem Mund – wie beim Kollegen Rentsch – gemeistert werden. Dasselbe wäre bei der Gestaltung des Haushalts 2011 das richtige Verfahren. Herr Finanzminister, stoppen Sie deshalb diese gelbe Rasselbubenbande mit ihrem häufig unerträglichen Geplärr.