Protokoll der Sitzung vom 30.09.2010

Herr Rentsch, wie Sie immer so frech zu sagen pflegen: Jetzt hören Sie doch einfach einmal zu. – Da wir eine dialektisch denkende Fraktion sind, würde ich Ihnen gerne aus Ihrer Pressemitteilung vom 20. August vorlesen. – Herr Merz, Herr Rentsch hatte eine gute Idee. Achtung, alle von SPD und GRÜNEN sollten jetzt aufmerksam sein:

(Gerhard Merz (SPD): Da bin ich aber gespannt!)

Die Überschrift lautet: „Florian Rentsch: Familienkarte zur Bildungschipkarte weiterentwickeln“. In der Pressemitteilung sagt er:

Sinnvoll wäre es nun, wenn die hessische Familienkarte, die für alle gilt, gleichzeitig das zusätzliche Angebot des Bildungschips beinhalten könne, um eine bessere Förderung für Kinder von Langzeitarbeitslosen zu erreichen.

Herr Rentsch, wo ist denn bitte dieser Passus in Ihrem Antrag, der heute vorliegt?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ihr Antrag müsste doch lauten: Weiterentwicklung der hessischen Familienkarte zu einer Karte,die musische Angebote, sportliche Angebote und kulturelle Angebote beinhaltet. – Herr Rentsch, wir kämpfen auf derselben

Seite.Herr Rentsch,weil wir der Meinung sind,wir sollten die hessische Familienkarte weiterentwickeln, haben wir GRÜNE uns die Mühe gemacht, das in einen Antrag zu gießen, und freuen uns nachher über Ihre Zustimmung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der FDP)

Sie sind der Meinung, wir müssen diese Karte weiterentwickeln. Ich sehe es an Ihrem Nicken. Wir sind der Meinung, man muss diese Karte weiterentwickeln.Wir stellen für Sie diesen Antrag. Sie haben es offensichtlich nur vergessen, oder Sie konnten sich bei der CDU nicht durchsetzen. Wir sind der Meinung, dass wir diese 1 Million c klüger einsetzen sollten, indem wir die hessische Familienkarte weiterentwickeln. In Kooperation mit den hessischen Kommunen und Kreisen sollten wir uns jetzt weiter davon fortbewegen,nur ein privates Kundenbindungsprogramm zu machen, sondern wir sollten uns dorthin bewegen, kulturelle, musische und sportliche Angebote in dieser Karte mit fördern. Das werden wir nicht alleine hinbekommen, dazu brauchen wir die Kreise und Kommunen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen haben wir einen Antrag gestellt, in dem wir fordern, die hessische Familienkarte weiterzuentwickeln. Wir hoffen auf Ihre Zustimmung, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Sie haben es angesprochen, Familienpolitik geht in Ihrem Antrag noch weiter. Ich habe noch 2:50 Minuten Redezeit, deswegen gestatten Sie mir die Bemerkung dazu. Die hessische Familienkarte ist natürlich von der Quantität ein Erfolg, viele Tausende haben sich dazu angemeldet, über die Qualität kann man schmunzeln. Es zeigt unzweifelhaft die Notwendigkeit solcher Angebote. Tausende von Familien nehmen Angebote aller Art in Anspruch,damit sie Rabatte bekommen. Das zeigt es unzweifelhaft. Das klingt jetzt etwas moralinsauer, aber es zeigt doch, dass Familien in diesem Land alles in Anspruch nehmen, weil sie große Not haben, mit ihrer Haushaltskasse zurechtzukommen.

(Zuruf des Abg. Horst Klee (CDU))

Dazu gehört auch,sich Gedanken darüber zu machen,wie Familienpolitik generell aufgestellt ist. In der Tat kann man sagen, dass sich in den letzten zehn Jahren einiges geändert hat, gerade bei den Konservativen. Ende der Neunzigerjahre haben wir noch über die Rolle der Frau diskutiert, ob und wie lange sie arbeiten gehen soll. Wir haben uns noch darüber unterhalten, was Familie ist, ob Geschiedene und Alleinerziehende überhaupt zur Familie gehören,oder ob Familie nicht einfach so zu definieren ist, dass dort, wo Kinder sind, auch Familie ist.Wenn man das als Grunddefinition annimmt und sagt, wir wollen die strukturellen Bedingungen für Familien in der Kinderbetreuung, in Hortplätzen, in Ganztagsschulen verbessern, dann haben wir einen Fortschritt gemacht. Es ist ein Fortschritt, wenn die Konservativen das anerkennen und auch die Verbesserungen der Familienförderung in ihre Programme und Koalitionsverträge aufnehmen.

Zur heutigen Stunde muss man allerdings sagen: Sie hinken hinterher. Sie hinken Ihren Ankündigungen hinterher. Die Ankündigungen sind gut. Sie wollen die Kinderbetreuung ausbauen,sind aber deutlich hinter Ihrem Plan. Mit der Mindestverordnung wollen Sie eine bessere Qualität in den Kindereinrichtungen. Da haben Sie die Hälfte der Kommunen abgeknipst und hinken Ihren Ankündigungen hinterher. Hortplätze, Ganztagsschulen, bei all diesen Stichpunkten hinken Sie Ihren Ankündigungen

hinterher. Sie kündigen das an. Das finden wir richtig. Das muss aber monetär untermauert sein und auch umgesetzt werden. Was die Familienpolitik in Hessen generell betrifft, haben Sie einen Nachholbedarf.

Ich komme zum Schluss. Die Familienkarte ist ein quantitativer Erfolg. Helfen Sie uns allen, dass Sie auch ein qualitativer Erfolg wird. Lassen Sie uns die Familienkarte weiterentwickeln mit Musik-, Sport- und Kulturangeboten.Führen Sie die hessische Familienpolitik dazu,dass sie nicht nur eine Ankündigung, sondern auch eine Umsetzung erfährt. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schönen Dank, Herr Kollege Bocklet. – Für die SPDFraktion hat jetzt Herr Merz das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es hat schon einen eigenartigen Geschmack, an dem Tag, an dem die Abschaffung des Startpakets durch die schwarz-gelbe Koalition in Berlin verkündet wird,

(Petra Fuhrmann (SPD): Genau!)

hier über eine Familienkarte und deren mögliche Weiterentwicklung zu einer Bildungskarte zu diskutieren. Das hat schon etwas. – Das ist der eine Punkt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Zweiter Punkt. Zu Beginn meiner Rede wollte ich ursprünglich den Kolleginnen und Kollegen von der CDU und der FDP zu ihrem familienpolitischen Mut gratulieren. Das lasse ich nach dem doch etwas verstolperten Anfang dieser Debatte. Ich wollte bedauern, dass dieser familienpolitische Mut leider nicht darin besteht, dass auf den vielen wichtigen Feldern der Familienpolitik entschlossen vorangegangen wird, sondern darin, eine der windigsten PR-Aktionen der letzten Jahre zu machen.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Dies wurde nicht nur mit einem der üblichen Jubelanträge angepriesen, sondern daraus ist ausgerechnet auch noch ein Setzpunkt gemacht worden, also ein Punkt, den man ganz besonders ins Rampenlicht stellt. Dazu kommt, dass Sie zu Beginn der Debatte überwiegend nicht da waren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Meine Damen und Herren, das nenne ich mutig. Denn nach meiner Überzeugung und nach der überwiegend ätzenden Kritik in der Öffentlichkeit wäre es sachlich logischer und politisch klüger gewesen, dieses Projekt mit dem Mantel des Schweigens zuzudecken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dieses Projekt ist ein reines Showprodukt.Die Roadshow genannte PR-Tour treibt übrigens nicht nur den Kollegen Dr. Müller zur Verzweiflung. Das Projekt wird auf allen Jahrmärkten dieser Welt angepriesen wie weiland die Allheilmittel der mittelalterlichen Quacksalber. Frau Kolle

gin Wiesmann, das ist es: Es ist familienpolitische Quacksalberei.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Schauen Sie sich einmal an, wofür diese Karte alles gut sein soll: Sie hilft gegen Kinderschwund. Sie verleiht Mut. Sie ist offensichtlich auch eine Art Antidepressivum. Sie hilft offensichtlich gegen ganz viel, so, wie die Allheilmittel der mittelalterlichen Quacksalber auf den Jahrmärkten auch gegen alles geholfen haben,nämlich gegen genau nichts.

Auch ich kann Ihnen das nicht ersparen, was Kollege Bocklet eben gesagt hat:Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir wäre es peinlich gewesen, eine Familienkarte landauf, landab und in zwei Pressekonferenzen mit je drei Mitgliedern der Hessischen Landesregierung anzupreisen, deren eine wesentliche Leistung in der Tat darin besteht, dass man an bestimmten Autobahnraststätten dieses Landes zehnmal kostenlos pinkeln kann. Das wäre mir peinlich gewesen.

(Zurufe der Abg. Ulrich Caspar (CDU) und Petra Fuhrmann (SPD))

Das ist nicht irgendein Angebot. Der Anbieter dieser Leistung – auch darauf ist schon hingewiesen worden – steht auf der Liste der Premiumpartner, wie das im Marketingdeutsch auch dieser Aktion heißt, ganz oben.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Vielleicht hat das damit zu tun, dass unter den Raststätten, auf denen das möglich ist, auch der mythische Ort der hessischen Landespolitik zu finden ist, nämlich die Tankstelle Wetterau,

(Petra Fuhrmann (SPD): Genau!)

wo sich der Ministerpräsident und der gewesene Ministerpräsident hin und wieder zusammengefunden haben.

(Horst Klee (CDU): Das ist doch längst verjährt, was Sie da erzählen!)

Wenn der Herr Ministerpräsident – wenn es ihm jemand weitersagen kann – seine Kumpels,die alten Ritter der Tafelrunde, einmal wieder zu einem Revivaltreffen einladen will: Familienkarte nicht vergessen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE) – Zuruf des Abg. Horst Klee (CDU))

Der römische Dichter Juvenal hat einmal gesagt: Difficile est satiram non scribere – es ist schwer, darüber keine Satire zu schreiben.

(Horst Klee (CDU): Jeder blamiert sich selbst!)

Ja, Herr Kollege, jeder blamiert sich in der Tat so, wie er kann. Das ist genau der Punkt, um den es hier geht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Horst Klee (CDU): Sie sind dran!)

Meine Damen und Herren, es ist doch nicht so, dass das ein besonders skurriles Beispiel ist. Wenn man sich die Liste der Angebote dieser Karte anschaut, muss man sagen: Die anderen sind im Prinzip auch nicht anders. Ein paar Beispiele sind schon genannt worden, auch in Presseartikeln und in einem Fernsehbericht des Hessischen Rundfunks. Die Zusammenfassung, das Fazit ist immer

das Gleiche: Wir haben es hier mit einer fast rein kommerziellen Rabattkartenaktion zu tun, bei der man überdies auf das Kleingedruckte und das Verfallsdatum achten muss. Aber wir haben es nicht mit etwas zu tun, was en gros oder en détail in der Lage wäre, die oft schwierige Situation von Familien wirklich und nachhaltig zu erleichtern.

Eine solche Aktion hier zu einem neuen Höhepunkt der hessischen Familienpolitik machen zu wollen, zeugt, wie gesagt, von Mut. Sie haben versucht, das in den Kontext einer familienpolitischen Bilanz der Landesregierung einzubetten. Deswegen will ich zu dieser Bilanz in Punkt 2 Ihres Antrags ein paar Anmerkungen machen.

Erstens. Sie rühmen sich des konsequenten Ausbaus der Kinderbetreuung. Meine Damen und Herren, das ist das Schmücken mit fremden Federn. Denn die Hauptmasse des Zuwachses geht an dieser Stelle auf das Konto des Bundes und vor allem der Kommunen und der freien Träger. Das Land spielt hier, wie auch sonst in der Kinderbetreuung, zumindest finanziell eine marginale Rolle und ist im Übrigen entgegen Ihren ständigen Behauptungen nach allen Statistiken,die ich kenne,durchaus nicht an der Spitze. Herr Minister Grüttner, Ihre neue Förderrichtlinie macht einen da auch nicht viel hoffnungsfroher.