Protokoll der Sitzung vom 30.09.2010

Erstens. Sie rühmen sich des konsequenten Ausbaus der Kinderbetreuung. Meine Damen und Herren, das ist das Schmücken mit fremden Federn. Denn die Hauptmasse des Zuwachses geht an dieser Stelle auf das Konto des Bundes und vor allem der Kommunen und der freien Träger. Das Land spielt hier, wie auch sonst in der Kinderbetreuung, zumindest finanziell eine marginale Rolle und ist im Übrigen entgegen Ihren ständigen Behauptungen nach allen Statistiken,die ich kenne,durchaus nicht an der Spitze. Herr Minister Grüttner, Ihre neue Förderrichtlinie macht einen da auch nicht viel hoffnungsfroher.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LINKEN)

Zweitens. Die Behauptung, die Einführung des Bildungsund Erziehungsplans habe die Qualität der Kinderbetreuung erhöht, ist zumindest gewagt; denn in der Realität kommt die Umsetzung nur schleppend voran, vor allem deshalb,weil dafür in den Kitas und eigentlich auch in den Grundschulen die personellen Ressourcen fehlen.

Drittens ist deshalb die Behauptung von der verbesserten personellen Ausstattung der Kindertagesstätten ziemlich vollmundig. Das gilt vor allem vor dem Hintergrund des vollständigen Desasters bei der Einführung, Umsetzung und Finanzierung der Mindestverordnung. Deswegen nehmen Sie den Begriff Mindestverordnung an dieser Stelle, wo er eigentlich hingehören würde, vorsichtshalber erst gar nicht in den Mund.

Viertens erwähnen Sie den Ausbau von familienunterstützenden Dienstleistungen über die geplanten Familienzentren. Wo plant das Land eigentlich Familienzentren? Wo ist das seit 2008 durch einen Landtagsbeschluss geforderte Konzept für die Familienzentren? Das ist überfällig. Wo ist der finanzielle Beitrag des Landes? Meine Damen und Herren, auch hier treiben die Kommunen und die freien Träger die Entwicklung auf eigene Kosten und Rechnung voran. Das Land sieht zu und sagt wohlwollend:Mir nach,ich folge euch – und finanziert an zwei,drei Stellen die wissenschaftliche Begleitung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wo ist eigentlich der Ausbau der familienunterstützenden Dienstleistungen durch diese Landesregierung?

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Diese Landesregierung hat in der „Operation düstere Zukunft“ die Mittel für die Erziehungs- und Schuldnerberatung ebenso gestrichen wie die Mittel für die Familienbildungsstätten, die Mütterzentren und vieles andere mehr.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)

Wo geschieht der Ausbau oder auch nur der Erhalt der familienunterstützenden Dienstleistungen, wo gar im Kontext einer entschlossenen Strategie für Familienzentren in diesem Land? – Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, das ist die familienpolitische Realität in diesem Land. Daran wird weder Ihre Familienkarte noch Ihr Antrag dazu irgendetwas ändern.

(Beifall bei der SPD)

Man könnte jetzt sagen – das ist ein beliebter Spruch von mir; wer mich kennt, der kennt ihn schon –: Es nutzt vielleicht nichts.Aber sie schadet wenigstens nicht.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Der ist vom Kaufmann!)

Der auch? Das ist in Ordnung.Ich wende ihn auch gerne an, weil das die politische Debatte manchmal wirklich erleichtert.

Ich glaube – da unterscheiden wir uns ein wenig von den Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN –, dass diese Familienkarte an mehreren Stellen durchaus schadet. Sie schadet erstens, weil das Geld dafür an anderer Stelle dringender gebraucht würde. Darauf ist schon hingewiesen worden. Das will ich noch einmal unterstreichen.

Sie schadet aber auch aus einem anderen Grund.Die „Offenbach-Post“ zitiert am 25. September eine Mutter aus Egelsbach mit folgenden Worten: „Damit“ – nämlich mit der Familienkarte – „ist wahrscheinlich auf lange Zeit hin die Chance vertan, eine sinnvolle ,Familienkarte‘ einzuführen – mit echter Unterstützung der einkommensschwachen oder gerne auch aller Familien mit Förderung von Bildung, Kultur und Vereinssport, wieder gebührenfreien Leihbüchereien oder Zuschüssen zu Nachhilfe oder Schwimmbadeintritt in jedem Ort...“

Meine Damen und Herren, dem ist wenig hinzuzufügen, außer diesem:Eine solche Familienkarte wäre nur mit den Kommunen zu machen. Das würde aber voraussetzen, dass man den Kommunen die dafür notwendigen Mittel auch tatsächlich zur Verfügung stellt und ihnen nicht auf der einen Seite den KFA zusammenkürzt und auf der anderen Seite sagt, dass Leistungen wie beim Gießen- oder Frankfurt-Pass freiwillig, also im Grunde nicht wirklich nötig sind. Das ist der Kampf, der geführt wird.

Ich will an dieser Stelle einmal darauf hinweisen: Das sind bzw. waren Karten, die vielen Familien in Notlagen tatsächlich geholfen haben.Wir hatten in Gießen einmal die Situation, dass Zuschüsse in Höhe von 75 % auf die Kosten für die Nutzung des ÖPNV, der Schwimmbäder, des Stadttheaters, der Volkshochschule und vieler anderer öffentlicher Einrichtungen bezahlt wurden – bevor eine schwarz-gelbe Koalition in Gießen das zurückgeführt hat. Sie hat es nicht vollkommen gestrichen. Das muss man zu ihrer Ehrenrettung sagen. Aber sie hat die Zuschüsse auf 50 % abgesenkt. Auch das gehört zur familienpolitischen Realität.

Als letzten Grund könnte man sagen, dass mit der Einführung der Familienkarte die Familien in diesem Land über die tatsächliche familienpolitische Kompetenz und Leistungsbilanz der Landesregierung getäuscht werden könnten. Aber diese Gefahr würde ich, so, wie die Dinge derzeit liegen, als eher gering einschätzen.

Eine Bemerkung zum Schluss. Wir haben im letzten Jahr in diesem Hause eine eher seltsame Debatte über den Namen des zuständigen Ministeriums geführt. Die könnte

man jetzt umdrehen:Vielleicht heißt das Familienministerium jetzt deshalb nicht mehr Familienministerium, damit man erst gar nicht auf falsche Gedanken kommt. Denn so wenig der ehemalige Minister für Arbeit, Familie und Gesundheit eine konsistente Familienpolitik machen durfte, so wenig wird man von dem neuen Sozialminister tatsächlich eine soziale Politik erwarten können. Oder um es mit einem Werbespruch – das passt zu der Debatte – zu sagen: Twix heißt jetzt wieder Raider. Sonst ändert sich nichts. Leider.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Schönen Dank, Herr Kollege Merz. – Für die Fraktion DIE LINKE hat jetzt Frau Schott das Wort. Bitte schön, Frau Schott.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Insbesondere meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen: Sie können mir fast leid tun.

(Lachen bei der CDU und der FDP)

Das politische Handeln ist Ihnen abhanden gekommen, und im Gegensatz zu dem, was Herr Rentsch heute Morgen blumig behauptet hat, fehlen Ihnen vor allen Dingen die Inhalte. Herr Rentsch, Sie haben vorhin über gute Erziehung, über Manieren im Parlament – –

(Florian Rentsch (FDP) telefoniert.)

Herr Rentsch, Sie sprachen doch vorhin darüber, wie sich Menschen im Parlament benehmen sollten. Ich finde, es ist eine Unverschämtheit, dass Sie da sitzen und telefonieren und überhaupt nicht zuhören.

(Florian Rentsch (FDP): Ich darf doch wohl noch meine Telefonate machen, oder? Ich habe wenigstens nicht gestört, sondern leise telefoniert!)

Ich finde, es ist unverschämt, andere zu maßregeln und selbst nicht nach den selbst aufgestellten Maßregeln zu handeln.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Anhaltende Un- ruhe)

Frau Kollegin Schott, Sie haben das Wort.

(Florian Rentsch (FDP): Ich habe Sie nicht gestört!)

Herr Rentsch, da kann man wirklich dafür dankbar sein, dass Sie einen nicht stören. Das stimmt allerdings.

(Florian Rentsch (FDP): Ich schenke Ihnen gern mein Handy, für das Sie sich so interessieren!)

Sie haben hier vorhin hoch gelobt, dass sich ganz viele Familien für diese Familienkarte interessieren und sie haben

wollen. Das kann ich auch verstehen; das ist eine Rabattkarte,

(Florian Rentsch (FDP): Was ist daran so schwierig?)

mit der man in verschiedenen Firmen preiswerter einkaufen kann. Das ist es de facto, eine Rabattkarte. Damit kann man bei REWE und anderen Läden preiswerter einkaufen. Damit bewegt sich die Regierung genau auf dem Niveau von Shell und Karstadt.

(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Weil Ihnen außer diesen klugen Ideen nichts Besseres einfällt, schreiben Sie zu dieser hochnotpeinlichen PaybackKarte einen Antrag und machen den auch noch zum Setzpunkt.

(Florian Rentsch (FDP): Das hat doch alles schon Herr Bocklet gesagt!)

Ein Setzpunkt, in dem Sie erklärt hätten, wie der Stand des Armuts- und Reichtumsberichts aussieht, wie Sie naturnahen und sanften Tourismus in Nordhessen voranbringen wollen oder ein zukünftiges Konzept für die Weiterentwicklung der Staatsdomäne Beberbeck – –

(Florian Rentsch (FDP): Vielleicht hätte Herr van Ooyen die Rede schreiben sollen!)

Wie war das mit dem „Sie würden wenigstens nicht stören“, Herr Rentsch? Hören Sie in Zukunft bitte auf, hier andere Menschen zu ermahnen und ihnen zu sagen, wie sie sich hier benehmen sollen. Sie telefonieren und quatschen dazwischen,stellen sich aber hier vorne hin und machen den Oberlehrer.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD – Judith Lannert (CDU): Das ist ja peinlich! – Holger Bellino (CDU): Schmerzensgeld!)

Frau Kollegin, Sie haben das Wort, und das Plenum hört Ihnen zu.

(Lachen der Abg. Judith Lannert (CDU))

Wenn es Ihnen um die Kinder und die Familien in diesem Land ginge, gäbe es viele Dinge, über die wir hier reden könnten.

(Zuruf von der CDU)