Protokoll der Sitzung vom 30.09.2010

Frau Lannert, genau das ist das Thema. – Je stärker die Landesregierung mit der Verschuldung unter Druck geraten ist, desto stärker wurde der Sündenbock Länderfinanzausgleich aus dem Hut geholt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Heute hieß es sogar:Hätten wir den LFA nicht,hätte Hessen Überschüsse erwirtschaftet. – Das spielte schon im letzten Plenum eine Rolle. Diese platte Nummer sollten wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Für die Verschuldung in Hessen ist in erster Linie und ganz allein die Hessische Landesregierung verantwortlich und nicht der Länderfinanzausgleich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie des Abg.Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ich möchte nur diese Fakten feststellen. Nicht der Länderfinanzausgleich ist in erster Linie schuld an der hohen Verschuldung in Hessen. Nachdem wir dieses Jammerlied „Wenn der LFA nicht wär, dann wär das Leben halb so schwer“ immer wieder von Ihnen gehört haben und wir Ihnen dieses Jammerlied nicht länger durchgehen lassen konnten, ist es uns endlich gelungen, im März dieses Jahres, auf der Grundlage eines Antrags der GRÜNEN, einen gemeinsamen Antrag mit den Kollegen von der CDU und von der FDP zu verabschieden, mit dem wir uns auf feste Optionen und feste Zeithorizonte verständigt haben. Wir haben gesagt, bis Ende nächsten Jahres soll auf dem Verhandlungsweg versucht werden, eine Lösung zu finden.Wenn das nicht mehr zieht, soll auf dem Klageweg versucht werden, mehr Druck in die Leitung zu bringen.

(Florian Rentsch (FDP): Das ist doch schön, Unterstützung von den GRÜNEN!)

Das haben wir so gesagt; denn der LFA ist zwar nicht der einzige Grund für die Verschuldung, es ist aber unbestritten, er ist reformbedürftig. Das haben sogar am Ende die Kollegen der LINKEN eingestanden, dass der LFA reformbedürftig ist.

(Peter Beuth (CDU): Das ist für uns kein Maßstab!)

Dass das für Sie kein Maßstab ist, das ist mir klar. – Die Kollegen der LINKEN haben sich an diesem Punkt vergaloppiert.

(Peter Beuth (CDU): Das tun sie bei jedem Thema!)

Herr Beuth, wir können insgesamt feststellen – das hat auch Kollege Milde beschrieben –, der LFA ist nicht anreizorientiert,er setzt die falschen Anreize und sorgt nicht dafür, dass die Bemühungen um die eigenen Einnahmen belohnt werden. Das ist alles unbestritten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU)

Diese Fehlanreize müssen beendet werden. Das ist doch völlig klar. Aber an einem Punkt kann ich Sie nicht rauslassen: Diese Neiddebatte, die Sie immer aufmachen, lässt sich aus dem Gutachten nicht ableiten.

(Judith Lannert (CDU):Wer macht denn die Neiddebatte auf?)

Sie führen immer an: Andere Bundesländer machen mit unserem Geld viele schöne Sachen, die wir uns nicht leisten können. – Das ist doch die Neiddebatte, die Sie sonst immer ablehnen. An diesem Punkt spielen Sie ein Spiel, das nicht in Ordnung ist.Wie wollen Sie das regeln, wenn Sie sich hinstellen und sagen: „Wir wollen nicht, dass die Kollegen aus dem Nachbarland die Kinderbetreuung mit unserem Geld freistellen“? Wie wollen Sie das regeln? Herr Rentsch, wollen Sie, dass der Finanzminister des Nachbarlandes bei Ihnen vorbeikommt, seinen Haushalt vorlegt und fragt, ob er diese oder jene Maßnahme machen darf?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Florian Rentsch (FDP): Guter Vorschlag!)

Lieber Florian Rentsch, wollen Sie dann die 3 km Straße, die zu einem Hotel führt, genehmigen, aber den freien Kindergartenplatz für das alleinerziehende Zimmermädchen nicht? Das ist doch absurd.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Da bauen Sie doch eine Bürokratie auf – –

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Sie wollen doch nicht ernsthaft in die Einnahmehoheit, in die Ausgabehoheit und in die Souveränität des Haushalts der anderen Bundesländer eingreifen. Das wollen wir bei uns nicht, das wollen wir bitte auch nicht bei anderen Bundesländern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Wir wollen – da sind wir uns wieder einig –, dass der Länderfinanzausgleich auf vernünftige Beine gestellt wird. Wenn Sie dazu noch einmal ein Gutachten benötigen, um sich das bestätigen zu lassen, ist das in Ordnung. Sie hätten vielleicht kein neues Gutachten gebraucht,

(Florian Rentsch (FDP): Sehr nettes Angebot von Ihnen, herzlichen Dank!)

Sie hätten vielleicht einmal bei den Kollegen der CDU fragen können. Es gab z. B. in der Föderalismuskommission ein Gutachten von Prof. Peter Huber, seinerzeit noch Professor an der Universität in München, heute Innenminister in unserem Nachbarland Thüringen. Da haben Sie ein Geberland mit an dem Tisch. Prof. Huber hat 2004 Ähnliches festgestellt wie jetzt Ihr Gutachter.

(Florian Rentsch (FDP):Thüringen ist ein Nehmerland!)

Frau Kollegin Erfurth, Sie müssen zum Schluss kommen.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich weiß, dass Thüringen ein Nehmerland ist.

(Florian Rentsch (FDP): Dann sagen Sie es auch!)

Prof. Huber hat 2004 schon Ähnliches festgestellt wie heute Ihr Gutachter. Vielleicht finden Sie dort Verbündete auf einem richtigen Weg.Wir brauchen Druck in der Leitung, und wir brauchen Verbündete, die den richtigen Weg beschreiben. In diesem Sinne sollten wir weitermachen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank. – Für die Landesregierung spricht die Staatssekretärin Frau Prof. Dr. Hölscher. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich sehr, das erste Mal vor diesem Haus sprechen zu dürfen und dann auch noch zu einem so altehrwürdigen Thema wie dem Länderfinanzausgleich. Wenn ich bisher dazu gesprochen habe, dann vor meinen Studenten, und ich habe Dinge erzählt wie beispielsweise: Es gibt erstens eine Primärverteilung, zweitens eine Sekundärverteilung, drittens einen Solidarausgleich, viertens eine allgemeine Bundesergänzungszuweisung und fünftens eine Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisung.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Frank-Peter Kauf- mann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist hier auch angemessen!)

Dann kommt der schlaue Satz: Von 1 Million c Einkommen in Hessen bleiben dem hessischen Landeshaushalt ganze 75.000 c.

(Reinhard Kahl (SPD): Das ist falsch!)

Dann kommt meistens der Satz – ich bitte Sie, die Sprache der jungen Leute etwas zu entschuldigen –: Wer hat sich denn den Quatsch ausgedacht? – Da blieb mir dann bisher nur die Aussage, dass das ganze historisch bedingt ist. Meine Damen und Herren, das geht zurück auf eine Zeit, in der wir von anderen Volumina geredet haben,in der wir auch von anderen Staatsaufgaben geredet haben und auch von einer anderen Verteilung zwischen Geber- und Nehmerländern.

Heute gilt immer noch, das ist unbestritten, dass wir hinter dem Prinzip der Solidarität zwischen den Ländern stehen.Wir haben aber auf der hessischen Seite, auch auf der Regierungsseite eine Verantwortung gegenüber unseren Steuerbürgern, dass nämlich das, was wir an Steuern erheben, in einem vernünftigen Maß auch in unserem Land ausgegeben wird.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich denke, es ist ebenso unbestritten, dass wir Anreize für die steuerschwachen Länder brauchen, ihre eigenen Haushalte auf eigener Basis zu konsolidieren.

(Beifall bei der CDU und der FDP sowie bei Abge- ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe mir einmal den Spaß erlaubt und den Länderfinanzausgleich noch ein bisschen weiter zurückgerechnet, nämlich bis 1970.Wenn ich mir die Zahlen anschaue,stelle ich fest, dass Hessen in den letzten 40 Jahren leider 38 Milliarden c Schulden angehäuft, aber über diese 40 Jahre 43 Milliarden c in den Länderfinanzausgleich gezahlt hat. Mit anderen Worten: Selbst in the long run, wie man so schön sagt, wären wir unter dem Strich ohne den Länderfinanzausgleich sauber.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))

Wir haben nun das wichtige Thema, unseren eigenen Haushalt, den hessischen Haushalt, konsolidieren zu müssen. Es kann nicht sein, dass uns eine, wie gesagt, altehrwürdige, aber genauso auch diskussionsbedürftige Regelung aus älterer Zeit dabei behindert. Deswegen bitte ich, daran zu denken, dass diese historische Regelung ein geborenes Ende hat, vorgegeben durch das Bundesverfassungsgericht, nämlich 2019. Es ist nicht in Stein gemeißelt, dass das bis ans Ende aller Zeiten so gehen muss.

Insofern liefern die bereits vorliegenden Gutachten und auch das in Kürze zu erwartende Gutachten wichtige Erkenntnisse, dass zum einen über die Zahlen und zum Zweiten – ganz wichtig – über den Modus,auf welcher Basis verteilt wird, geredet werden muss.

Andererseits müssen wir uns von hessischer Seite aber auch bewusst sein, dass eine Klage immer Chancen und Risiken beinhaltet.

(Reinhard Kahl (SPD): So ist es!)

In einem Gerichtsurteil sind wir bestimmter Diskussionsgrundlagen enthoben. Sicherlich lässt sich kein Nehmerland gerne etwas wegnehmen. Das ist nahe liegend. Auf der anderen Seite ist es aber wichtiger – das ist die Position der Regierung –, in einen konstruktiven Dialog mit den anderen Bundesländern zu treten.

(Beifall bei der CDU,der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wenn ich erst einmal draufgehauen habe, ist es schwierig, mit jemandem einen solchen Dialog zu führen.

(Allgemeiner Beifall – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Rentsch!)