Protokoll der Sitzung vom 30.09.2010

Es gibt zehn Minuten Redezeit je Fraktion. Im Anschluss an die Beratung werden wir die drei genannten Anträge, die zwei Dringlichen Anträge und den Dringlichen Entschließungsantrag, an den Sozialpolitischen Ausschuss überweisen.

Wir beginnen mit der Aussprache. Herr Kollege SchäferGümbel,Vorsitzender der SPD-Fraktion, hat das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich diese Debatte mit einer Vorbe

merkung beginnen: Die Armut der Kinder ist die Armut ihrer Eltern, und diese Menschen haben den Wunsch, aus dieser Armut herauszukommen. Deswegen sollten wir viel dafür tun, dass genau dies ermöglicht wird, statt mit stigmatisierenden Debatten wie in den letzten Tagen den Eindruck zu erwecken, dass diese Menschen nicht aus ihrer Armut herauskommen wollen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schwarz-Gelb hat eine große Chance vertan. Ihre Vorschläge, die Sie mit warmen Worten präsentiert haben, werden an der Situation dieser Menschen nichts Spürbares verändern. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war eine mutige Aufforderung, den Menschen in unserem Land wieder einmal klarzumachen, was der Kern des Sozialstaats ist. Es ist bezeichnend, dass das Bundesverfassungsgericht erstmals eine sozialstaatliche Entscheidung nicht mit Art. 20, sondern mit Art. 1 der Verfassung begründet hat: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Die Menschen haben nicht nur auf ein Dach über dem Kopf und auf Lebensmittel in ausreichender Menge Anspruch, sondern auch auf die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in diesem Land und auf Respekt.

Meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, genau an diesem Respekt lassen Sie es fehlen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Schacherei in Hinterzimmern, an der der Herr Ministerpräsident unmittelbar beteiligt war, statt gemeinsam mit den Vertretern von Ländern und Kommunen das drängende Problem der Kinderarmut ernsthaft anzugeben, ist ein Armutszeugnis. Sie haben viele Monate mit einer sinnlosen Diskussion über Chipkarten vergeudet, und Sie haben mit vielen warmen Worten Erwartungen geschürt, die Ihre Vorschläge in keiner Weise erfüllen. Ihre Vorschläge sind eine glatte Enttäuschung.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Ganze 5 c - mehr ist bei Ihren Kungelrunden nicht herausgekommen.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Herr Reif, das ist doch ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen.

(Clemens Reif (CDU): Wir sind doch im Hinterzimmer!)

Was soll man denn davon kaufen? So unsensibel kann man doch gar nicht sein, nicht einmal Sie, Herr Reif.

(Zuruf von der CDU: Na, na, na!)

Ihre Datengrundlagen lassen Sie nicht einmal einsehen. Die Bundesministerin hat gestern im Deutschen Bundestag die Einsicht in die Rohdaten verweigert. Was muss noch darin stecken, wenn Sie nicht einmal bereit sind, die Daten öffentlich zu machen, auf deren Grundlage Sie diese Maßstäbe sachgerechnet errechnet und beurteilt haben?

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Die Grundlagen haben Sie willkürlich verändert.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Anders kann man es nicht ausdrücken, wenn Sie ohne jede sachliche Begründung zur Bewertung der Regelsätze Einpersonenhaushalte – die unteren 15 % der Einkommenshaushalte – in die Berechnung einbeziehen. Bei den Mehrpersonenhaushalten sind es 20 %. Herr Reif, das ist eben falsch. Das ist der Unterschied.

(Clemens Reif (CDU):Alles von Ihnen!)

Wir haben zur Kenntnis genommen und akzeptiert, dass das Bundesverfassungsgericht einen völlig anderen Zugang gewählt hat. Es hat nicht gesagt: „Denen, die wenig haben, müsst ihr etwas wegnehmen, um daraus das Existenzminimum zu errechnen“,

(Clemens Reif (CDU):Alles von Ihnen!)

sondern es hat erklärt, dass die Würde des Menschen im Mittelpunkt stehe. Herr Reif, das sollten Sie sich einmal hinter die Ohren schreiben. Das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Clemens Reif (CDU):Alles von Ihnen!)

Das Rumpelstilzchengehabe von Herrn Reif sind wir gewohnt. Er macht da weiter, wo er gestern aufgehört hat. Das ertragen wir hier alles ganz locker. Im Übrigen, Herr Reif, habe ich im Moment das Mikrofon, nicht Sie. Im Zweifelsfall bin ich also lauter.

Der entscheidende Punkt ist – die Katze ist aus dem Sack gekommen, spätestens an der Stelle, als Sie über das Lohnabstandsgebot und den Mindestlohn gesprochen haben –: Was hat das Verfassungsgericht entschieden? Das Verfassungsgericht hat das Lohnabstandsgebot ausdrücklich nicht infrage gestellt, ganz im Gegenteil. Aber das Verfassungsgericht hat deutlich erklärt, das Lohnabstandsgebot müsse auf dem Existenzminimum aufsetzen. Es hat ausdrücklich darauf hingewiesen, es sei unzulässig, das Existenzminimum aufgrund des Lohnabstandsgebots und der Niedriglohnentwicklungen nach unten zu drücken, um daraus eine Legitimation für das Lohnabstandsgebot zu konstruieren.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Das Bundesverfassungsgericht ist zu loben, weil es hier ein klares Plädoyer für eine andere Sozialstaatlichkeit gehalten hat. Es wäre an Ihnen gewesen, diesen Anspruch des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen, statt sich in die Büsche zu schlagen und weiter so zu tun, als gäbe es keine Probleme in diesem Land.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Clemens Reif (CDU): Das stimmt doch gar nicht!)

Sie versuchen wie immer, Geringverdiener und Hartz-IVEmpfänger gegeneinander auszuspielen. Das führt zu einer Spaltung der Gesellschaft; das hat mit Solidarität nichts zu tun.

(Clemens Reif (CDU): Damit haben Sie angefangen!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen einen flächendeckenden Mindestlohn, damit dieser Zustand endlich beendet werden kann.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Nun komme ich zu Ihrer schönsten und populistischsten Aktivität. Ich bin sehr für das Bildungspaket. Aber wir wollen uns einmal anschauen, was Sie hier eigentlich vorgelegt haben. Das Bundesverfassungsgericht hat erklärt, dass es nicht allein um mehr Geld geht, sondern auch um die Sicherstellung von Bildung und gesellschaftlicher Teilhabe.

(Zurufe von der FDP)

Die Bundesregierung hat das nicht vorgegeben, Herr Rock. Die Meldungen über das, was da verabredet wurde, sind am Donnerstag hinausgegangen, nachdem der Herr Ministerpräsident mit den anderen Kollegen und der Kanzlerin zusammengesessen hatte.

Das war keine Entscheidung der Bundesregierung oder des Arbeitsministeriums. Vielmehr handelte es sich dabei um eine Kungelrunde der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin.Deswegen ist auch Volker Bouffier für die Sauereien, die dabei herausgekommen sind, persönlich verantwortlich. Das ist völlig klar.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Bundesverfassungsgericht hat gefordert, dass es nicht allein um mehr Geld geht, sondern um die Sicherstellung der Bildung und der gesellschaftlichen Teilhabe. Das ist Ihnen in keiner Weise gelungen. Sie mogeln. Nicht alles, was Sie in das Paket gepackt haben, ist wirklich neu.Viele Ihrer großen Versprechungen der letzten Wochen und Monate lassen sich mit diesem Päckchen nicht einlösen. Die Armut der Kinder lindern Sie damit jedenfalls nicht.

Das Schulstarterpaket gab es schon. Das wurde nämlich während der Großen Koalition aufgrund unseres Druckes eingeführt.

Eines ist allerdings in der Tat neu. Das melden die Agenturen heute. Sie wollen das Schulstarterpaket für Familien mit geringem Einkommen zukünftig streichen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Andreas Jürgens und Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, was Sie da machen, ist ein Skandal. Das ist genau das Gegenteil von dem, was das Bundesverfassungsgericht gefordert hat.

Ganze 10 c soll es für Musik, Sport und gesellschaftliches Engagement mehr geben. Ich treffe Kinder und Jugendliche, wenn ich in Kindertagesstätten und Jugendeinrichtungen gehe und diese besuche. Die Kinder und Jugendlichen brauchen keine Gutscheine.Sie brauchen gute Kindertagesstätten und gute Ganztagsschulen. In den letzten zwei Tagen wurde aber deutlich, dass mit dieser Landesregierung gute Bildung nicht zu machen ist, weil sie sich weiterhin in den ideologischen Schützengräben versteckt.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg.Tarek Al-Wazir und Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Herr Bellino, es geht um warmes und gesundes Mittagessen. Da sind Sie zu kurz gesprungen. Denn nur 20 % der bedürftigen Kinder erhalten diesen Zuschuss. Für die anderen gibt es weder eine Kindertagesstätte noch eine Ganztagsschule, in denen sie zu Mittag essen könnten. Damit wird klar, was der eigentliche Kern des Problems ist. Wir brauchen Investitionen in die Infrastruktur, in gute Ganztagsbildung und in die Kindertagesstätten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist aber mit Ihnen nicht zu machen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg.Tarek Al-Wazir und Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))