Wir stellen fest – um noch einmal kurz auf die Debatte,die wir gerade über Hartz IV hatten, zurückzukommen –:Wir haben nicht nur einen Vizekanzler, der Empfänger sozialer Leistungen der spätrömischen Dekadenz bezichtigt, sondern wir haben auch eine Mehrwertsteuersenkung im Hotel- und Gastronomiebereich und eine MövenpickSpende an die FDP. Jeder kann sich den Zusammenhang selbst zusammenreimen. Wir haben eine schwarz-gelbe Bundesregierung, die mit ihrer Energiepolitik zeigt, dass sie hemmungslos den Atomkonzernen auf Kosten der Sicherheit Milliardengewinne zuschustern will.
Meine Damen und Herren, im Bundestag findet heute die erste Lesung des GKV-Finanzierungsgesetzes statt. Dieser Bereich ist bisher von der FDP noch nicht bedient worden. Wir reden jetzt über die Gesundheitspolitik von Herrn Rösler.
Bei mehreren Ereignissen hat es sich in den letzten Monaten ja schon angedeutet. Zunächst wurde der Pharmaverband vfa bedient – nicht die gesamte Pharmaindustrie, die Pharmaunternehmen in Hessen sind ja schon sehr beunruhigt –,und zwar angefangen bei der wörtlichen Übereinstimmung von Lobbyverbands-Vorschlag und Gesetzentwurf, über den Grundsatz, dass Nutzenanalysen nicht mehr von Arzneimittelprüfern, sondern von den Ministerien vorgenommen werden, bis hin zu dem letzten, jetzt
erfolgten Coup – immer in treuer Gefolgschaft zur großen Pharmalobby –, der da lautet: Der Nutzen eines Präparats soll in Zukunft allein von der Zulassungsbehörde bestimmt werden. – Die Versicherten dürfen das alles zahlen. Das ist die Politik, die die FDP im Gesundheitswesen seit einem Jahr betreibt.
Meine Damen und Herren,all das ist aber noch gar nichts, wenn man sich betrachtet, was Rösler jetzt mit der gesetzlichen Krankenversicherung vorhat. Im Kern geht es um die Zerschlagung der heutigen Form der gesetzlichen Krankenversicherung mit ihrer Solidarität zwischen den Generationen, zwischen Mittellosen und relativ einkommensstarken Menschen, zwischen Gesunden und Kranken. Diese Versicherungsform wird seit Jahrhunderten, kann man schon fast sagen, von den Menschen akzeptiert. Sie ist ein wesentlicher Beitrag zum sozialen Frieden in unserem Land und wird von der großen Mehrheit akzeptiert. Diese gesetzliche Krankenversicherung wollen Sie jetzt abschaffen. Ich sage Ihnen:Wir werden alles tun, um diese Abschaffung zu verhindern.
Im September 2010 ist klar: Die Krankenversicherung wird sturmreif geschossen. Was passiert? Der Beitragsatz wird von 14,9 auf 15,5 % angehoben – noch unter Beteiligung der Arbeitgeber – und dann auf 15,5 % fixiert. Steigen die Gesundheitskosten weiter – das werden sie tun, ich habe ja dargestellt, wie andere Lobbys bedient werden –, dann werden Zusatzbeiträge fällig, unabhängig vom Einkommen. Das werden nach Schätzungen von Wissenschaftlern rund 8 c im Monat sein.Sollten irgendwann die finanziellen Möglichkeiten der Versicherten überstiegen werden, werden sie zu Hilfeempfängern des Staates.
Wenn Sie das Interview mit Herrn Rösler in der „Financial Times“ gelesen haben, wissen Sie seit gestern, dass außerdem geplant ist, dass die Patienten zur Vorkasse gebeten werden. Das heißt, wenn Sie zum Arzt gehen, müssen Sie in Vorleistung treten, bevor Ihnen die Krankenkasse – unter Umständen – den Betrag erstattet. Meine Damen und Herren, das ist eine Entsolidarisierung in unserer Gesellschaft, die wir alle nicht mittragen dürfen.
Da ich ja schon auf die Hintergründe und auf die Lobbys eingegangen bin, die hier bedient werden sollen: Das, was ich gerade gesagt habe, sieht man schon beim ersten Blick in das Gesetz. Das ist aber erklärtermaßen nicht das Ziel des Gesundheitsministers. Die Zusatzbeiträge, sozusagen Kopfpauschalen auf der nach oben offenen Rösler-Skala, sollen die Leute in die Arme privater Versicherungen treiben, die schon sehnsüchtig darauf warten, dass die Leute endlich zu ihnen kommen. Die Jungen, die Männer, die Kinderlosen – das sind die, mit denen man Geschäfte machen kann. Die Privatversicherungen sollen durch das GKV-Finanzierungsgesetz jetzt noch einmal anständig bedient werden. Meine Damen und Herren, das darf nicht sein.
Wir wissen zudem, dass die Privatversicherungen ein anderes Finanzierungssystem als die gesetzliche Versicherung haben. Sie arbeiten nämlich mit Kapitaleinlagen. Deshalb sehen wir hinter den Privatversicherungen schon die nächste Lobby bereitstehen, die sich auf Milliardengewinne freut, nämlich die Finanzwirtschaft. Meine Damen und Herren, wie schön werden die Geschäfte der Finanz
wirtschaft nach der Finanzkrise sein, wenn sie auch noch mit den Rücklagen aus der Krankenversicherung beim Spekulieren richtig gute Geschäfte machen kann.
Gestern sagte Minister Rösler der „Financial Times“ – ich zitiere –: „Die reine Lehre der FDP sieht so aus, dass wir die heutige Versicherungspflicht abschaffen und jeden Menschen verpflichten, sich zu einem Basisschutz zu versichern, egal bei welchem Versicherungsunternehmen.“ Ich weiß nicht, ob wir wirklich zulassen dürfen, dass sich die Politik dieses Landes an der Höhe der Spenden und an den Monopolen von Lobbys orientiert, oder ob wir nicht darauf bestehen müssen, dass das Wohl der Allgemeinheit im Vordergrund steht.
Deswegen haben wir ein Konzept,mit dem wir die Grundprinzipien des Solidarsystems konsequent weiterentwickeln wollen. Die vorhandenen Solidaritätslücken, die es im jetzigen System gibt, müssen geschlossen werden. Wir glauben, dass das vor allem dadurch möglich ist, dass wir eine Bürgerversicherung einführen, die alle Bürgerinnen und Bürger einschließt und die tatsächlich zu einem Solidarausgleich beiträgt. Die derzeitige Art und Weise der Trennung, die Sie bevorzugen – wo Sie die Privaten noch zusätzlich bedienen wollen –, die zu einer Zweiklassenmedizin führt, lehnen wir ab. Wir halten die Bürgerversicherung für den richtigen Weg, diese zu überwinden.
Meine Damen und Herren, die Bürgerversicherung ist nur das Finanzierungsinstrument.Wir brauchen auch eine umfassende Reform der Strukturen.An eine Reform wollen Sie gar nicht herangehen; denn die Kuchen werden ja schon anständig verteilt. Dieser Bereich bleibt im Moment völlig unbelassen und darf sich schön entwickeln. Wir wissen, dass wir zunehmend Probleme haben, im ländlichen Raum eine Gesundheitsversorgung überhaupt anzubieten.Der Herr Kollege Bartelt ist auf die DDR eingegangen. Schauen Sie sich einmal an, was dort innerhalb kurzer Zeit passiert ist, nachdem 1990 der gesamte ambulante Bereich praktisch zerschlagen wurde. Jetzt zeigt sich, dass die Versorgung zum Teil überhaupt nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Sie wissen, dass ich keine Freundin der DDR bin, ganz im Gegenteil; aber ich glaube, dass man mit historischem Verständnis auf die DDR schauen sollte, was dort gerade im Gesundheitswesen passiert ist.
Denn gerade die Umfragewerte der FDP zeigen, dass die Menschen in diesem Land die Politik, die Ihr Minister macht, überhaupt nicht mehr haben wollen.
Vielen Dank Frau Kollegin Schulz-Asche. – Nächster Redner ist Herr Kollege Dr. Spies für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Gesundheitsreformvorschläge des Bundesoberarztes im Praktikum
sind ein weiterer Beitrag zur Fortsetzung des Sinkfluges der FDP in Meinungsumfragen.Wenn Sie irgendwann bei 2 % angekommen sind, werden auch Sie verstehen, dass noch nicht einmal die Besserverdienenden die durch Sie betriebene soziale Spaltung dieser Gesellschaft mitmachen wollen. Ich hoffe, diese Erkenntnis wird dauerhaft erhalten bleiben.
Meine Damen und Herren, die Gesundheitsreform, die von Ihnen vorgelegt worden ist, löst keines der anstehenden Probleme: Sie betreibt Klientelpolitik, sie betreibt Umverteilung von unten nach oben, sie lädt die Pharmaindustrie förmlich zur Selbstbedienung und zur Korruption im Gesundheitswesen ein, aber sie löst keine der Herausforderungen in der Frage einer besseren Versorgung der Menschen in diesem Lande.
Lassen Sie uns mit der heimlichen Kopfpauschale anfangen, die angeblich die einzig denkbare Lösung und, wie wir eben hörten,unendlich gerecht ist,weil sie durch Steuern ausgeglichen wird. Nein, meine Damen und Herren, sie wird nicht durch Steuern ausgeglichen.Was ist das Ergebnis der Kopfpauschalenregelung? In Zukunft zahlen die Arbeitgeber 7,3 %, Gutverdienende 8,2 % und arme Menschen 10,2 % – und wenn sie Pech haben, sogar 11 oder 12 %, weil die ganze Konstruktion des Zusatzbeitrages und des Ausgleiches derartig stümperhaft und dilettantisch zusammengeschustert wurde, dass sie ein Sinnbild der Umverteilung von unten nach oben sein wird.Darum geht es an dieser Stelle ja auch: die Kleinen belasten, die Großen auslassen. Nichts anderes hatte die FDP an dieser Stelle im Sinn. Genau das setzt sie an dieser Stelle um.
Meine Damen und Herren, in Wahrheit versuchen Sie doch nur, die Privatisierung der Krankenversicherung voranzutreiben. Nicht ohne Grund werden Ihnen im Ministerium die Gesetzentwürfe von den Lobbyisten der PKV geschrieben. Nichts anderes ist das Ziel: eine Privatisierung der Gesundheit und eine Privatisierung der Krankenversicherung.Was das bedeutet, hat Frau SchulzAsche eben schon deutlich angesprochen.
Meine Damen und Herren, wenn es doch nur um eine Umverteilung ginge: Nein, mit der Aktion Kopfpauschale – also Verwaltungsaufwand bei den Arbeitgebern und der Rentenversicherung für den angeblichen Sozialausgleich und Verwaltungsaufwand bei den Krankenkassen für die Individualkonten – setzen sie auch noch eine gigantische bürokratische Maschinerie in Gang. Für das Gesundheitswesen ist ohnehin nicht genug Geld da. Wir haben ganz bestimmt nicht ein paar Hundert Millionen Euro übrig, die wir in eine unnötige, abstruse Bürokratie stecken können.
Wenn Sie die Arbeitgeber aus der Mitverantwortung entlassen wollen, hat das vor allen Dingen einen Effekt, nämlich dass die Kostendämpfung in Zukunft noch viel schwieriger wird. Wenn die Arbeitgeber nur noch die Interessen der pharmazeutischen Industrie wahrzunehmen brauchen, weil die Kostenentwicklungen für sie angesichts eines eingefrorenen Beitragssatzes von 7,3 % keine Rolle spielen, wird es nahezu unmöglich, die Kostendämpfung, also die Beschränkung ausufernder Kostenentwicklungen, überhaupt voranzubringen.
Aber,meine Damen und Herren,das ist auch gar nicht Ihr Ziel. Man muss sich nur einmal anschauen, was Sie mit den Arzneimitteln vorhaben; das ist eine hübsche Geschichte. Ein Punkt ist, dass der Bundesoberarzt Rösler in Zukunft per Rechtsverordnung selbst festlegen möchte, nach welchen Kriterien Arzneimittel zuzulassen sind. Das ist grotesk. Es zeugt schon von einer beachtlichen Selbstüberschätzung, dass jemand meint, politisch festlegen zu dürfen, was die Leute bekommen und was nicht.
Seit Jahrzehnten wird das in diesem Land von Fachleuten ausgehandelt. Von Ärzten und Krankenkassen wird gemeinsam erarbeitet, welche Leistung sinnvollerweise eine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen ist und welche nicht. In Zukunft wollen Sie dort politisch herumfingern. Das ist ein absoluter Fehlgriff, der seinesgleichen sucht.
Was die teuren Arzneimittel betrifft, so muss ich sagen: Sie haben offensichtlich gar nicht mitbekommen, was Sie da machen. Mit der Abschaffung der Zweitmeinung, also mit der Abschaffung der Verpflichtung, bei der Verordnung sehr teurer Arzneimittel eine zweite Meinung einzuholen, öffnen Sie der Korruption und dem Lobbyismus der Pharmaindustrie Tür und Tor.
Überlegen Sie sich einmal, dass manche Behandlungen 20.000 oder 25.000 c pro Jahr kosten. Jeder, der es braucht,soll eine solche Behandlung bekommen.Aber sie soll nicht deswegen verordnet werden, weil die Pharmalobby dem Doktor, der sie 20 Patienten verordnet, einen Mercedes vor die Tür stellt.
Genau deshalb gab es die Regelung bezüglich der Zweitmeinung: damit einer, der nichts davon hat, noch einmal draufschaut und der Korruption bei teuren Arzneimitteln ein Riegel vorgeschoben wird. Sie dagegen machen nichts anderes, als die Tür für Fehlgriffe und Kostenexpansion im Gesundheitswesen sperrangelweit zu öffnen.
Das Gleiche gilt für die Rabattverträge. In Zukunft soll ein Patient ein anderes Medikament als das, was seine Versicherung festgelegt hat, bekommen können, wenn er die Differenz selbst zahlt. Das heißt nichts anderes, als dass die Leute in der Apotheke selbst bezahlen und dabei gar nicht wissen,wie viel sie wiederbekommen,weil außer der Krankenkasse niemand den Rabattvertrag kennt.
Zu den unbekannten Kostenanteilen am Medikament kommt der Verwaltungskostenanteil hinzu, den die Leute ebenfalls selbst bezahlen müssen.Am Ende verführen Sie diejenigen, die mit ihrer Sachkompetenz den Patienten