Protokoll der Sitzung vom 17.11.2010

Frau Schulz-Asche, wir kennen Ihre Vorstellungen. Ich weiß, was Sie fragen wollen, und kenne das Papier, das Sie in der Hand haben. 420 Millionen € mehr in die Schulen bis 2020 – woher soll es kommen? Okay, ich habe Ihren Antrag gelesen. Darin steht es. Der Bund soll die Zeche zahlen, indem wir mal eben die Föderalismusreform I von 2006 aufheben, Auflösung des Kooperationsverbotes. Getreu dem Sankt-Florians-Prinzip: „Lieber Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd andere an“, wird bei Ihnen gehandelt. Der Bund soll die Zeche zahlen.

(Heike Habermann (SPD): Es ist eine Zumutung, hier zuhören zu müssen! – Zurufe der Abg. Brigitte Hofmeyer (SPD) und Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Sie wissen, dass die Haushaltslage des Bundes mindestens genauso angespannt ist. Aber so kann man wunderbar von der eigenen Unfähigkeit ablenken, trag- und zukunftsfähige Konzepte zur Schulpolitik in Hessen vorzulegen.

(Beifall bei der FDP)

Diesen Weg werden wir nicht mitgehen. Deswegen werden wir Ihre Konzepte nicht unterstützen. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))

Danke, Herr Döweling. – Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt Herr Wagner Gelegenheit zur Rede.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bevor ich auf den Haushaltsentwurf der Landesregierung eingehe, will ich sehr gerne auf die Argumente oder das, was meine Vorredner dafür hielten, von Herrn Döweling und Herrn Irmer eingehen.

Herr Döweling, es ist sehr gut, dass Sie sehr deutlich gemacht haben, welchen Fraktionen in diesem Haus Bildung etwas wert ist, wer Bildung Priorität einräumt und wer nicht. Sie haben die Vorschläge der SPD aus Ihrer Sicht dafür gegeißelt, dass sie 45 Millionen € kosten. Sie geißeln die Kolleginnen und Kollegen der SPD dafür, dass sie 45 Millionen € im Bildungsbereich mehr ausgeben wollen. Herr Kollege Döweling, diese 45 Millionen € sind ziemlich genau der Betrag, der dem Bundesland Hessen fehlt wegen Ihrer Steuergeschenke an die Hoteliers.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)

Nein, das müssen Sie sich anhören. – Sie sorgen mit Ihrer Politik auf Bundesebene dafür, dass dem Land Hessen Geld fehlt, das wir im Bildungsbereich dringend bräuchten. Dann haben Sie nicht einmal den Mut, zu sagen, das mit den Hoteliers war ein Fehler, sondern Sie werfen den Fraktionen im Haus, die das rückgängig machen wollen und die das Geld, das wir dringend bräuchten, in Bildung investieren wollen, das auch noch vor. Herr Kollege Döweling, so funktioniert das nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Döweling, unser grüner Vorschlag ist in Ihren Augen noch viel schlimmer. Stellen Sie sich vor, wir sind der Meinung, man muss sogar bis zum Jahr 2020 im Bildungsbereich, Schulen und Hochschulen zusammengenommen, eine halbe Milliarde € mehr ausgeben, wenn wir den Problemen gerecht werden wollen, wenn wir tatsächlich alle Schülerinnen und Schüler individuell fördern und die Hochschulen international wettbewerbsfähig machen wollen. Man muss doch erst einmal sehen, welche Bedarfe wir in unserem Land haben, was die Notwendigkeiten für eine Bildungsrepublik, für mehr Gerechtigkeit im Bildungswesen sind. Dann müssen wir schauen, wie wir das finanzieren und ob wir das finanzieren können.

Ihre Politik ist genau der entgegengesetzte Weg. Sie wollen die Ausgaben des Staates reduzieren, um dann begründen zu können, warum wir keine vernünftige Bildungspolitik machen können. Das ist genau der Unterschied. Herr Döweling, deswegen bin ich Ihnen dankbar, dass Sie das noch einmal so sauber herausgearbeitet haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Zum Kollegen Irmer will ich nur eines sagen. Bei dem Inhalt konnte keine Verwechslung mit dem GRÜNENKonzept entstehen. Viele Kollegen im Haus haben mich gefragt, was für einen grünen Button Herr Irmer trägt, ob er grünes Mitglied werden wolle und ob er Schwarz-Grün vorbereiten wolle. Diese Gefahr ist relativ gering. Der Button, den Herr Irmer trägt, ist zwar außen grün, aber innen drin tiefschwarz.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Schlimm, wenn es anders wäre!)

Das ist die neue Bildungskampagne der CDU für das gegliederte Schulwesen.

(Demonstrativer Beifall der Abg. Claudia Ravens- burg (CDU))

Frau Ravensburg applaudiert, dass ich das richtig dargestellt habe. – Herr Kollege Irmer, diese Kampagne zeigt, dass Sie, wie die Kollegen der FDP, den Herausforderungen des Bildungswesens nicht gerecht werden. Es geht nicht darum, in die Schützengräben des Schulkampfes zurückzukehren, hier die Befürworter der Gesamtschule und dort die Befürworter des gegliederten Schulsystems.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das ist Ihre Position!)

Sie müssen endlich die Eltern entscheiden lassen, welche Schule sie für ihre Kinder wollen, und mit den ideologischen Auseinandersetzungen aufhören.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie jetzt sagen: „Das machen wir doch“, dann schauen Sie sich die Änderungen Ihres Schulgesetzes an. Die bisher einzige real existierende Änderung des Hessischen Schulgesetzes war eine Verschlechterung der Rahmenbedingungen für die integrierte Gesamtschule. Ges tern in der Fragestunde hatten wir den Fall der Tümpelgartenschule in Hanau. Die Schulgemeinde und der Schulträger möchten gerne, dass sie eine integrierte Gesamtschule wird. Ihre famose Kultusministerin meint, es wieder besser wissen zu müssen. Das sind genau die Beispiele, wovon die Menschen die Nase voll haben. Sie wollen für ihre Kinder die Schule selbst aussuchen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Alexander Noll (FDP): Einheitsschule!)

Ich sage ausdrücklich: Wer für seine Kinder eine Schule des gegliederten Schulwesens haben will, der soll sie natürlich haben. Aber die Eltern, die glauben, längeres gemeinsames Lernen sei der richtige Weg – das ist in etwa die Hälfte –, sollen das auch endlich finden und nicht von dieser ideologisch festgelegten Landesregierung daran gehindert werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da bin ich dann mitten im Haushaltsplan dieser Landesregierung und dieser Ministerin, die mittlerweile seit zwei Jahren im Amt ist. Frau Henzler, ich finde, nach zwei Jahren kann man einmal erwarten

(Ministerin Dorothea Henzler: Was denn nun?)

dass Sie das fragen, ist schlimmer, als ich gedacht habe –,

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

dass Sie sagen, was Sie wollen, wo Sie mit den Schulen hinwollen, welche Verbesserungen kommen sollen und wie die großen Herausforderungen unseres Bildungssystems gelöst werden sollen,

(Zuruf des Abg. Alexander Noll (FDP))

wie wir die Risikogruppe, ein Fünftel aller Schüler, verkleinern wollen, wie wir die Schülerinnen und Schüler fördern wollen, die besonders leistungsstarken und auch diejenigen, die besondere Probleme haben. Nach zwei Jahren im Amt und mit dem Haushalt, den Sie hier vorlegen, ist überhaupt nichts erkennbar. Das ist deshalb so merkwürdig, weil Sie es in der Opposition schon einmal besser wuss ten. Wir haben uns im Wahlkampf sehr oft auf Veranstaltungen gesehen. Wir hatten ja in Hessen die Chance, zweimal direkt hintereinander Wahlkämpfe zu haben.

Da haben Sie den Bürgerinnen und Bürgern ganz viele Dinge, aus unserer Sicht teilweise auch sehr richtige Dinge, versprochen. Sie sind durch die Lande gefahren und haben gesagt, es werde eine 105-prozentige Lehrerversorgung geben. Frau Ministerin, das ist ein gutes Ziel. In diesem Haushalt ist schon wieder kein einziger Schritt in die Richtung einer 105-prozentigen Lehrerversorgung erkennbar. Versprochen – gebrochen, kann man an dieser Stelle nur sagen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Noll (FDP): Unsinn!)

Ich erinnere mich an die Reden der damaligen Oppositionspolitikerin Dorothea Henzler zur langsamen Geschwindigkeit bei der Einführung von Ganztagsangeboten, die die damalige Ministerin Karin Wolff an den Tag gelegt hat. Frau Ministerin, ich kann nur sagen, sehr viel schneller sind Sie auch nicht geworden. Mit dem Tempo,

das Sie beim Ausbau der Ganztagsangebote an den Tag legen, werden Sie den bildungs- und familienpolitischen Herausforderungen, die in den Ganztagsschulen liegen, überhaupt nicht gerecht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Nehmen wir das Thema, über das Sie gerne reden: die selbstverantwortliche Schule. Sie reisen durch das Land und sagen, das sei Ihr zentrales Vorhaben. Sie haben dafür eine Stabsstelle gegründet, dann haben Sie sie wieder aufgelöst, dann haben Sie es mal in der Abteilung, mal in der Abteilung angesiedelt. Mittlerweile sind Ihnen die Leute alle weggelaufen, die Sie dafür geholt haben. Der Staatssekretär ist noch da, der das in Niedersachsen schon einmal gemacht hat. Manche sagen, der Staatssekretär sei noch da; die Betonung müsste auf „noch“ liegen. Ich kann es nicht beurteilen. Das werden wir im nächsten Frühjahr sehen.

Konkret ist dazu überhaupt nichts passiert. Es ist sogar noch weniger als nichts. Denn überall dort, wo sich engagierte Kollegen auf den Weg machen, wo Schulgemeinden Konzepte erarbeiten, wie die selbstständige Schule konkret verwirklicht werden kann, sagt diese Kultusministerin Nein. Das können wir sehr konkret machen.

Herr Wagner, ein Hinweis: Die 7:30 Minuten sind deutlich erreicht.

Das hätte ich nicht gedacht. Noch zwei, drei Sätze. – Frau Ministerin, die Tümpelgartenschule habe ich angesprochen. Diese Schule will sich auf den Weg machen, die Ministerin sagt Nein. Die Wollenbergschule in Wetter, heute in der „Frankfurter Rundschau“, will mit inklusiver Bildung Ernst machen, Sie sagen Nein. Die Römerstadtschule in Frankfurt möchte inklusive Grundschule werden, Sie sagen nein. Diese Beispiele lassen sich ziemlich lange fortsetzen. Frau Ministerin, Sie können sich das ganze Gerede über selbstständige Schule sparen, wenn Sie den Schulgemeinden, die es machen wollen, sagen, es passe Ihnen nicht, und so sei selbstständige Schule nicht gemeint. Dann können Sie sich das auch sparen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Die einzige wesentliche Neuerung, die Sie in der Bildungspolitik eingeführt haben, ist, dass Sie glauben, man könne den Bildungsetat kürzen. Das ist die einzige Leistung dieser Kultusministerin Henzler. Das hat in diesem Land wirklich lange niemand mehr geglaubt, dass das möglich ist.

(Zuruf des Abg. Alexander Noll (FDP))

Natürlich können wir eine Effizienzsteigerung im Bildungswesen machen. Wir brauchen aber jeden Euro, und wir brauchen auch zusätzliche Euros im Bildungsetat, um die Bildungsziele erreichen zu können.

(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Frau Ministerin, Sie müssen es ja nicht mir glauben. Schauen Sie sich noch einmal in Ruhe die Kompetenz

werte aus der letzten Umfrage zum Thema Bildung an. Ich glaube, es ist ein ziemlich einmaliger Vorgang, dass eine Partei eine Ministerin stellt und ihr von der Bevölkerung nur 5 % attestieren, dass sie in diesem Themenbereich Kompetenz habe.

Ich habe die Vermutung, bevor Sie dieses Amt angetreten haben, hat man Ihnen in der FDP mehr zugetraut. Das ist das Ergebnis nach zwei Jahren Ihrer Politik. Mit Ihrem Haushaltsplanentwurf für 2011 leiten Sie leider immer noch keinen Kurswechsel ein. Das ist gut für die Zukunftsperspektiven der FDP, die werden nämlich düster. Es ist aber leider schlecht für unsere Schulen. – Vielen Dank.