Herr Wagner, genau das ist der Kern des Problems. Sie fabulieren in Interviews über ein Hü und Hott, über ein Sowohl-als-auch, aber wenn es um konkrete Gestaltung geht, versagen Sie auf der ganzen Linie. Bei Arbeit und Wirtschaft haben Sie nichts zu liefern.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): 2 Millionen Arbeitslose weniger!)
Das Ergebnis Ihrer Ankündigungen ist heiße Luft. Sie sind nicht mehr als der parlamentarische Arm von Konzernzentralen gegen die Interessen von Handwerk, Mittelstand, Gewerkschaften und Beschäftigten.
Wir wollen keine Politik, die nur an ihre Klientel denkt: Hotelbesitzer, reiche Erben, mächtige Interessengruppen mit Geld, die die Richtlinien der Politik bestimmen wollen.
Herr Irmer, Schwarz-Gelb vertritt die Interessen einer kleinen Machtelite der Finanzbranche, aber nicht die Interessen des Finanzplatzes.
Wo sind Ihre Initiativen dazu, dass die Spekulationsgeschäfte aus den Hinterzimmern der Banken herausgeholt und transparent an der Börse gehandelt werden? Es geht, ich wiederhole mich auch hier, um fairen Wettbewerb. Keine Initiative von Ihnen. Deswegen noch einmal: Es geht Ihnen überhaupt nicht um den Finanzplatz, es geht Ihnen um Klientelpolitik für einen kleinen Teil, aber in den Kernfragen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Landes versagen Sie.
Es ist übrigens abenteuerlich, wie ein Ministerpräsident es schafft, in seiner ersten Regierungserklärung und auch in der Folgezeit nichts zu den zentralen Fragen der Wirtschaftregion des Rhein-Main-Gebiets in der Substanz zu sagen. Bei der Debatte zum Ballungsraumgesetz war er überhaupt nicht anwesend. Er hat dazu auch keine Position vertreten. Die Kritik aus der VhU, dem Handwerk und auch der IHK prallt an dieser Regierung ab. Angeblich wird in kleinen Kreisen erklärt, man sei eigentlich der Auffassung dieser Verbände, aber das sei nicht mehrheitsfähig. Wenn sich alle einig sind, dass da irgendetwas gehen muss, dann verstehe ich nicht, wo die Widerstände dagegen sind. Es ist ein Armutszeugnis, wenn Sie als Landesre
gierung, Sie als Ministerpräsident weder in Ihrer Regierungserklärung noch an anderen Stellen in der Lage sind, sich zu den zentralen Entwicklungsfragen des RheinMain-Gebiets überhaupt zu verhalten.
Die Folgen der Finanzmarktkrise müssen die Menschen austragen: mit Steuererhöhungen, mit Arbeitsplatzverlusten und mit Sozialkürzungen. Herr Wagner, weil Sie eine Frage zum Arbeitsmarkt gestellt haben, wiederhole ich mich: Es geht um einen Abbau prekärer Beschäftigung.
Was hat das mit Gerechtigkeit zu tun? Milliarden für die Unterstützung einiger Versager der Finanzwirtschaft statt für gute Ausbildungsplätze und für Bildung. Eine Politik, die die Schwachen zur Kasse bittet, aber die Reichen schont, ist zutiefst unsozial. Meine sehr verehrten Herren, jetzt erwarte ich eigentlich den Zwischenruf der FDP, nach dem Motto: Jetzt kommen die Sozis wieder mit der Neiddebatte. – Deswegen will ich heute einen Kronzeugen für unsere Position anführen, der Sie vielleicht ein bisschen überrascht.
Wer als Unternehmer gute Gewinne macht, muss auch entsprechende Steuern zahlen. Insgesamt bringt das alles viel mehr für den Staat als eine Vermögensteuer.
So weit Michael Otto in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 25.10.2010. Ich finde, das ist eine kluge Position, eine Form der sozialen Verantwortung eines einkommensstarken Vertreters in diesem Land. Das sollten Sie sich in den Grundlinien Ihrer Finanz- und Steuerpolitik zum Beispiel machen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Definieren Sie einmal „reich“!)
Sie betreiben mit Ihrer Finanz- und Steuerpolitik Klientelpolitik auf Kosten der Mehrheit. Sie betreiben eine Politik an der Lebenswirklichkeit der Bürgerinnen und Bürger vorbei. Sie tun so, als hätten die Bundesthemen nichts mit Landesfragen und kommunalen Fragen zu tun. Ich will auf das aktuelle Thema Gesundheit eingehen, damit deutlich wird, warum diese Fragen sehr wohl etwas miteinander zu tun haben.
Sehr geehrter Herr Wagner, auch Sie gehören zu den Vertretern, die in Sonntagsreden und in Festreden immer die Bedeutung des ländlichen Raums betonen.
Ja, manchmal tun Sie das. – Aber ernsthafte Lösungen für die Probleme der ärztlichen Versorgung in Städten und im ländlichen Raum bieten Sie nicht an. Herr Wagner, ich ertrage es nicht mehr, Ihre Sonntagsreden und die von anderen zu hören,
(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sie haben sie ja noch gar nicht gehört! Ich lade Sie herzlich ein, einmal zu kommen, da lernen Sie noch etwas!)
die in Berlin einen fatalen Feldzug gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung führen; es ist auch ein Feldzug gegen die medizinische Grundversorgung in den ländlichen Räumen. Dabei stellen Sie sich hin und sagen, es handele sich um ein ganz wichtiges Thema. Das ertrage ich nicht mehr.
Auch hier möchte ich Zeugen anführen, die nicht meine sind. Seit Samstag hängt dieses Plakat in Praxen in Hessen und auch anderswo.
Praxisaufgabe wegen Gesundheitsreform. Nächster Hausarzt: Dr. Schmidt in 50 km Entfernung. CDU und FDP schließen Ihre Hausarztpraxen. Stoppen Sie Ihre Volksvertreter: Nein zur Gesundheitsreform.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Schönen Gruß von Ulla Schmidt!)
Herr Wagner, das sind Ihre Reformen. Was nicht geht, ist, dass Sie irgendwelche Lobbyinteressen durchsetzen und sich in Sonntagsreden für den ländlichen Raum und dessen medizinische Versorgung einsetzen. Diese Fragen haben etwas miteinander zu tun. Ihre politische Führung, egal ob auf Unionsseite oder auf FDP-Seite, ist immer dabei, wenn es gegen die Interessen des ländlichen Raums, der Städte und der Mehrheit der Bevölkerung geht. Das ist der Kern der Debatte, die wir heute Morgen führen.
Was ist Ihre Beschäftigung mit diesen Fragen, während in Berlin über Gesundheit, Arbeit und Wirtschaft geredet wird? Sie sind mit Ihren Themen beschäftigt. Sie wussten lange von den Vorgängen im hessischen Innenministerium. Berichte über erschreckende Zustände in der hessischen Polizei sind kein Geheimnis und keine Legende. Wenn wir dann lesen, es handele sich um eine Führungsunkultur des Buckelns und Tretens, um Mobbing und um Aussortieren unbotsamer Bediensteter, dann müssen Sie sich doch fragen, was das mit Ihrer Politik als Innenminister zu tun hat, wenn Ihr Nachfolger, nur wenige Wochen im Amt, die Reißleine zieht, die Sie, Herr Bouffier, in diesem Fall und in anderen Fällen auch längst hätten ziehen müssen.
Sie sind mit Skandalbewältigung beschäftigt, während es an anderer Stelle um die wirklichen Probleme des Landes geht. Das ist der Punkt. Sie betreiben nur noch Machterhalt, Sie müssen Ihre eigenen Skandale nacharbeiten und nachsteuern. Sie müssen das System stabilisieren, während an anderen Stellen über die Fragen von Arbeit, von Gesundheit und von Wirtschaft diskutiert wird. Sie sind ein völliger Ausfall, weil Sie nur noch mit sich selbst beschäftigt sind.
Nachdem Herr Wagner mich so freundlich aufgefordert hat, noch weiterzumachen, möchte ich das auch gerne tun. Sie müssen sich mit Ihren Altlasten beschäftigen. Der vor Kurzem entlassene hessische Landespolizeipräsident Norbert Nedela ist Ihr Mann, Herr Bouffier. Er ist unter Ihnen groß geworden. Er war eine tragende Säule Ihres Systems. Sie haben ihm trotz aller Kritik immer die Stange gehalten. Sie beriefen ihn an die Spitze des neu geschaffenen Landespolizeipräsidiums, Sie machten ihn zum höchs ten Polizisten und zu Ihrem Schatten. Er ist aber eine fragwürdige Figur. Untergebene erhoben Vorwürfe wegen Mobbings und Führens geheimer Personalakten mit fragwürdigen psychiatrischen Gutachten. Nedela bestritt dies natürlich, musste später aber zugeben, dass es in einzelnen Fällen solche Akten gibt. Dieses Klima haben unsere Polizistinnen und Polizisten nicht verdient.
Deswegen fordern wir zum wiederholten Male einen unabhängigen Polizeibeauftragten, einen Ombudsmann, der diese eben geschilderten Vorgänge im Keim ersticken kann.
Herr Rhein, wenn Sie das umsetzen wollen, haben Sie unsere Unterstützung, mit oder ohne Ihren Ministerpräsidenten. Henning Möller wäre eine gute Wahl für einen unabhängigen Ombudsmann.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie sind mit Machterhalt beschäftigt, aber die wirklichen Probleme liegen woanders. Lassen Sie mich zum Thema Arbeit zurückkommen. Wissen Sie eigentlich, dass in Hessen jede dritte Frau im Niedriglohnsektor arbeitet? Arbeitsarmut ist weiblich, die Führungskreise sind hingegen immer noch männlich. Am Montag haben Sie den Gleichstellungsbericht vorgestellt, natürlich nicht der Ministerpräsident und auch nicht der zuständige Minister, sondern in diesem Fall die Staatssekretärin. 12 % der Führungskräfte in der Landesverwaltung sind Frauen, 88 % sind Männer. Eine einzige Frau ist in den Vorständen der DAX-Unternehmen. Nach 40 Jahren Gleichstellungspolitik ist das entschieden zu wenig.
Zu den drei Ks – Kinder, Küche, Kirche – ist eines hinzugekommen, nämlich die Karriere. Moderne Gleichstellungspolitik muss die gleichberechtigten Bedingungen von Frauen und Männern in Führungsrollen im öffentlichen und im privaten Sektor notfalls gesetzlich einfordern.
Moderne Gleichstellungspolitik muss der dramatischen Einkommensarmut von Frauen endlich wirksam entgegentreten.