Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte ein weiteres Thema zur Lebenswirklichkeit ansprechen. Der Leiter der Regionaldirektion Arbeit, Dr. Martin, hat vor wenigen Wochen vorgetragen, dass wir aufgrund der demografischen Entwicklung in den nächsten 15 Jahren
250.000 Beschäftigte verlieren werden – nur aufgrund des demografischen Faktors. Sie sehen, dass dann selbst bei der derzeitigen Arbeitslosenquote eine Unterdeckung stattfindet. Das Thema Fachkräftemangel ist ein zentrales Thema. Aber auch hier machen Sie sich, statt sich ernsthaft mit der Frage zu beschäftigen, wie wir mit dem Fachkräftemangel umgehen, einen schlanken Fuß. Sie fabulieren über alles Mögliche, über Hü und Hott, über Sowohlals-auch. Aber in der Substanz, über die Fragen, was das für gesteuerte Zuwanderung heißt, was das für die Fortund Weiterbildung von Beschäftigten in den Betrieben bedeutet, was das für die Qualifizierung von Arbeitslosen bedeutet, herrscht bei Ihnen völlige Windstille. Meines Erachtens haben Sie in diesen Landeshaushalt kein einziges Signal und keinen einzigen symbolischen Punkt gegeben, um auf den Fachkräftemangel eine Antwort zu geben, der das Handwerk, den Mittelstand und die Gewerkschaften im Moment in einer Weise beschäftigt wie selten zuvor.
Meine Damen und Herren, das ist Hessen. Hier wachsen außer im botanischen Garten keine Bananen. Zentraler Punkt ist die Bildung, sei es beim Thema Fachkräftemangel oder beim Thema Integration. War die Bildungskatastrophe der Sechzigerjahre durch das katholische Mädchen vom Lande gekennzeichnet, ist es heute der muslimische Junge in der Stadt.
Die Bildungschancen für junge Menschen müssen verbessert werden und dürfen nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Wir haben, im Gegensatz zu Ihnen, mit dem Haus der Bildung und einem Schulgesetz einen Vorschlag gemacht, wie wir mit der Bildungssituation umgehen, wie wir das Bildungssystem zukunftsfest machen, wie es gelingt, dass wir kein Kind mehr zurücklassen, dass wir nicht aussieben, sondern jedes einzelne Talent fördern. Bei Ihnen herrscht auch an dieser Stelle völlige Windstille. Es gibt keinerlei Initiative.
Mir ist völlig klar, dass Sie sich an der Stelle wegducken und sagen: Was die Opposition sagt, ist uns egal. – Aber ganz offensichtlich ist das auch in Ihren eigenen Reihen längst ein Thema. Anders kann man die Verbalattacke vom Kollegen Herr auf die Kultusministerin bei der Regionalkonferenz der CDU in Hünfeld nicht bezeichnen, der, auch in den Zeitungen dokumentiert, erklärt hat, dass Frau Henzler mit ihrer Aufgabe völlig überfordert sei.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage Ihnen ausdrücklich, dass ich mir so eine Position nicht zu eigen mache. Aber es ist so, wie ich es vorhin bei den Umfragen schon einmal gesagt habe: Am Ende sind immer die anderen schuld. – Nein, Sie sind selbst schuld, weil Sie glauben, das Bildungssystem mit antiquierten und teilweise wirklich altmodischen Methoden umbauen zu können, statt sich zukunftsfest für die Anforderungen des Bildungssektors zu machen.
Ich sage Ihnen: Wenn wir in Deutschland noch immer 4 Millionen Menschen haben, die als Analphabeten zählen, wenn wir jedes Jahr immer noch 65.000 Jugendliche
haben, die ohne Schulabschluss von der Schule gehen, dann ist das doch der Auftrag, der uns anspornen muss, mehr und bessere Bildung zu organisieren, statt sich in die Büsche zu machen, so wie Sie das heute auch wieder tun werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben noch zwei wichtige Sektoren, über die ich noch zu reden haben werde, nämlich über die Finanz- und Energiepolitik. Ich will das noch einmal sagen, weil natürlich auch ich um die Schwierigkeiten von Aushandlungsprozessen in Koalitionen weiß.
Herr Ministerpräsident, ich habe Ihnen bei der Vorstellung unseres Schulgesetzentwurfs ausdrücklich angeboten, Gespräche zu führen, den Weg, der in Bremen und an anderen Stellen gegangen wurde, auch in Hessen zu gehen und uns gemeinsam zusammenzusetzen und über die Herausforderungen im Bildungssektor zu reden. Wir haben dort große Themen, die auf dem Tisch liegen, bei der selbstständigen Schule angefangen, über das Thema der Inklusion bis hin zur Frage: Wie können wir denn wirklich erreichen, dass kein Kind zurückgelassen wird? Ich will dieses Gesprächsangebot heute noch einmal ausdrücklich erneuern.
(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Ach! – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das ist wirklich großzügig!)
Ich glaube, dass es notwendig und richtig ist – auch im Interesse der Schulen, der Eltern und der Schülerinnen und Schüler –, hier zu einer Vereinbarung zu kommen, damit die Bildungspolitik wieder aus den Schützengräben der ideologischen Auseinandersetzungen herauskommt. Wir haben ausdrücklich gesagt: Wir wollen uns dort ein gutes Stück zurücknehmen, und wir bieten Ihnen noch einmal Gespräche an.
weil ich glaube, dass es die Anstrengung wert wäre. Es ist die Anstrengung wert, sich im Bildungssektor auf einen anderen Weg zu machen; und dazu lade ich Sie noch einmal ausdrücklich ein.
Ich hatte eigentlich noch ein bisschen Lust, über die Frage von Vergabesituationen bei Ihnen in der Landesverwaltung zu reden. Ich will jetzt aber mit Blick auf die Redezeit zum Thema der Energiepolitik kommen. Meine sehr
Biblis B wurde am Freitag wegen einer Reparatur abgeschaltet. Eigentlich wäre in sechs Wochen ganz Schluss; jetzt soll es bis 2020 laufen. Das Darmstädter Öko-Institut kommt in einem Gutachten zu dem Schluss, dass es mindestens 80 sicherheitsrelevante Defizite gibt. Das hessische Umweltministerium sieht keine Defizite; und RWE sagt kurz und knapp: „Biblis ist sicher“, oder, um Frau Puttrich zu zitieren: „Biblis ist sicher“. Das kennen wir. Das macht uns allerdings nicht glücklich. Die Demonstrationen in Gorleben haben nämlich gezeigt, dass der Ausstieg aus dem Ausstieg von der Bevölkerung nicht mitgetragen wird.
Herr Bouffier, jetzt sagen Sie, auch Hessen würde sich an einer Zwischenlagerlösung bzw. Endlagersuche – es war nicht so ganz klar, was Sie und die Ministerin eigentlich meinen – beteiligen. Im Ergebnis bin ich da ganz bei Ihnen. Herr Ministerpräsident, es gibt für solche Lösungen aber drei Bedingungen: erstens die Rücknahme der Laufzeitverlängerung,
zweitens Einstieg in die erneuerbaren Energien, drittens eine wirklich ergebnisoffene Suche nach einem atomaren Endlager.
Biblis ist so sicher, wie wir es im Salzstock der Asse erlebt haben. Jetzt muss der Steuerzahler dafür sorgen, dass die über 126.000 Fässer wieder herausgebuddelt und neu entsorgt werden – eine Aktion ohne Beispiel, der größte anzunehmende Unfall in der Entsorgungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Niemand weiß, was einen erwartet, was es kostet und wer zahlt. Die Atomkraftbetreiber? – Sie zahlen den gleichen Betrag wie jüngst beim Polizeieinsatz in Gorleben – nichts, keinen Cent. Das würde die milliardenschweren Gewinne ja auch schmälern.
Eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hat nach Zahlenlage festgestellt, dass für die Kernenergie in den letzten fünf Jahrzehnten 80 Milliarden € an Subventionen und Steuervergünstigungen gezahlt wurden. So viel dazu, dass dies „subventionsfreier“ Strom sei, meine sehr verehrten Damen und Herren. Von wem? – Vom Steuerzahler, das ist die Wahrheit, die Sie nicht zur Kenntnis nehmen wollen.
Da winkt jetzt natürlich ein fettes Dankeschön der Stromkonzerne. Das hessische Umweltministerium beziffert das Dankeschön für die Laufzeitverlängerung von RWE auf bis zu 280 Millionen €. Es ist aber eher eine Weihnachtsgratifikation an sich selbst. RWE vermeidet kurzerhand die Brennelementesteuer mit dem Tausch im Reaktor Biblis B. So günstig wie jetzt gibt es nie wieder Brennelemente, wenn man noch schnell 92 Brennelemente zum
Ich darf daran erinnern, dass der unter Rot-Grün beschlossene Atomausstieg mit den Betreibern eine Still legung von Biblis A und B zum Jahresende vorgesehen hat.