Protokoll der Sitzung vom 17.11.2010

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will zunächst mit dem versöhnlichen Teil in der Generaldebatte beginnen. Herr Klee, Ihnen herzlichen Glückwunsch auch namens meiner Fraktion.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

In die Glückwünsche will ich ausdrücklich die neuen Eltern im Hessischen Landtag einbeziehen, zunächst Frau Dorn, die nach der Geburt das erste Mal wieder hier ist. Herzlichen Glückwunsch zur Geburt Ihres Kindes, selbstverständlich auch an den Innenminister, Herrn Rhein.

(Allgemeiner Beifall)

Ich vermute allerdings,

(Minister Jörg-Uwe Hahn: Das wars!)

dass dies die Summe der Gemeinsamkeiten in dieser Generaldebatte ist. – Herr Hahn vermutet das schon richtig.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Mehr haben wir auch nicht erwartet!)

Herr Wagner, ich will Ihre Erwartungshaltung heute Morgen ausdrücklich nicht enttäuschen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, „Fehlstart“ wäre das Wort, das mir als Erstes einfiele, wenn man die ersten Wochen der Regierung Volker Bouffier bewerten sollte.

(Beifall bei der SPD)

Allerdings hätte es dazu einen Start geben müssen, der diese Bewertung zulassen könnte, aber genau davon kann keine Rede sein; oder anders: Pünktlich zum Start des neuen Harry-Potter-Films sind Sie, Herr Bouffier, bereits entzaubert.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Ihre Ankündigung eines neuen Stils wurde bisher nicht umgesetzt. Exemplarisch will ich nur an die Schlammschlacht Ihrer Fraktion zu 20 Jahre deutsche Einheit in diesem Hause erinnern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

„Entzaubert“ ist vielleicht wirklich das richtige Wort. In den letzten Wochen habe ich mich häufiger gefragt, warum Sie jetzt den Landesvater spielen wollen, nachdem Sie vorher im Hessischen Landtag immer den harten Hund gegeben haben. Inszenierung – weil Sie die intellektuelle Kraft Ihres Vorgängers Roland Koch nicht halten können? Ist es die innere Einkehr, die Wandlung vom Saulus zum Paulus?

Herr Bouffier, in den kommenden Tagen werden Sie beweisen können, was es ist.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): „Herr Ministerpräsident“!)

Mit der Entscheidung über die Schuldenbremse steht eine wichtige Entscheidung an, in der wir Orientierung und Führung im Interesse des Allgemeinwohls erwarten, nicht nur Moderation für eine Wahlkampfkampagne. Ein solches Spiel mit der Verfassung wäre der größte Sündenfall Ihrerseits. Darauf werde ich aber im Laufe meiner Ausführungen nochmals kommen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Normalerweise gilt eine Schonfrist von 100 Tagen.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Die haben wir noch nicht erreicht.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Er ist viel zu ungeduldig!)

Nun kann man sagen: Wenn in den ersten 78 Tagen keine positiven Ergebnisse erzielt werden

(Minister Jörg-Uwe Hahn: 78 Tage?)

78 Tage; Herr Hahn, ich habe es vorher extra nochmals nachgezählt, damit Sie mich an dieser Stelle nicht auf einen Rechenfehler hinweisen –,

(Minister Jörg-Uwe Hahn: Richtig!)

werden in den folgenden 22 Tagen auch keine erzielt. Es ist wie in der Mathematik: Wenn man durch null dividiert oder mit null multipliziert – immer kommt null heraus.

(Beifall bei der SPD – Dr. Christean Wagner (Lahn- tal) (CDU): Ein Witz nach dem anderen!)

Herr Wagner, wenn Sie jetzt aufgepasst hätten und nicht nur im üblichen Reflex reagiert hätten, dann hätten Sie gemerkt, dass man durch null gar nicht dividieren kann. Herr Wagner, nicht einmal das ist Ihnen aufgefallen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Der Ehrlichkeit halber müssen wir festhalten, dass Sie, Herr Bouffier, sich treu geblieben sind,

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

nach dem Motto: Wenn es schon nicht zu positiven Schlagzeilen reicht – einen fetten Skandal kriegen wir immer hin.

Sie waren pikiert, als ich Sie als „Skandalminister Nummer eins der letzten und vorletzten Regierung“ bezeichnet habe. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Realität allerdings stellt dieses Urteil in den Schatten. In Ihrer Zeit als Ministerpräsident machen Sie leider da weiter, wo Sie als Minister aufgehört haben.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben einen anderen, einen neuen Stil angekündigt. Ich hoffe, Sie haben das anders gemeint, als Sie das in Ihren ersten 78 Tagen vorgezeigt haben. Sie regieren – von „führen“ wollen wir besser nicht reden – bisher ohne jedes inhaltliche Engagement bei allen wichtigen Fragen der Landespolitik.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das glaubt Ihnen keiner!)

Herr Bouffier, Ihre Interviews sind von einem entschiedenen Sowohl-als-auch bestimmt, einem Hü und Hott, egal, ob es um A wie Arbeit, B wie Bildung, C wie Chancengerechtigkeit oder W wie Wirtschaft und Z wie Zuwanderung geht. Geistige Windstille erfüllt die Landespolitik. Für ein Bundesland wie Hessen ist das entschieden zu wenig.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Bouffier, Ihre Rolle als Ministerpräsident sehen Sie offensichtlich als einen Ministerpräsidenten einer Übergangsregierung. Warum Übergangsregierung? Die lauen Lüftchen der Aufklärung durch den Finanzminister

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Wovon reden Sie eigentlich?)

und den Innenminister dringen in die Risse Ihres abgeschotteten Systems. Wer allerdings glaubt, das sei ein Aufbruch, der irrt. Vor Wochenfrist hat der Finanzminister mit Schaum vor dem Mund die Opposition bei rechtswidrigen Vergaben beim Polizeifunk – einem Lieblingsthema des ehemaligen Innenministers – wegen rechtlicher Unkenntnis beschimpft.

(Günter Rudolph (SPD): So ist er!)

Kurz darauf hat er eingesehen, dass die Opposition wieder einmal recht hatte.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Bouffier, Sie wissen, was ein Placebo ist? Es ist ein Scheinarzneimittel ohne Wirkstoff. Ihre Aktivitäten sind ein solches Scheinmittel. Sie lassen den Druck aus dem Kessel – der Kessel bleibt aber zu.

Was ist eigentlich noch alles in diesem Kessel versteckt, wenn Sie in den letzten Wochen so hektisch regieren? Aus unserer Sicht ruft das zu weiteren Untersuchungen geradezu auf.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Generaldebatte dient der Darstellung der politischen Alternativen. Diesem Anspruch will ich heute genügen.