Da wurde gespart. Sie haben das in Ihren elf Jahren ein einziges Mal geschafft, nämlich im Haushaltsjahr 2004 – Stichwort: „Operation düstere Zukunft“. Aber schon im Jahr darauf haben Sie wieder mehr Geld ausgegeben als im Jahr 2004. Deswegen glaube ich, dass wir – Sie können sich ja unsere Konzepte anschauen – ein bisschen besser wissen als andere, was es wirklich bedeutet, zu sparen.
Zu sparen heißt, weniger auszugeben als im Jahr davor. Jetzt sage ich Ihnen sehr deutlich: Ja, wir müssen sparen, und wir haben im Gegensatz zu Ihnen konkrete Sparvorschläge auf den Tisch gelegt. Aber die Illusion, dass man ein strukturelles Haushaltsdefizit von knapp 2 Milliar den € wegsparen könne, sollte sich niemand machen.
Wenn Sie der Auffassung sind, dass man die Einnahmen nicht erhöhen muss, sagen Sie, wo Sie stattdessen sparen wollen.
Wir gehen gleich in die Gespräche. Aber es geht auf keinen Fall, dass wir hier etwas beschließen, was eigentlich eine Illusion ist, sodass das Erwachen am Ende umso bitterer sein wird. Deswegen sage ich: Wir müssen zwar sparen, aber wir müssen uns auch um die Einnahmen kümmern.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Schäfer-Gümbel, Herr Kollege Al-Wazir, ich will zwei Sachen klarstellen. Herr Kollege Schäfer-Gümbel, ich glaube, dass man, wenn man im Zusammenhang mit der Schuldenbremse über die Einnahmesituation redet – das geht auch in Richtung des Kollegen Al-Wazir –, konkret werden muss, was die Ausgaben angeht. Wir sind konkret geworden; ich habe das vorhin schon erklärt. Wer wie diese Landesregierung und die beiden Fraktionen einen Haushalt mit Einsparungen vorlegt, wird konkreter als jeder andere. Wir haben das beschlossen und verantworten das auch. Darin unterscheidet sich das, was wir sagen, von dem, was auf irgendwelchen zwölf Seiten langen Papieren darüber steht, wie man sich die Finanzpolitik vorstellt. Das ist so.
(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mannomann!)
Ich weiß, die Betroffenheit bei den GRÜNEN setzt sich fort. Akzeptieren Sie doch einfach, dass ich eine andere Meinung habe als Sie. Frau Kollegin Schulz-Asche, es muss doch in diesem Parlament möglich sein, dass Sie nicht von mir verlangen, dass ich als Liberaler die Meinung der GRÜNEN wiedergebe. Das würde alles durcheinanderbringen. Das ist doch nicht ganz unvorstellbar, oder?
Ich erwarte von Ihnen auch nicht, dass Sie eine vernünftige liberale Politik machen. Da muss es Unterschiede geben.
Noch einmal zurück zur Steuerbelastung. Wenn man über die Steuerbelastung in der Bundesrepublik Deutschland spricht, wird häufig gesagt – zum Teil auch vom Kollegen Al-Wazir –, das sei alles nicht so schlimm. Die Anhörung war in einigen Punkten sehr interessant; denn es wurde von beiden Seiten mit Vorurteilen aufgeräumt. Das ist zwischen uns unstreitig.
Die Anhörung hat gezeigt, dass man es sich nicht so einfach machen kann, nur die Steuerquoten der Länder miteinander zu vergleichen. In Europa ist die Situation eben so, dass in vielen Ländern die sozialen Sicherungssysteme aus Steuergeldern finanziert werden. Dann gibt es Län
der, die wie wir ein anderes Modell haben. Man muss also auf die Gesamtbelastung schauen. Deshalb ist in Deutschland neben der Einkommensteuer, der Kirchensteuer und dem Solidaritätszuschlag natürlich auch das System der sozialen Sicherung mit seinen Sozialabgaben zu berücksichtigen. Auch die Situation der kommunalen Abgaben – da, wo die Menschen wohnen und Abgaben zahlen – ist einzubeziehen.
In dem Zusammenhang vertreten wir die Auffassung – ähnlich sieht es der Bund der Steuerzahler –, dass die Grenzen dessen, was die Menschen leisten können und wollen, erreicht sind. Wenn alle Menschen ihrer Steuerpflicht nachkämen – wir wissen, dass ungefähr 200 bis 250 Milliarden € in die Schwarzarbeit fließen; diese Steuern werden also nicht gezahlt –, wenn wir in Deutschland ein Steuersystem hätten, das alle akzeptieren, sodass sie an diesen Staat gern Steuern entrichten, weil das Steuersystem angemessen ist und sie sich nicht überfordert fühlen, hätten wir auch mehr Steuereinnahmen. Aber das erfolgt nicht dadurch, dass man immer stärker an der Steuerschraube dreht und den Menschen immer mehr Belastungen auferlegt. Das ist sicherlich nicht der richtige Weg.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mich zunächst namens der Landesregierung sehr herzlich dafür bedanken, dass es uns, seitdem wir auf der Basis konkreter Gesetzentwürfe über die Ausgestaltung der Schuldenbremse in unserem Land diskutieren, gelungen ist, uns in der Diskussion in vielen Fragestellungen einander anzunähern, auch was die Frage betrifft, wo wir uns zusammenfinden. Es ist eben deutlich geworden, dass es in den nächsten Stunden und Tagen weiteren Diskussionsbedarf gibt.
Aber ich will einen Punkt hervorheben, an dem wir uns einig geworden sind, nämlich bei der Frage, wie wir die Kommunen in dieser Diskussion behandeln. Wir haben uns darauf verständigt, den Formulierungsvorschlag der Kommunalen Spitzenverbände so, wie er vorgelegt worden ist, zu übernehmen. Damit wollen wir deutlich machen, dass eine zentrale Befürchtung, die im Vorfeld der Diskussion geäußert worden ist, nämlich dass Bund und Länder in ihrer Gesamtheit ihre finanziellen Probleme auf Dauer auf Kosten der Kommunen lösen, keine Grundlage hat. Dazu wollen wir nicht nur keinen Beitrag leisten, sondern wir wollen sie mit einer Verfassungsregelung sogar aktiv davor schützen. Das ist ein Zeichen an unsere Kommunen, das wir parteiübergreifend beschlossen haben. Das darf an dieser Stelle einmal hervorgehoben werden.
Wenn wir versuchen, uns einmal gedanklich in die Zeit vor der großen Finanz- und Wirtschaftskrise zurückzuversetzen, stellen wir fest, dass wir eine Diskussion, wie wir sie heute über die Frage der strukturellen Finanzierung führen, damals vermutlich etwas entspannter angegangen wären. Wenn Sie sich die Ergebnisse der letzten Steuer
schätzung angeschaut haben – über die wir uns im Vergleich zu der Steuerschätzung davor sehr gefreut haben –, diese aber einmal mit den Steuererwartungen des Jahres 2008 vergleichen, gesamtstaatlich betrachtet, erkennen Sie, dass uns, Bund, Ländern und Gemeinden in Summe, etwas über 80 Milliarden € fehlen.
Wenn wir sagen könnten, dass die uns einmal in einem Jahr fehlen und dass die Schere irgendwann wieder zugeht, würden wir wahrscheinlich auch entspannter diskutieren können. Aber die Prognosen zeigen, dass die Schere aller Voraussicht nach nicht zugeht, sondern dass die Steuerentwicklung, wie wir sie jetzt sehen, in etwa parallel zu der verläuft, die wir für 2008 kalkuliert hatten. Das heißt, uns fehlen in Zukunft gesamtstaatlich jedes Jahr 80 Milliarden €, mit minimal steigender Tendenz. Das zeigt, vor welchen Herausforderungen alle staatlichen Ebenen stehen.
Nun kann man diese Frage auf unterschiedliche Art und Weise beantworten. Möglicherweise werden die verschiedenen politischen Lager sie jeweils dann, wenn sie etwas zu entscheiden haben, auch unterschiedlich beantworten. Jede Regierungsmehrheit muss in der Zeit, in der sie die Verantwortung trägt, die Entscheidungen treffen, die sie für richtig hält.
Da mag die eine politische Mehrheit sagen, sie konzentriere sich ganz besonders darauf, bei den Ausgaben rigide zu sparen und das Einnahmenniveau dafür stabil zu lassen. Streng genommen bedeutet das, dass sie nicht weiter auf den Steuerzahler zugreifen will. Andere politische Gremien mögen zu anderen Zeiten die Entscheidung treffen, weniger einzusparen, gar nicht einzusparen oder sogar zusätzliche Ausgabepositionen zu generieren und dafür stärker auf den Steuerzahler zuzugreifen.
Das sind aber die praktischen politischen Entscheidungen, die in jedem Haushaltsjahr von Neuem zu treffen sein werden.
Mein Problem mit der Diskussion ist, dass wir das Bedürfnis haben, diese Frage für die nächsten zehn oder sogar 15 Jahre im Voraus abstrakt zu beantworten, indem wir über eine Formulierung in der Verfassung diskutieren. Ich glaube, wir würden uns, auch wenn wir uns noch so sehr anspannten und uns noch sehr bemühten, nicht vorstellen können, wie ein Haushaltsplan für das Jahr 2018 aussehen könnte. Das würden wir sowieso nicht hinbekommen.
Aber ich glaube, es ist klug, die Diskussion über die Verfassung so zu führen, dass wir eine Formulierung wählen, die am Ende die Entscheidungen, die in jedem Jahr getroffen werden müssen – so herum oder so herum –, ermöglicht und nicht verhindert. Ich glaube, dass es nicht sinnvoll ist, eine bestimmte Position – die Ausgaben oder die Einnahmen – in der Verfassung ganz besonders zu betonen, weil das wiederum falsche Erwartungen für die Zukunft wecken würde.
Entlang dieses Korridors werden wir unsere Diskussionen in den nächsten Tagen führen müssen, um bei diesem zugegebenermaßen zwischen den Lagern noch strittigen
Lassen Sie mich zum Schluss zwei oder drei Zahlen nennen, um die Dimension der Herausforderung noch einmal deutlich zu machen. Die GRÜNEN haben vor einigen Tagen ein paar konzeptionelle Überlegungen auf den Tisch gelegt. Aber auch diese zeigen das Dilemma, in dem wir uns bewegen. Sie haben, auf das Jahr 2020 kalkuliert, Einsparungen in Höhe von über 800 Millionen € vorgeschlagen, aber gleichzeitig zusätzliche Ausgaben in fast gleicher Höhe dokumentiert.
Der Rettungsanker für die Beseitigung des strukturellen Finanzierungsdefizits besteht zu 57 % aus Einnahmeerhöhungen, über die wir gar nicht selbst verfügen können, sondern das kann nur die Bundesebene bestimmen. Zu weiteren 20 % besteht der Rettungsanker in der Einbringung unserer Landesschulden in einen nationalen Schul dentilgungsfonds, über dessen Einrichtung wir ebenfalls nicht allein bestimmen können.
Insofern ist das ein Konzept, das man grundsätzlich diskutieren kann, das aber zu drei Vierteln darauf aufbaut, dass andere bereit sind, uns in irgendeiner Form mit Beschlüssen zu helfen. Das zeigt ein wenig das Dilemma, in dem sich unser Land, aber auch alle anderen Länder befinden. Dabei geht es darum, davon selbst wenig steuern zu können, am Ende aber die Auswirkungen wieder tragen zu müssen.
Lassen Sie mich zum Schluss meiner Rede noch eine andere Betrachtungsweise des Problems anschließen. Das macht das Problem aber vielleicht ein Stück weit handhabbar.
Schauen wir uns einmal die langfristige Entwicklung unserer Einnahmen an und rechnen dabei die extreme Krisensituation heraus. Dann erkennen wir, dass sie in den letzten Jahren nominal, also vor Inflationsbereinigung, zwischen 2,7 % und 3 % gestiegen sind.
Unterstellen wir einmal, dass es bei diesem durchschnittlichen Einnahmewachstum bleibt. Dann dürfen unsere bereinigten Ausgaben jedes Jahr um knapp unter 1 % steigen. Wenn uns das gelingt, werden wir irgendwann zwischen 2018 und 2020, je nachdem, welche Basisdaten man zugrunde legt, die Nulllinie erreichen.
Auf den ersten Blick denkt man: 1 %, das kriegt man schon irgendwie hin. – Aber ein Blick auf die Personalkostenquote mit einer Größenordnung von knapp 50 % und die Vorstellung, dass es vielleicht einmal irgendwann zu einer Tariferhöhung kommen wird, die zwischen 1 und 2 % liegen wird, zeigen, dass dann sämtliche anderen Ausgabenblöcke konstant bleiben müssen, also nicht inflationsbereinigt werden können. Damit ist eine faktische Ausgabenkürzung dort unumgänglich.
Das zeigt die Dimension der Herausforderung des Problems. Ich glaube aber, dass wir das gemeinsam angehen müssen. Denn es gibt keine Alternative dazu.
Wenn es uns dann noch gelingen sollte, gemeinsam einen Formulierungsvorschlag für die Verfassungsänderung zu finden, glaube ich, dass wir die Legitimation haben, die entsprechenden Konsequenzen daraus zu ziehen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Da es sich um einen verfassungsändernden Gesetzentwurf handelt, müssen wir in die dritte Lesung gehen. Wir überweisen den Gesetzentwurf dem Hauptausschuss, federführend, und dem Haushaltsausschuss, beteiligt. Sind sich alle einig? – Dann ist das so beschlossen.
Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion DIE LINKE für ein Gesetz zur Änderung der Hessischen Gemeindeordnung – Drucks. 18/3116 –