Protokoll der Sitzung vom 18.11.2010

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schon ein Stück weit eine schizophrene Diskussion, die wir hier führen, wenn wir uns an das erinnern,

was heute Morgen in die Debatte eingeworfen wurde mit der Frage: Entfernt sich die Politik von den Menschen? Gibt es eine Distanz oder gar eine Barriere zwischen Politik und Gesellschaft?

In dem Moment, wenn ein durchaus von den meisten im Hause sehr gewünschter Austausch zwischen Politik und Gesellschaft stattfindet, nehmen wir das zum Anlass, um genau das zu kritisieren und darüber eine entsprechende Debatte zu führen. Jetzt mag man vielleicht kritisieren, dass der Austausch im Fall Roland Koch zwischen Wirtschaft und Politik stattgefunden hat. Aber nach unserem Verständnis – das mag uns von den LINKEN unterscheiden – ist eben auch Wirtschaft ein Teil der Gesellschaft. Deswegen ist auch dieser Austausch ein ganz normaler und zu begrüßender Prozess.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir freuen uns nicht nur für Roland Koch, dass er eine Beschäftigung gefunden hat, die seinen Fähigkeiten und seinen Talenten entspricht, die er als derjenige, der an der Spitze des Landes gestanden hat, unter Beweis gestellt hat,

(Janine Wissler (DIE LINKE): Bob, der Baumeister!)

dass er jetzt in der Wirtschaft bei dem genannten Unternehmen weiter wirken und Verantwortung übernehmen kann. Für uns ist das weder ein Problem noch irgendein schlimmer Umstand. Ich glaube, dass die Gesellschaft insgesamt weiter davon profitieren kann, dass Roland Koch nun an anderer Stelle Verantwortung für Wirtschaft, Gesellschaft und die Menschen in unserem Land übernimmt.

Das gilt auch für all die vielen anderen Beispiele, die es zuhauf gibt, die sich für einen solchen Weg entschieden haben, losgelöst von der Frage einer wie auch immer gearteten Karenzzeit: Gerhard Schröder, Otto Schily, Wolfgang Clement, um drei prominente Beispiele bei den Sozialdemokraten zu nennen.

(Günter Rudolph (SPD): Zwei! Der eine ist nicht mehr bei uns! – Gegenruf des Ministers Jörg-Uwe Hahn: Der war aber bei euch!)

Die waren alle einmal bei Ihnen. Ich weiß, dass das im Moment Teil Ihrer Vergangenheitsbewältigung ist. Ich weiß nicht, ob ich, wenn ich in einem halben Jahr zu dem Thema rede, Gerhard Schröder noch dazu zählen darf, so wie sich die Debatte im Moment entwickelt. Aber wir wollen es einmal bei den drei belassen.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU)

Auch der Kollege Berninger von den GRÜNEN hat einen entsprechenden Schritt getan und hat sich aus seinem Mandat nach Brüssel zum Unternehmen Mars verabschiedet, um dort einer Tätigkeit nachzugehen.

(Florian Rentsch (FDP): Mars macht mobil!)

Das ist auch gut so, und das ist, wie wir finden, absolut in Ordnung. Es lässt sich auch nicht an der Frage von wie auch immer gearteten Karenzzeiten festmachen, weil dieser Austausch zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik, und zwar in alle Richtungen, von der Wirtschaft in die Politik, aber auch umgekehrt, dringend notwendig ist.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU)

Wir glauben, dass es ein belebendes Element für die Gesellschaft insgesamt ist, dass sich in diesem Kreis nicht nur Berufspolitiker, die 30 Jahre lang dasselbe machen, treffen und über die Probleme der Menschen im Land unter

halten, dass andererseits auch dort, wo wirtschaftliche oder gesellschaftliche Verantwortung außerhalb eines Parlaments getragen wird, Menschen sitzen, die wissen, wie Parlamente funktionieren und wie demokratische Prozesse innerhalb eines Parlaments ablaufen.

Insoweit ist das eine Scheindebatte. Deshalb sind wir immer bemüht, solche Wechsel, wenn sie denn bei Kollegen von anderen Parteien stattfinden, nicht zum Anlass zu nehmen, um eine Debatte im Hessischen Landtag oder anderswo zu führen, weil es doch genau diese Debatten sind, die Misstrauen oder den Anschein von Intransparenz erwecken. Das Verfahren als solches ist es doch gar nicht. Es ist doch eine Tatsache, dass wir immer wieder mit verschämtem Blick darüber diskutieren müssen, wie furchtbar das alles wäre, wie schwierig das alles wäre, und dass das doch so nicht sein dürfte.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Darüber diskutieren wir!)

Das ist der Fehler der Diskussion. Insofern ist das gerade vor dem Hintergrund dessen, was wir heute Morgen diskutiert haben, eine schizophrene Debatte.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir halten es für richtig, dass es an dieser Stelle größtmögliche Durchlässigkeit gibt. Wir glauben, dass beide Seiten, Politik und Parlamentarismus, Wirtschaft und Gesellschaft, nur davon profitieren können, wenn wir die Möglichkeiten eines Wechsels in beide Richtungen so durchlässig und so einfach wie möglich gestalten.

Ich bin der festen Überzeugung, dass auch der Kollege Lafontaine nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Bundesfinanzministers gern in die Wirtschaft gewechselt wäre. Es hat ihn keiner genommen, deswegen hat er eine neue Partei gegründet. Das hat es für uns auch nicht einfacher gemacht. Besser wäre es anders gewesen.

Ich glaube, dass an diesen Diskussionen nichts dran ist und dass wir uns damit selbst keinen Gefallen tun. Ich glaube auch, Frau Kollegin Wissler, dass Sie uns damit keinen Gefallen tun,

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das ist auch nicht meine Aufgabe!)

wenn Sie immer wieder diese Scheindebatten führen. Wir können nichts dafür, dass von Ihrer Truppe keiner in der Wirtschaft gern gesehen ist, dass Sie keiner haben will.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU)

Bei uns und bei den anderen Kolleginnen und Kollegen ist es anders. Deswegen werden wir uns auch weiterhin dafür einsetzen, dass es hier Durchlässigkeit und einen regen Austausch gibt.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Die Betonung liegt auf „regem Austausch“!)

Er könnte noch viel größer sein. Wir sind gern bereit, alles dafür zu tun. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Blum. – Das Wort hat Herr Kollege Rudolph für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Boddenberg, weil Sie sich vorhin so echauffiert haben: Herr Koch ist ausgeschieden. Wir wollen zunächst einmal festhalten: Normalerweise entscheidet in der parlamentarischen Demokratie das Volk. Nun hätten wir uns gewünscht – ich gebe es gern zu, und Sie wissen es –, wir hätten ihn durch Wahlen besiegen können. Da er wusste, bei der nächsten Wahl wird er verlieren, hat er einen anderen Weg gewählt. Das ist zulässig. Aber man kann deswegen sagen, man muss die Fälle unterschiedlich behandeln. Wäre Herr Koch normal ausgeschieden durch Verlust der Mehrheit, würden wir das anders bewerten, als wenn er nach eineinhalb Jahren sagt: „Ich habe keine Lust mehr“. Das war ihm in der Politik anzumerken, und das ist ein anderer Sachverhalt. Das werden wir auch so kommentieren, es mag Ihnen passen oder nicht.

(Beifall bei der SPD – Michael Boddenberg (CDU): Das hat er doch gar nicht gesagt!)

Dass er keine Lust mehr hatte, konnte man erleben. Er hat für sich die Entscheidung getroffen. Sind Sie in den Landtagswahlkampf 2009 mit der Botschaft getreten, Herr Koch hört nach eineinhalb Jahren auf? Nein, Sie haben immer so argumentiert, er macht die volle Wahlperiode. Insofern könnten wir möglicherweise auch von einer Wählertäuschung reden. So ganz abwegig ist das nicht.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Clemens Reif (CDU): Bei Ihnen wäre das ganz anders gewesen!)

Nun verklärt sich manches nach elfeinhalb Jahren Koch. Sie haben völlig recht, ich habe mich auch gewundert – –

(Michael Boddenberg (CDU): Die größte Wählertäuschung waren Frau Ypsilanti und die hessische SPD vor zwei Jahren!)

Da Sie gerade die Backen so voll aufblasen, nehmen Sie bitte endlich zur Kenntnis: Was Sie im Rahmen der Schwarzgeldaffäre gemacht haben, war Lug und Betrug an den Menschen in diesem Land.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Jawohl, Sie haben Geld aus schwarzen Kassen genommen, den Wahlkampf finanziert, eine Landesgeschäftsstelle für 1 Million gekauft oder renoviert, und merken das noch nicht einmal. Da fragt man sich fast, was schlimmer ist. Bewusst oder unbewusst, Sie haben Menschen getäuscht. Deswegen bleiben Sie an der Stelle ganz entspannt.

(Beifall bei der SPD – Michael Boddenberg (CDU): Das ist die Unwahrheit, was Sie sagen!)

Über das Thema Karenzzeiten, das die LINKEN in ihrem Entschließungsantrag angesprochen haben, sollte man diskutieren. Frau Kollegin Müller hat es auch angesprochen. Ja, es hat viele Facetten. Natürlich müssen wir auch das Selbstverständnis von Politikern generell sehen. Warum soll es Politikern eigentlich verwehrt sein, wenn sie das Ende ihrer politischen Laufbahn für sich entschieden haben oder es für sie entschieden worden ist – nehmen wir es einmal so –, in andere Berufe zu wechseln? Das muss zulässig sein.

(Michael Boddenberg (CDU): Na prima!)

Das ist eine Debatte, die wir führen können. Dann müssen wir auch über Rahmenbedingungen reden können. Herr Beuth, natürlich sind auch Fragen zulässig. Herr Koch

wechselt zu einem bedeutenden Unternehmen, zu Bilfinger Berger. Die sind am Ausbau des Flughafens beteiligt. Gab es da Interesse, weil jemand Beziehungen hatte oder als Chef der Landesregierung tätig war? Die Fragen muss man stellen können.

(Peter Beuth (CDU): Die Fragen sind gestellt worden! – Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Ja, die Fragen sind gestellt worden. Es ist schön, dass Sie uns das zugestehen. – Natürlich muss man auch die Frage nach der Verknüpfung zwischen Regierungsämtern und den weiteren beruflichen Tätigkeiten stellen.

(Leif Blum (FDP): Gerhard Schröder!)

Ja, das gilt quer durch alle Parteien. Sie haben die Beispiele genannt, das ist völlig unstrittig.

(Leif Blum (FDP): Das ist auch gut so!)

Ich will eine andere Thematik einführen. Vielleicht sollten wir in dem Kontext auch einmal über die Ausgestaltung von Ämtern und die Bezahlung von Politikern reden. Ich will das an der Stelle einmal sehr deutlich machen. Ich finde es nicht nachvollziehbar, dass z. B. Vorstandsmitglieder von Sparkassen, von Organisationen und Verbänden deutlich mehr verdienen als die deutsche Bundeskanzlerin. Dieses Staatsverständnis oder diese Ausgestaltung ist in anderen Ländern anders.