Protokoll der Sitzung vom 18.11.2010

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! So ist es: Herr Kollege Krüger, wenn Europa auf der Tagesordnung steht, ist das Interesse etwas überschaubar.

(Horst Klee (CDU): Wir könnten in die Cafeteria gehen! Da wären mehr!)

Ich sage es allgemein. Dass Sie diesen Setzpunkt ausgerechnet in die Mittagspause gelegt haben, ist natürlich ein Problem.

(Zuruf von der CDU: Es gibt keine Mittagspause! Das ist das Problem!)

Zu Ihrem Antrag und zu dem, was Sie ausgeführt haben, Herr Krüger: Ich glaube, in zwei Punkten sind wir uns völlig einig. Sie haben die Themen Ausgabenreduzierung bzw. Ausgabenkontrolle und Effizienz genannt. Das ist ganz klar. Jeder, der öffentliche Gelder verwaltet und ausgibt, steht unter dem Diktat der Haushaltsdisziplin. Das gilt auf allen Ebenen, sei es in der Kommune, im Kreis, im Land, im Bund oder auch in der EU.

Aber dann hören schon die Gemeinsamkeiten auf. Denn – das sage ich Ihnen auch gleich – Ihren Antrag können wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht mittragen. Denn das ist schon fast ein Reflex, der immer dann eintritt, wenn das Thema EU-Steuern aufkommt. Dann wird dies in allen Mitgliedstaaten mit Ablehnung beantwortet. In diese Ablehnungsfront stimmen Sie jetzt mit dem vorliegenden Antrag ein.

Mit Verlaub, Ihr Antrag wird der Thematik und der Problematik nicht ansatzweise gerecht. Auslöser der aktuellen Diskussion waren zwei Ereignisse, die ich hier zumindest einmal erwähnen will.

Im August dieses Jahres hatte der EU-Kommissar Lewandowski die EU-Steuer ins Spiel gebracht. Er nannte eine Steuer auf Finanztransaktionen, eine Luftverkehrsabgabe und die Einnahmen aus der Versteigerung von CO2-Emissionsrechten. Das Echo war einhellig. Leo Dautzenberg von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht keinen Handlungsbedarf, das bewährte System der EU-Finanzierung zu ändern. SPD-Fraktionsvize Joachim Poß sieht keinen aktuellen Handlungsbedarf. Der finanzpolitische Sprecher der GRÜNEN Gerhard Schick kann dagegen mit einer Finanztransaktionsteuer leben. Frank Schäffler von der FDP warnt vor einem Dammbruch. Und DIE LINKE spricht von einem Sommertheater.

Aber ich glaube nicht, dass das ein Sommertheater ist. Der Präsident der EU-Kommission Barroso hat vor wenigen Tagen in seiner Mitteilung zur Haushaltsreform die Vorschläge für EU-Steuern präzisiert. Ich glaube, Barrosos Diagnose, dass bisher die Regelungen für den EUHaushalt dazu geführt haben, dass die EU nur langsam auf unvorhergesehene Ereignisse – er nannte Naturkatastrophen, ich nenne auch Finanzmarktkrisen – reagieren kann und eine Vielzahl komplizierter Regelungen die Effizienz und Transparenz des Haushalts verringert hat, teilt hier jeder.

Auch der Feststellung, dass 1988 die Beträge, die ihren Bezugspunkt in dem Bruttonationaleinkommen haben,

10 % des Haushalts darstellten, aber derzeit auf 70 % hochgeschnellt sind – Herr Krüger, Sie nannten 80 % –, was zu bitteren Debatten bei den Nettobeitragszahlern führe, können wir, so glaube ich, alle zustimmen.

Aber an der Folgerung von Barroso, nämlich die Beiträge der Mitgliedstaaten zu verringern, indem man die Mehrwertsteueranteile abschafft und nach und nach eines oder mehrere Eigenmittel einführt, scheiden sich die Geister. Barroso nannte unter anderem eine EU-Gebühr auf Luftverkehr, eine EU-Energiesteuer und eine Steuer auf dem Finanzsektor.

Ich glaube, über eine Finanztransaktionsteuer sollten wir in der Tat einmal nachdenken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LIN- KEN)

Es gibt Berechnungen, dass bei einem Prozentsatz von nur 0,05 % dies Einnahmen von national 30 Milliarden € und in der EU von 200 Milliarden € generieren würde.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LIN- KEN)

Es mag sein, dass diese Berechnung zu optimistisch ist, aber ich stimme dem EU-Kommissar Lewandowski zu.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Auf was gerechnet? Auf den Umsatz?)

Auf die Transaktion, den Umsatz.

Aber da stimme ich dem EU-Kommissar Lewandowski ausdrücklich zu, denn er sagt, die Steuern könnten den EU-Haushalt maßgeblich speisen.

Auch wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, immer dann, wenn das Thema Steuern angesprochen wird, in eine kollektive Schnappatmung verfallen,

(Heinrich Heidel (FDP): Na, na, na!)

sollten Sie, so meine ich, völlig unaufgeregt zumindest das zur Kenntnis nehmen, was zwei namhafte Kollegen Ihres Koalitionspartners zu dem Thema gesagt haben.

Der CDU-Abgeordnete Elmar Brok hält eine EU-Transaktionsteuer unter bestimmten Bedingungen für richtig. So auch der finanzpolitische Sprecher der GRÜNENFraktion im Bundestag, Herr Schick. Das habe ich bereits genannt.

(Zuruf von der FDP: Wer ist das? Und seit wann ist das unser Koalitionspartner?)

Gerhard Schick von den GRÜNEN.

Interessanterweise hat auch Bundesfinanzminister Schäuble eine sehr bemerkenswerte Feststellung getroffen, nämlich: Für eine europäische Steuer mag es eine Zeit geben. Jetzt ist sie nicht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn nicht jetzt, dann ist die Frage: Wann dann? – Für eine europäische Finanztransaktionsteuer ist es höchste Zeit. Denn aus der Finanzmarktkrise hat die EU – zwar zögerlich, aber immerhin – bereits Konsequenzen gezogen. Neben bisher eingeleiteten Maßnahmen, um die Banken, Versicherungen und den Wertpapierhandel zu regulieren, Hedge fonds und Privat Equity der europäischen Kontrolle zu unterstellen, und den verschärften Kapitalbestimmungen für die Banken braucht die EU auch eine Finanztransaktionsteuer – nicht nur, weil eine solche Steuer die Verursacher der Finanzkrise an den Kosten beteiligt,

sondern auch, weil sie künftigen Krisen vorbeugen kann, da sie Spekulation verteuert.

„Sie setzt“ – so hat es der SPD-Europaabgeordnete und Sprecher für Wirtschaft und Währung im Europaparlament Dr. Udo Bullmann zutreffend ausgeführt – „bei den Finanzjongleuren an, die mithilfe von Computerprogrammen täglich Abermilliarden Euro um den Globus jagen.“ Für den Durchschnittsverbraucher falle eine solche Steuer dagegen nicht groß ins Gewicht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, oder sollten nach Ihrer Meinung auch in Zukunft die Steuerzahler den Kopf hinhalten, wenn es darum geht, das wieder geradezurücken, was die Finanzakrobaten auf den Finanzmärkten angerichtet haben?

Ich möchte noch auf einen anderen Sachzusammenhang hinweisen. Art. 269 der Römischen Verträge regelt, dass der EU-Haushalt ausschließlich aus Eigenmitteln zu finanzieren ist. Neben den traditionellen Eigenmitteln wie Zöllen, Zuckerabgaben, dem Mehrwertsteueranteil und dem Anteil am Bruttonationaleinkommen, die über 70 % der EU-Einnahmen ausmachen, gehören zu den Eigenmitteln auch EU-Steuern, denen freilich alle Mitgliedstaaten zustimmen müssen.

Nun kann man sagen, dass dies bereits vor 50 Jahren so festgelegt wurde, 1957 in den Römischen Verträgen, und bisher nicht zum Tragen gekommen ist. Aber diese Vorschrift steht wortgleich in Art. 311 des Vertrags von Lissabon. Das besagt, auch der Lissabonner Vertrag lässt die Möglichkeit von EU-Steuern zu. Insoweit greift übrigens Punkt 2 Ihres Antrags zu kurz, der suggeriert, es gebe nur in den Mitgliedstaaten eine Steuerkompetenz.

Was nicht geht, ist, sich für den Lissabonner Vertrag feiern zu lassen und, wenn es um die Umsetzung einer Option geht, die dieser Vertrag ausdrücklich zulässt, so zu tun, als sei diese Möglichkeit Teufelszeug.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)

Was spricht dagegen, die Beiträge der Mitgliedstaaten zu verringern und sie auf der anderen Seite durch eine Finanztransaktionsteuer zu ersetzen? Wir glauben, es wäre des Schweißes der Edlen wert, sich hierüber intensiv Gedanken zu machen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, mit Ihrer Mehrheit können Sie Ihren Antrag durchwinken. Es bleibt aber eine sehr schwierige Aufgabe in diesen finanzpolitisch bewegten Zeiten zu bewältigen. Dies wird noch ungleich größere Anstrengungen erfordern, als solch einen dünnen, populistischen Antrag zu formulieren. Wir lehnen diesen deshalb ab.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Reuter. – Das Wort hat Frau Kollegin Erfurth für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, in dieser spannenden Debatte reden zu dürfen. Das Thema Europa ist auf dem Weg, dem

Thema Gleichberechtigung bei der Beteiligung den parlamentarischen Rang abzulaufen. Das merkt man, wenn man einmal in die Reihen schaut.

Herr Kollege Krüger, Sie haben gesagt: Einsparungen, Europa und die FDP. Das waren drei Dinge, die ich mir aus Ihrem Redebeitrag mitgeschrieben habe. Wenn ich die drei Begriffe zusammenbringe – Einsparungen, Europa und FDP –, dann muss ich kurz überlegen: Was ist denn passiert?

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Nein, die habe ich mir dazugeschrieben. Sie können gerne schauen, wenn Sie das möchten. Wir können das aber auch nachher regeln.

Wenn ich mir anschaue, was passiert ist, seit die FDP in der Regierung ist: Wir haben eine neue Staatssekretärin für den Bereich Europa mit der gesamten Entourage dazu.

(Demonstrativer Beifall bei der FDP – Florian Rentsch (FDP): Weil das wichtig ist!)

Das ist der Beitrag der FDP zum Thema Einsparungen: eine neue Staatssekretärin plus eine weitere Abteilung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Florian Rentsch (FDP): Das ist uns wichtig!)

Ich komme zu der Wichtigkeit, Herr Rentsch. – Dann ein Beitrag, was passiert bei Einsparungen, FDP und Europa: sehr aufwendiger Umbau der Landesregierung, auch das ein Beitrag zum Thema.

(Minister Jörg-Uwe Hahn: Der Landesvertretung!)

Der Landesvertretung. Entschuldigung, Sie haben recht, Herr Minister Hahn. – Es war ein aufwendiger Umbau der Landesvertretung in Brüssel. Natürlich musste da etwas passieren. Aber muss es so aufwendig sein?