Michael Reuter

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Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich das Thema der Aktuellen Stunde der FDP-Fraktion las: „Hilfe für Griechenland“, da dachte ich: Na endlich hat es auch die FDP kapiert, dass Griechenland geholfen werden muss.
Das ist auch dringend nötig, wenn man liest, dass in Athen Suppenküchen wie Pilze aus dem Boden schießen und viele Griechinnen und Griechen ihren Familienschmuck ins Pfandhaus bringen müssen, um zu überleben. Die Arbeitslosenquote beträgt zurzeit 25 %, Tendenz: steigend.
Armut in Deutschland ist schlimm – ein gesellschaftspolitischer Skandal ersten Ranges in einem der wirtschaftsstärksten Länder auf der Welt –,
Armut in Griechenland aber kann existenzbedrohend werden; denn Griechen, die arbeitslos werden, haben einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nur für die Dauer eines Jahres. Seit 2004 bekommen sie monatlich 200 € an Arbeitslosenhilfe. Da kann es schon sehr eng werden, um die lebensnotwendigen Dinge zu kaufen.
Als ich im FDP-Antrag auf eine Aktuelle Stunde dann aber von dualer Ausbildung, Gerichtswesen und Feuerwehr las, war mir klar, es geht darum, in Griechenland eine bestimmte Infrastruktur zu installieren. Herr Kollege Krüger, ich hatte eigentlich einen Spannungsbogen erwartet, der noch mehr Punkte aufgreifen würde, aber mit den drei Punkten war es das schon.
Entschuldigung, Sie haben recht, Herr Minister. – Gleichwohl, Hessen hilft Griechenland. Man reibt sich die Augen und wundert sich. Europaminister Hahn hat sich nämlich in der Vergangenheit durch – vorsichtig ausgedrückt – europaskeptische Äußerungen einen Namen gemacht. Ich erinnere nur an Ihren Vorschlag, Herr Hahn, Dänemark mit einem Urlaubsboykott zu belegen, und an Ihre Forderung nach einem Klagerecht gegen die Europäische Zentralbank.
Herr Hahn, Ihre Forderung vor zwei Monaten – im November letzten Jahres – nach einer Insolvenz für Griechenland ist uns allen noch im Ohr.
Hat die Jahreswende vielleicht einen Saulus zum Paulus gewandelt? Ich fürchte, nein.
„Hessen hilft Griechenland“, so heißt diese Aktuelle Stunde. Wer in diesem Hause kann denn etwas dagegen haben, wenn das Gerichtswesen in Hessen und unser System der freiwilligen Feuerwehr Blaupausen für andere europäische Länder sind? Herr Minister, auch die Absicht, die Sie in Ihrer Presseerklärung mitgeteilt haben, in Griechenland eine duale Berufsausbildung nach deutschem Vorbild zu etablieren, wird von uns begrüßt. Ich stimme Ihnen zu: Unser duales Ausbildungssystem ist eine Erfolgsgeschichte. Ich stimme Ihnen zu, Herr Krüger, wenn Sie sagen, es ist gut, wenn unsere europäischen Partner dieses System zur
Grundlage der Organisation der zukünftigen Berufsausbildung machen.
Nur, Herr Minister, wie sieht der hessische Anteil an diesem Hilfsprojekt aus? Ich habe der Pressemitteilung entnommen, dass eine Stiftung gegründet werden soll und dass die griechischen Auszubildenden von der IHK Frankfurt ihren Berufsabschluss erhalten können. Duale Ausbildung heißt, dass es diese glücklichen Griechinnen und Griechen geschafft haben, einen Ausbildungsplatz zu ergattern – im Gegensatz zu vielen ihrer Altersgenossen in Griechenland. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 53 %. Weiß man überhaupt, was sich da an sozialem Sprengstoff ansammelt, wenn mehr als die Hälfte einer Generation gesagt bekommt, dass man für sie keinen Platz hat? Die Arbeitslosenzahlen steigen, die Einkommen und die Renten sinken, und die Jugendarbeitslosigkeit steigt exorbitant.
Auch das ist ein Thema, über das man sich in diesem Hause unterhalten sollte.
Ich habe die Uhr im Blick, Herr Präsident. – Es ist schade, dass ich an dieser Stelle abbrechen muss. Ich glaube, die Unterstützung des beruflichen Schulwesens in Griechenland ist ein guter Anfang; um die dringendsten Probleme in der EU, auch in Griechenland und in vielen anderen Ländern Europas aber zu lösen, braucht es etwas mehr des Schweißes der Edlen.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal ist festzustellen, dass man dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP eigentlich zustimmen könnte.
Aber es stellt sich die Frage, warum von den Regierungsfraktionen nicht der Versuch unternommen wurde, die anderen Fraktionen einzubinden.
Brauchen uns die Regierungsfraktionen immer nur dann zu gemeinsamen Anträgen, wenn sie Störpotenziale ausschalten oder minimieren wollen?
Nun komme ich auf Ihren Entschließungsantrag zu sprechen. Dieser reflektiert zunächst die Kooperationsvereinbarung zwischen Hessen und Bursa. Dann lobt er die Kooperation zwischen der Frankfurter Industrie- und Handelskammer und der in Bursa sowie die Zusammenarbeit zwischen der Universität Gießen und der Uludag-Universität Bursa.
Wer sollte daran Kritik üben? Wer könnte dem widersprechen, dass jetzt und in Zukunft andere Teile der Zivilgesellschaft die Kooperation mit Leben erfüllen müssen?
Da passiert schon viel. Wir unterschätzen alle, die sich auf den Weg machen, in ihrem Bereich mit den jeweiligen Partnern in Bursa zu kooperieren. Ich glaube, für alle hier im Haus sprechen zu können, wenn ich sage, dass der eingeschlagene Weg gut und richtig ist.
Aber es gilt in dieser Debatte auch etwas anzusprechen, was im Zusammenhang mit dem Delegationsbesuch der Regierung und der CDU-Fraktion in Bursa in der Presse zu lesen war. Es ist schon bemerkenswert, dass der Entschließungsantrag der Koalition Wert auf die Feststellung legt, dass Reisen von Delegationen die Partnerschaft vertiefen. Das ist eigentlich eine Binsenweisheit.
Immerhin musste die CDU-Fraktion bzw. mussten zwei Kollegen der CDU mit mehreren Presseerklärungen die Fraktionsklausur in Bursa rechtfertigen. War, wie man es in den Medien an der Bergstraße lesen konnte, die innerparteiliche Kritik wirklich so groß, dass man sich gegen über den eigenen Parteifreunden rechtfertigen musste? – Das ist aber das Problem der hessischen CDU.
Herr Ministerpräsident Bouffier, was aber nicht ein Problem der CDU, sondern unser aller Problem ist, ist, dass Sie sich während Ihrer Reise nach Bursa kategorisch gegen einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union ausgesprochen haben.
Deswegen haben wir einen Änderungsantrag eingebracht, der sich mit dieser Thematik beschäftigt. Abgesehen davon, dass dies ein „Glanzstück“ der hohen Kunst der Diplomatie war,
ist es doch so: Wenn sich ein Landespolitiker im Ausland öffentlich zu einem Thema äußert, welches in die Verantwortung des Bundes fällt, gilt es, Folgendes festzuhalten. Dass in den Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der Europäischen Union noch viele Fragen geklärt werden müssen, weiß eigentlich jeder oder könnte jeder, wenn er sich damit beschäftigt, wissen. Dass auch noch große Probleme gelöst werden müssen, ist jedem bekannt, der sich damit beschäftigt.
Ich frage: War das Statement des Ministerpräsidenten Bouffier eigentlich mit dem Koalitionspartner, von dem ich andere Äußerungen kenne, abgestimmt?
In welcher Funktion hat sich Herr Bouffier geäußert? Tat er das als stellvertretender Bundesvorsitzender, als Lan
desvorsitzender oder als Regierungschef einer schwarzgelben Koalition in Hessen?
Genauso wie wir die kategorische Ablehnung des Beitritts zur Europäischen Union ablehnen, kritisieren wir auch deren Begründung.
Herr Bouffier, nach Presseberichten haben Sie Bursa als eine europäische Topregion bezeichnet, welche aber nicht repräsentativ für das gesamte Land sei. Es ist richtig, dass es in der Türkei gut entwickelte und weniger gut entwickelte Regionen gibt.
Aber gibt es diesen Befund nicht in fast allen Ländern der Europäischen Union? Ich möchte da nur an Italien mit seinem industrialisierten Norden und einem weniger gut entwickelten Süden erinnern. Es sind gerade die heterogenen und regional unterschiedlichen Ausprägungen der einzelnen Staaten der EU, die dieses Europa auszeichnen.
Auch die Schuldenkrise, so war in der Presse zu lesen, muss für die ablehnende Haltung des Herrn Bouffier herhalten. Wenn es nicht so ernst wäre, müsste man darüber schmunzeln.
In der „Frankfurter Neuen Presse“.
Ich bin gefragt worden. Ich kann Ihnen nachher den Artikel geben.
Wir wissen doch alle, dass der Beitritt zur Europäischen Union nicht heute und auch nicht morgen auf der Tagesordnung steht. Es müssen noch mindestens 20 Kapitel während der Beitrittsverhandlungen zu einem Abschluss gebracht werden. Bis heute ist gerade ein Kapitel abgeschlossen, nämlich das, was Wissenschaft und Forschung betrifft.
Ich kann für uns alle und ich kann für ganz Europa nur hoffen, dass, wenn der Beitritt der Türkei zur Europäischen Union zur Entscheidung ansteht, die Schuldenkrise Geschichte ist. Falls dies nicht der Fall sein sollte, hätten wir in Europa, sofern es dann noch ein Europa als Staatengemeinschaft geben sollte, ungleich größere Probleme.
Ich komme zu meinen letzten Sätzen. – Das wollen wir aber alle nicht hoffen.
Falls Sie unseren Änderungsantrag ablehnen, werden wir uns bei Ihrem Entschließungsantrag der Stimme enthalten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gehe auf die Frage von Herrn Lenz ein: „Was hat das mit dem AdR zu tun?“ Normalerweise besteht in diesem Hause in europapolitischen Fragen ein breiter Konsens. Das ist auch gut so. Dies gilt im Prinzip auch für Vorschläge des Hessischen Landtags für die Entsendung von Personen in Gremien der EU – wie z. B. dem Ausschuss der Regionen.
Eigentlich müsste dies auch für den Vorschlag gelten, Europa-Staatssekretärin Breier als Mitglied für den Ausschuss der Regionen zu benennen – wenn, ja wenn Frau Breier bei ihrem öffentlichen Auftritt hier in Hessen Viktor Orbán, den rechtskonservativen Regierungschef in Ungarn, nicht als „Demokraten, der aus einer liberalen und demokratischen Tradition“ komme, bezeichnet hätte.
Herr Bellino, diese Aussage steht in eklatantem Widerspruch zu der Tatsache, dass die EU-Kommission Ungarn mehrfach scharf gerügt hatte, weil unter der Regierung Orbán die Pressefreiheit und die Justiz massiv eingeschränkt worden sind.
So wurde Ungarn von der EU-Kommission wegen Mängeln bei der Unabhängigkeit der Justiz verklagt. Wenn Sie sich einmal die Presseberichte in der letzten Zeit daraufhin anschauen, wie die Regierung Orbán mit den Minderheiten umgeht, auch mit den Deutsch-Ungarn – ich kann Ihnen einen Artikel aus der „Süddeutschen Zeitung“ Anfang des Jahres empfehlen –, wissen Sie, was in Ungarn die Stunde geschlagen hat.
Deshalb erwarten wir von dem – sich gerade in einem Gespräch befindenden – Europaminister Hahn, dass er sich heute zu diesem Thema erklärt. Herr Hahn, wir werden es auch von Ihrer Aussage abhängig machen, wie wir uns verhalten. Sie stehen in der Pflicht, uns hier und heute Auskunft darüber zu geben, ob Sie die kritische Position gegenüber der Entwicklung in Ungarn, die auch von vielen Ihrer Parteifreunde vertreten wird, teilen und, wenn ja, ob die Staatssekretärin für Europaangelegenheiten Ihre Auffassung mitträgt.
Ich gebe zu, wir hätten Frau Breier einen anderen Start in das Amt einer Staatssekretärin für Europaangelegenheiten gewünscht. Aber die Dinge sind nun einmal so, wie sie sind, und wir müssen das hier aufklären. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Reif, Sie haben uns gebeten, zuzuhören. Das habe ich auch. Mir sind zwei Dinge aufgefallen. Zunächst einmal habe ich ein absolutes Ja oder ein absolutes Nein zu Eurobonds nicht gehört. Es war ein „darüber kann man reden“. Das ist das eine, was mich etwas verblüfft hat.
Das Zweite war: Wir befinden uns in einer verbundenen Debatte. Zu Ihrem eigenen Antrag mit der Beteiligung von Parlamenten haben Sie gar nichts gesagt. Okay, ich nehme das so zur Kenntnis. Ich werde versuchen, zu Ihrem nicht begründeten Antrag Stellung zu nehmen.
Es ist schon bedrückend, diese Szenen eines Schauspiels zu sehen, das fast schon einer Dramaturgie gleicht: Lammert gegen Kauder und umgekehrt Lammert gegen Schäuble, Wulff gegen EZB und indirekt auch gegen Frau
Merkel, Kohl gegen laue Europäer, und von der Leyen will Goldpfand für EU-Anleihen.
Die Eurozone in der Krise, Finanzmärkte und Börsen spielen verrückt. In immer kürzeren Abständen trifft sich der Europäische Rat oder Frau Merkel mit Herrn Sarkozy. Es werden Beschlüsse gefasst, und das Urteil der Börsen ist, wie wir in den letzten Wochen gesehen haben, vernichtend: Kurzstürze mit beunruhigenden Zahlen. Der Daumen zeigt nach unten, und das ist das Signal der Börsen, will damit sagen: Das, was Merkel und Sarkozy vereinbart haben, reicht nicht aus.
Dass die Bundeskanzlerin in den vergangenen Monaten zu inaktiv, zu zögerlich war, das weiß mittlerweile jeder, und das ist ein ganz großer Teil des Problems. Dies ist sehr aktuell gestern vom Bundespräsidenten Wulff indirekt bestätigt worden, indem er die EU-Regierungen – er hat keine deutsche ausgenommen – als Getriebene charakterisiert hat, die es versäumt hätten, politische Leitplanken einzuziehen.
Genau in dieser Zeit, wo sich die Nachrichten überschlagen, wo plötzlich heute gilt, was gestern noch undenkbar war, schickt sich der Hessische Landtag an, über dieses schwierige Thema zu debattieren. Das ist zum einen der Koalitionsantrag der CDU und der FDP. Der kommt von der Überschrift ganz gut daher: Beteiligungsrechte der Länder bei der Ausgestaltung des ESM und beim EuroPlus-Pakt. Wer kann etwas dagegen haben, dass der Bundestag und der Bundesrat bei so wichtigen Entscheidungen beteiligt werden? – Wohl niemand. Dies müsste eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Darüber müsste man eigentlich kein weiteres Wort verlieren.
Eine solche Beteiligung kann man allerdings nur dann umsetzen, wenn man selbst das Heft des Handelns in der Hand hält und nicht, wie Frau Merkel wegen ihres Zögerns und Zauderns, am Ende zu harten Entscheidungen in nächtlichen Sitzungen gezwungen ist. Vielleicht wäre daher von Herrn Bouffier und Herrn Hahn ein vorgetragener Hinweis an die handelnden CDU/FDP-Akteure auf Bundesebene genauso wie die heutige Debatte angebracht. Das ganze Dilemma, ja das politische Chaos wird deutlich, wenn man in das „Handelsblatt“ von gestern schaut: „Schäubles Geheimdiplomatie: Parlament unerwünscht“.
Was ist mit dem Budgetrecht, dem sogenannten Königsrecht der Parlamente? – Die öffentlich ausgetragenen Dispute zwischen den CDU-Parteifreunden Lammert und Kauder, Lammert gegen Schäuble geben derzeit einen kleinen Vorgeschmack, was wir auf der Berliner Ebene noch erleben dürfen.
Was den Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN anbetrifft, der unter anderem die Einführung von Eurobonds und eine Finanztransaktionssteuer zum Gegenstand hat, werden wir diesem zustimmen: denn der eigentliche Kern des Problems ist ein anderer. Die Europäische Union steht aktuell an einem ganz entscheidenden Punkt ihrer Geschichte. Alle Stabilisierungsversuche der letzten Zeit haben die Märkte nicht beruhigen und das Vertrauen nicht wiederherstellen können, seien es der
EFSF, der ab 2013 geltende ESM und die Interventionen der EZB.
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, viele Ideen des Merkel-Sarkozy-Gipfels zeigen, wenn auch katastrophal verspätet, grundsätzlich in die richtige Richtung. Viele dieser Ideen gab es aber schon vorher, sie wurden in Paris nur noch einmal präzisiert, z. B. die Finanztransaktionssteuer, die, in diesem Haus noch vor Monaten verteufelt, jetzt von den beiden Finanzministern ernsthaft geprüft wird.
Je nach Ausgestaltung kann so ein Betrag von 17 bis 36 Milliarden € auf Bundesebene bzw. ein Betrag von 110 bis 250 Milliarden € in der EU zustande kommen. Dies wäre ein gerechter Beitrag der Finanzwelt zur Bewältigung dieser Krise.
Die Einführung einer Schuldenobergrenze in den Eurostaaten, eine strenge Haushaltsüberwachung sowie automatische Sanktionen sind gute Vorschläge. Auch die Idee einer europäischen Wirtschaftsregierung ist gut, aber sie kommt zu spät, denn das ist einer der Webfehler innerhalb der EU. Nach der Einführung des Euro hat man es zu lange versäumt, die Währungsunion auch zu einer Sozial-, Wirtschafts- und Finanzunion auszubauen.
Leider ist das Thema Eurobonds auf deutschen Druck hin in Paris nicht behandelt worden oder, wie es Präsident Sarkozy ausgedrückt hat, noch nicht. Was ist nicht alles gegen die Eurobonds geschrieben worden? – Der Beginn der Transferunion – Gegenfrage: Haben wir diese nicht schon durch die Anleihe des EFSF, die jetzt nach dem Geheimpapier noch weiter aufgebaut werden soll, und die Bareinlage an den ESM? – Wir müssen in den nächsten Jahren ab 2013 22 Milliarden € einbezahlen.
Zweites Argument. Für die Schuldenländer – das habe ich bei Herrn Reif herausgehört – gäbe es dann keinen Anreiz mehr zu sparen. In allen ernst gemeinten Vorschlägen wird eine 60-prozentige Obergrenze für Eurobonds gezogen, und zwar immer bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt. 60 % sind übrigens die zulässige Schuldenobergrenze nach dem Maastricht-Vertrag. Hat ein Euroland einen höheren Kreditbedarf, muss es sich auf den Kapitalmarkt begeben und wesentlich höhere Zinsen zahlen. Ein Zwang zum Sparen wäre somit auch gegeben. Deshalb hat sowohl meine Fraktion wie auch die SPD-Bundestagsfraktion bereits ihre Zustimmung zu der 60-%-Grenze signalisiert.
Richtig unseriös wird es allerdings dann, wenn die Frage aufgeworfen wird, was Deutschland die Einführung von Eurobonds kosten würde. Da wird die Zahl von 47 Milliarden € genannt, wenn man die gesamten Staatsschulden von Bund, Ländern und Gemeinden in Höhe von 2 Billionen € mit der maximalen Zinsdifferenz zwischen dem deutschen und dem europäischen Durchschnittszins multipliziert. Da der Bund aber „nur“ Anleihen in Höhe von jährlich 300 Milliarden € zeichnet, ist die Mehrbelastung nicht so hoch. Hinzu kommt, dass die Irland-Hilfe durch den EFSF im Frühjahr dieses Jahres, also auch gemeinschaftliche Anleihen, lediglich zu Zinsen in Höhe von 2,5 % ausgegeben wurden, d. h. nur 0,2 Prozentpunkte über dem derzeitigen Zinsniveau.
Im „Spiegel“ wird diese Woche eine Summe von 2,5 Milliarden € im ersten Jahr genannt. Dies würde durch die Einnahmen der Finanztransaktionssteuer aber mehr als kompensiert.
Es ist schon gespenstisch: Was als Immobilienkrise in den USA begann, sich dann zu einer Bankenkrise und schließlich zu einer Finanzmarktkrise ausweitete, die dann zu einer Staatsschuldenkrise mutierte, wird jetzt wegen verspäteter und halbherziger Bemühungen zu einer Krise der Europäischen Union,
vielleicht auch zu einer parlamentarischen Regierungskrise. Die Frage ist: Hat Frau Merkel noch die parlamentarische Mehrheit im Bundestag für die Umsetzung der Beschlüsse des europäischen Rates? Im Moment wohl noch. Aber bis zum 22. September, an dem der Bundestag entscheiden soll, ist es noch eine lange Zeit. Das gestern bekannt gewordene Geheimpapier von Schäuble trägt bestimmt nicht dazu bei, das Vertrauen des Parlaments in die Regierung zu verstärken.
„Quo vadis Europa?“, ist zu fragen. Wenn die Eurozone zerfällt, dann fällt auch Europa, dieses Jahrhundertwerk – Tarek Al-Wazir hat das sehr gut mit den Worten von Konrad Adenauer umschrieben –, auf das wir alle zu Recht stolz sind.
Wir hoffen doch alle nicht, dass am Ende des Weges, wie vom Präsidenten des Wirtschaftsrates der CDU, Prof. Dr. Kurt Lauk, im „Handelsblatt“ befürchtet, eine Währungsreform droht. Prof. Dr. Lauk hat aber recht, wenn er Europa am Scheideweg sieht. Genau das ist der entscheidende Blickwinkel. Ein Rückfall in nationalstaatliche Kleinkrämerei mit Einzelinteressen und Einzelegoismen wäre das Ende der gemeinsamen europäischen Idee. Vielmehr ist es jetzt an der Zeit, diese aktuell schwierige Situation auch als Chance zu begreifen, gemeinsam mit allen europäischen Partnern aus der Währungsunion endlich auch eine soziale, wirtschaftliche und finanzpolitische Union zu errichten. Wir jedenfalls wollen aus Überzeugung die letzte Alternative.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! So ist es: Herr Kollege Krüger, wenn Europa auf der Tagesordnung steht, ist das Interesse etwas überschaubar.
Ich sage es allgemein. Dass Sie diesen Setzpunkt ausgerechnet in die Mittagspause gelegt haben, ist natürlich ein Problem.
Zu Ihrem Antrag und zu dem, was Sie ausgeführt haben, Herr Krüger: Ich glaube, in zwei Punkten sind wir uns völlig einig. Sie haben die Themen Ausgabenreduzierung bzw. Ausgabenkontrolle und Effizienz genannt. Das ist ganz klar. Jeder, der öffentliche Gelder verwaltet und ausgibt, steht unter dem Diktat der Haushaltsdisziplin. Das gilt auf allen Ebenen, sei es in der Kommune, im Kreis, im Land, im Bund oder auch in der EU.
Aber dann hören schon die Gemeinsamkeiten auf. Denn – das sage ich Ihnen auch gleich – Ihren Antrag können wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht mittragen. Denn das ist schon fast ein Reflex, der immer dann eintritt, wenn das Thema EU-Steuern aufkommt. Dann wird dies in allen Mitgliedstaaten mit Ablehnung beantwortet. In diese Ablehnungsfront stimmen Sie jetzt mit dem vorliegenden Antrag ein.
Mit Verlaub, Ihr Antrag wird der Thematik und der Problematik nicht ansatzweise gerecht. Auslöser der aktuellen Diskussion waren zwei Ereignisse, die ich hier zumindest einmal erwähnen will.
Im August dieses Jahres hatte der EU-Kommissar Lewandowski die EU-Steuer ins Spiel gebracht. Er nannte eine Steuer auf Finanztransaktionen, eine Luftverkehrsabgabe und die Einnahmen aus der Versteigerung von CO2-Emissionsrechten. Das Echo war einhellig. Leo Dautzenberg von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht keinen Handlungsbedarf, das bewährte System der EU-Finanzierung zu ändern. SPD-Fraktionsvize Joachim Poß sieht keinen aktuellen Handlungsbedarf. Der finanzpolitische Sprecher der GRÜNEN Gerhard Schick kann dagegen mit einer Finanztransaktionsteuer leben. Frank Schäffler von der FDP warnt vor einem Dammbruch. Und DIE LINKE spricht von einem Sommertheater.
Aber ich glaube nicht, dass das ein Sommertheater ist. Der Präsident der EU-Kommission Barroso hat vor wenigen Tagen in seiner Mitteilung zur Haushaltsreform die Vorschläge für EU-Steuern präzisiert. Ich glaube, Barrosos Diagnose, dass bisher die Regelungen für den EUHaushalt dazu geführt haben, dass die EU nur langsam auf unvorhergesehene Ereignisse – er nannte Naturkatastrophen, ich nenne auch Finanzmarktkrisen – reagieren kann und eine Vielzahl komplizierter Regelungen die Effizienz und Transparenz des Haushalts verringert hat, teilt hier jeder.
Auch der Feststellung, dass 1988 die Beträge, die ihren Bezugspunkt in dem Bruttonationaleinkommen haben,
10 % des Haushalts darstellten, aber derzeit auf 70 % hochgeschnellt sind – Herr Krüger, Sie nannten 80 % –, was zu bitteren Debatten bei den Nettobeitragszahlern führe, können wir, so glaube ich, alle zustimmen.
Aber an der Folgerung von Barroso, nämlich die Beiträge der Mitgliedstaaten zu verringern, indem man die Mehrwertsteueranteile abschafft und nach und nach eines oder mehrere Eigenmittel einführt, scheiden sich die Geister. Barroso nannte unter anderem eine EU-Gebühr auf Luftverkehr, eine EU-Energiesteuer und eine Steuer auf dem Finanzsektor.
Ich glaube, über eine Finanztransaktionsteuer sollten wir in der Tat einmal nachdenken.
Es gibt Berechnungen, dass bei einem Prozentsatz von nur 0,05 % dies Einnahmen von national 30 Milliarden € und in der EU von 200 Milliarden € generieren würde.
Es mag sein, dass diese Berechnung zu optimistisch ist, aber ich stimme dem EU-Kommissar Lewandowski zu.
Auf die Transaktion, den Umsatz.
Aber da stimme ich dem EU-Kommissar Lewandowski ausdrücklich zu, denn er sagt, die Steuern könnten den EU-Haushalt maßgeblich speisen.
Auch wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, immer dann, wenn das Thema Steuern angesprochen wird, in eine kollektive Schnappatmung verfallen,
sollten Sie, so meine ich, völlig unaufgeregt zumindest das zur Kenntnis nehmen, was zwei namhafte Kollegen Ihres Koalitionspartners zu dem Thema gesagt haben.
Der CDU-Abgeordnete Elmar Brok hält eine EU-Transaktionsteuer unter bestimmten Bedingungen für richtig. So auch der finanzpolitische Sprecher der GRÜNENFraktion im Bundestag, Herr Schick. Das habe ich bereits genannt.
Gerhard Schick von den GRÜNEN.
Interessanterweise hat auch Bundesfinanzminister Schäuble eine sehr bemerkenswerte Feststellung getroffen, nämlich: Für eine europäische Steuer mag es eine Zeit geben. Jetzt ist sie nicht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn nicht jetzt, dann ist die Frage: Wann dann? – Für eine europäische Finanztransaktionsteuer ist es höchste Zeit. Denn aus der Finanzmarktkrise hat die EU – zwar zögerlich, aber immerhin – bereits Konsequenzen gezogen. Neben bisher eingeleiteten Maßnahmen, um die Banken, Versicherungen und den Wertpapierhandel zu regulieren, Hedge fonds und Privat Equity der europäischen Kontrolle zu unterstellen, und den verschärften Kapitalbestimmungen für die Banken braucht die EU auch eine Finanztransaktionsteuer – nicht nur, weil eine solche Steuer die Verursacher der Finanzkrise an den Kosten beteiligt,
sondern auch, weil sie künftigen Krisen vorbeugen kann, da sie Spekulation verteuert.
„Sie setzt“ – so hat es der SPD-Europaabgeordnete und Sprecher für Wirtschaft und Währung im Europaparlament Dr. Udo Bullmann zutreffend ausgeführt – „bei den Finanzjongleuren an, die mithilfe von Computerprogrammen täglich Abermilliarden Euro um den Globus jagen.“ Für den Durchschnittsverbraucher falle eine solche Steuer dagegen nicht groß ins Gewicht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, oder sollten nach Ihrer Meinung auch in Zukunft die Steuerzahler den Kopf hinhalten, wenn es darum geht, das wieder geradezurücken, was die Finanzakrobaten auf den Finanzmärkten angerichtet haben?
Ich möchte noch auf einen anderen Sachzusammenhang hinweisen. Art. 269 der Römischen Verträge regelt, dass der EU-Haushalt ausschließlich aus Eigenmitteln zu finanzieren ist. Neben den traditionellen Eigenmitteln wie Zöllen, Zuckerabgaben, dem Mehrwertsteueranteil und dem Anteil am Bruttonationaleinkommen, die über 70 % der EU-Einnahmen ausmachen, gehören zu den Eigenmitteln auch EU-Steuern, denen freilich alle Mitgliedstaaten zustimmen müssen.
Nun kann man sagen, dass dies bereits vor 50 Jahren so festgelegt wurde, 1957 in den Römischen Verträgen, und bisher nicht zum Tragen gekommen ist. Aber diese Vorschrift steht wortgleich in Art. 311 des Vertrags von Lissabon. Das besagt, auch der Lissabonner Vertrag lässt die Möglichkeit von EU-Steuern zu. Insoweit greift übrigens Punkt 2 Ihres Antrags zu kurz, der suggeriert, es gebe nur in den Mitgliedstaaten eine Steuerkompetenz.
Was nicht geht, ist, sich für den Lissabonner Vertrag feiern zu lassen und, wenn es um die Umsetzung einer Option geht, die dieser Vertrag ausdrücklich zulässt, so zu tun, als sei diese Möglichkeit Teufelszeug.
Was spricht dagegen, die Beiträge der Mitgliedstaaten zu verringern und sie auf der anderen Seite durch eine Finanztransaktionsteuer zu ersetzen? Wir glauben, es wäre des Schweißes der Edlen wert, sich hierüber intensiv Gedanken zu machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, mit Ihrer Mehrheit können Sie Ihren Antrag durchwinken. Es bleibt aber eine sehr schwierige Aufgabe in diesen finanzpolitisch bewegten Zeiten zu bewältigen. Dies wird noch ungleich größere Anstrengungen erfordern, als solch einen dünnen, populistischen Antrag zu formulieren. Wir lehnen diesen deshalb ab.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Meine Fraktion freut es sehr, dass wir fraktionsübergreifend einen Konsens des Hauses über eine Partnerregion in der Türkei gesucht und gefunden haben. Denn ich glaube – auch hierin sind wir uns sicherlich einig –, dass es der Sache nur geschadet hätte, wenn die Suche nach einer Partnerregion in einem parteipolitischen Streit geendet hätte.
Herr Staatsminister Hahn,die Mitglieder meiner Fraktion unterstützen Sie auch darin,dass Sie,wie Sie in Ihrer Pressekonferenz ausgeführt haben, in der Kooperation mit Bursa eine Etappe auf dem Weg zur Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union sehen. Dass dieser Weg nicht einfach sein wird,haben uns nicht zuletzt die diversen Gespräche deutlich gemacht, die wir auf unserer Delegationsreise im Juli dieses Jahres geführt haben.
Offene Fragen sind aber dazu da,dass man Antworten auf sie findet.
Ich bin mir sicher – da bin ich bei meinem Kollegen Ismail Tipi –, dass wir mit der Auswahl der Region Bursa die richtige Entscheidung getroffen haben. Dieser Meinung bin ich nicht zuletzt deshalb, weil die Stadt Darmstadt bereits seit 40 Jahren eine Partnerschaft mit der Stadt Bursa pflegt und erfolgreich lebt.
Wenn ich das richtig sehe, ist Hessen das erste deutsche Flächenland, das eine Partnerschaft mit einer türkischen Region eingeht. Darauf können wir stolz sein.
Es wird natürlich von deutscher wie von türkischer Seite genau beobachtet werden, wie sich diese Partnerschaft entwickelt. Mit unserem gemeinsamen Antrag machen wir deutlich, dass das gesamte Haus diese Partnerschaft will. Jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Den ersten Schritt machen wir heute gemeinsam. Auch ist uns allen klar, dass das, was protokollarisch durch die Landesregie
rung oder den Bundespräsidenten besiegelt werden wird, mit Leben und Aktivitäten erfüllt werden muss. Es genügt nicht, dass Regierung und Parlament etwas beschließen – nein, solche Beschlüsse können nur Basis von Partnerschaften sein.
Ich begrüße es ausdrücklich, dass in unserem gemeinsamen Antrag auch darauf hingewiesen wird, dass unsere Partnerschaft als Beitrag zur Verständigung von Hessen und der Türkei sowie der besseren Integration der 180.000 Menschen mit türkischstämmigen Wurzeln, die in Hessen leben, verstanden werden soll.
Wenn unsere Partnerschaft zum Abbau von Vorurteilen, zur Akzeptanz einer anderen Kultur und anderen Lebensentwürfen,wie dies in unserer Begründung steht,beitragen würde, dann wäre dies ein großer Erfolg. Aber es funktioniert nur, wenn Menschen aus Hessen – aus Vereinen,Verbänden, Unternehmen, Hochschulen und Instituten oder einfach Privatpersonen – mit Menschen in Bursa zusammenkommen.
So hoffen wir, dass möglichst viele Menschen aus Hessen und Bursa diese Chance des Kontaktes nutzen werden. Wenn viele so in Kontakt mit anderen treten – auch da stimme ich dem Kollegen Ismail Tipi zu –, wird es am Ende des Tages sicherlich auch eine direkte Fluglinie von Frankfurt nach Bursa und nicht nur von München aus geben. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In dem Redebeitrag von Herrn Krüger habe ich sehr viel über den Lissabon-Vertrag gehört, aber wenig über den zweiten Teil, Hessens Zukunft in Europa. Aber das können wir vielleicht an einer anderen Stelle wiederholen.
Wir wissen, dass wir bei den europäischen Themen einen Hessenbezug finden müssen. Insofern war die Überschrift vielleicht gar nicht unklug gewählt.
Letzte Woche hatten wir eigentlich darauf gewettet, dass die Landesregierung, die sonst jede passende und unpassende Gelegenheit zu einer Regierungserklärung nutzt,
die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Lissabon zum Anlass nimmt, uns in einer Regierungserklärung ihre Sicht der Dinge darzulegen.
Wir hätten die Wette verloren. Aber wenigstens im Rahmen einer Aktuellen Stunde kann der Vertrag von Lissabon politisch bewertet werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es war schon eine seltsame Interessengemeinschaft, die vor das Bundesverfassungsgericht gezogen ist,
um den Vertrag von Lissabon zu kippen: auf der einen Seite Herr Gauweiler von der CSU, auf der anderen Seite die Bundestagsfraktion der LINKEN.
Es einte sie die Absicht, den Vertrag von Lissabon durch das Bundesverfassungsgericht zu Fall zu bringen. Dies ist zum Glück nicht erfolgt.
So haben das sogenannte Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon und auch das das Grundgesetz ändernde Gesetz der Bewertung durch das oberste Verfassungsgericht standgehalten. Deshalb begrüßt unsere Fraktion diese Gerichtsentscheidung. Was nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist, ist das sogenannte Begleitgesetz, soweit dem Bundesrat und dem Bundestag keine ausreichenden Beteiligungsrechte im europäischen Rechtssetzungs- und Vertragsänderungsverfahren eingeräumt werden. Das ist noch zu heilen. Dass der Bundestag bis kurz vor Ende seiner Wahlzeit noch einmal die vom Verfassungsgericht monierten Defizite beseitigen, also nachsitzen muss, ist vielleicht für den einen oder anderen ärgerlich, aber nicht zu vermeiden, wenn man den Zeitplan, bis Ende des Jahres mit der Ratifizierung in allen Staaten durch zu sein, nicht gefährden will.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, für uns in Hessen ist aber zweierlei wichtig. Erstens hat das Bundesverfassungsgericht den Grundsatz der Europarechtsfreundlichkeit definiert. Das bedeutet, dass das Bundesverfassungsgericht aus dem Grundgesetz die Option herleitet, dass Deutschland sich in eine internationale, insbesondere in eine europäische Friedensordnung einfügen kann.
Zweitens. Das ist für uns Parlamentarier von großer Bedeutung: Das Bundesverfassungsgericht hat in wesentlichen Politikbereichen, die Herr Kollege Krüger alle aufgeführt hat, einen Vorbehalt der parlamentarischen Entscheidung festgeschrieben. Es hat in der Tat ein Drehbuch hierfür definiert. „Parlament sticht Regierung in diesen Bereichen“, könnte man es, wie bei einem Kartenspiel verkürzt ausdrücken.
Daraus ergeben sich zwei Fragen. Muss nicht unter dem Eindruck dieser Bundesverfassungsgerichtsentscheidung das Gewichtsverhältnis zwischen Parlament und Regierung neu austariert werden, wenn es um europarelevante Themen geht?
Bezogen auf Hessen schließt sich eine zweite Frage an, wenn man die erste Frage positiv beantwortet: Wäre es unter dem Eindruck der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung nicht ratsam, noch einmal darüber nachzudenken, inwieweit der Hessische Landtag in einem noch größeren Maße in die europaspezifischen Dinge eingebunden wird,die sich zwischen Brüssel,Berlin und Wiesbaden abspielen?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten in der nächsten Zeit sehr genau hinhören, was die Fachdiskussion uns hierzu an neuen Erkenntnissen bringt, damit wir sie in den Hessischen Landtag einfließen lassen können.
Ich gebe Herrn Krüger recht:Der 30.Juni dieses Jahres,an dem das Bundesverfassungsgericht zu dem Vertrag von Lissabon Stellung bezogen hat, war ein guter Tag für Europa, aber auch ein guter Tag für die parlamentarische Demokratie.Eigentlich wäre dieser Anlass vielleicht doch eine Regierungserklärung wert gewesen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.