Protokoll der Sitzung vom 01.02.2011

Meine Damen und Herren, das Zusammenwachsen der weltweiten Märkte birgt große Chancen für eine export orientierte Wirtschaft wie die unsere. Es ist allerdings meine feste Überzeugung – lassen Sie mich auch diesen Punkt ansprechen –, dass es eben nicht mehr nur um Exporte geht, sondern dass der Ausfuhr im zweiten Schritt auch Investitionen in den Auslandsmärkten folgen müssen. Dabei geht es nicht um niedrigere Arbeitskosten und schon gar nicht um den Export von Arbeitsplätzen, sondern es geht um Marktnähe, es geht um den Aufbau von Vertriebsstrukturen in anderen Ländern, es geht um Vorteile bei den Transportkosten, um die Überwindung von Handelshemmnissen wie Importquoten, Einfuhrzölle und Wechselkursrisiken. All das lässt sich mit Investitionen in den Zielmärkten überwinden oder minimieren.

Meine Damen und Herren, ich bin mir der Problematik dieser Aussage bewusst, weil natürlich landläufig sehr schnell der Eindruck entstehen kann, man würde damit auch Arbeitsplätze exportieren. Dies ist nicht unsere Absicht; ich sage das ausdrücklich. Deswegen sage ich noch einmal, welches nach unseren Erfahrungen die Kriterien sind, warum auch mittelständische Unternehmen in diese Länder gehen: Es geht um Marktnähe, es geht um den Aufbau von Vertriebsstrukturen. Gerade kleine und mittlere Unternehmen brauchen Vertriebsstrukturen in diesen Ländern. Deswegen glaube ich sagen zu können: Mit Investitionen im Ausland sichern hessische Unternehmen ihren Wettbewerbserfolg – und damit sichern sie letztendlich auch heimische Arbeitsplätze bei uns in Hessen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wer auch im Ausland wächst – dabei liegt die Betonung auf „auch“ –, sichert Arbeitsplätze in Hessen, und zwar dauerhaft. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich immer mehr Mittelständler auch mit dieser Frage auseinandersetzen müssen; denn das internationale Geschäft ist nicht alleinige Domäne der großen Konzerne.

Deshalb fördert Hessen nicht nur eine Ausweitung des Handels mit internationalen Partnern, sondern auch eine Sicherung der Exportmärkte mit Investitionen. Wir haben deshalb die Gründungs- und Wachstumsfinanzierung, ein sehr erfolgreiches Produkt der Wirtschafts- und Infra strukturbank, ausgedehnt auf Investitionen und Betriebsmittelfinanzierungen außerhalb Hessens – vorausgesetzt,

diese Maßnahmen dienen der Sicherung hessischer Arbeitsplätze.

Hessische Firmen beim Schritt über die Grenzen zu unterstützen, auch das sage ich, kann aber nicht alleinige Aufgabe des Staates sein. Ich bin der Ansicht, dass die Wirtschaft als Ganzes dies im eigenen Interesse als ihre Aufgabe begreifen muss. Wenn ein großes Unternehmen seinen heimischen Lieferanten bei der Etablierung im Ausland mit Rat und Informationen hilft, dann profitieren davon letztendlich beide, auch das Unternehmen, das dort bereits existiert und beispielsweise Zulieferbetriebe ani miert, diesen Schritt ebenfalls zu gehen.

Die Kunden in aller Welt fragen zunehmend nach Komplettlösungen; deshalb ist der Export gut eingespielter Wertschöpfungsketten ein aussichtsreiches Geschäftsmodell.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, ich werbe deshalb für das Prinzip „huckepack“, damit mehr mittelständische Unternehmen von den Erfahrungen großer Firmen im Auslandsgeschäft lernen.

Sie wissen, dass ich vor gar nicht allzu langer Zeit mit insgesamt 52 Vertretern eine Delegationsreise nach Brasilien durchgeführt habe. Dort haben wir – der eine oder andere war mit dabei – in den Niederlassungen von B. Braun Melsungen in Rio de Janeiro oder der Messer-Gruppe in São Paulo hervorragende Informationen der dortigen Geschäftsführer Otto Philipp Braun und Stefan Messer gehört, die über ihre Geschäftserfahrungen in Brasilien berichtet haben. Dort ist uns zugesagt worden, dass andere Unternehmen, die diesen Schritt gehen wollen, die entsprechende Unterstützung bekommen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, profitieren können wir auch von ausländischen Unternehmen mit Niederlassungen in Hessen. Es geht also nicht nur darum, im Ausland aktiv zu werden, sondern wir wollen auch diejenigen ausländischen Unternehmen mit einbeziehen, die Niederlassungen in Hessen haben. Sie können als Türöffner zu ihren jeweiligen Heimatländern dienen. Deshalb laden wir sie zu den entsprechenden Delegationsreisen ein.

Einbeziehen möchten wir auch Bürger jener Länder, die in Hessen studiert oder gearbeitet haben und dann in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Sie können nicht nur interkulturelle Mittler sein, sondern sie stellen auch ein interessantes Fachkräftereservoir für Auslandsniederlassungen hessischer Firmen dar.

Lassen Sie mich an einem Beispiel, das mich persönlich sehr beeindruckt hat, deutlich machen, dass wir damit ganz früh anfangen. Wir waren in Rio de Janeiro in einer deutschen Schule. In dieser deutschen Schule fand gerade die Abiturfeier statt. Dort wurde mitgeteilt, dass 80 % der dortigen Abiturienten anschließend zu einem Studium nach Deutschland gingen. Ich glaube, das ist ein sehr gutes Beispiel, um zu zeigen, wie Internationalität gepflegt werden kann und wie das, was die deutsche Wirtschaft verankern kann, in diesen Ländern publiziert werden kann. Diese Zusammenarbeit halte ich für äußerst wichtig.

Meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, Sie haben in Ihrem Antrag das Thema Kooperation mit den Hochschulen angesprochen. Ja, vor gar nicht allzu lan

ger Zeit war ich mit Vertretern der Universität Kassel unterwegs, um genau die Kooperation auf Hochschul ebene anzusprechen und Angebote zu unterbreiten

(Dr. Walter Arnold (CDU): Das gibt es auch!)

das gibt es schon –, ausländisches Personal zusätzlich zu qualifizieren.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, so, wie wir regionale Schwerpunkte setzen, müssen wir uns auch auf die Branchen konzentrieren, in denen Hessen gut ist und deren Produkte und Dienstleistungen in den aufstrebenden Schwellenländern gebraucht werden.

Wer vor 15 oder 20 Jahren in einem dieser Länder war und heute wieder hinkommt, wird feststellen, dass sich die Ausgangssituation in diesen Ländern völlig verändert hat. Vor 15, 20 Jahren wurde gefragt: Habt ihr ein Bauunternehmen dabei, das uns eine Straße bauen kann? – Heute wird danach nicht mehr gefragt. Das sind alles Dinge, die diese Länder selbst können. Es ist Hightech gefragt, es sind moderne Dienstleistungen gefragt, und es ist technisches Know-how made in Germany gefragt. Ausschließlich mit diesen Spezialitäten können wir in diesen Ländern punkten.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Wenn ich sage: „Wir müssen uns auf Branchen konzentrieren“, dann sind das die Sektoren Infrastruktur, Mobilität, Logistik, Industrie, Hochtechnologie, Umweltschutz, Energieeffizienz sowie Finanzdienstleistungen.

Der Bereich Finanzdienstleistungen ist von zentraler Bedeutung für unsere Wirtschaftskraft. Mit Frankfurt beherbergt Hessen den wichtigsten Finanzplatz der Eurozone. So kommt es, dass wir eine Kooperation zwischen dem Finanzplatz Frankfurt und dem künftigen Finanzplatz Moskau unterstützen, weil wir auf diese Art und Weise Hilfestellung geben wollen.

Bei dieser Reise war auch die Deutsche Börse dabei, die in Kooperation mit der Börse in São Paulo ihre Aktivitäten entfaltet. Auch dieser Finanzplatz muss in die außenwirtschaftlichen Beziehungen einbezogen werden.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

In sich entwickelnden Volkswirtschaften wächst der Bedarf an Informations- und Kommunikationstechnologie explosionsartig. Auch dort gehört Hessen zu den ersten Adressen.

Eine dritte Schwerpunktbildung orientiert sich – ich habe es angesprochen – an der Unternehmensstruktur. Unsere Aufmerksamkeit gilt ganz klar den kleinen und mittleren Unternehmen; denn die großen sind ohnehin schon im Ausland vertreten. Auch deshalb werden wir die monetären Förderangebote der Wirtschafts- und Infrastrukturbank für den Mittelstand ausweiten. Die kleinen und mittleren Unternehmen sind es, die in Hessen Arbeitsplätze sichern und mit ihren Innovationen die Wettbewerbsfähigkeit stützen. Damit sie das auch in Zukunft tun können, ist die Internationalisierung auch für kleine und mittlere Unternehmen unerlässlich. Ich weiß, dass in diesem Bereich Überzeugungsarbeit geleistet werden muss. Aber der Prozess hat bereits begonnen. 40 % der mittelständischen Unternehmen in Hessen unterhalten bereits Geschäftsbeziehungen ins Ausland. Dies wollen wir weiter verstärken.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Doch kleine und mittlere Unternehmen verfügen häufig eben nicht über internationale Vertriebsnetzwerke. Sie sind oft mit Hürden beim Markteintritt im Ausland konfrontiert. Wir leisten deshalb unseren Beitrag, damit diese Barrieren abgebaut werden können. Deswegen wiederhole ich: Wir haben die Gründungs- und Wachstumsfinanzierungen erweitert, und zwar um zwei Instrumente. Es gibt auch für Investitionen und Betriebsmittelfinanzierungen außerhalb des Landes Hessen Unterstützung. Voraussetzung ist, dass dies die Arbeitsplätze bei uns in Hessen sichert.

Meine Damen und Herren, Außenwirtschaftspolitik reicht nach meiner festen Überzeugung über die klassischen Mittel der unmittelbaren Wirtschaftsförderung hinaus. Außenwirtschaft und Entwicklungszusammenarbeit können sich gegenseitig befruchten. Hessen hat von jeher ihre enge Verzahnung praktiziert. Investitionen in den Privatsektor stärken die Zivilgesellschaft und fördern die Entwicklung. Die Ausweitung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit unterstützt den Aufbau rechtsstaatlicher und marktwirtschaftlicher Strukturen in den Entwicklungsländern. Sie bereitet den Boden, um Aspekte wie Demokratie und Menschenrechte zu thematisieren.

Die wirtschaftlichen Aspekte habe ich in erster Linie unter wirtschaftspolitischen Aspekten dargestellt. Aber es ist völlig unstreitig, dass wir mit außenwirtschaftlichen Kontakten auch politische Veränderungen bewirken und Überzeugungsarbeit leisten wollen, die hin zu mehr Demokratie und zur Sicherung von Menschenrechten in diesen Ländern führen sollen. Es ist eine selbstverständliche Aufgabe, dass wir dies tun. Derjenige, der mit uns unterwegs war, weiß, dass dies Themen sind, die wir in diesen Ländern immer ansprechen. Wir fühlen uns dieser Aufgabe verpflichtet und werden das selbstverständlich bei sämtlichen Delegationsreisen tun.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir eine stärkere Nutzung der Förderangebote des Bundes durch hessische Unternehmen wollen und dies ein wichtiges Anliegen für uns ist, dann haben die KfW und die GIZ eine ganz, ganz wichtige Bedeutung. Ich darf mich an dieser Stelle beim Entwicklungshilfeminister Niebel recht herzlich für die Kooperation bedanken, der in intensiver Diskussion mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Jörg-Uwe Hahn dafür gesorgt hat, dass die GIZ bei uns in Hessen nach wie vor zu Hause ist – eine wichtige, positive Entscheidung.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich sehe da gar keinen Dissens. Ich will das nur bestätigen. Meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, wenn Sie eine Außenwirtschaftsstrategie fordern, die die Zusammenarbeit mit der GIZ sicherstellt, dann kann ich Ihnen sagen: Dies geschieht bereits. Denn wir befinden uns in intensiven Diskussionen mit der GIZ. Wir sind da der gleichen Überzeugung.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Richtig!)

Lassen Sie mich ein gutes Beispiel unseres entwicklungspolitischen Engagements nennen. Es ist die Zusammenarbeit mit Vietnam. Der von Hessen initiierte Aufbau der Vietnamesisch-Deutschen Universität in Ho-Chi-MinhStadt verbessert nicht nur die Qualifizierung vietnamesischer Fach- und Führungskräfte und stärkt damit die Entwicklungsprozesse dieses Landes in Südostasien. Dieses

Projekt wie auch die Zusammenarbeit in den Bereichen Berufsbildung und Technologie erleichtern hessischen Unternehmen die Ausweitung ihrer Geschäftstätigkeit in Vietnam und die Rekrutierung qualifizierten Personals.

Lassen Sie mich noch einen Aspekt ansprechen. Die Sicherung und die Steigerung der Attraktivität Hessens für Auslandsinvestoren stehen im Mittelpunkt des Standortmarketings. Im Fokus stehen dabei die Länder, die schon jetzt die größten Investitionen in Hessen halten, also unsere Partner in der Europäischen Union und die USA.

Aber auch Schwellenländer werben um Investitionen – seien es solche, die schon hier engagiert sind, wie etwa Korea, seien es solche, die noch Potenzial bieten, wie China und Indien. In Kooperation mit der Hessen-Agentur werden wir diesen Aspekt weiter vorantreiben.

Mit Aktivitäten zum Hessen-Marketing unterstreichen wir, dass man in Hessen nicht nur geschäftliche Erfolge erzielen, sondern auch gut leben kann. Attraktive Städte, lebendige Gemeinden in den ländlichen Regionen, vielfältige kulturelle Angebote und interessante Freizeitmöglichkeiten sind auch für ausländische Unternehmer und Fach- und Führungskräfte in internationalen Unternehmen immer eine wichtige Standortfrage. Insofern gilt für ausländische Investoren nichts anderes als für inländische Investoren. Die Frage nach Bildungsangeboten an allen Standorten, die in Betracht kommen, spielt für inländische wie für ausländische Investoren die gleiche Rolle.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, um unsere Strategie fortlaufend nachzujustieren und zu verbessern, werden alle Aktivitäten, die ich genannt habe, kontinuierlich überprüft und evaluiert.

Wie bereits ausgeführt, ist auch der europäische Binnenmarkt ein wichtiges Thema der Außenwirtschaft. Ich habe von den 60 % der hessischen Exporte dorthin gesprochen. Dabei geht es vor allem um die Vermittlung von Geschäftspartnern. Dafür haben wir das Enterprise Europe Network, EEN, geschaffen. Es soll hessischen Unternehmen das Knüpfen neuer Kontakte erleichtern.

Wir haben die Zusammenarbeit aller außenwirtschaftlichen Akteure in Unternehmen, Kammern und Verbänden verbessert und in einer Vereinbarung festgelegt. Zudem haben wir einen Beirat für Standortmarketing und Außenwirtschaft als Plattform für Information und Koordination gebildet. Damit wollen wir Doppelarbeit vermeiden, Aktivitäten besser abstimmen und unser Förderinstrumentarium stetig weiterentwickeln. Mit unseren Partnern in der Wirtschaft sind wir uns einig, dass dies der beste Weg ist.

Ich komme zum Fazit. Hessens Wirtschaft ist auf die Herausforderungen der weiteren Internationalisierung gut vorbereitet. Die aktuelle weltwirtschaftliche Situation bietet große Chancen für hessische Unternehmen, die mit hervorragenden Produkten und Dienstleistungen ihre Märkte im Ausland entwickeln.

Wir setzen auf Konzentration, Kontinuität und Nachhaltigkeit. Gemeinsam mit der Wirtschaft haben wir Schwerpunktbranchen und -themen ausgewählt.

Lassen Sie mich zu der eingangs erwähnten Zahl zurückkommen. Ja, im Moment haben wir gute Zahlen, was das Bruttoinlandsprodukt anbelangt. Aber es darf nicht vergessen werden: Diese Zahlen sind darauf zurückzuführen, dass wir bei den Investitionen Nachholbedarfe hatten. Es

wird darauf ankommen, in Zukunft mit innovativen Produkten auch im Auslandsmarkt Exporte zu fördern und gleichzeitig dort zu produzieren.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss auf jemanden zu sprechen kommen, der für mich persönlich sehr maßgebend war, die Außenwirtschaftsförderung derart in den Fokus zu stellen. Das ist Heinz Herbert Karry. Als der frühere hessische Wirtschaftsminister im Jahr 1971 eine Wirtschaftsdelegation aus damals „Rotchina“ einlud, wurde er von vielen belächelt. Die folgenden Jahre haben ihm dann sehr schnell recht gegeben. Die Weitsicht Heinz Herbert Karrys ist für uns Beispiel und Ansporn, unsere Außenwirtschaftsförderung auf die Chancen und Potenziale der Zukunft auszurichten. Gerade die aktuelle Situation macht es deutlicher denn je: Dies wird in Zukunft ein Schwerpunkt der hessischen Wirtschaftspolitik insgesamt sein. – Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.