Protokoll der Sitzung vom 01.02.2011

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss auf jemanden zu sprechen kommen, der für mich persönlich sehr maßgebend war, die Außenwirtschaftsförderung derart in den Fokus zu stellen. Das ist Heinz Herbert Karry. Als der frühere hessische Wirtschaftsminister im Jahr 1971 eine Wirtschaftsdelegation aus damals „Rotchina“ einlud, wurde er von vielen belächelt. Die folgenden Jahre haben ihm dann sehr schnell recht gegeben. Die Weitsicht Heinz Herbert Karrys ist für uns Beispiel und Ansporn, unsere Außenwirtschaftsförderung auf die Chancen und Potenziale der Zukunft auszurichten. Gerade die aktuelle Situation macht es deutlicher denn je: Dies wird in Zukunft ein Schwerpunkt der hessischen Wirtschaftspolitik insgesamt sein. – Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abg. Siebel für die Fraktion der SPD.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Staatsminister Posch, ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie diese Regierungserklärung abgegeben haben, und zwar aus mehreren Gründen.

Erstens. Die SPD-Landtagsfraktion hat Anfang des Jahres eine Positionsbestimmung zum Thema „Verantwortung für Hessen heißt Verantwortung für die globale Entwicklung“ entworfen und der Öffentlichkeit vorgestellt. Mit dieser Regierungserklärung eröffnen Sie uns die Möglichkeit, weiter mit Ihnen in einen Dialog zu treten und unsere Vorstellungen dazu zu akzentuieren.

Zweitens. Ich möchte das nochmals unterstreichen: Wir reden hier über ein Thema, bei dem in der Tat die Gemeinsamkeiten herausgearbeitet werden müssen. Denn das, was Außenwirtschaftspolitik – ich darf ergänzen: Außenwissenschaftspolitik, aber auch Entwicklungszusammenarbeit – bedeutet, muss auf lange Zeiträume angelegt sein, nicht auf die kurzen Zeiträume der Amtsperiode eines Ministers oder einer Regierung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Drittens. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es verwundert mich ein bisschen, dass Sie das nicht erwähnt haben: Momentan sind wir in der öffentlichen Diskussion mit einer Entwicklung in Nordafrika, im Maghreb, konfrontiert, mit Ausschreitungen und Auseinandersetzungen in Tunesien und Ägypten. Dass wir das heute Tag für Tag in den Medien miterleben müssen, zeigt doch, dass es bei dem, was wir in diesen Ländern besorgen wollen, um mehr geht als nur um Außenwirtschaftspolitik.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei den internationalen Kontakten geht es um Aktivitäten unseres Landes, und es geht auch darum, dort für Menschenrechte und Demokratie zu streiten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Mit der Unterzeichnung der Millenniumserklärung der Vereinten Nationen hat die Bundesrepublik Deutschland für die Länder eine höhere Verantwortung entwickelt und definiert. Die Ziele der Erklärung sind eine Verpflichtung für die Entwicklungszusammenarbeit der Länder.

Für uns ist die Verwirklichung der Menschenrechte unabdingbar. Armut kann nur bekämpft werden, wenn Menschenrechte und Demokratie verwirklicht werden, wenn – das sehen wir gerade jetzt in Tunesien und Ägypten – Pressefreiheit herrscht und die Gleichstellung von Mann und Frau vorangebracht wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb will ich auf eine ganz zentrale unterschiedliche Akzentuierung in der Außenwirtschaftsstrategie kommen. Nach unserer Auffassung müssen die bisher getrennt gedachten Felder von Außenwirtschaft mit Außenwissenschaftspolitik, mit einer Außenbildungspolitik und hauptsächlich mit Entwicklungszusammenarbeit zusammengedacht werden. Diese vier Bereiche kommen nur dann zu einer guten Entfaltung, wenn sie ineinander verschränkt gesehen und nicht nach Ministeriumsgrenzen auseinanderdividiert werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Walter Arnold (CDU): Das wird auch nicht gemacht!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, den Fokus auf die Außenwirtschaft zu legen wird der Verantwortung unseres Landes nicht gerecht. Deshalb bitte ich Sie sehr eindringlich, auch zwischen den Kabinettskollegen darüber noch einmal nachzudenken.

Ich will das konkretisieren. Für uns ist es unstrittig, dass wirtschaftliche und wissenschaftliche Beziehungen schon immer den Austausch zwischen den Kulturen geprägt haben – gerade in einem Land wie Hessen mit seinen hervorragenden internationalen logistischen Voraussetzungen; Stichwort: Frankfurt Flughafen; mit dem hohen technologischen Entwicklungsstand, dem hohen Grad an Internationalisierung gerade im Rhein-Main-Gebiet und auch, das gilt insbesondere für Hessen, mit seiner weltoffenen Tradition.

Hessen als Land in der Mitte Deutschlands kann auf eine positive Außenhandelsbilanz blicken, die von einem gesunden Mix aus großen und auch mittelständischen Unternehmen getragen wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will es noch einmal hervorheben: Die Ressourcen auch der Reichtumsentwicklung in unserem Land können wir nur dann optimal zur Entfaltung bringen, wenn wir Außenwirtschaft, Wissenschaft, Bildung und Entwicklungszusammenarbeit zusammendenken. Wir wollen deshalb mit unserer Orientierung, dies gemeinsam zu sehen, einen Akzent setzen. Ich glaube, wenn Sie sich das zu eigen machen könnten, wäre das ein einmaliger Akzent in der Bundesrepublik. Ich kenne bisher kein Land, das sich auf den Weg gemacht hat, die Verknüpfung tatsächlich hinzubekommen.

Für uns ist Außenwirtschaft nicht nur die Öffnung und Entwicklung neuer Märkte für hessische Firmen und die Entwicklungszusammenarbeit nicht nur die Hilfe für arme Länder. Wir verfolgen mit unserem integralen Ansatz die Zusammenführung. Ich will das an sechs Punkten akzentuieren.

Erstens. Für uns gehört dazu die Verwirklichung von Menschenrechten und demokratischer Teilhabe.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens gehört dazu eine Neuorientierung der Außenwirtschaftsstrategie des Landes Hessen auf Schwerpunktcluster und auf definierte Regionen – ich komme da auch zu den Unterschieden zwischen dem, was Sie gesagt haben, und unserer Position.

Drittens geht es um die Förderung von Bildung – Bildung für Nachhaltigkeit –,

viertens um die Einbindung der Außenwirtschaft in die Ziele einer auf erneuerbare Energien angelegten Wirtschaftspolitik.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will zu dem Punkt einen kleinen Exkurs wagen. Wir haben in unserem Land in großem Maße Firmen, die im Bereich erneuerbare Energien international unterwegs sind. Ich glaube, dass es nicht nur vor dem Hintergrund der Wertschöpfung in unserem Land notwendig ist, gerade dieses Thema verstärkt zu akzentuieren, sondern auch, weil wir etwas beitragen können zur Entwicklung der Versorgung mit Energie und beispielsweise beim Wasserbau gerade in Ländern, die auf diese Technologien angewiesen sind, wo wir gesellschaftlichen Reichtum schaffen, wenn wir zu Technologietransfer in diesem guten Sinne beitragen können.

(Beifall bei der SPD)

Fünftens. Mit dazu gehört die Förderung außenwissenschaftlicher Kooperationen, insbesondere mit den Hochschulen. Dazu komme ich gleich noch einmal.

Sechstens – es ist schade, dass Sie es vergessen oder nicht ausreichend akzentuiert haben – geht es um die Unterstützung ehrenamtlicher Strukturen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein ganz wesentlicher Teil dessen, was wir gerade in Hessen an entwicklungspolitischer Zusammenarbeit machen, wird von ehrenamtlichen Strukturen getragen, von dem Engagement der Menschen, die in diesem Bereich arbeiten. Ich finde, dass ein Stück mehr an Koordination, auch durch die Landesregierung, dringend geboten wäre, auch vor dem Hintergrund, dass Sie es für die Außenwirtschaft so akzentuieren.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese sechs Punkte sind der Kerngedanke dessen, was wir in dem Begleitantrag niedergelegt haben. Wir sind übrigens ganz klar mit Ihnen der Auffassung, dass Außenwirtschaft sich auf Schwellenländer beziehen muss. Das ist völlig unumstritten. Wir brauchen keine von Landesseite her moderierte und unterstützte Außenwirtschaftspolitik für Bereiche, in denen sich Unternehmen ohne Zugangsprobleme bewegen können. Aber ich glaube, dass es falsch ist, dies so, wie Sie es zum Ausdruck gebracht haben, ausschließlich auf große Märkte zu beziehen.

Herr Staatsminister Posch, vor dem Hintergrund dieser Logik müssten Sie, was die Größe des Marktes und übrigens auch die Wachstumserwartungen angeht, Ihre Aktivitäten in Nordafrika, d. h. in Algerien und Marokko, einstellen. Denn die Wachstumserwartungen in Marokko liegen, einmal bereinigt um die Weltwirtschaftskrise, bei „nur“ 5 %, und es handelt sich, auch wiederum bereinigt, um einen relativ kleinen Markt.

Frau Staatsministerin, vor diesem Hintergrund müssten wir auch sofort die Aktivitäten der vietnamesisch-deut

schen Hochschule einstellen, weil der Markt Vietnam keine Wachstumserwartungen hat, von denen bei großen und starken Märkten auszugehen ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, dass das Gegenteil richtig ist. Es geht um Schwellenländer, aber es geht auch darum, dass wir gerade in Ländern, die nicht die großen Länder der wirtschaftlichen Entwicklung sind, von Hessen aus Akzente setzen. Deshalb halte ich es für richtig, in Vietnam mit der deutsch-vietnamesischen Hochschule einen Akzent zu setzen. Ich halte es für richtig, im Bereich der regenerativen Energien im Maghreb aktiv zu sein.

(Beifall bei der SPD)

Nicht die Größe ist entscheidend, sondern die Aussichten auf Erfolg, wie die vier Elemente optimal zusammenpassen.

Herr Minister Posch, Sie haben – ich halte das für richtig – einen deutlichen Unterschied gemacht zwischen der Unterstützung von großen Unternehmen und mittelständischen Unternehmen. Dahinter steckt viel Wahrheit, weil natürlich die großen Unternehmen durch ihre eigenen internationalen Abteilungen und Kontakte in einem ganz anderen Maß in Schwellenländern agieren können, als das bei mittelständischen Unternehmen der Fall ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, um auch dies in einem bestimmten Teilsegment zu unterlegen, ist deshalb das, was die SPD-Fraktion als eigenes Mittelstandsförderungsgesetz vorgelegt hat, ein Baustein, genau dem zu entsprechen, was wir immer wieder sagen. Das Mittelstandsgesetz – daran sehen Sie, dass das ein Gesamtbild ist, das wir für dieses Land entwerfen wollen – ist ein Teil davon, dass Mittelständler, die auch im Ausland unterwegs sein wollen, gefördert und unterstützt werden. Das ist wichtig, und das muss nachhaltig weiterentwickelt werden.

Deshalb seien Sie nicht so reserviert gegenüber dem Mittelstandsgesetz. Vielleicht ist das einmal mehr ein Argument, zu sagen: Guck mal, da haben die Sozen etwas entwickelt, was für die Gesamtentwicklung des Landes gar nicht so falsch ist.

(Beifall bei der SPD)

Herr Staatsminister, Sie haben in Ihrer Rede auch von den Schwerpunkten gesprochen, von denen Sie sagen, dass sie von Bedeutung sind. Ich will mich darauf beziehen, und ich möchte gerne das Thema der Clusterorganisation aufgreifen. Ich halte es für richtig, dass wir für Hessen Zukunftscluster identifizieren und dass wir diese identifizierten Zukunftscluster, die meiner Ansicht nach regional zu verorten sind – beispielsweise das Cluster der erneuerbaren Energien in Nordhessen und das Cluster der IT-Orientierung in Südhessen –, gezielt auf unsere Außenwirtschaftsstrategie anwenden.

Dann haben vielleicht auch die Delegationen, von denen Sie gesprochen haben, wenn man es sich vor dem Spiegel anschaut, eine andere Bedeutung, als das momentan der Fall ist. Dann wird nämlich ein Schuh daraus. Im Bewusstsein, dass wir Regionalpolitik machen und dass wir gleichwertige Lebensbedingungen in Hessen erzeugen wollen – wir wollen das zumindest –, können wir daraus eine Strategie machen, wenn wir diese Cluster auf unsere Außenwirtschaftsstrategie beziehen. Ich halte es für richtig, dies herauszuarbeiten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will einen weiteren Punkt herausarbeiten, der unumstritten ist. Ich will nicht darüber reden, wer daran schuld ist, dass die GTZ, die jetzige GIZ, in Eschborn ist, welche Verbindungen es gibt und wer alles daran mitgestrickt hat. Aber eines ist unstrittig: dass wir im Rahmen unserer Außenwirtschaftsstrategie, unserer Entwicklungszusammenarbeitsstrategie und unserer Außenbildungsstrategie in stärkerem Maße, als das bisher der Fall war, mit der GIZ zusammenarbeiten wollen und zusammenarbeiten müssen.

Die GIZ ist nicht mehr das, was wir früher an Vorstellungen hatten, sondern sie ist mittlerweile ein moderner, ein ernst zu nehmender, ein fortschrittlicher Kooperationspartner bei den Entwicklungen in der Welt. Ich sage Ihnen ein Beispiel. Mein Fraktionsvorsitzender Thorsten Schäfer-Gümbel war letztens mit einer kleinen Delegation in Marokko. Marokko hat ein Erneuerbare-Energien-Gesetz entworfen. Interessant war, zu hören, dass dieses Erneuerbare-Energien-Gesetz ganz maßgeblich auf der Grundlage der Personen gemacht worden ist, die das Erneuerbare-Energien-Gesetz in Deutschland entworfen haben.

Die Kolleginnen und Kollegen der GIZ waren daran ganz maßgeblich beteiligt. Das heißt, wir ermuntern die Hessische Landesregierung und fordern sie dazu auf, diese sehr produktive Form der Kooperation in einen Vertrag zu kleiden und zu intensivieren. Das ist ein Pfund, mit dem wir Hessen wuchern können.

(Beifall bei der SPD – Vizepräsident Lothar Quanz übernimmt den Vorsitz.)

Ich möchte zu einem weiteren Punkt kommen, der mir wichtig ist. Es hat mich eigentlich verwundert, dass er von Ihnen so wenig aufgegriffen worden ist. Ich möchte meinen Anmerkungen die Überschrift „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ geben. Es ist schon ein paar Tage her: Am 12. Dezember 2005 hat sich die Regierung des Landes Hessen verpflichtet, aktiv an der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ mitzuwirken. Die Ministerpräsidenten haben sich schon 1962 dazu geäußert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die entwicklungsbezogene Bildungsarbeit im Sinne globalen Lernens leistet einen wichtigen Beitrag, weil sie ökologische, soziale, politische und ökonomische Abhängigkeiten aufzeigt und die Verbindung zwischen lokalen und globalen Erscheinungsformen herstellt. Lernen bietet die Grundlage für Verantwortung und Respekt vor der kulturellen Vielfalt, für ein friedliches Miteinander.

Deshalb habe ich bis zum heutigen Tage nicht verstanden, warum sich diese Landesregierung und die sie tragende Fraktionen dem von der SPD-Fraktion und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN immer wieder gestellten Antrag, einen Haushaltstitel in Höhe von 260.000 € für Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit im Bildungsbereich auszubringen, nicht genähert haben.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)