Protokoll der Sitzung vom 01.02.2011

Es zeichnet sich bereits jetzt ab, dass z. B. die Exportindustrie und das Gesundheits- und Bildungswesen verstärkt um Fachkräfte konkurrieren werden müssen. Das ist ein Problem, das Sie ignorieren wollen, wie Ihr Umgang mit unserem Antrag zum Fachkräftemangel in den vergangenen Wochen zeigt.

Schließlich stehen wir vor Milliardeninvestitionen, um den dringend notwendigen Umbau der Industriegesellschaft hin zu Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit voranzutreiben. Die Energieerzeugung wird erneuert. Dazu müssen unter anderem die Stromnetze umgebaut werden. Auch in privaten und öffentlichen Gebäuden ist der Modernisierungsstau keinesfalls aufgelöst. Der Umbau von Heizanlagen und die Wärmedämmung werden auf Jahrzehnte für Milliardenumsätze sorgen.

Der Ausbau des öffentlichen Verkehrs und der Elektromobilität erfordern eine Vielzahl von Investitionen sowohl vom Staat als auch von der Privatwirtschaft.

All diese Technologien werden wir dann auch weltweit vermarkten, allerdings nur dann, wenn wir sie zunächst bei uns zu Hause erfolgreich und mutig eingeführt haben. Dabei trägt das funktionierende Beispiel hierzulande möglicherweise mehr zur Exportförderung bei als eine weitere vom Ministerium oder der Hessen-Agentur organisierte Auslandsreise.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Auch deshalb lassen Sie uns nicht den Fehler begehen, beim Blick auf die deutschen oder meinetwegen auch auf die hessischen Exportzahlen vor lauter Eurozeichen in den Augen die langfristige Entwicklung zu vernachlässigen. So wenig wie die USA dürfen wir die Finanz- und Wirtschaftskrise abschütteln und für einen schlechten Traum halten.

Herr Minister, Ihre Regierungserklärung war vermutlich so etwas wie Ihre Grußadresse von Wiesbaden nach Davos, wohin Sie offenbar überraschend erneut nicht eingeladen worden sind.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das spricht aber für den Minister!)

Passenderweise haben Sie sich genau bei denjenigen eingereiht, von denen gestern in der „FAZ“ Folgendes zu lesen war:

Deutsche Politiker räumen in vertrauter Runde schon einmal ein, dass weder der politische Betrieb noch die Öffentlichkeit die nötige Aufnahmefähigkeit zeigen, fundamentale Veränderungen zu diskutieren und Gewissheiten infrage zu stellen. Daher rühmen sie in Davos auch lieber die scheinbar wiedergekehrte Stärke der deutschen Wirtschaft,

das haben wir heute mehrfach hier gehört –

als sich mit dem chinesischen Weltwährungsfondsmanager Zhu Min auseinanderzusetzen, der am selben Ort das mittelfristige Ende des westlichen Wohlstandes voraussagte.

Meine Damen und Herren, diesen Geist atmen leider auch Regierungserklärung und Antrag. Wir GRÜNE glauben, wir müssen so mutig sein, diese grundsätzlichen tiefer gehenden Fragestellungen anzupacken und Glaubenssätze zu hinterfragen, wenn wir nicht von der weltwirtschaftlichen Entwicklung überrollt werden wollen. Herr Minister, Außenwirtschaft bedeutet nämlich neben wirtschaftlichem Erfolg hessischer Unternehmen und neben der Sicherung von Arbeitsplätzen auch Verantwortung. Ihre Wettlaufrhetorik vom Überholen und vom Abdrängen ließ dies bei allen Gemeinsamkeiten leider allzu sehr in den Hintergrund treten. – Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Danke sehr, Herr Klose. – Für die Fraktion DIE LINKE hat sich deren Vorsitzende, Frau Wissler, zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Minister, ich höre immer sehr aufmerksam zu, wenn ein FDPPolitiker über staatliche Wirtschaftsförderung spricht; denn staatlicher Wirtschaftsförderung liegt die Einsicht zugrunde, dass nicht immer auf die unsichtbare Hand des Marktes Verlass ist und dass das Eingreifen der sichtbaren Hand des Staates durchaus seinen Sinn hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Minister, Sie haben die Konjunkturpolitik als einen positiven Beitrag zum Erfolg der hessischen Wirtschaftspolitik angesprochen. Ich finde auch das bemerkenswert; denn das zeugt von einer gewissen Lernfähigkeit. Es war immerhin Ihre Partei, die noch vor wenigen Jahren derartige Eingriffe in die Wirtschaft verteufelte und staatliche Konjunkturprogramme als Vorstufe zum Sozialismus ablehnte. Herr Minister, offensichtlich hat diese tiefe Wirtschaftskrise auch Ihr Weltbild erschüttert. Das können wir nur begrüßen.

Meine Damen und Herren, bevor ich zur Außenwirtschaft komme, möchte ich etwas zu den Prämissen sagen, von denen Sie ausgehen. Sie haben ein Bild entworfen, dass die Wirtschaftskrise überstanden sei, dass der Aufschwung in vollem Gange sei und dass es am Arbeitsmarkt blendend aussehe. Herr Minister, in der Realität stellt sich die Lage aber leider nicht ganz so rosig dar, wie Sie sie beschreiben.

Die Arbeitslosenquote ist vor allem deshalb so niedrig, weil durch Tricksereien sehr viele Arbeitslose in der Statistik überhaupt nicht mehr vorkommen.

(Beifall bei der LINKEN – Jürgen Lenders (FDP): Das stimmt nicht!)

Herr Lenders, jetzt rufen Sie auch noch dazwischen, das stimme nicht. Ich bitte Sie.

Herr Lenders, die Mehrzahl der neu geschaffenen Jobs sind befristete Jobs und entstehen in der Leiharbeit. Auf mehr als acht von zehn neuen Jobs trifft das zu. Der Aufschwung geht an den meisten Menschen spurlos vorbei. Zwar wird an den internationalen Börsen wieder Geld verdient, und die Auftragsbücher füllen sich. Aber für die meisten Beschäftigten, für die Rentnerinnen und Rentner und für die Erwerbslosen bedeutet das keinen Cent mehr im Geldbeutel. Meine Damen und Herren, diese Menschen müssen durch eine gerechtere Verteilung des wachsenden gesellschaftlichen Reichtums endlich am Aufschwung beteiligt werden.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Dr. Wal- ter Arnold (CDU))

Nun hat das deutsche Wachstum auch noch eine entscheidende Achillesferse. Es fußt ausschließlich auf dem Export. Herr Minister, das haben Sie in Ihrer Rede auch so dargestellt. Das macht den Aufschwung extrem anfällig. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos – Herr Minister, ich finde, es spricht nur für Sie, dass Sie nicht da waren – haben Ökonomen eindringlich vor einem Dominoeffekt der weltweiten Wirtschaftskrise gewarnt.

(Zuruf des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die Krise sei noch lange nicht vorbei, und die aufgehäuften Staatsschulden stellten für viele Staaten eine ernst hafte Herausforderung dar. Die Antwort darauf, die von der Europäischen Union und vor allem von den Vertretern Deutschlands gegeben wird, sind drastische Sparmaßnahmen, wie sie früher Ländern der Dritten Welt aufgezwungen wurden. Es ist klar, dass die Kürzungen staatlicher Ausgaben und Investitionen in Ländern wie Griechenland, Spanien, Irland, Großbritannien und in den Ländern Osteuropas dazu führen werden, dass diese die Konjunktur und dementsprechend auch ihre Importe drosseln werden. Diese Importe bestehen eben auch und zum großen Teil aus deutschen Exporten.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Ja!)

Herr Arnold, das heißt, eine exportorientierte, ja exportabhängige Strategie in der Wirtschaftspolitik ist in dieser Situation ein Garant für eine Dämpfung der deutschen Konjunktur.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Ach du lieber Gott! Was machen wir denn anstelle dessen?)

Die deutsche und ebenso die hessische Wirtschaft gehören mit ihrer hohen Exportquote von 50 % weltweit zu den Spitzenreitern, und, wie Sie richtig gesagt haben, gehen 60 % dieser Exporte in die Europäische Union. Herr

Minister, diese Abhängigkeit haben Sie schön auf den Punkt gebracht, indem Sie sagten: „Wir müssen Wachstum importieren.“ Genau mit dieser Strategie, die im Übrigen auch auf der Linie der Bundesregierung liegt, führen Sie uns immer tiefer in eine Situation, die uns vollkommen abhängig von den Entwicklungen und Entscheidungen macht, die in anderen Ländern getroffen werden. Diese Entscheidungen werden immer ausschlaggebender für die wirtschaftliche Situation und die Arbeitsplätze hier.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Walter Arnold (CDU): So ein Blödsinn! Das glauben Sie doch selbst nicht!)

Herr Arnold, Sie sagen, das sei Blödsinn. Wir alle haben eine Weltwirtschaftskrise erlebt. Wir wissen auch, dass der Einbruch in Deutschland besonders groß war. Weil Deutschland ein so starker Exporteur war, ist Deutschland auch enorm anfällig für Krisen der Weltwirtschaft. Sagen Sie nicht, das sei Quatsch. Das ist Realität. Das können Sie auch nicht wegreden.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Frau Kollegin, das war aber nicht exportgetrieben! – Judith Lannert (CDU): Das kann uns keiner sagen, dass Sie etwas davon verstehen! Vielleicht vom Verteilen!)

Ich füge hinzu, dass die deutsche Exportwirtschaft ohne die gewaltigen Konjunkturprogramme in Ländern wie China, den USA und anderswo überhaupt nicht aus dem Tal herauskommen wird. An der weiteren Entwicklung der Weltwirtschaft hängt die deutsche Konjunktur mehr als viele andere. Deutschland ist von vielen seiner Partner, zuletzt von US-Präsident Obama bei einem Treffen mit Angela Merkel, kritisiert und aufgefordert worden, sich stärker an der Stabilisierung der Weltwirtschaft zu beteiligen.

Ein wichtiger Beitrag dazu wäre in der Tat die Stärkung der Binnennachfrage. Denn der deutsche Exportüberschuss führt logischerweise zu massiven Ungleichgewichten. Kein Land, kein Unternehmen kann auf Dauer mehr importieren, mehr kaufen, als es verkauft oder exportiert. Deshalb bilden die wachsenden Schulden unserer Handelspartner die Kehrseite der deutschen Überschüsse. Das haben wir am Fall Griechenland gesehen.

(Zurufe der Abg. Leif Blum und Jürgen Lenders (FDP))

Europäische Regierungen beklagen seit vielen Jahren, dass Deutschland den Euro als Billigwährung benutzt, um ein geradezu explosionsartiges Anwachsen der deutschen Exporte zu ermöglichen. Die Situation ist aber, dass die D-Mark nicht mehr aufgewertet oder andere europäische Währungen abgewertet werden können. Das hätte nach Marktgesetzen passieren müssen. Aber mit dem Euro können deutsche Exporte so billig gehalten werden, dass sie die Konkurrenz in den europäischen Nachbarländern erfolgreich verdrängt haben.

Ein Ergebnis dieser Entwicklung sehen wir im griechischen Staatshaushalt. Der griechische Staatshaushalt wird im Übrigen auch dadurch belastet – das halte ich wirklich für einen Skandal –, dass die deutschen Exporteure durchsetzen konnten, dass sich Griechenland mit der Annahme des Rettungspakets zum Kauf deutscher Waffen verpflichten musste. Meine Damen und Herren, was sich dort ereignet hat, halte ich wirklich für einen absoluten Skandal.

(Lebhafter Beifall bei der LINKEN)

Im Übrigen – das will ich an der Stelle auch ansprechen – sind auch die deutschen Waffenexporte in Krisengebiete und sonst wohin eine Stütze des deutschen Exportwunders. Kaum ein Konflikt, kaum eine Polizei, kaum eine Armee in Afrika, Lateinamerika, im Nahen Osten, die nicht mit Gerät aus deutschen Waffenschmieden ausgerüstet sind. Gerade Hessen ist ein wichtiger Standort dafür, an dem Krauss-Maffei und Rheinmetall Produktionsstätten unterhalten. Wir fordern, dass Waffenlieferungen an Diktatoren in der Welt sofort verboten werden müssen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Man kann sich doch hier nicht ernsthaft hinstellen, von Demokratie und Menschenrechten reden, und es dann dulden, dass an Diktatoren überall in der Welt Waffen geliefert werden.

Meine Damen und Herren, der Kollege Siebel hat das angesprochen: Mit Blick auf die Demokratiebewegung in Nordafrika will ich anmerken, dass Deutschland und die Europäische Union jahrzehntelang Machthaber wie Mubarak toleriert und ihn als ihren Partner bezeichnet haben. Damit wurde die Unterdrückung der dortigen Bevölkerung billigend in Kauf genommen.

Herr Lenders, wenn Sie mich gerade so anschauen, fällt mir ein, dass es Ihr Parteivorsitzender, Außenminister Westerwelle, war, der noch letztes Jahr bei seiner Reise Mubarak als einen Mann mit großer Weisheit bezeichnet hat. Nun ist Weisheit sicher nicht das Spezialgebiet von Guido Westerwelle.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN – Jürgen Lenders (FDP): Sie müssen es ja wissen!)

Aber damit sind die Politik Deutschlands und die Politik der Europäischen Union mit dafür verantwortlich, dass sich solche Diktatoren überhaupt so lange an der Macht halten konnten.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Judith Lannert (CDU): Da kennen Sie sich aus! – Dr. Walter Arnold (CDU): Zur Außenwirtschaft!)

Herr Arnold, Sie haben das Stichwort gegeben.

(Judith Lannert (CDU): Sie wissen nicht, wovon Sie reden!)