Protokoll der Sitzung vom 02.02.2011

Der Kollege von den GRÜNEN hat es angesprochen: Vielen Verbrauchern ist inzwischen der Appetit auf tierische und manche pflanzliche Produkte gründlich vergangen. Immer mehr Menschen greifen zu Bioprodukten – völlig richtig. Wir wollen sichere Lebensmittel. Aber auch die Menschen, die auf preisgünstigere Lebensmittel angewiesen sind, haben ein Recht darauf, unbelastete Lebensmittel zu bekommen und nicht durch ihr Essen krank zu werden.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Deswegen sage ich: Wir müssen ernsthaft darüber nachdenken – Sie haben das Beispiel der Pute gebracht, ich will das Beispiel des Schweinefleischs nehmen –: Heute wird beim Discounter ein Pfund Schweinefleisch für 1,99 € verkauft, aber dafür kann kein Bauer ein Schwein großziehen.

(Horst Klee (CDU): Sehr richtig!)

Es kann nicht gut gehen, wenn so produziert wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Ich sage Ihnen deshalb: Wir brauchen die Änderungen, die in unserem Antrag skizziert sind.

Erstens. Lebensmittel, die Grenzwerte überschreiten, müssen sofort vom Markt genommen werden, ohne Wenn und Aber. Es darf keine Verharmlosungen und Beschwichtigungen durch Ministerien geben.

Zweitens. Die Verbraucher, die Verbraucherinnen brauchen klare Informationen über die Gefahren von Stoffen in unseren Lebensmitteln. Wer Beschwichtigung vor Aufklärung setzt und Futter- und Lebensmittelsünder nicht anprangert und nicht nennen will, der provoziert solche Probleme.

Drittens. Wir brauchen bundeseinheitliche Qualitätsstandards für die Überwachung. Schließlich darf in Hessen niemand durch die Maschen schlüpfen, der in Bayern oder NRW zur Verantwortung gezogen werden würde.

Viertens. Hessen sollte sich überlegen – hier möchte ich appellieren –: Schließen Sie sich der Schadenersatzklage der anderen Bundesländer an, auch wenn bei uns die Zahl der Betroffenen Gott sei Dank nicht so hoch ist. Ich glaube trotzdem, es ist an der Zeit.

Fünftens. Wir dürfen es den Unternehmen nicht so leicht machen, gegen Vorschriften zu verstoßen. Wir müssen dringend über das Strafmaß in solchen Fällen nachdenken.

Sechstens. Dieser Punkt ist mir am wichtigsten: Gute amtliche Kontrolle ist das A und O bei der Lebensmittelüberwachung. Eigenkontrollen sind eine Ergänzung, eine richtige Ergänzung, die aber nur bei Ehrlichkeit funktioniert. Deswegen muss mindestens die Meldepflicht wieder eingeführt werden, die wir bis 2005 hatten.

(Beifall bei der SPD)

Vor allem darf das Überwachungssystem nicht an fehlendem Personal scheitern. Ich vermisse dringend eine Evaluation der Landesregierung zum Thema Kommunalisierung der Lebensmittelüberwachung. Das ist 2005 passiert. Wo ist eine Überprüfung, ob wir die Qualität in Hessen noch gewährleisten können?

(Lebhafter Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Es muss überprüft werden, ob es noch funktioniert, und es muss auch finanziell unterstützt werden, damit das Kontrollsystem ausgebaut werden kann.

Gestern hat der Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure zu Recht beklagt, dass mit dem derzeitigen Personal Sicherheit der Lebensmittel reine Utopie bleibt. 1,1 Millionen Betrieben stehen bundesweit 2.500 Kontrolleure gegenüber. Umgerechnet ist es ein Kontrolleur für 440 Betriebe. Das kann nicht funktionieren. Er hat zudem gesagt, in Hessen ist es in manchen Landkreisen ein Kontrolleur auf 1.000 Betriebe. Das kann überhaupt nicht funktionieren.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Wir haben als SPD-Fraktion zum Haushalt 2011 beantragt, dass die Lebensmittelüberwachung personell deutlich aufgestockt wird, mit mindestens zwei Prüferinnen und Prüfern pro Landkreis. Jetzt kommt genau diese Forderung vom Landesverband. CDU und FDP haben es in den Haushaltsberatungen abgelehnt. Hätten sie unserem Antrag zugestimmt, wären wir hier zumindest in Kürze dem Problem näher gekommen.

Lebensmittelsicherheit ist nicht zum Nulltarif zu haben. Kontrollen sind kostspielig, zeitintensiv und müssen gewissenhaft durchgeführt werden. Wir müssen die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher vor die Interessen der Industrie stellen. Die Zahl der Mischfutterproben ist von 2005 bis 2009 von 36 auf 16 gesunken. Durchschnittlich werden nur vier Proben Eier pro Jahr auf Di oxin und PCB überprüft. Da dürfen wir uns nicht wundern, dass das ausgenützt wird. Das ist kein Wunder.

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme sofort zum Schluss, Herr Präsident. – Deshalb dürfen wir es nicht weiter dem Kommissar Zufall überlassen, schwarze Schafe zu finden, sondern wir brauchen Transparenz, und wir brauchen vor allem dringend mehr Kontrolle. Hessen ist im Verbraucherschutzindex 2010 im Vergleich der Länder von Platz 10 auf Platz 16, auf den

letzten Platz, bei den Lebensmittelkontrollen abgerutscht.

(Judith Lannert (CDU): Das stimmt überhaupt nicht!)

Aber natürlich, Sie müssen Statistiken und den Index genau lesen. – Deswegen sage ich Ihnen: Wir brauchen mehr Kontrollen in Hessen, und wir brauchen auch eine Evaluation der Lebensmittelkontrolle in Hessen, damit wir wieder besser aufgestellt sind und Lebensmittelsicherheit herrscht. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Schönen Dank, Frau Kollegin Fuhrmann. – Für die FDPFraktion hat jetzt Herr von Zech das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Um es voranzustellen: Jeder, der gegen Vorschriften zur Lebensmittelreinhaltung verstößt, gehört ordentlich bestraft.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Dennoch gehört es zur Wahrheit, dass es in den letzten zehn Jahren dem ARD-Umwelt- und Ernährungsexperten Werner Eckert zufolge mindestens zehn Dioxinskandale gab, die eine unterschiedliche öffentliche Aufmerksamkeit hervorriefen.

In dem aktuellen Fall wurden anscheinenden Mischfettsäuren aus der Biodieselproduktion von einem Fetthersteller gepanscht, und die kontaminierten Futterfette wurden an 25 Mischfuttermittelhersteller geliefert. Über diese Hersteller erfolgte eine Verbreitung der kontaminierten Futtermittel, unter anderem an Legehennen-, Hähnchenmast- und Schweinemastbetriebe.

Die in den in diesen Betrieben hergestellten Lebensmitteln festgestellten Kontaminationen stellten aber keine unmittelbare Gefahr für den Verbraucher dar. Vielmehr sind die Höchstmengenüberschreitungen deutlich geringer als in anderen Dioxinfällen. Bei Schweinefleisch wurde eine Überschreitung um das 1,5-Fache des Höchstwerts festgestellt, bei Eiern eine maximal vierfache Überschreitung. Im Vergleich dazu: Bei dem Dioxinfall in Irland war die Höchstmenge um das 700- bis 1.000-Fache überschritten, im belgischen Dioxinfall betrug die Überschreitung das 200-Fache. Ich sage das nur, um eine Relation zu diesem Skandal darzustellen.

Dennoch ist eine Überschreitung der Grenzwerte nicht zu akzeptieren. Das erkläre ich hier ausdrücklich. Ich erkläre aber auch, wieso keine unmittelbare Gefahr für die Verbraucher bestand. Der Tolerable Daily Intake für polychlorierte Dioxine und Furane pro Kilogramm Körperfett wurde von der Weltgesundheitsorganisation im Jahr 2000 im Bereich von 1 bis 4 Picogramm festgelegt. Vom Scientific Committee on Food der EU wurde 2001 eine tolerierbare wöchentliche Aufnahme von 14 Picogramm pro Kilogramm Körpergewicht festgelegt. Ein Picogramm ist ein billionstel Gramm; für Mathematiker: 10-12. Das ist eine verschwindend geringe Menge, die schon im Molekularbereich anzusiedeln ist.

(Vizepräsident Frank Lortz übernimmt den Vor- sitz.)

Die tolerierbaren Höchstgehalte sind in der EG-Verordnung 1881/2006 gelistet. Demnach gilt für Hühnereier und Ei-Produkte ein Höchstgehalt von 3 Picogramm pro Gramm Fett und Ei, für Fleisch und Geflügel ein Wert von 2 Picogramm pro Gramm Fett. Die tägliche Aufnahme von Dioxinen und PCB über Lebensmittel betrug in Deutschland nach Analyseergebnissen aus den Jahren 2000 bis 2003 im Mittel ca. 2 Picogramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag. Da die Umweltbelastung mit Dioxin seitdem ständig abnimmt, kann derzeit von einer täglichen Aufnahme von 1 bis 2 Picogramm pro Tag und Kilogramm Körpergewicht allein durch die Nahrungsaufnahme ausgegangen werden.

Ein junger Erwachsener mit einem Körpergewicht von 60 kg hat im Körperfett eine Dioxingesamtmenge von 150.000 Picogramm angesammelt. Die tägliche, weitgehend unvermeidbare Aufnahme von Dioxin beträgt ca. 60 bis 120 Picogramm. Bei einem Verzehr von zwei belasteten Eiern pro Tag ergibt sich eine zusätzliche tägliche Aufnahme von 120 Picogramm Dioxin. Würde also jemand einen Monat lang täglich zwei dieser Eier essen, was kaum wahrscheinlich ist, ergäbe sich eine zusätzliche Aufnahme von 3.600 Picogramm Dioxin. Die Gesamtmenge im Körper eines jungen Erwachsenen würde sich dann von 150.000 Picogramm auf 153.600 Picogramm Dioxin erhöhen.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Zum Ende der Rede.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Können Sie die Zahlen noch einmal wiederholen? – Heiterkeit)

Sie haben doch alle den PISA-Test bestanden. – Die Gefahr, sich an den aktuell belasteten Eiern oder an Fleisch zu vergiften, darf also ruhig als vernachlässigbar eingestuft werden. Ich sage aber nochmals ganz ausdrücklich: Eine Höchstgehaltsüberschreitung ist nicht akzeptabel, zumal sich Dioxin im Körper akkumuliert. Es gibt bereits strenge EU-Regelungen, die eine Minimierung der Di oxinaufnahme über Lebensmittel vorsehen.

Der aktuelle Vorfall hat gezeigt, dass das Rückverfolgbarkeits- und Informationssystem der EU gut funktioniert. Deutschland hat die Vorkommnisse unmittelbar über das Schnellwarnsystem kommuniziert. Dass der aktuelle Di oxinfall bei uns in Deutschland dennoch so große Aufmerksamkeit bekommen hat, liegt wohl auch daran, dass wir nach BSE, SARS, Hühner-, Vogel- und Schweinegrippe im Augenblick keine Sau haben, die wir durchs Dorf treiben können.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, ich will den Fall bestimmt nicht verharmlosen.

(Lachen bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, überhaupt nicht!)

Aber er wurde letztendlich durch die Eigenkontrolle des Betriebs Harles und Jentzsch in Uetersen aufgedeckt.

(Lachen bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Inwieweit dies sofort und zeitnah geschehen sein mag, wird von der Staatsanwaltschaft noch zu ermitteln sein.

(Lebhafte Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie konnte so etwas passieren? Spielte hier nicht auch die gesellschaftlich gewollte Wiederverwertung von Abfall eine Rolle? Der jetzt betroffene Futtermittelhersteller Harles und Jentzsch erklärte, dass er bereits seit Jahren Reste aus der Biodieselherstellung in Viehfutter verarbeitete. Man war dort leichtfertig der irrigen Ansicht, dass Milchfettsäure, die bei der Herstellung von Palm-, Sojaund Rapsöl anfällt, für die Herstellung von Futtermitteln geeignet sei. Wo war der Warnhinweis, dass es sich um Fette für die technische Industrie und nicht für den Lebensmittelbereich handelt? Der Hinweis war abhanden gekommen.

(Lachen bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)