Protokoll der Sitzung vom 03.02.2011

Gern fasse ich die Bedeutung der Vorratsdatenspeicherung mit den Worten des SPD-Antrags zusammen: Die Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten stellt einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus dar. – Dabei geht es jedoch nicht um die flächendeckende Auswertung von Verbindungsdaten. Bei den künftigen Befugnissen wird es sich nur um Einzelfälle handeln, um sehr wenige. Aber auch hier sind die GRÜNEN, wie immer, dagegen, obwohl es nur wenige Einzelfälle betrifft.

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will diese Befugnisse als Möglichkeit einsetzen, denn auch ein Terroranschlag ist ein Einzelfall, und zwar ein sehr erheblicher. Aus ideologischen Gründen die Möglichkeiten der Aufklärung oder gar die Verhinderung von Straftaten zu versäumen, das wird den Opfern von Verbrechen nur schwer zu vermitteln sein. Anders als bei den GRÜNEN gilt bei uns deshalb, Opferschutz geht vor Täterschutz und nicht umgekehrt.

(Beifall bei der CDU)

Natürlich müssen dabei die Grundrechte der Bürger gewahrt bleiben. Es geht um eine feine Balance in dem sensiblen Bereich von Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis. Wer Sicherheit um jeden Preis will, bezahlt zuerst den Preis der Freiheit. Deshalb wird es eine verfassungsrechtlich konforme Lösung geben.

CDU und FDP werden auf Bundesebene ausloten, wie eine Regelung auf der Grundlage der Rechtsprechung ausgestaltet werden kann. Dass aber ausgerechnet die Testamentsvollstrecker der einstigen SED und des Überwachungsstaates hier im Hessischen Landtag einen Antrag stellen und uns über die Auslegung des Verfassungsrechts belehren wollen, ist schlicht unerträglich.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich appelliere deshalb an die linke Partei: Bevor Sie sich zum Hüter unseres Rechtssystems aufschwingen, distanzieren Sie sich doch lieber von Äußerungen Ihrer Bundesvorsitzenden und anderer Neokommunisten. Diese wollen doch gerade das Rechtssystem, das Sie heute hier vorgeben zu schützen, überwinden. Wir wollen eine gesetzeskonforme Lösung. Doch dazu bedarf es Ihrer Hilfe sicherlich nicht.

Meine Damen und Herren, Grundrechte sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Aber die Verfassung sieht bereits in Art. 1 vor, dass der Staat seinerseits einen Schutzauftrag hat. Dort, wo der Staat es unterlässt, seine Bürger zu schützen, obwohl er dies könnte, kommt er diesem Auftrag nicht nach. Eine solche Schutzlücke besteht auch da, wo schwere Straftaten mit modernen Kommunikationsmitteln begangen werden und der Staat tatenlos zusieht.

Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, eine sechsmonatige vorsorgliche anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten durch dritte Dienstanbieter ist mit unserem Grundgesetz durchaus vereinbar. Das hat Kollegin Faeser mit Nachdruck klargestellt. Bei dieser Formulierung ist entscheidend, dass mögliche Eingriffe legitimen Gemeinwohlinteressen dienen und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. Das ist der Fall, wenn ein begründeter Verdacht schwerer Straftaten vorliegt.

Herr Schaus, ich weiß nicht, ob Sie beim Schottern gegen den Castor dabei waren. Aber wenn es darum gehen sollte, dass diese Vorratsdatenspeicherung für Sie persönlich zum Problem werden sollte – das ist nicht der Fall. Es geht bei den möglichen strafrechtlichen Vergehen beispielsweise nicht um den Castor. Es geht auch nicht um Ladendiebstahl, Schwarzfahren oder Sitzblockaden. Es geht um Kinderschänder. Es geht um Terrorismus. Es geht um Mörder. Um ihre Taten aufzuklären oder diesen sogar zuvorzukommen, sollen die Daten nach unserer Auffassung für einen begrenzten Zeitraum gespeichert werden.

(Beifall bei der CDU)

Dabei werden die individuellen Kommunikationsinhalte doch überhaupt nicht erfasst. Die Daten werden zunächst lediglich dem Löschungsanspruch des Betroffenen entzogen. Schon jetzt werden diese Verbindungsdaten ohnehin von den Firmen zu Abrechnungszwecken gespeichert. Wir wollen sie auch zum Zwecke der Strafverfolgung speichern, um später darauf zuzugreifen. Das ist gerade bei schweren Straftaten ein hilfreiches Instrument.

Straftäter müssen doch wissen, dass ihre Verbindungsdaten durch die Strafverfolgungsbehörden erfasst werden können. Das schränkt sie ein. Jede Einschränkung der Täter ist auch eine Einschränkung der Taten. Die SPD hat das vom Grundsatz her verstanden. Dennoch können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen, denn wir sind überzeugt, dass die Bundesregierung eine rechtskonforme und sicherheitspolitisch wirksame Regelung treffen wird. Dafür bedarf es keiner Aufforderung durch den Hessischen Landtag.

(Günter Rudolph (SPD): Nicht so überheblich!)

Wir würden uns auch wünschen, wenn die SPD auch andere sicherheitspolitische Maßnahmen mit in den Blick nimmt. Warum sind Sie nicht auch für die Kfz-Kennzeichenlesegeräte, die Hessens Polizei bald einsetzen möchte? Hier haben Sie plötzlich Bedenken.

Seien Sie bei der Verbrechensbekämpfung konsequent. Man könnte Ihrem Antrag eine weitere Ziffer hinzufügen, die auch die mobile Videoüberwachung begrüßt. Mit ihr werden Straftaten aufgeklärt und zurückgedrängt. Gerade bei dem Kriminalitätsschwerpunkt in Frankfurt ist das sicherlich auch ein Beitrag zu mehr Sicherheit.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Ohne Zweifel handelt es sich bei der Vorratsdatenspeicherung um eine schwierige Regelung. Aber man wird die Frage, was mit ihr jetzt zu tun ist, nur dann angemessen diskutieren können, wenn man sich darauf einlässt, dass dieses Gesetz ein wirkliches Problem zu lösen sucht. Wie gehen wir damit um, dass Handeln und Wandeln im Netz auf eine Art anonymisierbar und spurenarm sind, wie wir das von anderen Handlungsformen nicht kennen?

Wer keine Spuren hinterlässt, kann nicht zur Verantwortung gezogen werden. Eine strafrechtliche Verantwortung unter der Bedingung der Anonymität ist aber nicht denkbar. Jemanden zur Verantwortung ziehen – das ist also die Kehrseite seiner Freiheit –, bedeutet zunächst, ihn zu identifizieren.

Sein Gewissen zu beruhigen, indem man gegen jede Sicherheitsregelung ist, das wird auf Dauer nicht genügen. – Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Schönen Dank, Herr Kollege Bauer. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Greilich das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Faeser, eines steht fest: Die Wiederauflage der vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Vorratsdatenspeicherung wird es nicht geben. Das ist Fakt im Deutschen Bundestag, und das ist Fakt in Hessen.

(Beifall bei der FDP)

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 erging in dem umfangreichsten erfolgreichen Massenklageverfahren in der deutschen Geschichte, betrieben von fast 35.000 Bürgern, zu denen auch viele Persönlichkeiten aus der FDP gehörten. Darauf bin ich stolz.

(Zuruf des Ministers Boris Rhein)

Der Innenminister weist schon darauf hin. – Darauf ist die FDP-Landtagsfraktion stolz. Es ist der Erwähnung wert, dass unser Kollege Frank Sürmann zu den erfolgreichen Klägervertretern gehörte.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht hat die grundrechtlichen Bedenken der FDP geteilt und das Gesetz zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung für nichtig erklärt. Derzeit prüft das Bundesjustizministerium unter liberaler Führung eine grundrechtskonforme Umsetzung von Alternativen zu dieser Vorratsdatenspeicherung. Dabei wird auch die auf europäischer Ebene stattfindende Evaluierung der umstrittenen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung genau beobachtet.

Die Überlegungen, die zu einer Neuregelung der komplizierten Materie, die sich nicht für Schaufensteranträge eignet, führen werden, haben zwei Eckpunkte. Zum einen stellt in der FDP niemand infrage, dass auch das Internet kein rechtsfreier Raum ist und dass es auch im Internet Verbrechensbekämpfung geben muss. Im Übrigen, um bei dieser Gelegenheit mit offenkundig weit verbreiteten Irrtümern aufzuräumen, findet Verbrechensbekämpfung im Internet seit Jahren erfolgreich statt.

(Beifall bei der FDP)

Auch wenn in der Zeit der Vorratsdatenspeicherung, also im Jahre 2009, die Aufklärungsquote bei Straftaten im Internet nur bei 75 % lag und in den Jahren vor Einführung der Vorratsdatenspeicherung noch bei über 80 % lag, kann dies nicht heißen, sich mit der puren Beseitigung verfassungsrechtlicher Regelungen zu begnügen. Die Gewährleistung der Sicherheit unserer Bürger ist ein ständiger Auftrag an uns alle. Dem wollen und werden wir uns jedenfalls nicht entziehen.

Der zweite Eckpunkt, an dem niemand vorbei kann und nach meiner festen Überzeugung in Hessen auch keiner vorbei will, ist die besonders wertvolle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Wer nicht nur Schaufensteranträge zur Bundespolitik stellen will, sondern sich seiner Verantwortung stellt, der muss diese Entscheidung in allen ihren Bestandteilen zur Kenntnis nehmen. Das hat Frau Kollegen Faeser immerhin getan.

So stellt das höchste deutsche Gericht zunächst einmal fest – darauf wurde schon hingewiesen –, dass die Speicherung und Verwertung von Kommunikationsdaten für Zwecke der Verbrechensbekämpfung nicht von vornherein und schlechthin verfassungswidrig ist.

Verfassungswidrig war vielmehr die konkrete Ausgestaltung der vorsorglichen und völlig anlasslosen Vorratsdatenspeicherung, der Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten auf Vorrat. Das hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt und die verfassungsrechtliche Binsenweisheit hervorgehoben, dass jeder Grundrechtseingriff dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen muss. Das heißt, wenn man vom Juristischen ins Deutsche übersetzt: Eingriffe sind nur dann und so weit zulässig, wie

es zum Schutz wichtiger, hoher und wertvoller Rechtsgüter unabdingbar erforderlich ist, nicht mehr und nicht weniger.

(Beifall bei der FDP)

Diesen verfassungsrechtlichen Grundsatz hat die damalige Mehrheit des Deutschen Bundestages bei dem Erlass des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung verletzt. Jetzt ringen CDU und FDP in Berlin darum, wie eine wirksame Verbrechensbekämpfung im Internet sichergestellt werden kann, ohne dass unverhältnismäßig in die Grundrechte der Bürger unseres Landes eingegriffen wird. Ich bin da für jeden sachlichen Beitrag dankbar, der uns in dieser Diskussion einer guten Lösung näherbringen kann. Leider musste ich heute bislang auf solche brauchbaren Diskussionsbeiträge vergeblich warten.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Ja, es ist wirklich bedauerlich. – Zu erwarten war dies immerhin bei der Linkspartei, die sich ohnehin dadurch auszeichnet, dass ihr die Sicherheit und der Erhalt unseres Rechtsstaats alles andere als am Herzen liegen.

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Deshalb beschränkt sich deren Antrag auch darauf, sich gegen alles auszusprechen und zur Begründung eine Sammlung von aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten anzuführen. Die Auseinandersetzung damit lohnt sich nicht; es führt in der Diskussion nicht weiter.

Die GRÜNEN bringen leider auch keine konstruktiven, an Rechtsstaat und Datenschutz ausgerichteten Vorschläge ein, sondern ziehen sich auch zu diesem wichtigen Thema auf ihre altbekannte Grundsatzposition zurück, die da lautet: Wir sind dagegen.

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)

Meine Damen und Herren von der GRÜNEN-Fraktion, es ist in der Tat bedauerlich, dass Ihnen nichts anderes einfällt.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Mein Gott, man kann sich so lächerlich machen!)

Es bleibt der Antrag der SPD, der sich wenigstens dadurch abhebt, dass man sich die Mühe gemacht hat, sich mit der eigenen Niederlage in Karlsruhe auseinanderzusetzen. Allerdings ist bei diesen Bemühungen der Versuch zu erkennen, an das Thema nach dem Motto heranzugehen: Lasst uns alles festschreiben, was uns das Gericht nicht ausdrücklich verboten hat. – Frau Kollegin Faeser, auch das ist für uns nicht akzeptabel.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir als FDP wollen eine Regelung, die eine effektive Strafverfolgung und Gefahrenabwehr auch ums Internet sicherstellt, dabei aber die geringstmöglichen Grundrechtseingriffe gewährleistet. Erforderlich sind hinreichend anspruchsvolle und normenklare Regelungen hinsichtlich der Datensicherheit, der Datenverwendung, der Transparenz und des Rechtschutzes. Das heißt, dass der Abruf und die unmittelbare Nutzung von Telekommunikationsdaten nur dann verhältnismäßig sind, wenn sie überragend wichtigen Zielen dienen. Im Bereich der Strafverfolgung setzt dies einen durch bestimmte Tatsachen begründeten Verdacht einer besonders schweren Straftat voraus. Für die Gefahrenabwehr und die Erfüllung der Aufgaben der

Nachrichtendienste dürfen Abruf und Nutzung solcher Daten nur beim Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand, die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für eine gemeine Gefahr zugelassen werden.

Unter Berücksichtigung und Umsetzung dieser Kriterien hat die Bundesjustizministerin am 17. Januar 2011 ein Eckpunktepapier vorgelegt, das zu lesen sich in der Tat lohnt. Ich würde auch allen empfehlen, die es hier kritisieren, es zunächst einmal anzuschauen. Danach soll die Speicherung von Verbindungsdaten solcher Personen möglich werden, die Anlass dazu gegeben haben. Im Vordergrund steht das unter anderem in den USA und in Kanada erfolgreich erprobte Quick-Freeze-Verfahren, also das Einfrieren von angefallenen Daten, wenn ein konkreter Anhaltspunkt, ein echter Verdachtsfall vorliegt. Der Zugriff, also die Verwertung dieser aus konkretem Anlass eingefrorenen sichergestellten Daten durch Polizei und Staatsanwaltschaft, bedarf dann eines richterlichen Beschlusses. Das ist ein Verfahren, mit dem Liberale gut leben können; denn so werden unbescholtene Bürger vor anlasslosen Eingriffen in ihre Grundrechte geschützt, und gleichzeitig wird den Belangen sowohl der Strafverfolgung wie auch der Gefahrenabwehr Rechnung getragen.