Protokoll der Sitzung vom 03.02.2011

Kollege Frömmrich, das gilt sogar für eine bis zu sechsmonatige anlasslose Speicherung von Telekommunikationsdaten zur qualifizierten Verwendung, im Rahmen der Strafverfolgung, der Gefahrenabwehr und der Aufgaben der Nachrichtendienste. Auch das steht in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Das Verfassungsgericht legt in seiner Entscheidung vom 2. März aus

führlich die Voraussetzungen dafür dar, unter denen die jeweiligen Daten gespeichert werden dürfen.

Besonders Augenmerk legt das Gericht auf die verfahrensrechtliche Absicherung eines solchen Vorhabens. Im Vordergrund müssen daher die Anforderungen an den rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in seiner Ausprägung der Datensicherheit, der Transparenz und der Rechtsschutzmöglichkeit für den betroffenen Bürger stehen. Anders als bei der Speicherung von Verkehrsdaten sieht das Gericht jedoch weniger strenge Voraussetzungen bei der mittelbaren Benutzung von IP-Adressen – auch das gehört zur Wahrheit –, weil diese keine systemische Ausforschung der Betroffenen oder die Erstellung von Persönlichkeits- und Bewegungsprofilen zuließen.

Um einen Grundrechtseingriff in Art. 10 GG – Telekommunikationsfreiheit – zu rechtfertigen, muss, wie schon gesagt worden ist, ein Gesetz erlassen werden, das geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist. Das Gericht hat die Vorratsdatenspeicherung als geeignet und als erforderlich angesehen. Das ist hier leider nicht hinreichend erklärt worden. – So viel dazu.

Im Zusammenhang mit der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne hat man jedoch einen unzulässigen Grundrechtseingriff gesehen. Zu Recht, sagen wir, da muss man nachbessern. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht allerdings nicht auf die Dauer von sechs Monaten abgestellt; diesen Zeitraum hält es für verhältnismäßig. Das Gericht sieht auch keinen Konflikt zwischen der Richtlinie und dem aus Art. 10 des Grundgesetzes abgeleiteten Schutz des Bürgers. Das habe ich vorgelesen; das steht in Leitsatz 1 der Entscheidung.

Das Problem bei den zu überprüfenden Regelungen der §§ 113a und 113b Telekommunikationsgesetz sowie des § 100g StPO ist, dass sie es erlauben, alle Daten so weit zu erfassen, dass es möglich ist, Persönlichkeitsprofile zu erstellen. Das gilt es im Interesse der Bürgerinnen und Bürger unbedingt zu verhindern; denn wir alle wollen nicht in einem Überwachungsstaat leben.

(Beifall bei der SPD)

Aber das Bundesverfassungsgericht hat einen Weg aufgezeigt, wie die Daten der Telekommunikation und auch des Internets verfassungskonform so gespeichert werden können, dass sie der Verbrechensbekämpfung dienen. Darauf kommt es hier an. Das Gericht beschreibt sehr präzise, dass die Kommunikation nicht nur Straftaten begünstigen, sondern gar neue begründen kann. Es geht ausdrücklich darauf ein, dass die neuen Technologien auch Gefährdungen darstellen können und dass man dafür Regelungen braucht.

Diesem müsse man Einhalt gebieten, so führt das Bundesverfassungsgericht aus. Ich darf jetzt zitieren:

Eine Rekonstruktion gerade der Telekommunikationsverbindungen ist daher für eine effektive Strafverfolgung und Gefahrenabwehr von besonderer Bedeutung.

So entschied das Bundesverfassungsgericht. Das steht in Abs. 216.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU)

An folgenden Beispielen kann man das Erfordernis für die Vorratsspeicherung, wenn sie rechtsstaatlich geregelt ist, auch erkennen. Ich glaube, da wird mir der Innenminister recht geben. Ich nenne den Fall eines Kindesmissbrauchs, der in einem Chatroom offen angesprochen

wurde. Die IP-Adressen der Beschuldigten sind dabei der einzige Ermittlungsansatz. Nur so kann man die Täter hinterher finden.

Bei der Ankündigung eines Amoklaufs im Netz kommt es ebenso auf die Speicherung an. Die telefonische Bombendrohung gegenüber einer Klinik konnte aufgeklärt werden, weil die Verbindungsdaten noch erfasst waren. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen, die Bombendrohung an einer Klinik ist nicht lustig. Denn dann wird evakuiert, Operationen werden unterbrochen und, und, und. Das kostet eine Menge Geld. Dem Täter können Sie aber nur nachkommen, wenn Sie diese Verbindungsdaten haben.

(Peter Beuth (CDU): Und gefährdet Menschen noch dazu!)

In der Tat. – Unter anderem ist entscheidend, dass die Daten nicht vom Staat selbst, sondern von Dritten gespeichert werden. In diesem Beispiel war das der Telekommunikationsanbieter. Wenn dann – darauf kommt es an – eine anlassbezogene Datenanfrage erfolgt, wie z. B. bei dem Verdacht des Vorliegens einer schweren Straftat, ist diese zulässig. Unter diesen Voraussetzungen befürworten auch die Mitglieder der SPD die Vorratsdatenspeicherung, aber in diesen engen Grenzen.

(Beifall bei der SPD)

Auf der einen Seite müssen die Daten also erfasst werden, auf der anderen Seite muss aber ein Anlass gegeben sein. Das scheint mir ein sehr guter Weg bei dieser gesamten Debatte zu sein. Es muss einen Anlass geben. Der Staat speichert die Daten nicht selbst. Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung. Denn dann können keine Profile erstellt werden. Es darf nicht anlassunabhängig in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger eingegriffen werden.

Jetzt wird es darum gehen, eine rechtsstaatliche Formulierung der Eingriffsbefugnisse zu finden. Meine Damen und Herren der CDU, das Datum der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zeigt, wie lange wir schon auf eine solche Formulierung warten. Wir reden über eine Entscheidung vom 2. März 2010. CDU und FDP sind in Berlin in der Verantwortung. Aber was tun Sie denn dafür, dass eine rechtsstaatliche Regelung erfolgt? – Offenbar gibt es nicht mehr als eine Presseerklärung des Innenministers aus Hessen. Das geht so natürlich nicht.

(Beifall bei der SPD)

Man kann nicht auf der einen Seite beklagen, dass es Sicherheitslücken gibt, und auf der anderen Seite nicht handeln. Herr Innenminister, dazu muss ich sagen, dass ich da von Ihnen schon mehr erwarte. Ich erwarte, dass Sie zumindest einmal mit der FDP in Hessen verhandeln, um zu schauen, ob es einen rechtsstaatlichen Weg gibt und wie wir das aus Hessen vorantreiben können. Insofern ist unsere Erwartungshaltung da schon eine etwas andere.

Das Quick-Freeze-Verfahren, wie es die Bundesjustizministerin vorgeschlagen hat, nämlich das kurzfristige „Einfrieren“ der Daten, hat selbst das Bundesverfassungsgericht als nicht effektiv angesehen. Manchmal hilft es ja, eine solche Entscheidung, die über fast 350 Absätze geht, hinreichend zu lesen. Dann könnte man merken, dass man vielleicht nicht ganz auf dem richtigen Weg ist. Wenn man überhaupt anlassbezogen Daten speichert, dann sollte man das nur machen, wenn man sie auch wirklich gebrauchen kann.

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss Ihrer Rede kommen.

Herr Präsident, das werde ich machen. – Wir sind nicht auf dem Weg in einen Überwachungsstaat. Vielmehr sind wir dabei, rechtsstaatliche Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass schwerste Kriminalität – nur darum kann es gehen – und organisierte Kriminalität weiterhin wirksam bekämpft werden können. Ich empfehle deshalb in dieser Debatte vielen etwas mehr Gelassenheit. Bei der CDU und der FDP wünsche ich mir Handlungsfähigkeit. Die ist zwingend erforderlich. Ich hoffe, dass wir dann auf einen guten rechtsstaatlichen Weg kommen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin Faeser, schönen Dank. – Für die CDUFraktion spricht nun Herr Bauer.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt Dinge, die bemerkt man erst, wenn sie plötzlich nicht mehr da sind. Die Sicherheit in unserem Land gehört dazu.

Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt. Das gilt erst recht für das Bundesland Hessen. Die hessische Kriminalstatistik wird das in Kürze wieder eindrucksvoll belegen. Ich bin froh, dass unsere Sicherheit so selbstverständlich ist, dass wir sie gar nicht bewusst realisieren.

Aber diese Sicherheit kommt nicht von allein. Sie ist das Ergebnis einer wirksamen Gefahrenabwehr – –

(Auf der Zuschauertribüne wird ein Transparent hochgehalten und gesungen.)

Herr Kollege Bauer, einen Moment bitte. – Der Ordnungsdienst ist da. Wir werden das regeln.

Im Plenarsaal ist das Zeigen von Transparenten verboten. Ich bitte Sie, den Saal zu verlassen.

Ich bitte den Ordnungsdienst, da zu räumen. – Ich unterbreche die Sitzung, bis hier wieder Ordnung eingezogen ist.

(Unterbrechung von 14:35 bis 14:37 Uhr)

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, nachdem wir geprüft haben, inwieweit Genehmigungen zum Fotografieren und Filmen vorliegen, eröffne ich die unterbrochene Sitzung wieder. Wir fahren in der Behandlung der Tagesordnung fort. Für die CDU-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Bauer das Wort. – Herr Bauer, bitte schön.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Trotz des Lächelns auf den Lippen einiger Kolleginnen und Kollegen darf ich feststellen, dass das kein Kavaliersdelikt ist. Vielmehr handelt es sich um eine grobe Missachtung des Parlaments.

(Beifall bei der CDU und der FDP sowie bei Abge- ordneten der SPD)

Es ist in allen Parlamenten üblicher Brauch, dass es eine Hausordnung gibt. Es muss dem Parlament gestattet sein, unbeeinflusst von äußeren Einwirkungen zu tagen, zu debattieren und Meinungen zu äußern.

Das, was hier auf der Besuchertribüne geschah, ist kein Kavaliersdelikt. Das war an Peinlichkeit nicht zu überbieten.

(Beifall bei der CDU und der FDP sowie bei Abge- ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich hatte eingangs gesagt: Die innere Sicherheit ist ein wichtiges Thema. – Zur Sicherheit in unserem Land tragen Polizistinnen und Polizisten Tag für Tag bei. Dazu trägt aber auch die Sicherheitspolitik der Union und der FDP im Bund und im Land Hessen bei.

Sicherheitspolitik ist kein Selbstläufer. Deshalb dürfen wir uns auf den Erfolgen nicht ausruhen. Denn es gilt der Grundsatz: Sicherheit duldet keine Nachlässigkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Wir leben in Zeiten, in denen die Gefahren eher größer als kleiner werden. Mit Erleichterung konnte man feststellen, dass die Terrorwarnstufe wieder herabgesetzt wurde. Dennoch gilt: Wachsen die Bedrohungen, dann muss auch die Gefahrenabwehr wachsen.

Sie muss nicht nur wachsen. Sie muss immer auch einen Schritt voraus sein. Denn im digitalen Zeitalter findet die Kriminalität vielfach im Virtuellen statt. Sie ist deshalb aber nicht virtuell, sondern ganz real. Die Auskünfte der Anbieter dieser Dienste über gespeicherte Telekommunikationsverkehrsdaten sind deshalb ein wichtiges reales Mittel, um mit der Strafverfolgung einen Schritt voranzukommen.

Gerade bei der Aufklärung von Straftaten mit komplexen Täterstrukturen, wie sie für den internationalen Terrorismus und auch für die organisierte Kriminalität typisch sind, helfen diese Daten. Ich teile deshalb die Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft und des Deutschen Richterbundes, die sich für eine Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen haben.

(Beifall des Abg. Peter Beuth (CDU))

Gegenüber den Sozialdemokraten will ich anerkennen, dass sie mit ihrem heute behandelten Antrag viel weitsichtiger als die GRÜNEN sind.

Gern fasse ich die Bedeutung der Vorratsdatenspeicherung mit den Worten des SPD-Antrags zusammen: Die Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten stellt einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus dar. – Dabei geht es jedoch nicht um die flächendeckende Auswertung von Verbindungsdaten. Bei den künftigen Befugnissen wird es sich nur um Einzelfälle handeln, um sehr wenige. Aber auch hier sind die GRÜNEN, wie immer, dagegen, obwohl es nur wenige Einzelfälle betrifft.