Da entdeckte er bei der vom Bundesverfassungsgericht gekippten Vorratsdatenspeicherung doch gleich eine gefährliche Schutzlücke. Der Koalitionsstreit in Berlin, ob es überhaupt eine Vorratsdatenspeicherung geben sollte, war für ihn schon geklärt. Nicht mehr das Ob, sondern nur noch das „wie lange?“ ist für ihn die Frage. Wie immer in diesen Fällen wird die erhöhte Gefahr von Terroranschlägen bemüht. Es wird aber auch die Verbrechensbekämpfung, z. B. der Kampf gegen die Kinderpornografie, genannt.
Mit einer Ansammlung kriminalistischer Einzelfälle soll die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung begrün
det werden, denn mit der Kriminalitätsstatistik lässt sich die Notwendigkeit nicht belegen. Noch im März 2010 hat die Bundesministerin der Justiz, Sabine LeutheusserSchnarrenberger, deutlich gemacht, dass durch den Verzicht auf die Vorratsdatenspeicherung eben keine Schutzlücke entsteht. Wir sehen aber: Die Hardliner in der CDU machen Druck, und die Justizministerin ist bei der Vorratsdatenspeicherung eingeknickt.
Wie anders ist ihr jetzt vorgelegtes Eckpunktepapier zu verstehen, das Sie zur Vorratsdatenspeicherung „light“ zur Diskussion gestellt hat? Es wird nur noch über die Speicherfrist diskutiert. Wir GRÜNEN haben uns immer gegen eine anlasslose Speicherung von Telekommunikationsdaten gewehrt. Ein ganzes Volk von 82 Millionen Menschen unter Generalverdacht zu stellen, ist für einen freiheitlichen Rechtsstaat nicht angemessen.
Dadurch wird in unverhältnismäßiger Weise in Grundrechte eingegriffen. Selbst eine einwöchige anlasslose Datenspeicherung auf Vorrat ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Freiheitsrechte aller Bürgerinnen und Bürger.
Auf EU-Ebene soll noch in diesem Jahr die einschlägige Richtlinie evaluiert werden. In etlichen Ländern ist sie, das wurde schon angesprochen, noch nicht umgesetzt, und zwar deshalb, weil diese Länder in ihr einen Verstoß gegen den EU-Vertrag und eben auch eine Gefahr für das Fernmeldegeheimnis und die Meinungsfreiheit sehen. Zu diesen Ländern gehören unter anderem Rumänien, Irland, Österreich, die Slowakei, aber auch Schweden. Vor diesem Hintergrund hätte die Bundesjustizministerin gut daran getan, erst einmal die Entwicklung abzuwarten, anstatt voreilig einen Kompromiss anzubieten und im Koalitionsstreit klein beizugeben. Wir hätten einen engagierteren und offensiveren Kampf von einer Bundesjustizministerin erwartet, die doch selbst noch gegen die Vorratsdatenspeicherung zu Gericht gezogen ist.
Wir sind froh, dass unser Antrag die SPD und die LINKE dazu veranlasst hat, sich intensiv in die Debatte einzumischen. Im Gegensatz zur SPD lehnen wir die Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich ab.
Denn nur deshalb, weil ein Eingriff in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger nicht in jedem Fall verfassungswidrig ist, ist er politisch noch lange nicht geboten. Trotzdem verwundert uns der SPD-Antrag nicht, soll er doch die Vorratsdatenspeicherung und natürlich auch das damalige Gesetz der damaligen Großen Koalition noch einmal rechtfertigen.
Eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung, bei der alle Kommunikationsdienste die Daten ihrer Kunden unter dem Deckmantel der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung speichern müssen, stellt alle Bürgerinnen und Bürger ungerechtfertigterweise unter Generalverdacht. Die von der SPD vorgebrachten Argumente, sie diene der Kri
minalitätsbekämpfung, können in der Praxis nicht nachgewiesen werden. Hier schlage ich Ihnen – und auch den Kollegen von der FDP – Folgendes vor. Wenn es Ihnen um die Verbrechensbekämpfung geht, dann nehmen Sie doch bitte das Problem der Geldwäsche auf Bundesebene stärker in Angriff. Da gibt es nämlich genügend Schlupflöcher in puncto Glücksspiel und Luxusimmobilien.
Ein weiterer Punkt, nämlich die enorme Missbrauchsgefahr bei der Sammlung dieser gigantischen Datenmengen, muss ausreichend gewürdigt werden. Um Ihrer Fantasie auf die Sprünge zu helfen: Schauen Sie doch einmal auf der Seite des Chaos Computer Clubs nach. Dort finden Sie eine interessante Stellungnahme zu der Frage, welche Gefahren bei einer so immensen Datenmenge drohen.
Ein Punkt in dem SPD-Antrag ist nicht von der Hand zu weisen. Es ist richtig, das Quick-Freeze-Verfahren bietet nicht die gleichen Aufklärungsmöglichkeiten wie die Vorratsdatenspeicherung. Allerdings besteht die große Gefahr, dass unter dem enormen Zeitdruck vom Provider vorschnell Daten angefordert werden, egal, ob sie benötigt werden oder nicht.
Dass wir mit unserer Forderung, die Vorratsdatenspeicherung abzulehnen, nicht alleine sind, zeigt die Tatsache, dass es viele Länder in der EU gibt, die diese EU-Richtlinie ablehnen. Unter anderem Schweden lehnt sie ab. Schweden wird bekanntlich von einer konservativ-liberalen Regierung regiert. Liebe Kollegen von der Landesregierung, nehmen Sie sich daran doch ein Beispiel.
Deshalb ist der Vorschlag von Frau Leutheusser-Schnarrenberger für ein neues Umsetzungsgesetz absolut kontraproduktiv. Gerade deshalb, weil es an der Europä ischen Richtlinie massive Kritik gibt, wäre es wirklich sinnvoller gewesen, die bestehenden Mittel zur schnellen Sicherstellung und zur gezielten Aufzeichnung von Verkehrsdaten zu nutzen, die in der Convention on Cybercrime des Europarats vereinbart wurden.
Die Justizministerin geht mit den Befürwortern der anlasslosen Speicherung einen unnötigen Kompromiss ein und erweist damit der Meinungsfindung in der EU einen gewaltigen Bärendienst.
Wenn es aber nicht gelingt, in Brüssel aktiv für eine Abkehr von der anlasslosen Datenspeicherung einzutreten, können eben die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht erfolgreich verteidigt werden.
Deshalb fordern wir die Hessische Landesregierung auf, ihren Einfluss über den Bundesrat zu nutzen, um die Vorratsdatenspeicherung auf Bundes- und EU-Ebene zu verhindern. Einen besseren Zeitpunkt, um zu intervenieren, wird es für Innenminister Boris Rhein kaum mehr geben. Er ist bekanntlich mittlerweile Vorsitzender der Innenministerkonferenz.
(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann kann er mal was Sinnvolles tun! – Gegenruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE): Früher hat er mal was Sinnvolles gemacht, aber heute?)
Es macht die Qualität des demokratischen Rechtsstaats aus, dass für ihn nicht alle Mittel akzeptabel sind. Ich erinnere gern an das Verfassungsgericht, das der Bundesregierung deutlich ins Stammbuch schrieb, dass nicht jede Maßnahme, die für die Strafverfolgung nützlich ist und im Einzelfall erforderlich sein kann, verfassungsrechtlich zulässig ist.
Ich bitte, das zu bedenken, und insbesondere den Kollegen von der FDP gebe ich mit auf den Weg: Bitte lassen Sie es nicht zu, dass Sie in Sachen Bürgerrechte zum Papiertiger degradiert werden. – Danke schön.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Das sind sie doch schon längst!)
Eine sechsmonatige, vorsorglich anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten durch private Diensteanbieter, wie sie die Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates... vorsieht, ist mit Art. 10 GG nicht schlechthin unvereinbar;...
Deswegen kommt es nämlich auf einen etwaigen Vorrang der Richtlinie nicht an. Wenn schon, dann stellen Sie das bitte richtig dar.
Hier geht es darum, wie man das rechtsstaatlich ausgestalten kann; aber hier geht es nicht darum, dass eine etwaige Regelung per se gegen Europarecht verstoßen würde.
Meine Damen und Herren, das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung diente, wie schon gesagt wurde, zur Umsetzung der Europäischen Richtlinie 2006/24/EG vom 21. Dezember 2007. Die Inhalte dieses Gesetzes wurden jedoch im März 2010 bei der Ausführung zum Teil für verfassungswidrig erklärt, sodass wir derzeit in Deutschland keine gesetzliche Regelung für die Möglichkeit der Vorratsdatenspeicherung haben. Darum geht es heute. Es geht darum, eine rechtsstaatliche Regelung zu finden. Der Innenminister hat nämlich sehr wohl recht, wenn er sagt, dass wir da eine Regelungslücke haben.
Angesichts dieser Entwicklung stellen sich die Fragen: Wie kam es eigentlich zu dieser Europäischen Richtlinie? Was folgt aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts?
Doch zunächst will ich auf die Historie zu sprechen kommen; denn die ist durchaus spannend. Nach den Attentaten von Madrid wurde mithilfe von Handys, die man gefunden hatte, festgestellt, mit wem die Attentäter zuvor telefoniert hatten. Auf diesem Weg hat man die Täter fassen können. Das war der Anlass für England, Schweden,
Frankreich und Irland – Frau Enslin, diese beiden Länder haben Sie vorhin in einem anderen Zusammenhang genannt, die haben das Verfahren beim Europäischen Rat betrieben –, eine Initiative zu starten, bei der es darum ging, dass in Europa Verbindungsdaten einheitlich gespeichert werden dürfen. Auch diese Länder wollten die Möglichkeit haben, solche Daten bis zu 36 Monate zu speichern.
Das ist also keine deutsche Erfindung, wie man zuweilen versucht, uns glauben zu machen, und es war auch nicht die Bundesrepublik, die das Verfahren auf der europä ischen Ebene forciert hat. Im Gegenteil, sie hat sich für eine vehemente Verkürzung der Speicherungszeit eingesetzt – das alles noch unter der Verantwortung von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.
Um die Richtlinie umzusetzen, wurden die entsprechenden Regelungen auf der Bundesebene geschaffen. So weit zur Rechtslage. Das Gesetz sah vor, dass die Daten sechs Monate lang gespeichert würden. Es handelte sich um die Daten, die von den Telekommunikationsanbietern zu Abrechnungszwecken ohnehin bereits drei Monate lang gespeichert wurden. Auch das gehört zu einer ordentlichen Debatte.
Diese Daten umfassen Angaben darüber, mit wem man telefoniert hat, wann man telefoniert hat, wie lange das Gespräch gedauert hat und wie teuer es war. Diese Daten wurden für Abrechnungszwecke gebraucht und daher gespeichert. Die Speicherungsdauer wurde verlängert, und es wurden weitere Daten gespeichert, aber nur solche, die ohnehin schon vorhanden waren, z. B. Daten, die bei der Nutzung einer Flatrate anfallen. Ansonsten wurden – im Gegensatz zu dem, was hier gern behauptet wird – keine weiteren Daten erhoben.
Einen Zugriff auf diese Daten sollte es nur dann geben, wenn der Verdacht auf eine erhebliche Straftat bestand und ein richterlicher Beschluss vorlag. Es konnte eben nicht willkürlich auf Daten zugegriffen werden. Allerdings wurden die Daten dann so gespeichert – das war der Fehler –, dass ein Zugriff auf die persönlichen Strukturen der Menschen möglich war. Genau das wollen auch wir nicht. Dagegen verwehren wir uns auch heute.
Das Bundesverfassungsgericht, auf das sich auch die GRÜNEN beziehen, hat im März 2010 die alte Regelung aufgehoben, aber nicht etwa, weil es die Vorratsdatenspeicherung generell für unzulässig hält. Ja, die generellen Aufzeichnungen und Verwertungen haben einen Grundrechtseingriff dargestellt; aber das Bundesverfassungsgericht hat dargelegt, wann ein solcher Eingriff zulässig ist. Die „Eingriffe in das Telekommunikationsgeheimnis, wenn sie legitimen Gemeinwohlzwecken dienen und im Übrigen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen“, sind nicht per se verfassungswidrig. Das ist ein Zitat aus der entsprechenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, Abs. 204.
Kollege Frömmrich, das gilt sogar für eine bis zu sechsmonatige anlasslose Speicherung von Telekommunikationsdaten zur qualifizierten Verwendung, im Rahmen der Strafverfolgung, der Gefahrenabwehr und der Aufgaben der Nachrichtendienste. Auch das steht in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Das Verfassungsgericht legt in seiner Entscheidung vom 2. März aus