Antrag der Fraktion der SPD betreffend verfassungsgemäße Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus – Drucks. 18/3653 –
Für diese drei Anträge sind zehn Minuten Redezeit vorgesehen. Das Wort hat Herr Abg. Schaus für die Fraktion DIE LINKE. Bitte schön.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Telekommunikationsdaten aller Bürgerinnen und Bürger – wer telefoniert wann, wie lange, mit wem, wer hat wann von wo auf welche Internetseite zugegriffen, und wer hat wem welche E-Mail geschickt – sollen laut europäischer Richtlinie aufgezeichnet werden, und zwar, ohne dass es gegen die betroffenen Menschen den geringsten Verdacht gibt.
Meine Damen und Herren, DIE LINKE lehnt diesen Generalverdacht gegenüber allen Bürgerinnen und Bürgern entschieden ab
und bezeichnet ihn als nicht hinnehmbaren Angriff auf die Bürger- und Freiheitsrechte. Wir stehen mit unserer Kritik nicht alleine da. Bürgerrechtsorganisationen, Datenschutzbeauftragte, Verfassungsgerichte und ganze EUMitgliedstaaten weigern sich, eine Richtlinie umzusetzen, die in eklatanter Weise gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und das Verfassungsrecht verstößt.
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages legte bereits 2006 eine Stellungnahme vor, aus der ich Folgendes zitieren möchte:
Es bestehen Bedenken, ob die Richtlinie in der beschlossenen Form mit dem Europarecht vereinbar ist. Dies betrifft zum einen die Wahl der Rechtsgrundlage, zum anderen die Vereinbarkeit mit den im Gemeinschaftsrecht anerkannten Grundrechten.
Auch Verfassungsgerichte haben die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung gestoppt. Irland zieht erneut vor den Europäischen Gerichtshof. Aber die Kommission überzieht Staaten, die die Ratifizierung verweigern, mit Vertragsverletzungsverfahren. Das alles bildet den Hintergrund unserer Debatte. Aber Anlass unseres Antrags sind die jüngsten Aussagen des Herrn Innenministers Rhein
zu Beginn dieses Jahres über die zwingende Notwendigkeit einer Vorratsdatenspeicherung zur Verbrechensbekämpfung.
Herr Rhein, gleich bei der Übernahme Ihres Amtes als Vorsitzender der Innenministerkonferenz haben Sie wieder einmal einen Ihrer propagandistischen Paukenschläge gelandet. Wir kennen dies schon von Ihrem Amtsantritt als Minister im letzten Jahr, als Sie verkündeten, DIE LINKE nun noch stärker überwachen zu lassen
es war mir so klar, dass Sie da klatschen, meine Damen und Herren –, und auf kritische Nachfrage der Presse – ich hoffe, Sie klatschen auch nach dem Rest des Satzes – zu Anlass und Notwendigkeit still und leise zurückgerudert sind.
Aber das wäre wohl doch eine zu kurze Erklärung für Ihr Verhalten, und so begab ich mich auf Begründungsspurensuche. Tatsächlich bin ich fündig geworden, als ich las, dass die Verleihung des Big-Brother-Awards wieder ansteht.
Dieser Oscar für Datenkraken wird am 1. April bereits zum elften Mal vergeben. Ausgezeichnet werden Politiker, Firmen und Organisationen, die besonders unverantwortlich mit den Daten anderer und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürger umgehen. Den wollen Sie doch wohl gewinnen, Herr Minister?
Denn wer wie Sie nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einer umfassenden, in unseren Augen anlassunabhängigen Vorratsdatenspeicherung weiterhin das Wort redet und dafür finsterste Verbrechenszenarien entwickelt, der hat wahrlich diesen besonderen Preis verdient.
Meine Damen und Herren, ich darf in Erinnerung rufen, dass in Deutschland die politische Auseinandersetzung um die Vorratsdatenspeicherung schon lange ein großes Thema ist. Denn nachdem CDU und SPD im Bundestag das Gesetz zur Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung 2007 verabschiedeten, regte sich immenser Protest. In einem in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einmaligen Verfahren klagten knapp 35.000 Beschwerdeführer vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Klagen wurden von zahlreichen Verbänden und Gruppen, dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, der Gewerkschaft ver.di und auch zahlreichen FDP-Politikern, unter ihnen Burkhard Hirsch und die heutige Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, eingereicht – hört, hört.
Das Verfahren wurde begleitet von Protestkundgebungen in ganz Deutschland unter dem Motto „Freiheit statt Angst“ und der Beteiligung von über 100.000 Bürgerinnen und Bürgern bei einer großen Berliner Demonstration.
Mit seiner Entscheidung vom 2. März 2010 erklärte das Bundesverfassungsgericht die konkrete Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung wegen Verstoßes gegen Art. 10 Abs. 1 des Grundgesetzes schließlich für verfassungswidrig. Gespeicherte Daten mussten umgehend gelöscht und jede weitere Speicherung umgehend unterbunden werden. Das war ein riesiger Erfolg für Bürgerinnen und Bürger und für die Freiheitsrechte in unserem Land.
Mit Blick auf die anstehenden Bundestagswahlen und eine mögliche Regierungskoalition seinerzeit aus CDU/CSU und FDP bekräftigte die FDP deshalb ihre ablehnende Haltung zur Vorratsdatenspeicherung in ihrem Wahlprogramm. Dort ist zu lesen: Wir lehnen die verdachts- und anlassunabhängige Speicherung personenbezogener Daten auf Vorrat ab.
Entgegen ihrer vorigen Überzeugung hat die Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger nun doch auf Druck von CDU und CSU ein Eckpunktepapier vorgelegt, nach welchem künftig sämtliche Verbindungen sämtlicher Internetnutzer auf Vorrat gespeichert werden sollen.
Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, der seinerzeit noch gemeinsam mit der FDP vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt hatte, konstatiert zu diesem Eckpunktepapier:
Zulässig wären auch ein präventiver Datenzugriff ohne Tatverdacht, Zugriffe durch Geheimdienste... und eine Namhaftmachung gegenüber Abmahnanwälten... Selbst an 29 ausländische Staaten einschließlich der USA wären die Daten auf Anfrage herauszugeben.
Das Ganze geht der Union natürlich trotzdem nicht weit genug. Bürgerrechte hin, Verfassungsgericht her, die Union will die Vorratsdatenspeicherung um jeden Preis wieder einführen, flächendeckend, mit möglichst langen Speicherfristen und ohne Anlassbezogenheit.
Ganz im Stile seines Vorgängers zeigt sich auch der neue hessische Innenminister Boris Rhein. Das bedeutet für alle in Hessen: Die automatisierte Kennzeichenerfassung ist schon wieder da, und die Vorratsdatenspeicherung als zentrales sicherheitspolitisches Projekt soll jetzt durchgeboxt werden.
Alles soll natürlich nur anlassbezogen durchgeführt werden, aber dies ist keine wirkliche Hürde; denn einen Anlass wird man sicherlich immer finden können.
Herr Greilich, auch wenn es Sie vielleicht wundert: Ich schätze Frau Leutheusser-Schnarrenberger als eine der letzten Vertreterinnen des inzwischen bedeutungslos gewordenen Bürgerrechtsflügels Ihrer Partei.
Sie hat damals ihr Ministeramt niedergelegt, weil sie die Beschlüsse zum großen Lauschangriff nicht gegen die eigene Überzeugung mittragen wollte. Das verdient hohen Respekt, und sie hat im Nachhinein Recht behalten.
Wenn man allerdings die damalige Begründung der FDPKlage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Vorratsdatenspeicherung neben das von der FDP als Kompromiss vorgelegte Papier zur Vorratsdatenspeicherung legt, dann kann man beides nur als vollkommen unverein
Genau, es fehlt das Wort „nicht“. – Die Befürworter dieser flächendeckenden Überwachung, die nicht nur in den Landesinnenministerien, sondern auch bei der EU-Kommission sitzen, behaupten zwar, sie sei zur Bekämpfung der Kriminalität notwendig. Einen Nachweis dafür sind sie aber bis heute schuldig geblieben. Ich zitiere den wissenschaftlichen Dienst der Max-Planck-Gesellschaft vom 27. Januar 2011: An sich hätte die EU-Kommission Anfang September 2010 eine Evaluation vorlegen müssen, wie häufig bei Ermittlungen auf Vorratsdaten zurückgegriffen wurde. Diese liegt aber nicht vor, weil die Mitgliedsländer die Daten schlicht nicht haben.
Es ist nicht verhältnismäßig, die Telekommunikationsdaten von 80 Millionen Menschen aufzuzeichnen, wenn der Erfolg bei der Bekämpfung schwerster Kriminalität damit nicht einmal größer wird. Herr Minister Rhein, da Sie gleich Gelegenheit haben werden, zu dem Thema zu sprechen: Legen Sie bitte endlich einmal Zahlen und Fakten vor, und beweisen Sie, dass die Vorratsdatenspeicherung einen wirklichen Nutzen bringt. Ich meine damit keine Kriminalitätsstatistiken, sondern Daten und Fakten, die das beweisen.
Wir lehnen die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung jedenfalls strikt ab. Lassen Sie mich zum Schluss sagen – und zwar mit den Worten des Herrn Abg. Greilich, der dies jüngst in einer Presseerklärung schrieb –: Die Wiedereinführung der von Karlsruhe für verfassungswidrig erklärten Vorratsdatenspeicherung wird es mit uns nicht geben.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Kaum hatte der hessische Innenminister Boris Rhein den Vorsitz in der Innenministerkonferenz übernommen, schon konnten wir seine markigen Sprüche zur inneren Sicherheit in der Presse lesen.