Protokoll der Sitzung vom 03.02.2011

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Bellino, bevor wir die Sitzung unterbrechen, müssen wir nur noch beschließen, dass die drei Anträge an den Innenausschuss gehen. – Das ist richtig. Damit ist das so beschlossen.

Dann unterbreche ich die Sitzung. Der Ältestenrat tagt im Raum 103 A. Wir versuchen, um 15:30 Uhr fertig zu sein, weil der Datenschutzbeauftragte auf uns wartet.

(Unterbrechung von 15:09 bis 15:59 Uhr)

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Ältestenrat hat sich soeben ausführlich mit den Vorfällen befasst, die hier während des Setzpunktes der Fraktion DIE LINKE stattgefunden haben.

Wir haben einvernehmlich gesagt: Der Hessische Landtag soll ein offenes Haus sein. Wir wollen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger über unsere Politik informieren, dass sie Zutritt auch zu diesen Räumen haben. Wir haben aber auch festgestellt, dass es der Würde des Parlaments nicht gerecht wird, wenn solche Vorfälle auf der Besuchertribüne stattfinden.

Man kann in der Demokratie, in der wir leben, seine Meinung offen sagen, dafür werben und politisch diskutieren. Im Hessischen Landtag gilt aber auch das Hausrecht; es soll gewährleisten, dass die Parlamentarierinnen und Parlamentarier ihre Entscheidungen unbeeinflusst treffen können.

Deshalb sind wir zu der Auffassung gekommen, dass ab sofort in diesem Plenarsaal nicht mehr fotografiert werden darf. Das gilt für die heutige Sitzung. Wir sind außerdem übereingekommen, dass wir ab sofort keine Besuchergruppen mehr kurzfristig zulassen werden. Es ist derzeit angedacht, eine Zwei-Tages-Frist einzuführen. Das heißt, Besuchergruppen müssen zwei Tage vor dem Besuch des Hessischen Landtags beim Präsidenten angemeldet werden.

Des Weiteren haben wir zwischen den Fraktionen vereinbart, dass wir uns in der nächsten Ältestenrats- bzw. Präsidiumssitzung mit der Frage auseinandersetzen werden, wie wir in Zukunft mit Besuchergruppen insgesamt umgehen wollen, wie wir sicherstellen, dass solche Vorfälle hier nicht zur Regel werden, wie wir dafür sorgen, dass dieses Parlament ein würdiger Ort bleibt. Wir wollen, dass die Menschen des Landes Hessen stolz darauf sein können, dass die Parlamentarierinnen und Parlamentarier hier im Hessischen Landtag Entscheidungen treffen. Diese Entscheidungen sollen in Würde getroffen werden und dürfen keinen Beeinträchtigungen von außen ausgesetzt sein.

Ich bitte Sie alle, darauf hinzuwirken, dass dies in Zukunft so ist. Wir sollten gemeinsam überlegen, wie wir das eben Gesagte sicherstellen können.

(Beifall bei der CDU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Holger Bellino (CDU): Die LINKEN haben an der Stelle nicht einmal geklatscht! Wie armselig!)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, mit einer Stunde Verspätung rufe ich jetzt Tagesordnungspunkt 48 auf:

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem 38. Tätigkeitsbericht des Hessischen Datenschutzbeauftragten (Drucks. 18/2027); hierzu: Stellungnahme der Landesregierung betreffend den 38. Tätigkeitsbericht des Hessischen Datenschutzbeauftragten (Drucks. 18/2941) und Vorlage der Landesregierung betreffend den Dreiundzwanzigsten Bericht der Landesregierung über die Tätigkeit der für den Datenschutz im nicht öffentlichen Bereich in Hessen zuständigen Aufsichtsbehörden (Drucks. 18/2942) – Drucks.18/3627 zu Drucks. 18/2027, zu Drucks. 18/2941 und zu Drucks. 18/2942 –

Berichterstatter ist Herr Abg. Klee. – Auf die Berichterstattung wird verzichtet.

In unserer Mitte darf ich den Hessischen Datenschutzbeauftragten, Herrn Prof. Ronellenfitsch, recht herzlich willkommen heißen.

(Allgemeiner Beifall)

Herr Prof. Ronellenfitsch, ich erteile Ihnen das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Tasche, die ich trage, enthält keine Transparente, die ich jetzt ausrolle, sondern dient nur dazu, mein Manuskript zu transportieren. Sie brauchen also keine Angst zu haben, dass Sie schon wieder den Ältestenrat einberufen müssen.

(Große Heiterkeit)

Ich bin übrigens Bahnreisender, und eine Stunde Verspätung ist für mich Routine.

(Heiterkeit und Beifall)

Die Sieben ist eine mystische Zahl, offenbar auch in diesem Landtag. Mir wurden sieben bis zehn Minuten Redezeit eingeräumt, was einer Anstiftung zum Verstoß gegen parlamentarisches Gewohnheitsrecht nahekommt: Keiner meiner Amtsvorgänger ist bei der Vorstellung des Tätigkeitsberichts mit sieben Minuten Redezeit ausgekommen. Ich werde aber versuchen, die Zeit, die wir verloren haben, einigermaßen aufzuholen.

Was mich selbst betrifft, so wende ich mich nun seit sieben Jahren an dieses Hohe Haus. Beziehungen sollen zu diesem Zeitpunkt in eine kritische Phase eintreten. Ob wir uns mit der Zusammenlegung des privaten und des öffentlichen Bereichs – übergangsweise unter meiner Leitung – in eine Krise hineinmanövrieren oder ob wir, wovon ich ausgehe, einen weiteren Meilenstein der legendären hessischen Datenschutzkultur gesetzt haben, wird sich zeigen.

Da bereits die früheren Tätigkeitsberichte und insbesondere der vorliegende 38. Tätigkeitsbericht auf diese Zusammenlegung ausgerichtet waren, erlaube ich mir hierzu einige Bemerkungen, ohne der parlamentarischen Debatte über die Neuregelung vorzugreifen. Das folgt aus meiner Informationspflicht gegenüber diesem Landtag. Bislang habe ich mich als Dienstleister für den Hessischen Landtag verstanden, ohne darin einen Eingriff in die völlige Unabhängigkeit des Hessischen Datenschutzbeauf

tragten zu sehen. Ich erwarte, dass sich die Beziehungen zwischen dem Hessischen Landtag und dem Hessischen Datenschutzbeauftragten weiterhin gewohnt pflegeleicht gestalten.

Das ändert nichts daran, dass ich mich nach wie vor gewissermaßen als Inkarnation eines Hattricks an Lästigkeit betrachte.

Erstens müssen Datenschützer lästig sein; denn sie können zumindest im öffentlichen Bereich nur durch Überzeugungsarbeit etwas bewirken. Eine verbreitete, bisweilen auch hier anklingende Aversion gegenüber Datenschutzbelangen – ich schaue niemanden an – lässt sich nicht ignorieren. Die Saubermannmentalität nach dem Motto „Ich habe nichts zu verbergen“, also darfst auch du nichts verbergen“ oder die Auffassung „Datenschutz ist Täterschutz“ sind immer noch verbreitet. Für solche Typen sind Datenschützer ein geborenes Feindbild. Solchen Typen falle ich gern lästig.

(Allgemeiner Beifall)

Zweitens bin ich Jurist. Juristen fallen ihren Mitmenschen kraft Natur der Sache auf die Nerven.

(Heiterkeit und Beifall)

Ähnlich wie Theologen haben sie auf alle Fragen eine rechtliche Antwort zu geben, selbst wenn sich eine Frage nicht beantworten lässt. Die Theologen haben ihre Instanzen mit Unfehlbarkeitsanspruch; die Juristen haben das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof, die sich wechselseitig die Unfehlbarkeit streitig machen.

(Heiterkeit)

Völlig frei von Unfehlbarkeitsambitionen ist kein Jurist, von Juristinnen ganz zu schweigen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine subjektiven Rechtsansichten sind jedoch unerheblich. Wenn ich bei Ihren Gesetzesvorhaben gelegentlich die Verfassungskeule schwinge, ist das nur als Warnung vor den Verfassungsgerichten gemeint. Das ist lästig, aber gute Absicht.

Drittens haben Sie einen Hessischen Datenschutzbeauftragten gewählt, der als Gipfel der Lästigkeit Hochschullehrer für Staats- und Verwaltungsrecht ist und dessen Tätigkeit sich über die ganze Breite des Fachs erstreckt. Dass damit eine umfassende rechtliche Belehrungsneurose verbunden ist, lässt sich nicht vermeiden.

(Heiterkeit)

Meine datenschutzrechtlichen und sonstigen rechtlichen Anregungen sind natürlich relativ zu sehen. Ich kann die jeweilige Rechtslage nur subjektiv bewerten und will niemanden bevormunden, sondern nur auf rechtliche Bedenken gegen Regelungen und Maßnahmen hinweisen. Die Neigung, Probleme nicht nur zu beschreiben, sondern sie auch zu lösen, müssen Sie mir nachsehen. In diesem Sinne ergänze ich meine Tätigkeitsberichte mündlich.

Das war der lange Vorspann; jetzt komme ich endlich zur Sache, zum eigentlichen Tagesordnungspunkt.

Der 38. Tätigkeitsbericht liegt Ihnen zu einem Zeitpunkt vor, zu dem der 39. Tätigkeitsbericht bereits fertig ist. Das heißt nicht unbedingt, dass man den 38. Tätigkeitsbericht in einer Tropfsteinhöhle besichtigen müsste; aber aktuelles Interesse ruft er kaum noch hervor.

Das gilt auch für die Stellungnahme der Landesregierung. Die Stellungnahme zeigt eine begrüßenswerte Lernfähigkeit und ein hohes intellektuelles Niveau. Meistens heißt es nämlich: Die Landesregierung stimmt den Ausführungen des Hessischen Datenschutzbeauftragten zu.

(Heiterkeit und Beifall)

Die sieben Abweichungen – wir haben es mit der Zahl Sieben, Sie haben es gemerkt – beruhen auf Missverständnissen oder auf einer fehlerhaften Ausdrucksweise meinerseits.

Erstens. Die Zweifel an der Modernisierung des Datenschutzes aus einem Guss teile natürlich auch ich. So dürfte im Zeitalter der Fastfood-Gesetzgebung, in dem sich der Gesetzgeber durch die Verabschiedung von Gesetzen mit Verfallsdatum selbst unter Zeitdruck setzt, eine echte Kodifikation unerwünscht sein.

Zweitens. Der gesetzgeberische Zölibat – maskulin, nicht „das Zölibat“ – bei Datenzugangsschutz und Informationsfreiheit wird sich auf längere Sicht nicht halten lassen. Darüber haben wir schon lange gestritten. Irgendwann holt die Entwicklung Sie ein. Mir geht es eigentlich darum, die Informationsfreiheit so zu kanalisieren, dass dem Datenschutz Rechnung getragen wird, nicht umgekehrt. Aber darüber haben wir schon lange gestritten.

Die Gesetzgebungskompetenz des Landes beim Datenschutz sehe ich weiter gefasst als die Landesregierung, zumal der Bund überhaupt keine originäre Gesetzgebungskompetenz für den Datenschutz besitzt. Die eigentlichen Datenschützer sind also die Landesparlamente, und sie sollten sich nicht die Butter vom Brot holen lassen.

(Allgemeiner Beifall)

Auf europäischer Ebene wird hart um das Datenschutzniveau gerungen. Erst jetzt beginnen sich die Dinge zuzuspitzen. Näheres dazu findet sich im 39. Tätigkeitsbericht. Ich bin im Übrigen gern bereit, Ihnen bei passender Gelegenheit – in einer Sondersitzung dieses Hohen Hauses – Bericht über die Entwicklung zu erstatten, damit sie nicht an dem Parlament vorbeiläuft. Dort werden nämlich Weichen gestellt, die man später nur schlecht wieder korrigieren kann.

Entsprechendes gilt für die Entwicklung im Steuerrecht. Bei der Kfz-Überwachung gibt es aktuelle Entwicklungen. Mein Beitrag ist im Hessischen Rundfunk so zusammengeschnitten worden, dass man einen Gegensatz zwischen dem Justizminister und mir konstruieren konnte.

(Günter Rudolph (SPD): Das wäre auch nicht so schlimm!)

Ich habe genau das Gleiche gesagt wie er. Ich will der Prüfung nicht vorgreifen; aber wir halten uns daran, dass im Land Hessen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen gehandelt wird und dass die Kontrolle von den entsprechenden Instanzen auf diese Art und Weise optimal ausgeübt wird.