Protokoll der Sitzung vom 22.02.2011

(Günter Rudolph (SPD): Was?)

dass Sie sich zum Wahlkampf ausgerechnet ein Thema vornehmen, bei dem Sie selbst besonders im vergangenen Jahr jede Menge an Skandalen produziert haben. Das ist sehr mutig.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Fast übermütig!)

Auf diese Skandale mit keinem Wort einzugehen und stattdessen die Opposition zu beschimpfen nach dem Motto: „Ihr wart doch an allem schuld“, ist allerdings dreist.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Innenminister, ein ehrlicher Rückblick auf das vergangene Jahr müsste mindestens eine Entschuldigung für die zahlreichen Skandale in der Polizeiführung und für den Wortbruch gegenüber den Polizistinnen und Polizisten bei der weiteren Arbeitszeitverlängerung enthalten. Aber das sparen Sie sich einfach.

Es ist geradezu peinlich, was Sie hier alles nicht gesagt haben. Sie hätten nämlich auch sagen müssen: Danke, ihr hessischen Polizistinnen und Polizisten. Ihr wart letztes Jahr so großartig, dass wir euch zwei Jahre länger arbeiten lassen. Weil niemand mit 62 Jahren ernsthaft noch Verbrechern nachjagen kann, kürzen wir euch faktisch die Pension weg. Danke, ihr hessischen Polizistinnen und Polizisten. Ihr wart so großartig, dass wir auch keine Besoldungserhöhung anbieten. Der Aufschwung ist da, aber die Gehälter der Beschäftigten sollen nicht steigen, weil wir bei euch schon jetzt für die Schuldenbremse sparen müssen. Danke, ihr hessischen Polizistinnen und Polizisten. Ihr wart so großartig, mit Millionen von Überstunden den Personalmangel auszugleichen. Ihr behaltet zur Beloh

nung auch weiterhin die längste Wochenarbeitszeit in Deutschland.

Herr Minister, eines will ich klarstellen. Wir – die LINKE – stehen stets an der Seite der Kolleginnen und Kollegen der Polizei. Das haben wir gerade gestern bei der Kundgebung der Gewerkschaften bewiesen, und die Beschäftigten wissen das auch.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich finde es auch sehr interessant, wenn die hessischen Polizistinnen und Polizisten einmal eine Statistik zur Arbeit der Landesregierung vorlegen würden. Dann sähe Ihre Regierungserklärung sicher ganz anders aus, denn der Unmut ist weiterhin riesengroß. Die hessischen Polizistinnen und Polizisten arbeiten trotz einer von Skandalen und Selbstvergessenheit beherrschten Landesregierung sehr gut – das ist unsere Analyse –, oder anders ausgedrückt: Die Bürgerfreundlichkeit gehört zur Hessischen Landesregierung wie der Doktortitel zu Herrn Baron zu Guttenberg.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Oh!)

Meine Damen und Herren, dass Sie Realitäten bewusst ausblenden, ist das eine. Aber Sie haben der Opposition vorgeworfen, sei habe „kübelweise Dreck ausgegossen“, und das ist unverschämt.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Minister, ich habe letztes Jahr an dieser Stelle Aufklärung über eine ganze Reihe von Skandalen verlangt. Ich stelle heute fest, der Landespolizeipräsident musste zurücktreten. Die Chefin des Landeskriminalamtes musste abberufen werden. Der Fall Z. stellt sich vor Gericht ganz anders dar, und der Polizeipräsident von Frankfurt musste sich öffentlich entschuldigen.

Wir haben noch Spannendes im Untersuchungsausschuss zur Polizeichefaffäre aufzuklären, werden aber von der Regierungsmehrheit daran gehindert. Und wir warten mit großer Spannung auf das, was der Landesbeauftragte der Polizei, der erst auf Druck der Opposition und der Öffentlichkeit eingerichtet wurde, tatsächlich zustande bringt.

Ich stelle also fest: Ihr Abwiegeln und Vertuschen hat Ihnen nichts genutzt. Lernen Sie doch endlich daraus, statt ständig die Opposition zu beschimpfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Versuchen Sie doch einmal, bei der Aufklärung eigener Skandale so erfolgreich zu sein wie die hessische Polizei.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann wünschte ich mir eine Aufklärungsquote von 58,3 %. Herr Minister, das hätte vermutlich aber den Rücktritt der halben Landesregierung zur Folge.

(Holger Bellino (CDU): Da reicht doch die Fallzahl nicht!)

Wichtiges bleibt weiterhin ungeklärt. Warum in Hessen ein politischer Aktivist vier Tage lang inhaftiert wurde, obwohl die Polizei vorher wusste, dass er unschuldig war, hat Kollegin Faeser schon gefragt. Oder warum in Afghanistan ein deutscher Student in ein US-Militärgefängnis verschleppt wurde – die Familie wirft den hessischen Behörden vor, die Informationen dazu geliefert zu haben, obwohl dem Mann in zwei staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren keine Verfehlungen nachgewiesen werden konnten.

Herr Minister, Sie versprechen lückenlose Aufklärung, haben sich aber auf Nachfragen im Innenausschuss kategorisch geweigert. Warum das? Was gibt es da zu verbergen?

Herr Ministerpräsident – wieder einmal nicht anwesend –, Sie waren über zehn Jahre Innenminister, und alle wissen, dass die Polizeistatistik Ihr Vermächtnis ist. Ich habe kein Problem, zuzugeben: Ja, die Polizei wurde unter Ihnen technisch besser ausgestattet, Herr Bouffier. Ja, auch der Fuhrpark ist in einem guten Zustand.

Aber die Kehrseite der Medaille ist: Sie haben die Einführung des Digitalfunks, die ursprünglich für 2006 eingeplant war, immer noch nicht zustande gebracht. Auch hierbei sind merkwürdige Personalentscheidungen im Ministerium zu beobachten. Sie haben die schärfsten Sicherheitsgesetze der Republik auf den Weg gebracht und wurden, wie kein anderer Innenminister, öfter vom Bundesverfassungsgericht zurückgepfiffen. Sie haben eine Polizeiführung geschaffen, die offensichtlich Angst und Zwietracht gesät hat. Das gehört zu Ihrer Statistik.

Kurz zu einzelnen Zahlen und Statistiken unter politischer Bewertung Ihrer Regierungserklärung. Herr Minister, Sie sagen, die nackten Zahlen bewiesen, dass Hessen eines der sichersten Bundesländer sei. In der Statistik gibt es aber keine nackten Zahlen. Die Polizeistatistiken der Länder werden in Deutschland nicht einheitlich erstellt. Die Vergleichbarkeit der Bundesländer ist allein deshalb schon sehr schwierig.

Einen Zusammenhang zwischen Fallzahlen, Täterzahlen und Verurteilungsraten kann man mit Ihrer Statistik nicht herstellen. Ein Beispiel: Werden von einem Täter 20 Autos aufgebrochen und wird er geschnappt, sind das 20 gelöste Fälle? Und umgekehrt, wird er nicht geschnappt, ist das dann ein nicht gelöster Fall, weil sie alle einem Täter zugeschrieben werden?

(Nancy Faeser (SPD): Genau so ist es!)

Darüber hinaus lässt sich eine Aussage, ob z. B. der Rückgang von Autodiebstählen nun der technischen Entwicklung geschuldet sind – also Wegfahrsperren und Alarmanlagen –, ob es weniger Täter gibt oder ob es der unmittelbaren Polizeiarbeit zu verdanken ist, nicht so in Ihrer Statistik erfassen. Herr Minister Rhein, Sie sehen die Statistik nur durch eine propagandistische Brille; das haben wir heute wieder erlebt.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Schluss will ich noch darauf hinweisen, dass erstens ein Drittel der gesamten Vermögensschäden in Hessen durch Wirtschaftskriminalität entsteht. Sie ist im Jahr 2010 auch nach Ihrer Statistik rasant angestiegen. Zudem gibt es hierbei ein extrem hohes Dunkelfeld. Bekanntlich gibt es z. B. viel zu wenige Steuerfahnder und wenig politisches Interesse an der Korruptionsbekämpfung.

Business Crime Control schätzt den tatsächlichen volkswirtschaftlichen Verlust durch Wirtschaftskriminalität in Deutschland mit 150 Milliarden € ein. Nach einer Studie von Pricewaterhouse Coopers steht Deutschland in Sachen Korruption mit den ost- und südeuropäischen Staaten auf einer Stufe. Trotzdem erscheint die Wirtschaftskriminalität bei Ihnen gerade einmal als Fußnote. In Ihrer Regierungserklärung haben Sie das Thema komplett ausgeblendet. Ich frage mich, warum.

Zweitens. Wie in allen zurückliegenden Jahren stehen für die Union der politische Extremismus und der Terrorismus wieder ganz oben.

(Holger Bellino (CDU): Zu Recht!)

Auch hier muss ich Sie fragen, wie diese Prioritätensetzung zustande kommt; denn laut eigener Studie ist dieser Bereich mit über 30 % extrem rückläufig. Trotzdem arbeiten Sie sich nicht nur seitenweise daran ab, sondern Sie kommen auch zu einer merkwürdigen Schwerpunktsetzung. Für den Bereich des Rechtsextremismus halten Sie fest, alles laufe bestens, weil Sie – ich zitiere – „ihnen keinen Spaltbreit Platz lassen“. Kein Wort von Aktivitäten in Wetzlar oder in der Wetterau.

Fünfmal so viel Platz nimmt aber der Linksextremismus ein. Jeder Satz beinhaltet eine Warnung: „besonders besorgniserregend“, „immer gewaltbereiter“, „immer stärkere Vernetzung“ usw., usw. Herr Minister, Sie versuchen wieder einmal, in unzulässiger Weise Zusammenhänge zu Mitgliedern unserer Partei herzustellen, nur weil Sie uns als politischen Gegner ausschalten wollen.

(Florian Rentsch (FDP): Du großer Gott!)

Wir werden Ihnen auch bei den bevorstehenden Wahlen einen dicken roten Strich durch Ihre Rechnung machen.

(Beifall bei der LINKEN – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Aber hallo!)

Deshalb ist es auch nicht verwunderlich – Frau Faeser hat schon darauf hingewiesen –, dass in Ihrer eigenen Statistik dreimal so viele rechtsextremistische Straftaten ausgewiesen werden wie linksextremistische. Zudem gab es im letzten Jahr eine ganze Reihe von Gewaltangriffen durch Rechtsextreme, unter anderem den mörderischen Brandanschlag auf das Haus des Pastoralreferenten in Wetzlar. Bemerkenswert bleibt hier: Die CDU hat sich bis heute dazu nicht erklärt.

Ich denke, dies macht Ihre Beteuerung, Sie wären auf dem rechten Auge nicht blind, völlig unglaubwürdig. Aber das Schlimmste, Herr Minister, ist Ihr Spiel mit der Angst der Menschen. Ein Viertel Ihrer gesamten Rede verwenden Sie auf den militanten Islamismus. Mit Ihrer heutigen Aussage, dass auch unser Land unmittelbar von islamistischem Terror bedroht sei, und mit der Aussage – Zitat – „Die Frage ist nicht, ob ein Anschlag erfolgt, sondern wann“, schüren Sie wieder einmal in bekannter Manier die Angst vor Terroranschlägen.

Lassen Sie mich deshalb zum Schluss sagen: Niemand von uns kann und darf terroristische Anschläge ausschließen. Es ist aber fahrlässig und schändlich, Herr Minister, wenn aus wahltaktischen Gründen von einem amtierenden Innenminister die Ängste auch noch befeuert werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Schaus, vielen Dank. – Zu einer Kurzintervention hat sich Herr Bellino gemeldet.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Dein Nachbar! – Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ja, das ist die Neu-Anspach-Connection.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu der Kriminalstatistik wird sich Alexander Bauer, unser innenpolitischer Sprecher, gleich äußern und auch die nötige Zeit dafür haben. Aber gestatten Sie mir, Herr Schaus, dass ich Ihnen zwei oder drei Dinge aus meiner Sicht nicht durchgehen lassen kann.

Zum einen nutzen Sie diese erfolgreichen Zahlen, die hier präsentiert wurden, dazu, wieder einmal die Mär zu verbreiten, dass wir in dem Untersuchungsausschuss etwas vertuschen wollten und dort nicht alles täten, um das aufzuklären, was da aufzuklären ist. Das Problem ist: Dort ist wenig aufzuklären. Das, was an Erkenntnissen gewonnen werden konnte, deckt sich mit dem, was wir schon vor einem Dreivierteljahr gesagt haben.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Was wahr ist, muss wahr bleiben!)

Wenn Sie sich hierhin stellen und sagen, dort würde nicht vernünftig aufgeklärt, dann ist das in diametralem Gegensatz dazu zu sehen, dass wir in diesem Untersuchungsausschuss 20 Sitzungen hatten, dass wir 25 Zeugen gehört und dass wir meterweise Akten studiert haben. Das ist Aufklärungsarbeit, weil wir nichts zu vertuschen haben und weil die Regierung hier auch nichts zu vertuschen hat.