Protokoll der Sitzung vom 02.03.2011

Wenn ich das aggressiv angehen würde, könnte ich jetzt sagen: Na ja, da ist eine Sozialministerin als brüllender Löwe gestartet, hat flächendeckend gesetzliche Mindestlöhne gefordert, hat die Höhe des Regelsatzes infrage gestellt und vieles mehr, und am Ende ist sie doch relativ klein, vielleicht als Katze, aber nicht mehr als Löwe gelandet. Das könnte ich hier zum Aufhänger meiner Rede machen. Das will ich ausdrücklich nicht tun,

(Beifall des Abg. Florian Rentsch (FDP))

weil ich nämlich glaube, dass es für die Politik schwierig war, den Menschen diese Debatte, die die Öffentlichkeit an dieser Stelle begleitet hat, zu verkaufen. Es wurden aus meiner Sicht viele Menschen, die in sozialer Not sind, oder Familien mit Kindern zum politischen Spielball. Ich will jetzt gar nicht in irgendeine Richtung Schuldzuweisungen abgeben, aber ich hätte mich persönlich gefreut, wenn die Verhandlungen schneller und zielführender zu diesem Ende gebracht worden wären.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Wir auch!)

Allerdings weiß ich, dass alle dort beteiligten Parteien ihren Teil dazu beigetragen haben. Das ist meine persönliche Anmerkung zu diesem Prozess, und darum möchte ich mich hier auch gar nicht zu sehr in Schuldzuweisungen versteigen. Ich stelle fest, dass wir jetzt zwischen CDU, FDP und SPD einen Kompromiss gefunden haben. Mit diesem Kompromiss können wir, glaube ich, alle gut leben.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Auch das Verfassungsgericht?)

Ich glaube auch, dass dieser Kompromiss, der mit Sicherheit wieder verfassungsrechtlich überprüft werden wird, gute Chancen hat, dieser Überprüfung standzuhalten. Auch wir haben diese Beratungen sehr intensiv begleitet, und die Bundesregierung hat sich sehr ernsthaft mit der Kritik des Bundesverfassungsgerichts auseinandergesetzt. Man weiß am Ende natürlich nie, was bei so einer Entscheidung wirklich wieder herauskommt.

Liebe Kollegen von der SPD, es ist aber kein schöner Stil, wenn man sich einmal auf einen Kompromiss verständigt und gesagt hat, man trage das mit, wenn schon einen Tag

später erklärt wird: Eigentlich stehen wir nicht dazu. Wir stehen nur zu den Sachen, die sich vielleicht gut verkaufen lassen können, und bei anderen wollen wir nicht dabei gewesen sein.

Wenn man einen Kompromiss schließt, dann soll man auch gemeinsam zu diesem Kompromiss stehen, ohne mit dem Finger auf den jeweils anderen zu zeigen, sondern sagen: Wir haben in demokratischen Verfahren gemeinsam etwas erreicht. – Denn wenn man sich nachher gleich wieder verabschiedet, trägt das mehr zur Politikverdrossenheit bei. Seriöse Menschen sagen: Wir haben gemeinsam etwas hinbekommen, wir stehen dazu, und wir wollen auch, dass das dann Realität wird.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Dann möchte ich doch einmal auf die Sonderrolle der GRÜNEN eingehen.

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)

Das muss ich an der Stelle einfach. – Herr Bocklet, Sie haben sich hier hingestellt und sehr detailverliebt einen Grund gesucht, warum man aus der Verhandlung aussteigt. Jeder, der das jetzt verfolgt hat, weiß ganz genau, dass das an der Stelle eine Spiegelstrichdiskussion ist. Dies kann wirklich noch einmal problematisch werden, da gebe ich Ihnen recht. Aber wenn ich versuche, mir ein Ausstiegsszenario zu basteln, dann finde ich immer eines. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Es fällt bei dem Volumen und der grundsätzlichen Bedeutung dieses Kompromisses schon schwer, sich auf so dünnem Eis davonzumachen und sich aus der Verantwortung zu stehlen. Nichts anderes haben Sie getan.

Außerdem, wenn Sie sich schon aus der Verantwortung stehlen, dann stellen Sie sich hier bitte nicht hin und sagen: „Eigentlich sind wir ja für 90 %“, stehlen sich dann aber wegen 5 % aus der Verantwortung. Wenn Sie dann wieder bei irgendwelchen Verbänden sind, sagen Sie: „Eigentlich wollten wir doch 400 €, wir wollten doch viel mehr, und wir sind aus dem und dem Grund ausgestiegen“. Sie wollen keine Verantwortung übernehmen, um den Leuten dort, wo Sie hinkommen, nachher nach dem Mund reden zu können. Das ist meine Überzeugung, und das ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Wenn Sie schon einen Antrag schreiben und hier einbringen und wenn Sie hier vorne dann auch noch versuchen, Kompetenz auszustrahlen, dann würde ich Sie bitten, für Ihren Antrag ein bisschen besser zu recherchieren. Wir haben erlebt, dass man mit Plagiaten, und wenn man einfach aus Zeitungen abschreibt, Schwierigkeiten bekommen kann. Sie stellen in Ihrem Antrag einen zeitlichen Zusammenhang her und behaupten: „Kritisch zu bewerten ist jedoch, dass die Bundesbeteiligung an den Kosten der Arbeitsförderung der Bundesagentur für Arbeit in entsprechendem Umfang abgesenkt wird.“

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich bin gleich am Ende. – Herr Al-Wazir hat es unterschrieben. An der Stelle möchte ich Ihnen nur mitteilen: Die Reduzierung der Bundesausgaben für den Arbeits

markt für 2011 von 10,6 Milliarden €, auf die Sie sich beziehen, ist bereits im August 2010 im Finanzplan der Bundesregierung vorgesehen gewesen. Da wir es mit Fußnoten haben: Nachlesen können Sie das im Bericht der Bundesregierung an den Bundesrat, Drucks. 451/10. Ich kann Ihnen nur raten: Arbeiten Sie ein bisschen sorgsamer. Dann gewinnen Sie auch an Glaubwürdigkeit. Ihre Ausflüchte konnte ich Ihnen nicht abnehmen. Wie bei vielen anderen Dingen machen Sie sich auch hier aus dem Staub. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Schönen Dank, Herr Kollege Rock. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Herr Decker das Wort. Bitte schön, Herr Decker.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es hat durchaus Vorteile, wenn man als letzter Redner an der Reihe ist. Das gibt nämlich die Gelegenheit, die eine oder andere Koordinate klarzurücken. Herr Dr. Bartelt und lieber René Rock, das, was beschlossen worden ist, hättet ihr allein nicht hinbekommen. Ihr ruht euch auf unseren Lorbeeren aus.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Denn eines ist klar: Die monatelange Blockade kam von CDU und FDP und nicht von der anderen Seite.

(Zuruf von der FDP: Oh!)

Ja, das ist so. Dass der Bundesrat und der Bundestag am Ende die Beschlüsse gefasst haben, hat ganz viel damit zu tun, dass wir dort Stehvermögen gezeigt haben. Das ist gut so.

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, es ist auch in diesem Hause unbestritten, dass es vor allem der SPD in zähen Verhandlungen gelungen ist – auch mit Unterstützung der GRÜNEN; ich will das hier ausdrücklich sagen –, echte Fortschritte für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, für bedürftige Kinder, für Ehrenamtliche und auch für die Kommunen zu erzielen.

Ich nenne drei Namen. Kurt Beck, Manuela Schwesig und Fritz Kuhn waren die treibenden Kräfte, dass dieser Kompromiss zustande gekommen ist. Ich will aber auch gerne erwähnen, dass es auf der Länderseite offensichtlich Ministerpräsident Böhmer gewesen ist, der von Unionsseite dahintergestanden hat.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): So ist es! – Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Seehofer!)

Ich hätte auch gern unsere Landesregierung gelobt. Ich weiß aber bis jetzt nicht so recht, welche Rolle sie dabei gespielt hat. Ich weiß nur, dass Ministerpräsident Bouffier dem Vernehmen nach die Verhandlungsrolle für die BLänder nicht übernehmen wollte. Aber wir werden danach sicherlich einiges dazu hören. Vielleicht gibt es dann doch noch die Gelegenheit, zu loben, Herr Minister.

Sehr geehrte Damen und Herren, dass wir in der Verhandlungskommission Stehvermögen bewiesen haben und hartnäckig geblieben sind, hat sich für Millionen

Menschen in Deutschland gelohnt. Das ist für sie ein positives Signal. Denn künftig erhalten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Leiharbeit einen Mindestlohn. Dieser kommt einer Million Menschen in der Zeitarbeit zugute, und er kommt darüber hinaus 200.000 Menschen in der Weiterbildungsbranche und im Sicherheitsgewerbe zugute. Es ist auch ein Signal für die Menschen, die bisher große Sorge davor hatten, aus welchen Gründen auch immer, irgendwann vielleicht in Leiharbeit zu geraten. Damit haben wir mit Blick auf die europäische Arbeitnehmerfreizügigkeit zum 1. Mai dieses Jahres gerade noch die Kurve bekommen.

Wir bedauern es nicht nur, sondern wir kritisieren ausdrücklich, dass mit CDU und FDP der Grundsatz gleicher Lohn für gleiche Arbeit in der Leiharbeit immer noch nicht durchsetzbar ist. Vor allem scheint uns – ich muss es leider sagen – an der Stelle die FDP nach wie vor unbelehrbar zu sein.

(Beifall bei der SPD)

§ 5 Arbeitnehmer-Entsendegesetz regelt klar den Anspruch auf gleiche Bezahlung, es sei denn, Tarifverträge regeln etwas anderes. Genau diese Schwachstelle müssen wir beseitigen; denn sie wird ausgenutzt. Sie wissen genau, welche sogenannte Gewerkschaft ich in dem Zusammenhang meine. Diese Forderung bleibt für uns auf der Agenda; denn das gehört für uns zur Fairness auf dem Arbeitsmarkt genauso wie ein gesetzlicher allgemeiner Mindestlohn.

Das Angebot der FDP, nach neun Monaten gleichen Lohn zu zahlen, ist, mit Verlaub, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Witz. Denn viele Leiharbeiter sind dann schon längst nicht mehr in dieser Firma beschäftigt. Wie soll das also funktionieren? An dieser Stelle gibt es mit der SPD auch keinen faulen Kompromiss. Das sage ich eindeutig und klar. Wir werden demnächst mit einem Antrag erneut auf Sie zukommen, im Bundesrat entsprechend initiativ zu werden. Das darf ich Ihnen an dieser Stelle schon ankündigen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, werfen wir einen Blick auf das ausgehandelte Bildungspaket. Das von Ministerin von der Leyen ursprünglich vorgelegte Päckchen, um es einmal so zu bezeichnen, sah wesentlich schmaler aus. Für uns war und ist es wichtig, dass von diesen Leistungen nicht nur die Kinder der Leistungsempfänger nach Hartz IV profitieren. Nein, für uns war es wichtig, dass auch die halbe Million Kinder von Geringverdienern einen Anspruch auf diese Leistung haben.

(Beifall bei der SPD)

Es war uns wichtig, dass Kinder nicht nur in Schulen und Kindertagesstätten ein warmes Mittagessen bekommen, sondern auch in den Horten. Auch das hat bei Frau von der Leyen Überzeugungskraft gekostet. Sie wollte das nämlich erst nicht. Das Gleiche war der Fall, als es um die Durchsetzung von 3.000 Stellen für Schulsozialarbeit ging. Ebenfalls eine wichtige Hilfe ist, dass man sich künftig stärker als bisher um Kinder und Jugendliche gerade in sozialen Brennpunkten kümmert.

Mit dem warmen Mittagessen, einem erweiterten Bildungspaket sowie dem Einsatz von 3.000 Schulsozialarbeitern sind in der Tat erste wichtige Schritte für eine verbesserte Infrastruktur an den Bildungseinrichtungen gemacht. Wir dürfen auf diesem Weg nicht stehen bleiben. Bund, Länder und Kommunen sind gefordert, diesen Weg konsequent weiterzugehen. Es geht um die Eröffnung von

Bildungswegen für alle Kinder, egal, aus welchen Schichten sie kommen.

(Beifall bei der SPD)

Zu diesem Weg gehört für die SPD auch ein zügiger Ausbau von Ganztagsschulen und Ganztagskindergärten.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): So ist es!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Bildungspaket von den Kommunen umsetzen zu lassen, ist eine echte Vernunftslösung. Das muss man in diesem Hause feststellen. Der ursprüngliche Vorschlag der Arbeitsministerin, das von den Jobcentern erledigen zu lassen, wäre in der Tat bürokratischer Irrsinn gewesen. Die Kommunen kennen ihre Träger und Netzwerke und können das zielführender umsetzen. Ich glaube, da sind wir uns in diesem Hause weitgehend einig.

Wir sind im Übrigen auch sehr dankbar dafür, dass auf Druck der SPD-geführten Länder und auf Druck von Bayern – Minister Seehofer stand an unserer Seite; wer hätte das gedacht? – den Kommunen die Kosten für das Bildungspaket zeitnah erstattet werden. Angesichts der finanziellen Belastungen der Kommunen wäre für uns auch alles andere ein echtes Unding gewesen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein etwas diffuses Bild bietet sich bei der Übernahme der Fahrtkosten für Schülerinnen und Schüler nach der Klasse 10. Wenn ich Herrn Minister Grüttner richtig verstanden habe, gibt es eine Neuregelung für Kinder in Hartz-IV-Bezug. Ich habe außerdem vernommen, dass es eine Neuregelung nach dem Bundeskindergeldgesetz geben soll, wonach künftig auch Kinder von Geringverdienern diese Fahrtkosten erstattet bekommen sollen. Vielleicht erfahren wir nachher Konkreteres dazu.

(Minister Stefan Grüttner: Sie haben doch schon et- was beantragt!)