Protokoll der Sitzung vom 12.04.2011

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn der Satz „Bedenke das Ende“ bedeutet hier ganz schlicht, wir haben es mit einer Technologieform zu tun – und zwar, seitdem das erste Atomkraftwerk ans Netz gegangen ist –, von der alle immer davon ausgehen müssen, dass nie etwas passieren darf, dass nie ein dummer Zufall passieren darf, dass es nie eine äußere Einwirkung geben darf, niemals ein menschliches Versagen. Genau das ist der Grund – „Bedenke das Ende“ –, weswegen wir der Auffassung sind, dass diese Technologieform der Vergangenheit angehören muss.

Herr Kollege Wagner, Sie haben gesagt, Restrisiko und Risiken gibt es überall. Das stimmt. Ein Windrad kann umfallen. Ein Solarpanel kann vom Dach fallen. Ein Kohlekraftwerk kann brennen. Ein Gaskraftwerk kann explodieren. Aber die Folgen sind immer völlig andere – und

das sehen wir jetzt seit über einem Monat in Fukushima. Die Folgen sind immer völlig andere.

Heute sind es noch zwei Wochen bis zu dem Tag, an dem sich der größte anzunehmende Unfall von Tschernobyl zum 25. Mal jährt. Heute ist der Tag, an dem die japanische Regierung auch offiziell das zugegeben und der Internationalen Atomenergiebehörde gemeldet hat, was Kundige seit Wochen gesehen haben:

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Wir haben es mit einem Super-GAU zu tun, wie es ihn zum letzten Mal in Tschernobyl gegeben hat. In derselben Generation, im Abstand von nicht einmal 25 Jahren, müssen wir zum zweiten Mal etwas erleben, von dem alle, die immer für die Atomkraftwerke waren, gesagt haben, es sei unmöglich. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sollte uns schlicht zu denken geben. Daraus müssen wir lernen, und zwar auch hier in Hessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herr Al-Wazir, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Dr. Wagner?

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bitte sehr!)

Vielen Dank, Herr Kollege Al-Wazir. Ich trage Ihnen drei Sätze einer Agenturmeldung vor, zu genau dem Thema, das Sie eben angesprochen haben, nämlich dem Vergleich zwischen Tschernobyl und Fukushima.

Der Reaktorunfall in Japan sollte aus Sicht des Öko-Instituts nicht dem Super-GAU in Tschernobyl vor 25 Jahren gleichgesetzt werden. „Dass die Gefahrenwarnstufe... jetzt auf 7 hochgestuft wurde, bedeutet nicht, dass die Katastrophen identisch sind“, sagte Strahlenexperte Christian Küppers am Dienstag der Nachrichtenagentur „dapd“.

Teilen Sie die Aussage des Öko-Instituts, dass diese beiden großen Unglücke, jedenfalls aus heutiger Sicht, nicht miteinander vergleichbar sind?

Herr Kollege Wagner, was bedeutet denn die internationale Warnstufe 7? Sie sagt schlicht, dass man unkontrollierbar und unter Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung in einem weiteren Umkreis eines Kraftwerks eine massive Freisetzung von Radioaktivität hat.

Dass wir in Tschernobyl zusätzlich die Situation hatten, dass das Ganze nicht wasser- sondern graphitmoderiert war und deswegen ein Brand in höchste Atmosphären ging, das stimmt. Aber ich weiß nicht, was in den nächsten Wochen noch in Fukushima passieren wird. Keiner weiß das, auch Sie wissen das nicht. Sie haben es selbst angesprochen, dass Sie in dem neu gegründeten Bundesumweltministerium nach Tschernobyl einmal Verantwortung getragen haben. Auch Sie waren an der Erfindung des sogenannten Wallmann-Ventils beteiligt. Da frage ich Sie einmal aus heutiger Sicht: Sind Sie immer noch der Auf

fassung, dass solche Ereignisse wie in Tschernobyl in westlichen Reaktoren nicht passieren können?

Herr Kollege Wagner, deswegen sollten wir aus dem lernen, was dort gerade passiert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Herr Kollege Dr. Wagner, ich habe mich ein wenig gewundert. Wenn man zwischen Ihren Zeilen gehört hat – bei den vielen Fragen, die Sie gestellt haben –, dann hat man das Gefühl gehabt, Sie wollen eigentlich gar nicht aussteigen.

(Petra Fuhrmann (SPD): So ist es! – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Jetzt ist die Zeit der Fragen, nicht der schnellen Antworten!)

Ja, ja, Herr Dr. Wagner, ich weiß, Sie haben es schwer. Denn das, was Sie seit 25 Jahren jeden Tag erklärt haben, stellt sich jetzt als falsch heraus. Dass eine solche Kehrtwende auf hoher See nicht dazu führen darf, dass Ihnen die halbe Mannschaft über Bord geht, das verstehe ich sogar. Aber ich meine, das, was wir hier gerade erleben, müsste doch noch dem allerletzten Atomkraftbefürworter sagen: Wir müssen raus aus dieser Technologie, und zwar so schnell wie möglich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Herr Kollege Dr. Wagner, im Übrigen gilt das nicht nur aus ethischen Gründen, sondern sogar aus ökonomischen Gründen. Irgendwann in den nächsten Jahren – und es wird noch Jahre dauern – werden wir eine vorläufige Zwischenbilanz bekommen, was diese Katastrophe Japan ökonomisch eigentlich gekostet hat. Jetzt schon können wir sicher sagen, dass wir eine Situation erleben, in der Japan nicht durch das Erdbeben, nicht durch den Tsunami, sondern durch die dritte Katastrophe ökonomisch um Jahre zurückgeworfen werden wird. Ich wage mir gar nicht vorzustellen, was es ökonomisch bedeuten würde, wenn wir in den nächsten Tagen auch noch eine massive Verstrahlung in Richtung Tokio erleben würden.

Schon jetzt können wir ganz sicher sagen, dass Japan auch noch in 100 Jahren ökonomische Folgen dieser Katastrophe tragen wird. Deswegen ist es nicht nur eine ethische, es ist auch eine ökonomische Frage, aus dieser Technologie auszusteigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Herr Kollege Dr. Wagner, Sie haben davon geredet, dass die Bundeskanzlerin eine kluge Entscheidung getroffen habe, weil es „eine emotionale Situation“ gab. Nein, Herr Kollege Dr. Wagner, ich sage Ihnen sehr deutlich: Was wir aus Fukushima und Tschernobyl lernen müssen, auch in Hessen, ist, dass wir Biblis A und Biblis B nicht nur einmal für drei Monate vom Netz nehmen, sondern dass dieses Kraftwerk, diese beiden Blöcke, dauerhaft und für immer vom Netz gehen müssen – dauerhaft und für immer.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ich sage es sehr deutlich: Sie müssen bitte dafür Verständnis haben, dass wir – angesichts unserer Erfahrungen mit dem, was Sie in den letzten Jahren gemacht haben, ange

sichts dessen, welchen Entschließungsantrag Sie hier vorgelegt haben, der enthält nämlich noch zum Teil die alten Satzbausteine aus Zeiten der Laufzeitverlängerung, und wegen der Tatsache, die ich ja kenne und die auch aus den Reden zu hören ist: dass diese Erkenntnis, dass wir da raus müssen, durchaus noch nicht bei allen von CDU und FDP angekommen ist – an diesem Punkt nur von Taten überzeugt werden, nicht aber von Ankündigungen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, nur die Taten zählen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage Ihnen aber meine Überzeugung. Ich gehe davon aus, dass weder Biblis A noch Biblis B wieder ans Netz gehen wird. Denn – und dafür hätten wir kein Moratorium gebraucht – die Probleme gerade dieser beiden Kraftwerksblöcke sind seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten, bekannt. Es sind die beiden Kraftwerksblöcke, die am schlechtesten gegen Flugzeugabstürze geschützt sind. Die Dicke des Containments ist bekannt – bzw. die Dünne des Containments, muss man eher sagen. Es sind die beiden Kraftwerksblöcke, die als einziges Atomkraftwerk in Deutschland nicht über ein externes Notstandsystem verfügen. Es sind die beiden Kraftwerksblöcke, die dementsprechend am schlechtesten gegen Einwirkungen von außen geschützt sind. Deswegen dürfen diese beiden Blöcke nicht mehr ans Netz gehen, und ich bin überzeugt: Die werden nicht mehr ans Netz gehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist auch gut so.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Umso drängender aber ist es, jetzt endlich die Energiewende in Hessen zu beginnen. Wir haben in den letzten zwölf Jahren – oder, wenn wir seit dem 01.01.2000, dem Inkrafttreten des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, rechnen: in den letzten zehn Jahren – in Hessen die Energiewende verschlafen, weil wir eine ignorante Regierung und ignorante Mehrheitsfraktionen in diesem Landtag hatten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Mehrheit und liebe Kolleginnen und Kollegen in der Regierung, wenn Sie jetzt dazugelernt haben,

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Nicht so arrogant!)

dann sage ich aber auch hier: Es zählen nur die Taten, nicht die Ankündigungen – nur die Taten bei der Energiewende zählen, sonst nichts.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das gilt für Sie auch!)

Ich sage Ihnen sehr deutlich, weil aus meiner festen Überzeugung Biblis A und Biblis B nicht mehr ans Netz gehen werden, ist es umso drängender, dass wir in Hessen jetzt endlich mit der Energiewende beginnen, nachdem wir die letzten zehn Jahre schlicht verschenkt haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Dies ist umso dringender, nicht nur aufgrund der aktuellen Situation – –

(Peter Beuth (CDU): Eieiei!)

Sagen Sie nicht: „Eieiei“, Herr Generalsekretär der CDU.

(Peter Beuth (CDU): Das sind doch Sprechblasen!)

Und rufen Sie nicht „Sprechblasen“ dazwischen. Denn Sie haben doch in den letzten zehn Jahren genau die Sprechblasen produziert, die die Leute zu Gegnern der erneuerbaren Energien gemacht haben.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Peter Beuth (CDU): Sie sagen doch nichts Neues! – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Nicht so selbstgerecht!)

Das hat nichts mit Selbstgerechtigkeit zu tun. – Sie haben die ehemalige Kollegin Apel angesprochen; ich hätte es gar nicht getan, Herr Wagner.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Ich habe mit ihr eng zusammengearbeitet!)

Frau Apel war diejenige, die im Landtagswahlkampf 2008 durch den Main-Kinzig-Kreis gezogen ist und den Bürgermeistern vorgeschlagen hat, Vorrangflächen für Windkraft im Tal auszuweisen, wo kein Wind weht, weil das die beste Variante sei, zu verhindern, dass erneuerbare Energien ausgebaut werden. Ich kann Ihnen die Zeitungsartikel zeigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich bitte Sie. Über die Frage, wer was blockiert hat, lieber Herr Wagner, sollten wir, und zwar in Ihrem Interesse, lieber nicht so viel reden.