Protokoll der Sitzung vom 12.04.2011

Ich bitte Sie. Über die Frage, wer was blockiert hat, lieber Herr Wagner, sollten wir, und zwar in Ihrem Interesse, lieber nicht so viel reden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen ist es umso drängender, dass wir anfangen, weil wir in Hessen auf dem letzten Platz der Flächenländer liegen, was die erneuerbaren Energien angeht, und weil die beiden anderen Nachzügler in diesem Bereich, BadenWürttemberg und Bayern, sich deutlich verändern werden.

Baden-Württemberg wird es aufgrund eines Regierungswechsels tun. Das heißt, die Blockadepolitik wird beendet werden, und es wird eine Strategie zum Ausbau der erneuerbaren Energien beginnen. Bayern hat angekündigt – apropos Frau Apel, in Sachen Biomasse ist Bayern leider viel besser als Hessen, wenn ich das so sagen darf; noch nicht einmal da haben wir etwas hingekriegt –, sich in einen Wettlauf mit dem grün-roten Baden-Württemberg beim Ausbau der erneuerbaren Energien zu begeben – Wortlaut von Herrn Söder.

Das heißt, wir sind auf dem letzten Platz, und die beiden anderen Nachzügler gehen jetzt in die Offensive, gehen nach vorne, hören mit der Blockade auf und bauen aus. Wir sind also nicht nur auf dem letzten Platz, wir verlieren sogar noch den Anschluss. Umso drängender ist, dass wir jetzt endlich beginnen.

Ich will zu dem kommen, was jetzt zu tun ist, Herr Wagner. Ich will auch nicht rechthaberisch sein. Aber der Herr Ministerpräsident hat auch das Stichwort gebracht und gefragt, warum die Atomkraftwerke nach dem rot-grünen Ausstieg noch am Netz sind.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das frage ich mich auch!)

Ich sage es Ihnen sehr deutlich: Erstens hätte ich nicht geglaubt, dass Sie uns einmal vorwerfen, dass wir nicht schnell genug abgeschaltet hätten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Wir werfen es nicht vor, wir fragen!)

Aber bitte sehr, es geschehen Zeichen und Wunder. Aber ich sage Ihnen sehr deutlich: Wenn CDU und FDP vor zehn Jahren den Konsens mitgetragen hätten und gesagt hätten, dass dieser Konsens auch für eine Regierung bindend ist, an der sie beteiligt sind, dann hätten die Konzerne nicht die Tricksereien begonnen, die dafür gesorgt haben, dass der Atomkonsens mutwillig unterlaufen worden ist.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Auf der Grundlage Ihrer Gesetze!)

Das bedeutet, die jahrelangen Ankündigungen von CDU und FDP, im Falle einer Regierungsübernahme das Atomgesetz zu ändern und den Ausstieg rückgängig zu machen, haben die Energiekonzerne erst zu ihren Tricksereien wie z. B. der gedrosselten Stromerzeugung oder den mutwilligen Stillständen ermutigt, die dazu geführt haben, dass so wenig abgeschaltet worden ist. Wäre das nicht passiert, dann wären wir jetzt in der Situation, dass bereits sieben Atomkraftwerke unwiderruflich stillgelegt worden wären. Das gehört zur Wahrheit hinzu.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Zur Frage, was jetzt zu tun ist. Wir brauchen den schnellen Ausbau der Windenergie. Wir brauchen ihn auch und gerade in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen, wo er bisher mutwillig verzögert worden ist. Das bedeutet, dass wir darüber reden müssen, wo Vorrangflächen sind. Das bedeutet, dass wir über Höhenbegrenzungen reden müssen, dass wir eine ernsthafte Debatte über die Frage brauchen, wo die zusätzlichen Anlagen hingebaut werden sollen und wann ineffiziente Altanlagen durch effizientere Neuanlagen ersetzt werden.

Wir brauchen auch die Biomassenutzung, Herr Wagner. Den ethischen Fragen stellen wir uns sehr wohl. Aber aus meiner Sicht geht es nicht um das Ob, sondern um das Wie der Biomassenutzung. Wir müssen natürlich Mais-Monokulturen begrenzen. Wir brauchen mehr Effizienz bei diesen Anlagen. Wir müssen auch überlegen, ob wir dabei bedarfsgerechter vorgehen können, sprich, dass sie nicht Stromerzeugung am Strich fahren, sondern dass sie dann einspringen, wenn andere erneuerbare Energien nicht liefern können. Die Biomasse ist nämlich gesicherte Leistung im Gegensatz zur Windkraft und zur Fotovoltaik. Aber es geht in dieser Frage um das Wie und nicht um das Ob.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Auch um das „Wie viel?“!)

Es geht um das Wie, und wir brauchen die Biomasse an diesem Punkt. Ich will Ihnen nachher noch Vorschläge machen, wie die ethischen Fragen aus unserer Sicht gelöst werden können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brauchen auch die Fotovoltaik. Natürlich geht es an dem Punkt auch um weitere Kostendegression, völlig klar. Es geht um bessere Verteilnetze, völlig klar. Aber wir müssen natürlich aufpassen, dass wir bei der Fotovoltaik nicht dasselbe erleben wie beim Biodiesel, dass man vom einen auf den anderen Tag zu stark auf die Bremse steigt und deswegen alles zusammenbricht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir müssen uns auch bei der Wasserkraft überlegen, wie es möglich ist, unter Berücksichtigung nachhaltiger Kriterien zusätzliche Wasserkraft, die ebenfalls gesicherte Leistung ist, zu installieren. Das wird eine schwierige Debatte, wenn ich mir Gewässerökologie und Wasserrahmenrichtlinie anschaue, aber ich sage ausdrücklich: Wir müssen diese Frage stellen, und wir müssen sie unter Berücksichtigung beider Bedürfnisse beantworten.

Ich sage sehr deutlich, dass wir natürlich auch über den Netzausbau reden müssen, ganz klar. Wir müssen über den Ausbau von Speicherkapazitäten reden, damit es uns gelingt, bei Windkraft und bei Fotovoltaik zu gesicherter Leistung zu kommen, also Pumpspeicherkraftwerke mit allem, was dazugehört.

Was den Ausbau gerade von Netzen und Pumpspeicherkraftwerken angeht, ist es so, dass aus meiner Sicht Bürgerbeteiligung und Effizienz keine Widersprüche sind. Meine Erfahrung ist: Wenn man die Leute frühzeitig einbezieht, spart man sich viele Gerichtsverfahren, die am Ende viel mehr Zeit kosten als die Bürgerbeteiligung am Anfang.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sie haben noch ein weiteres Problem beim Netzausbau. Teilweise sind die Netzbetreiber direkt oder indirekt auch diejenigen, die den Strom produzieren. Oft hakt es beim Netzausbau daran, dass sie nicht wollen, dass die Leitung zum Konkurrenten gelegt wird. Auch über diese Frage werden wir nachdenken müssen, wie wir es hinbekommen, das an dem Punkt zu entflechten, um dafür zu sorgen, dass die für das Gemeinwohl sinnvollen Leitungen gebaut werden und nicht RWE alles dafür tut, dass keine Verbindung zum E.ON-Bereich gebaut wird – um es sehr deutlich auszudrücken. Auch über diese Punkte werden wir reden müssen.

Wir werden über die Stromleitung nach Skandinavien reden müssen, die bisher leider nicht vorangekommen ist, weil die Bundesregierung es nicht wollte. Das muss man sehr deutlich sagen. Die Bundesregierung wollte es nicht, weil die deutschen Stromnetzbetreiber kein Interesse daran haben, billigen Wasserkraftstrom nach Deutschland zu bekommen. Das ist leider so. Darüber werden wir diskutieren müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und nicht nur über die Frage, welche Möglichkeiten wir haben, Strom aus Skandinavien zu beziehen. Wir müssen auch darüber diskutieren, welche Möglichkeiten es in Norwegen gibt, die Anlagen so umzurüsten, dass sie nicht nur fallendes Wasser zu Strom machen können, sondern dass sie beispielsweise in Hochwindphasen auch Strom nutzen können, um Wasser wieder hochzupumpen. Auch dies ist eine Möglichkeit, wie wir den norddeutschen Windstrom in Starkwindphasen klug speichern können, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt etwas zur „Stromlücke“. Es macht uns sehr skeptisch, wenn wir hier die alten Redebausteine und die alten Märchen hören. In der Pressekonferenz von Angela Merkel am 14. März, die Sie angesprochen haben, wurde von einen Journalisten besorgt die Frage gestellt: „Wenn wir jetzt auf einen Schlag sieben Kraftwerke vom Netz nehmen, dann haben wir doch die Stromlücke, von der Sie immer geredet haben; deshalb haben Sie doch die Laufzei

ten verlängert.“ Darauf sagte Angela Merke ganz trocken: „Ich darf Sie beruhigen. Deutschland ist ein Stromexportland.“ Genau das haben wir hier gebetsmühlenartig vorgetragen, und Sie haben es immer bestritten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die 17 Atomkraftwerke in Deutschland, die vor dem Moratorium in Betrieb waren, waren seit Jahren nur teilweise am Netz. Gezielte Drosselungen, Betriebsstörungen und Revisionen, die regelmäßig gemacht werden mussten, haben dafür gesorgt, dass der Anteil des Atomstroms seit 2005 ständig gesunken ist. Wir hatten im Jahr 2007 die Situation, dass sechs Atomkraftwerke das ganze Jahr über stillstanden. Deutschland ist unter dem Strich trotzdem ein Stromexportland geblieben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Übrigens: Biblis A und Biblis B standen 2007 das ganze Jahr still. Insofern ist es spannend, wenn da immer die 20 TWh aus 2006 angeführt. 2007 hat Biblis null Strom geliefert.

(Peter Beuth (CDU): Jetzt kommt wieder die Kindergartennummer, dass das Licht in Hessen trotzdem nicht ausgegangen ist!)

Übrigens, Herr Beuth: Die sieben Kraftwerke, die aufgrund des Moratoriums angeblich vom Netz gegangen sind, sind nicht alle vom Netz gegangen, denn drei von ihnen standen schon still.

Die in Deutschland installierte Nettokraftwerksleistung ist zwischen 2005 und 2010 um rund 15.000 MW auf rund 135.000 MW gestiegen. Der Punkt ist schlicht, dass wir am Ende die Frage beantworten müssen: Wie hoch ist die gesicherte Leistung, die uns immer zur Verfügung steht – auch ohne Windkraft und Fotovoltaik, jedenfalls solange die benötigten Speicherkapazitäten noch nicht vorhanden sind? Die gesicherte Leistung in Deutschland beträgt 90.000 MW. Selbst an dem berühmten einen Tag im Winter – meist Ende November oder Anfang Dezember – hatten wir immer noch eine Reserve von 13.200 MW. Die acht Kraftwerke, über die gerade diskutiert wird, haben in den letzten Jahren zusammen weniger als 7.000 MW Leistung geliefert. Deswegen: Jeder, der erzählt, dass wir in Deutschland eine „Stromlücke“ haben, hat sich mit dieser Frage bisher nicht beschäftigt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Ich bitte darum, dass wir von den Fakten ausgehen und uns auf die Fakten verständigen, wenn wir über diese Frage reden, und dann bitte auch mit den alten Geschichten vom Stromimport aus Frankreich und Tschechien aufräumen. Wenn Sie Matthias Kurth schon zitieren, dann zitieren Sie bitte das ganze Interview. Matthias Kurth hat völlig richtigerweise darauf hingewiesen, dass wir aus Tschechien und aus Frankreich Strom importieren. Er hat in demselben Interview kurz zuvor aber gesagt, dass wir auch nach der Abschaltung der Atomkraftwerke Strom exportieren, und zwar in die Niederlande, in die Schweiz und nach Österreich.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Das ist aus dem Interview mit Matthias Kurth vom 4. April. Lesen Sie es nach – und zwar das ganze Interview.

Die spannende Frage ist: Wie ist die Netto-Energiesituation in Deutschland im Laufe des Jahres 2011 unter dem Strich? Ich biete Ihnen an, dass wir uns das schon jetzt ein

mal betrachten. Ich bin sehr sicher, dass das Statistische Bundesamt im Frühjahr 2012 veröffentlichen wird, dass Deutschland auch im Jahr 2011 unter dem Strich kein Stromimporteur geworden ist – trotz der Abschaltung der Atomkraftwerke.

In diesem Zusammenhang sage ich Ihnen: Wir haben ziemlich viele Kraftwerke, die sich in der sogenannten Kaltreserve befinden. Wir haben weiterhin einen Zubau an erneuerbaren Energien. Das heißt, wir werden am Ende – davon bin ich felsenfest überzeugt – kein Stromimportland werden, weil die erneuerbaren Energien in den letzten Jahren so viel Zubau bekommen haben, dass wir keine Stromimporte brauchen. Die spannende Frage ist aber: Wenn wir weiterhin in die Niederlande sowie in andere Länder exportieren – übrigens auch nach Polen – und gleichzeitig aus Frankreich und Tschechien Strom importieren, dann deutet das darauf hin, dass wir ein Leitungsproblem haben.

(Zurufe von der SPD)

Wir haben ein Leitungsproblem. Wir brauchen eine NordSüd-Trasse, um unter anderem norddeutschen Strom in süddeutsche Gegenden zu bekommen, wo Bedarf herrscht. Das ist für uns keine neue Erkenntnis.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Sie können sich die entsprechende Bundestagsdrucksache anschauen. – Der Bundesumweltminister, der ein Netzbedarfsgesetz auf den Weg gebracht hat, hieß Jürgen Trittin. Das wird Sie möglicherweise überraschen. Was Sie vielleicht noch mehr überraschen wird: Es ist im Bundesrat an einer schwarz-gelben Mehrheit gescheitert, weil die Energiekonzerne in Süddeutschland kein Interesse daran hatten, dass norddeutscher Strom nach Süddeutschland kam, weil sie keine Konkurrenz für ihre Kraftwerke haben wollten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Bei der Frage, wer eigentlich zur Dafür- und zur DagegenPartei gehört, bitte ich Sie, zu überlegen, ob alles, was Sie da immer gesagt haben, mit der Realität übereinstimmt. Ich habe hier die Niederschrift über die Sitzung des Kreistags des Werra-Meißner-Kreises vom 10. Dezember 2010. Ich schaue mich gerade um: Wo sind Dirk Landau und Dieter Franz?

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Wo ist der Ministerpräsident?)

Wo der MP ist, weiß ich nicht, aber Dirk Landau ist da.

(Zurufe von der SPD)

Damals wurde im Kreistag über die Trasse Wahle – Mecklar diskutiert. Sie wissen, dass es zwei Varianten gibt: die eine durch Schwalm-Eder, die andere über Werra-Meißner. Beide enden in Mecklar. Was ist am 10. Dezember 2010 passiert? Der Kreistag des Werra-Meißner-Kreises hat über diese Trasse diskutiert. Damals ist eine Resolution mit folgendem Inhalt verabschiedet worden. Erstens wird eine Freileitung abgelehnt, zweitens wird sogar eine Erdverkabelung abgelehnt. Wissen Sie, wer diesen Beschluss gefasst hat? SPD, FDP und CDU. Die einzige Dafür-Partei war BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dieter Franz (SPD))