Protokoll der Sitzung vom 17.05.2011

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Sparen steht an oberster Stelle, und Sparen wird auch künftig die oberste Prämisse des Regierungshandelns dieser Landesregierung sein; denn nur, wenn wir diesen Weg in dieser Weise konsequent fortsetzen, werden wir Generationengerechtigkeit, Freiheit der nachfolgenden Generationen und auch sozialen Frieden sicherstellen. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Herr Noll. – Nach unserer Absprache ist jetzt die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dran. Ich darf Herrn Kaufmann das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, Herr Kollege Noll, es fällt jetzt wirklich schwer, sich nach dieser offensichtlich aus der fünften Jahreszeit stammenden Rede wieder ernsthaft dem Thema zu nähern.

(Alexander Noll (FDP): Wenn Sie den Zusammenhang erklären können! – Weitere Zurufe von der FDP)

Das ist in der Tat nicht ganz einfach. Deswegen will ich aber, Herr Kollege, einmal bei Ihnen anfangen.

Sie haben deutlich über die Stimmenzahl bei der Volksabstimmung gesprochen und dabei vergessen zu erwähnen, dass Ihre eigene Stimmenzahl bei der Landratswahl nicht ganz so komfortabel ausgefallen ist und wir deshalb nach wie vor die Freude haben, uns an Ihren Gedanken zu ergötzen – auch wenn diese Gedanken nicht sehr substanzhaltig waren;

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU: Was für ein Niveau!)

denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, im ersten Semester des Studiums der Volkswirtschaft lernt man genau das Gegenteil von dem,

(Zuruf von der CDU: Ach du großer Gott!)

was der Kollege Noll uns gerade weismachen wollte;

(Zuruf von der CDU: Das glaube ich nicht!)

nämlich, die Aussage: „Schulden sind immer etwas Schlechtes“, ist falsch. Wenn es niemanden gäbe, der Kredite aufnimmt, gäbe es auch niemanden, der Zinsen kassieren kann, weil die eine und die andere Seite untrennbar zueinandergehören. Also braucht die Wirtschaft Kreditnehmer und Kreditgeber. Kaum ein Schuldner wirkt dabei so stabilisierend auf die Kreditmärkte wie solvente öffentliche Hände. Auch das ist bekannt und führt dazu, dass man z. B. sichere Anlagen tätigen kann.

Verehrter Herr Kollege Noll, bisher war ich der möglicherweise irrigen Auffassung, dass von denjenigen, die Anlagen tätigen wollen, durchaus eine ganze Reihe von Leuten Ihnen und Ihrer politischen Richtung zuneigten. Jetzt haben Sie denen heute allen erklärt: „Ihr kriegt nichts mehr, weil Schulden des Teufels sind“ – also kann man auch kein Geld mehr verleihen, weil das ebenfalls zwangsläufig Schulden seitens des entsprechenden Schuldners bedeutet.

Meine Damen und Herren, der Kollege Noll hat bei seinen Anmerkungen zum Thema unter volkswirtschaftlichen Aspekten zu 100 % danebengelegen.

Er hat sich dann – Herr Noll, ich befasse mich gerne mit Ihnen, es macht große Freude, dass Sie uns erhalten geblieben sind – über die Werbemaßnahmen im Zusammenhang mit der hinter uns liegenden Volksabstimmung über die Schuldenbremse befasst. Ich habe mir mehrfach Ihren Werbeflyer angeschaut, Herr Kollege, und habe immer wieder über etwas gerätselt. Warum Ihr Sparschwein blau war, war noch nicht die zentrale Frage. Aber warum hatte man ihm ein Pflaster über das linke Auge geklebt? Das habe ich nicht verstanden.

Die CDU – insoweit sind die beiden Fraktionen, die hier die Regierungsmehrheit bilden, offensichtlich Sparschweinfreunde – hat auf ihrem Flyer ebenfalls ein Sparschwein abgebildet. Sie werden sich erinnern, Herr Kollege: Dieses Sparschwein – weiß, ganz unschuldig – freut sich darüber, dass irgendjemand Geld in es hineinsteckt. Wir haben beim Thema Schuldenbremse aber eigentlich gar nicht die Frage, wo man Geld hineinstecken kann, sondern wie man verhindert, dass man sich zusätzliches Geld pumpen muss. Das heißt, die Werbung der CDU war ebenfalls nicht übermäßig gelungen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Wenn wir dies konstatieren, sehr verehrter Herr Finanzminister, dann ist natürlich auch Folgendes ins Auge zu fassen. Der Landtag hat mit einer Mehrheit von 95 % für die Schuldenbremse gestimmt. Das Volk hat mit einer Mehrheit von nur 70 % für die Schuldenbremse gestimmt. Wenn man das also ganz grob und schematisch betrachtet, sind 25 % verloren gegangen. Lieber Willi, du hast nach mir ja noch Gelegenheit, alles geradezurücken, aber bei aller Freundschaft: Ich glaube nicht, dass eure Propaganda für 25 % der Bevölkerung gut war. Ganz sicher nicht, vor allen Dingen auch deshalb nicht, weil eure Argumente nicht richtig waren.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Was heißt das denn, Herr Kollege Noll? Das heißt doch, dass Sie mit Ihrer Propaganda – Sparschwein mit Pflaster unter dem Ohr und die Aussagen, die Sie heute getroffen haben, obwohl der Termin vorbei ist und wir nicht mehr abzustimmen brauchen – noch immer den gleichen Blödsinn erzählen und damit den Leuten tatsächlich Angst machen. Sie selbst haben mit dafür gesorgt, dass die Zustimmung nicht deutlicher ausfiel. Das ist ja genau der Punkt: Solange man meint – das haben wir heute wieder sehr eindringlich hören können –, die Schuldenbremse allein durch das Zurückführen von Ausgaben einhalten zu können, so lange ist man auf dem Holzweg.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Man muss eine Diskussion über die Aufgaben des Staates führen. Das haben wir GRÜNEN, wenn ich freundlich daran erinnern darf, als Fraktion schon im Januar 2010 in unserem ersten Konzeptentwurf für Hessens Weg aus der Schuldenfalle dargelegt. Diese Diskussion kann man durchaus führen. Das sehen Sie ja ähnlich. Wir sagen, der Staat hat mehr Aufgaben und größere Pflichten, als Sie meinen, dass Sie es nötig haben – solange Sie nicht in Schwierigkeiten kommen, dann wollen Sie es auch. Davon einmal abgesehen: Die Grundidee, zunächst die staatlichen Aufgaben zu definieren, dann festzustellen, was die möglichst effektive Erbringung dieser Aufgaben kostet, und im dritten Schritt festzulegen, was wir an Einnahmen brauchen, um diese Aufgaben erfüllen zu können, ist im Prinzip ein ganz vernünftiger Dreischritt, der bei Ihnen aber überhaupt nicht vorkommt. Sie reden nur davon, die Ausgaben sollen möglichst gekürzt werden.

Herr Noll, Sie haben gesagt, das Schuldenmachen sei das Unsozialste, was man tun könne. Sie haben noch ein paar unflätige Bemerkungen über das Schuldenmachen drangehängt. Sehr geehrter Herr Kollege Noll, ist Ihnen eigentlich gegenwärtig, dass Sie – Sie als Person – in diesem Saal die Hand dafür gehoben haben, dass das Land Hessen Rekordschulden gemacht hat, dass Sie also dafür gestimmt haben, das Unsozialste, was man sich vorstellen kann, zu tun? Ist Ihnen das noch präsent? Es ist noch nicht lange her. Wir haben als Land durch Beschluss der Mehrheit in die sem Haus in den vergangenen Jahren Rekordschulden gemacht. Das ist, denke ich, unstrittig. Deutlich über 3 Mil liarden € Neuverschuldung – das ist der höchs te Wert, den Hessen in seiner Geschichte je hatte. Schauen Sie sich die Entwicklung der hessischen Schulden seit dem Jahr 1998 an. Ich habe Ihnen dieses Bild schon öfter gezeigt.

(Der Redner hält eine Grafik hoch.)

Sie kennen das. Ich habe diesen Balken nicht rot gefärbt, weil rote Zahlen Schulden darstellen, sondern weil ich mit der Farbe die politische Verantwortlichkeit kennzeichnen wollte.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Bei der einen Linie ist die Finanzplanung noch einbezogen, Herr Kollege Rentsch. Die andere Linie, das sind die aktualisierten Zahlen, also das, was auch der Finanzminister verkündet. So sieht die Bilanz aus. Dazu kann ich nur sagen: Das Unsozialste, was man sich vorstellen kann, wird hier dokumentiert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hier sehen Sie den Schuldenstand im Jahr 1998. Bekanntermaßen hat die erste Regierung Koch im Jahr 1999 rückwirkend eine Schuldenerhöhung für das Jahr 1998 mittels eines Doppelhaushalts beschlossen. So ging es also los: erst einmal Schulden machen. Das hat sich in dieser Weise fortgesetzt.

Ich zeige Ihnen das nur, damit wir Klarheit darüber bekommen, wer der Verursacher dieser hohen Schulden ist. Wir sollten bei der Debatte auch einmal kurz zurückschauen. Herr Kollege, von einem Paradigmenwechsel zu reden und zu sagen, wir alle seien an den Schulden schuld, ist ein bisschen zu kurz gesprungen. Man sollte dann schon feststellen: Die Rekordschuldenmacher in Hessen sind CDU und FDP. Deswegen kann ich nur immer wiederholen: Man muss sich wundern, warum sich nach wie vor das Gerücht in der Welt hält, dass gerade die Schwarzen und die Gelben gut mit Geld umgehen können. Das Gegenteil ist der Fall.

(Lebhafte Zurufe von der CDU und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, schon bei der Anhörung im Gesetzgebungsverfahren zum Thema Schuldenbremse hier im Saal haben wir von den Wissenschaftlern gehört – man kann es nicht oft genug unterstreichen –: Eine vernünftige Fiskalpolitik braucht keine Schuldenbremse, weil in keinem Gesetz dieser Welt steht, dass man Schulden machen muss. Das Schuldenmachen ist immer eine politische Entscheidung und hängt oftmals mit der Überschreitung rechtlicher Grenzen zusammen. Insoweit ist der Versuch, durch Verfassungsbindung – sowohl auf Bundesebene als auch bei uns – sich selbst das Schuldenmachen zu verbieten, natürlich nichts anderes als ein Stück weit ein Offenbarungseid der Politik, dass sie es ohne eine solche Regel nicht schaffen zu können meint. Die Frage ist dabei natürlich auch: Wo nehmen wir eigentlich die begründete Hoffnung her, dass wir es mit einer solchen Regel schaffen werden, keine Schulden mehr zu machen?

Herr Kollege Milde, eines der politischen Grundprinzipien der GRÜNEN ist, wie Sie wissen, die Nachhaltigkeit. Ich weiß nicht, in wie vielen Haushaltsreden an diesem Pult ich mir über die Verschuldungspolitik des damaligen Finanzministers den Mund fusselig geredet habe. Sie haben dann immer das schöne Wort gesagt, das letztes Jahr endlich zum Unwort des Jahres wurde, dass nämlich die Politik des Schuldenmachens „alternativlos“ sei. Auf einmal kam ein guter Geist, woher auch immer, und daraufhin haben Sie beschlossen: Das Schuldenmachen, das bisher als „alternativlos“ galt, ist ab jetzt verboten.

Meine Damen und Herren, wir haben im Wahlkampf für die Schuldenbremse geworben. Wir haben in der Tat nicht so platt geworben, dass wir ein Sparschwein mit oder ohne Pflaster präsentiert haben, sondern wir haben gesagt: Die Schuldenbremse muss gerecht gestaltet werden. – Das heißt in der Tat, dass wir die Schuldenbremse als eine Verpflichtung verstehen, dem Staat die Einnahmen zu verschaffen, die er benötigt, um die als notwendig erkannten Aufgaben bei effizienter Durchführung bezahlen zu können und nicht auf Kredit gehen zu müssen. Denn es ist ein nicht akzeptabler Zustand – darüber sind wir uns alle wahrscheinlich einig –, dass die wichtigste Einnahmequelle, über die die Länder selbst entscheiden können, die Schuldenmacherei ist. Das war bisher so und ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch immer so. Deswegen hätte man schon guten Grund, sich auch darüber Gedanken zu machen, wie die Einnahmesituation des Landes aussieht.

Deswegen war es wichtig und richtig – ich bin sehr dankbar, dass das am Ende gelungen ist –, dass wir als Ergebnis der Verhandlungen den Einnahmeaspekt in die Verfassung hineingeschrieben haben, um sicherzustellen, dass es, um in solchen Bildern zu bleiben, nicht nur um das Mähen, sondern auch um das Düngen geht.

Verehrter Herr Finanzminister, in diesem Kontext hätte ich es als ein bisschen mutig, in jedem Fall aber als geboten empfunden, wenn Sie diese wichtigen Aussagen nicht nur am letzten Samstag gegenüber der „Frankfurter Rundschau“, sondern auch in diesem Saal getroffen hätten. Jetzt schauen Sie mich fragend an und überlegen: Was meint er denn? – Der Herr Finanzminister hat am 14. Mai der „Frankfurter Rundschau“ ein Interview gegeben, in dem nach den Einnahmen gefragt wird. Die Antwort lautet – ich darf zitieren: O-Ton Dr. Schäfer –:

Ich könnte mir vorstellen, dass den Ländern bei einzelnen Steuerarten die Möglichkeit gegeben wird, Zuschläge zu generieren. Ein Landeszuschlag bei der Einkommensteuer oder der Körperschaftsteuer wäre etwas, was man diskutieren könnte. Die Föderalismuskommission ist leider zu einem anderen Ergebnis gekommen.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Dass die Föderalismuskommission zu einem anderen Ergebnis gekommen ist, weiß ich selbst. Nur, dass der Hessischen Finanzminister, der in eine schwarz-gelbe Koalition eingebunden ist, deutlich sagt, dass er ein Steuerfindungsrecht für das Land haben will, halte ich für ein Stückchen Fortschritt. Das sage ich ganz offen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Noll, dieser Fortschritt wird durch die Aussage, die Sie vorhin gemacht haben, geradezu flankiert. Sie haben gesagt – für einen Menschen von der FDP ist das, auch nach der jüngst angestoßenen neuen Debatte, fast schon als sensationell zu bewerten –, an der Steuergesetzgebung solle sich nichts ändern.

(Zurufe von der FDP)

Nach den Berichten über den FDP-Bundesparteitag am letzten Wochenende, die an meine Ohren und an meine Augen gelangt sind, gab es dort deutlich andere Ankündigungen. Man wolle bei den Steuern wieder einen Anlauf machen, da man neuerdings so viel Geld im Säckel habe. Das finde ich durchaus bemerkenswert. Ich werde mit Interesse und Freude die Auseinandersetzung zwischen dem Herrn Finanzminister und den Vertretern der FDP – wer immer das sein mag – über die Frage begleiten, ob wir uns Steuersenkungen, die zwangsläufig auch Gesetzesänderungen wären, leisten können oder nicht.

Genau hier ist nämlich das Dilemma. Mein Fraktionsvorsitzender hat Sie, was diese Frage betrifft, einmal als Sekte identifiziert, die nur daran glaubt und ständig das Mantra „Steuersenkungen, Steuersenkungen, Steuersenkungen“ wiederholt. Auch bei Ihnen kam es in der Debatte wieder zum Vorschein. Aber allein damit kann man nicht gestalten.

Damit sind wir jetzt meiner Meinung nach bei der großen Krux dieser Regierungskoalition und dieser Regierung. Verehrter Herr Finanzminister, es geht um das, was Sie uns hier geboten haben. Sie haben am Ende gesagt, Sie seien sparsam und würden deshalb die Redezeit nicht ausschöpfen. Das ist richtig. Allerdings war Ihre Rede auch etwas sparsam an Gedanken.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Oh! Das war ein Sparwitz!)

Sie haben nämlich schlicht und einfach wenig bis gar nichts Innovatives gebracht, sondern nur das Mantra wiederholt, das vielleicht allen an der Regierung Beteiligten gemeinsam ist: Wachstum, Wachstum, Wachstum.

(Alexander Noll (FDP): Dann ist es doch gut, dass Sie etwas sagen!)

„www“ ist aber nicht, wie Sie vielleicht meinen, die neudeutsche Bezeichnung für „Wachstum, Wachstum, Wachstum“, sondern hat eine andere Bedeutung.