Protokoll der Sitzung vom 08.06.2011

Dieser Mindestlohn ist starr und unverrückbar, und das marktwirtschaftliche Instrument schnell und flexibel, einen angemessenen Lohn auszuhandeln. Dieses Prinzip wird durch den Mindestlohn außer Kraft gesetzt. Arbeitsmarktpolitisch betrachtet ist dies höchst risikobehaftet. Aber exakt dies blenden Sie aus, indem Sie als Argument für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von nunmehr 8,50 € die Ergebnisse einer Studie der Prognos AG ins Feld führen, die einseitig auf die Entlastung der öffentlichen Haushalte ausgerichtet ist, aber nicht auf die Auswirkungen im Arbeitsmarkt.

Frau Müller-Klepper, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein. – Dies wird auch von den Autoren konzediert. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten:

Übertragen auf die deutsche Situation ist insofern keine exakte Abschätzung der zu erwartenden Beschäftigungseffekte machbar.

Das heißt, eine Quantifizierung oder Modellierung von Beschäftigungswirkungen der zu betrachtenden Mindestlöhne ist nicht Gegenstand dieses Gutachtens.

Meine Damen und Herren, für eine politische, eine ökonomische oder eine wissenschaftliche Diskussion kann man eine solche Milchmädchenrechnung nicht heranziehen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Die Studie stellt völlig überraschend fest, dass mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns erhebliche fiskalische Effekte verbunden sind. Wer hätte das gedacht? Dass ein gesetzlicher Mindestlohn diese Auswirkungen haben würde, wenn wir in einem Märchenland leben würden, das hat nie jemand bestritten. Jeder halbwegs

gute VWL-Student könnte diese Feststellung treffen. Entscheidend ist aber gerade, die arbeitsmarktpolitischen Effekte einzuschätzen. Da ist der gesunde Menschenverstand ausreichend, um zu wissen, dass ein Mindestlohn zwischen 8,50 € und 12 € natürlich Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hat.

Nach Schätzungen des Instituts der deutschen Wirtschaft würde ein Mindestlohn von 1.500 € im Monat bis zu 3 Millionen Jobs in Deutschland gefährden. Arbeitsmarktpolitik muss zum Ziel haben, arbeitslose Menschen wieder langfristig in Arbeit und Brot zubringen, und zwar zu Konditionen, die marktgerecht sind.

(Zuruf der Abg. Sabine Waschke (SPD))

Die Entwicklung dieser marktgerechten Konditionen soll Ergebnis von Tarifverhandlungen der Tarifpartner sein. Sie wissen, welche Löhne für welche Leistungen marktfähig sind. Staatliche Zwangsinstrumente hingegen haben noch nie zum Erfolg geführt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Besonders zu bedenken ist, dass der gesetzliche Mindestlohn ein Arbeitsplatzrisiko gerade für gering Qualifizierte darstellt.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Decker (SPD))

Trotz der gegenwärtigen positiven Nachrichten vom Arbeitsmarkt gibt es immer noch zu viele Menschen, die ohne Beschäftigung sind. Ein großer Teil dieser Menschen, Langzeitarbeitslose, Menschen mit geringer Qualifikation, erwartet von der Politik Hilfe. Sie erwarten nicht, dass wir für ihre Rückkehr per Gesetz neue Hürden auf dem Arbeitsmarkt aufstellen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Jeder starr festgelegte Mindestlohn grenzt automatisch diejenigen vom Arbeitsmarkt aus, die nur eine geringe Produktivität erbringen können. Was zunächst sehr sozial daherkommt – denn wer wollte etwas gegen die Forderung nach höheren Löhnen haben? –, bewirkt im Ergebnis das Gegenteil von dem, was er vorgibt erreichen zu wollen. Zu künstlich überhöhten Löhnen wird kein Arbeitgeber Personal einstellen. Jobs müssen sich rechnen, sonst gibt es sie nicht, zumindest nicht bei uns, sondern sie werden ins Ausland verlagert.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf von der SPD)

Bei den Beschäftigungen, bei denen das nicht möglich ist, die vor Ort erbracht werden müssen, wird die Schwarzarbeit angeheizt. Wer Niedriglohnbereiche per Mindestlohn teuer macht, zerstört Hunderttausende Arbeitsplätze.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Sie weisen in Ihrem Antrag darauf hin, dass der Anteil der Niedriglöhne gestiegen ist.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da könnte auch Hans-Olaf Henkel sprechen!)

Dies hängt mit dem generellen Anstieg der Beschäftigungen zusammen, dies hängt aber auch mit den Arbeitsmarktreformen zusammen. Das Ziel der Arbeitsmarktreform, der Hartz-IV-Gesetze, war es, dass dieses Beschäftigungssegment erschlossen wird. Es sollten Anreize zur Aufnahme einfacher, niedrig entlohnter Beschäftigung gegeben werden. Ein solcher Weg rechnet sich für alle. Er rechnet sich für den Arbeitnehmer, der wieder ins Ar

beitsleben kommt, für den Betrieb, für den die Arbeit bezahlbar wird, und für den Staat, der Sozialleistungen spart.

Werfen wir einen Blick auf die sogenannten Aufstocker, also die Personen, die trotz Einkommen ergänzende SGB-II-Leistungen beziehen. Herr Rock hat es bereits erwähnt: Es sind 1,4 Millionen Menschen; zieht man die Selbstständigen ab, bleiben 1,28 Millionen Menschen. Aber nur 27,3 % der Aufstocker arbeiten in Vollzeit. Der Rest ist in Teilzeit beschäftigt oder übt Minijobs aus. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass mit einem Mindestlohn von 8,50 € der Lebensunterhalt bestritten werden könnte.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Die Zahl derer, die in Vollzeit arbeiten und trotzdem Hartz IV bekommen, würde sich durch einen Mindestlohn nicht deutlich reduzieren. Die meisten Aufstocker, die in Vollzeit arbeiten, haben Kinder und einen Partner, der nicht oder nur sehr wenig hinzuverdient. Auch sie würden bei einem Mindestlohn von 8,50 € pro Stunde weiter Hartz IV bekommen.

Sie zitieren so gerne die Länder in Europa und die USA als Beispielgeber für den Mindestlohn. Ich bestreite nicht, dass jüngere Untersuchungen in den USA die Deutung nahelegen, dass trotz der Mindestlöhne kein Beschäftigungsabbau nachweisbar ist. Hingegen liegt auf der Hand, dass in den USA die Arbeitsmarktsituation eine völlig andere ist. Die Höhe der Löhne kann nicht isoliert betrachtet werden. Zu dem deutschen Stundenlohn kommen eben noch einmal mindestens 23 % Lohnnebenkosten hinzu, die natürlich in die ökonomischen Überlegungen eines Arbeitgebers einfließen müssen. Eine solch hohe Quote von Lohnnebenkosten ist unserem Sozialversicherungssystem geschuldet. Das hat aber in den USA keine Entsprechung. Insofern vergleichen Sie Äpfel mit Birnen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Für uns als Landesregierung gilt der Grundsatz: Wer arbeitet, muss mehr haben, als wenn er nicht arbeitet.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Es ist unstrittig, dass der Lebensunterhalt im Ergebnis sichergestellt sein muss. Dies wird bei uns durch ein Mindesteinkommen über die Regelung der Grundsicherung gewährleistet. Ein solches Mindesteinkommen macht auch Arbeit attraktiver und sichert Arbeitsplätze.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, was ist besser: Arbeit gegen Entgelt, selbst wenn es nicht existenzsichernd ist, oder lieber Geld ohne Arbeit? – Besser einen Job mit Lohnkostenzuschüssen als keine Arbeit und Arbeitslosengeld.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Frau Staatssekretärin, die Redezeit der Fraktionen ist erreicht.

Zum Thema „Dumpinglöhne vermeiden“ weise ich auf die Ausführungen von Herrn Burghardt und Herrn Rock hin. Wir haben in der bundespolitischen Gesetzgebung durch das Entsendegesetz die entsprechenden Schutzmechanismen. Ich weise darauf hin, dass von den zehn Min

destlöhnen nur einer unter Rot-Grün eingeführt worden ist. Sie hatten in rot-grüner Regierungszeit die Möglichkeit, den gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, was nicht passiert ist.

(Holger Bellino (CDU): Aha!)

Meine Damen und Herren, Fazit: Wir sind in den vergangenen Jahrzehnten mit dem Wechselspiel von Arbeitgebern und Gewerkschaften bei der Wahrnehmung von wirtschaftlicher und sozialer Verantwortung gut gefahren. Das soll so bleiben. Deshalb lehnen wir diesen Antrag ab und werden auch keine Bundesratsinitiative einbringen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Danke sehr, Frau Müller-Klepper. – Wir treten in die zweite Diskussionsrunde ein, fünf Minuten Redezeit. Es beginnt Herr Dr. Spies für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Staatssekretärin, den Zusammenhang zwischen dem Godesberger Programm und 3,64 € herzustellen, ist perfide, und das weisen wir in aller Deutlichkeit zurück.

(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Gespielte Empörung!)

Frau Staatssekretärin, wenn Sie an dieser Stelle auf die Ziele von Hartz IV und die unter sozialdemokratischer Führung eingeführten Änderungen am Arbeitsmarkt verweisen und daraus herleiten wollen, dass damit Löhne von 3,64 € zu rechtfertigen seien,

(Staatssekretärin Petra Müller-Klepper: Das habe ich nicht!)

dann haben Sie elementare Kategorien der Reform am Arbeitsmarkt nicht verstanden.

(Beifall bei der SPD)

Natürlich ist es immer besser, eine Beschäftigung als keine Beschäftigung zu haben. Selbstverständlich ist es für denjenigen, der nicht in Vollzeit zu einem angemessenen Lohn, sondern aus den persönlichen Bedingungen heraus nur in Teilzeit, aber zu einem angemessenen Lohn arbeiten kann und deshalb eine Ergänzung braucht, richtig, dass wir noch Ergänzungsmöglichkeiten haben. Das hat aber mit der Mindestlohndebatte überhaupt nichts zu tun.

(Staatssekretärin Petra Müller-Klepper: Doch!)

Wenn Sie an der Stelle auf die Frage der sozialen Marktwirtschaft als Prinzip rekurrieren, würde ich empfehlen, sich mit den Gewerkschaften und Arbeitgebern, mit Hessenchemie, mit Gesamtmetall, über die Frage zu unterhalten, welche Löhne und Tarife die in Bereichen zahlen, in denen Sozialpartnerschaft seit Jahren stabil funktioniert hat.