Petra Müller-Klepper

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Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Während die LINKEN in ihrem Dringlichen Antrag ideo logische Feindbilder pflegen, die fernab jeder Realität sind, setzt sich der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN konstruktiv mit der Problemsituation auseinander. Die abgeleiteten Forderungen teilen wir jedoch nicht in Gänze, sondern nur zum Teil. Wir unterschreiben ohne Wenn und Aber die Forderung nach dem Erhalt der Trägervielfalt in der Krankenhauslandschaft. Wir freuen uns über das Lob für unser Engagement, das in Ziffer 6 zum Ausdruck gebracht wird.
Die weiteren Vorschläge sind jedoch mit dem zugegebenermaßen komplexen Krankenhausrecht nicht vereinbar, oder sie sind schlichtweg überholt, weil wir als Landesregierung bereits gehandelt haben.
Der Antrag plädiert zu Recht für den Erhalt der Trägervielfalt. Das ist richtig. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Wir verfolgen dieses Prinzip seit Jahr und Tag. Wir handeln entsprechend.
Das Krankenhausfinanzierungsgesetz des Bundes und alle Krankenhausgesetze der Länder fordern die Berücksichtigung der Trägervielfalt. Zudem misst ihr das Bundesverfassungsgericht ein hohes Gewicht bei.
Die Trägervielfalt ist im Hessischen Krankenhausgesetz als Ziel normiert, weil wir sie für wichtig halten. Das ist der richtige Weg, um eine wohnortnahe und hochwertige Krankenhausversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Es ist zu beachten, dass das Gebot der Trägervielfalt entstanden ist, weil man gerade frei-gemeinnützigen und privaten Trägern ermöglichen wollte, neben den kommunalen an der Krankenhausversorgung teilzunehmen. Das Krankenhausfinanzierungsgesetz des Bundes formuliert dies ausdrücklich. Das ist auch sinnvoll. Denn jede Trägerschaft hat ihre Stärken und Schwächen. Wer das Recht auf freie Krankenhauswahl ernst nimmt, muss den Patienten auch die Möglichkeit bieten, sich entscheiden zu können.
Die Trägervielfalt existiert in Hessen. Es gibt ein relativ ausgewogenes Spektrum. Aktuell sind von unseren Plankrankenhäusern 33 % kommunal, 39 % frei-gemeinnützig und 28 % privat.
Worum geht es bei der Diskussion um die Trägervielfalt aktuell? – Es geht darum, dass es die kommunalen Häuser seit Jahren immer weniger schaffen, wenigstens eine schwarze Null zu schreiben. Vielmehr driften sie immer mehr ins Defizit ab. Die kommunalen Kliniken sind aber fast alle für die Notfallversorgung unverzichtbar. Hier gilt die Sicherstellungsverpflichtung des Landes und der Landkreise sowie der kreisfreien Städte. Die Kommunen müssen auch dann die Krankenhäuser erhalten, wenn sie defizitär sind, auch dann, wenn sie kein privater oder freigemeinnütziger Träger übernehmen will.
Deshalb reden wir als Landesregierung nicht nur von Trägervielfalt, sondern wir handeln. Aktuell lassen wir ein Konzept erarbeiten, das zeigen soll, wie die kommunalen Häuser durch Bildung von Konzernstruktur und durch Bildung regionaler Holdings so erfolgreich wie die Häuser in frei-gemeinnützig oder privater Trägerschaft werden können.
Herr Minister Grüttner hat dazu bereits im Dezember 2011 ein Thesenpapier an die auf kommunaler Ebene Verantwortlichen geschickt. Selbstverständlich werden im Rahmen dieses Konzeptes auch die Punkte berücksichtigt, die in ihrem Antrag unter Ziffer 5 b genannt sind.
Wir sind der Überzeugung, dass es nicht an der Trägerschaft liegt, ob eine Klinik erfolgreich ist oder nicht. Krankenhäuser können erfolgreich geführt werden, wenn sie frei von kommunalpolitischen Einflüssen sind, wenn ein vernünftiges Betriebsklima herrscht, wenn sich Mediziner und Pflegekräfte als Dienstleister an den Patienten verstehen und wenn die Geschäftsführung es versteht, das Geschäft zu führen.
Das aber geht nicht mehr in jedem Kreiskrankenhaus isoliert. Die Rahmenbedingungen der Krankenhausversorgung sind heutzutage so vielschichtig und komplex, dass der nötige Sachverstand unmöglich in jedem Kreiskrankenhaus vorgehalten werden kann. Wir brauchen größere Einheiten, um Spezialistenwissen allen zugänglich zu machen.
Schon jetzt zeigt sich eine große Bewegung in der Krankenhauslandschaft. Sowohl kommunale als auch frei-gemeinnützige Träger erkennen, dass Konkurrenz um jeden Preis auf engstem Raum nicht zum Erfolg führen wird.
Kooperationen und das Erzielen von Synergien sind der richtige Weg. Wir gehen davon aus, dass die Krankenhauslandschaft, speziell im Rhein-Main-Gebiet, in wenigen Jahren deutlich anders aussehen wird als heute.
Es wird nicht weniger Betten geben, denn die brauchen wir, um die Patienten zu versorgen, und inzwischen sind sie fast überall voll ausgelastet. Es wird aber deutlich mehr enge Kooperationen auf der Basis gesellschaftsrechtlicher Verträge geben als bisher.
Wir werden die Landräte und die Oberbürgermeister nicht zwingen können, diesen Weg mitzugehen. Wir versuchen, zu überzeugen. Aktuell stößt das – übrigens unabhängig von der parteipolitischen Couleur – auf positive Resonanz.
Dass es eine Reihe von Geschäftsführern gibt, die das nicht so sehen, hängt damit zusammen, dass hier die Sichtweise häufig verengt ist.
Meine Damen und Herren, für uns ist es auch eine Selbstverständlichkeit, dass wir uns für eine Neuregelung der Betriebskostenfinanzierung einsetzen, damit Preise und Kosten der Krankenhäuser wieder miteinander in Einklang gebracht und unnötige Leistungsausweitungen verhindert werden.
Hessen ist mit seinem stationären Bereich gut positioniert. Wir als Land haben dafür gesorgt, dass im Rahmen der Krankenhausplanung und -förderung die Strukturen geschaffen werden, die eine moderne Landschaft braucht. Durch die Bereitstellung von Fördermitteln werden die Krankenhäuser in die Lage versetzt, ihre Planungen und Modernisierungen umzusetzen und sich für die Zukunft aufzustellen. Diese erheblichen finanziellen Mittel stellt kaum ein anderes Land in diesem Volumen zur Verfügung.
Meine Damen und Herren, zu den Rahmenbedingungen, die wir als Land aber nicht selbst regeln können, gehört die Betriebskostenfinanzierung der Krankenhäuser.
Hier ist die Situation schwierig. Das unter Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt beschlossene Bundesrecht schafft Fehlanreize. Weil der Landesbasisfallwert, also der landesweite Festpreis für eine Leistung, nicht mit den Tarifentwicklungen und den sonstigen Preissteigerungen steigt, kann es sich kein Krankenhaus erlauben, im Folgejahr genauso viele Patienten zu behandeln wie im Basisjahr. Es muss ständig versuchen, seine Leistungen zu steigern, im Zweifel durch unsinnige Konkurrenz zum Nachbarkrankenhaus. Das führt zu Schlagzeilen wie der vom gestrigen Tag: „Kliniken wegen angeblich unnötiger Operationen in der Kritik“.
Zudem hat die Leistungssteigerung den Nebeneffekt, dass der Landesbasisfallwert bei steigenden Fallzahlen und steigender Morbidität abgesenkt wird. Das nennt man Hamsterradeffekt: Nur wer seine Leistungen noch mehr steigert als der Durchschnitt der Kliniken, kann Schritt halten. Wer das aber nicht kann – unabhängig von der Art der Trägerschaft –, der hat Probleme.
Herr Minister Grüttner hat auf diese schwierige Entwicklung, insbesondere im letzten Jahr in seiner Funktion als Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz, hingewiesen und in Berlin diverse Gespräche geführt. Inzwischen hat sich einiges bewegt. Die Bundesregierung hat beschlossen, es soll einen teilweisen Tarifausgleich für die Krankenhäuser geben, und im nächsten Jahr soll das Vergütungssystem grundsätzlich überprüft werden, um Fehlanreize abzuschaffen.
Auf Initiative Hessens wurde unter unserem Vorsitz eine Arbeitsgruppe der Krankenhausreferate der Länder gebildet, die das Vergütungssystem beleuchtet. Wir wollen Lösungen finden, die es einerseits erlauben, die notwendigen Krankenhauskosten zu bezahlen, andererseits aber nicht notwendige Leistungsausweitungen verhindern.
Meine Damen und Herren, die steigende Morbidität muss bezahlt werden. Entscheidend ist doch: Jedes Krankenhaus muss auch ohne Fallzahlsteigerungen überleben können.
Meine Damen und Herren, jetzt zu den Vorschlägen, die in Konflikt mit der Gesetzeslage stehen.
Sie von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern, wir sollten künftig nur noch Investitionsvorhaben für notwendige Standorte bewilligen.
Dies widerspricht bundesrechtlichen Vorgaben. Nach Bundesrecht haben alle Plankrankenhäuser – nicht nur die für die Notfallversorgung unverzichtbaren Kliniken – Anspruch auf Förderung. Wir können die Gelder nicht einfach nach Gutsherrenart verteilen. Daher ist es rechtswidrig, was hier gefordert wird.
Sie schlagen einen Fonds vor, mit dem die Krankenkassen und das Land für Betriebskostenverluste kommunaler Krankenhäuser einstehen sollen. Die Kassen sollen also für die Krankenhäuser, die mit den landesweit einheitlichen Festpreisen nicht zurechtkommen, einen Aufschlag zahlen. Das pervertiert die Krankenhausfinanzierung. Diejenigen, die schlechter wirtschaften als andere, sollen dafür noch belohnt werden? Leistungsprämien für Misswirtschaft? Das ist grotesk.
Hinzu kommt: Wir als Land dürfen nicht Defizitausgleiche an kommunale Träger gewähren, die wir Privaten und Frei-Gemeinnützigen verwehren. Hiergegen würden andere Kliniken erfolgreich klagen, und derartige Zuschüsse würden gegen europäisches Beihilferecht verstoßen und umgehend die Europäische Kommission auf den Plan rufen.
Sie fordern einen Versorgungsatlas. Gut und schön. Mit viel bürokratischem Aufwand kann man feststellen, ob beispielsweise die Patienten aus Grävenwiesbach in die Hochtaunus-Kliniken gehen oder woanders hin. Das aber sind typische Untersuchungen, die die Kliniken selbst für ihre strategischen Planungen erstellen müssen.
Wir als Land haben die Wahlfreiheit der Patienten zu schützen. Wir haben die Rahmenbedingungen zu sichern. Aber wir haben nicht den Bürgern vorzuschreiben, in welches Krankenhaus sie zu gehen haben. Auch hier ist der Rechtsrahmen zu beachten. Bedarf ist der tatsächlich von der Bevölkerung nachgefragte Bedarf nach Krankenhausleistungen – und eben nicht ein vom Staat gewünschter oder gewollter Bedarf. Das ist seit Jahrzehnten gesicherte Rechtsprechung.
Ja.
Meine Damen und Herren, mit unserem Krankenhausgesetz bieten wir als Land eine moderne Grundlage, damit die Versorgung der Patientinnen und Patienten optimiert wird. Um es den kommunalen Krankenhäusern zu ermöglichen, sich in Konzernstrukturen zu organisieren, haben wir den erwähnten Prozess initiiert. Er findet bundesweite Beachtung und wird als vorbildlich angesehen.
Unser Ziel ist es, auf diese Weise die kommunalen Kliniken in die Lage zu versetzen, mit den Privaten und Freigemeinnützigen mitzuhalten und auf diese Weise die kommunale Trägerschaft als Pfeiler einer pluralen Krankenhauslandschaft dauerhaft zu erhalten. – Ich danke Ihnen.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bringe den Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Hessischen Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst und anderer Vorschriften ein. Das Gesetz hat sich in den vergangenen Jahren grundsätzlich bewährt. Es ist unverzichtbar, insbesondere um die Bevölkerung vor gesundheitlichen Gefahren möglichst einheitlich schützen und die Maßnahmen in Krisensituationen schnell treffen zu können. Es hat sich bei einzelnen Gefahrenlagen, wie z. B. der EHEC-Krise, gezeigt, dass es in verschiedenen Punkten Änderungs- und Ergänzungsbedarf gibt. Das Gesetz ist bis zum 31. Dezember 2012 befristet. Es besteht nunmehr die Gelegenheit, diesen Änderungs- und Ergänzungsbedarf umzusetzen.
In den Gesetzentwurf sind die Erfahrungen der öffentlichen Gesundheitsverwaltung mit dem bisherigen Gesetz eingeflossen. Er hat bei der Verbandsanhörung eine breite Zustimmung gefunden.
Der Gesetzentwurf enthält für den Fall einer überregionalen gesundheitlichen Bedrohung eine wesentliche Neuregelung. Es wurde ein Selbsteintrittsrecht der Aufsichtsbehörden für den Fall aufgenommen, dass sich eine Kommune bei einer besonderen gesundheitlichen Gefahrenlage für die Bevölkerung weigert, einer Weisung im Einzelfall zu folgen. Solche Situationen werden wahrscheinlich selten vorkommen. Diese Regelung dient der Rechtssicherheit, um Risiken für die Gesamtbevölkerung abzuwenden. Sie stellt eine Konfliktregel dar, die nur in einer extremen gesundheitlichen Ausnahmesituation anzuwenden und daher restriktiv auszulegen ist.
Bezüglich der Neuregelung im Hinblick auf die Qualifikation der Leitung eines Gesundheitsamtes gab es im Rahmen der Verbandsanhörung differenzierte Stellungnahmen. Die Neuregelung ermöglicht im Einzelfall eine flexible Handhabung, ohne die Anforderungen an die Qualität des öffentlichen Gesundheitsdienstes zu verringern.
Einige Anregungen der Verbandsanhörung sind nicht übernommen worden, so die Forderung, eine 24-StundenRufbereitschaft einzurichten. Es gilt, die Erreichbarkeit der Gesundheitsämter sicherzustellen. In welcher Form dies aber geschieht, fällt in die Organisationshoheit der kommunalen Gebietskörperschaften. Wir haben uns in den anderen Bundesländern umgehört. In keinem Land ist eine Rufbereitschaft gesetzlich festgelegt.
Die von der Landesärztekammer und dem Hessischen Städtetag angeregte Ergänzung in Bezug auf schulärztliche Untersuchungen von Schülerinnen und Schülern der Schulen in freier Trägerschaft haben wir nicht eingearbeitet, weil durch die parallele Regelung im Hessischen Schulgesetz hier keine Regelungslücke besteht. Ebenso haben wir der Forderung des Hessischen Städtetages nicht entsprochen, auf regelmäßige zahnärztliche Untersuchungen durch die Gesundheitsämter im Rahmen der Jugendzahnpflege zu verzichten. Die seit 20 Jahren bestehende systematische Prophylaxe zeigt hervorragende Ergebnisse und soll aus unserer Sicht fortgesetzt werden.
In § 16 werden Regelungen über die Funktion der Aufsichtsbehörden für die Berufe des Gesundheitswesens neu gefasst und erweitert, und als Folge dieser Neufassung und Erweiterung wird in Art. 2 des Änderungsgesetzes die hessische Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitäter geändert.
Weiterhin soll vor dem Hintergrund der Neufassung des Infektionsschutzgesetzes des Bundes das Land die Möglichkeit erhalten, durch Rechtsverordnung Standardisierungen insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung, Weiterentwicklung und Anwendung landeseinheitlicher Qualitätsanforderungen festzulegen.
Wir sind der Auffassung, dass mit dieser Novellierung eine gute Rechtsgrundlage geschaffen wird, um den zukünftigen Anforderungen an einen sachgerechten und zeitgemäßen öffentlichen Gesundheitsdienst in Hessen zum Wohle der hessischen Bürgerinnen und Bürger Rechnung zu tragen. Wir freuen uns auf die weiteren Beratungen. – Ich danke Ihnen.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! U-3-Betreuungsplätze und Betreuungsgeld sind keine Alternativen, die sich ausschließen, sondern zwei Seiten einer Medaille. Diese Medaille heißt Wahlfreiheit.
Beides sind unterstützende Elemente für unterschiedliche Lebensmodelle, damit das Ja zu Kindern leichter umgesetzt werden kann und Kinder gut betreut aufwachsen.
Eltern wollen unterschiedliche Wege gehen. Familienleben ist vielfältig, deswegen brauchen wir auch beides, wie es auch der Präsident des Familienverbandes, Dr. Klaus Zeh, fordert. Eltern brauchen Planungssicherheit und keinen Kampf, welches der beiden Modelle richtig oder besser ist.
Laut unserer Verfassung ist die Erziehung der Kinder „das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“. Die Familie ist der Hort des Aufwachsens, der Wertevermittlung. Sie ist auch zentrale Bildungsinstanz und Lernort für wertvolle Kernkompetenzen.
Frühkindliche Bildung und Betreuung von Kindern unter drei Jahren durch die Eltern schließen sich nicht aus. Wer hier einen Gegensatz konstruieren möchte, diskreditiert die Erziehungsleistungen, die Generationen von Eltern erbracht haben.
Meine Damen und Herren, Eltern, die sich voll und ganz der Erziehung und Betreuung ihrer Kinder widmen, verdienen keine Häme, wie sie in der Diskussion um das Betreuungsgeld immer wieder geäußert wird, sondern Ermutigung und Dank. Wer Kinder erzieht, leistet wichtige Sorgearbeit und legt damit den Grundstein für die Zukunft unseres Landes.
Der aktuelle Familienbericht der Bundesregierung zeigt: Eltern wollen mehr Zeit für ihre Kinder haben. – Die Politik und zunehmend auch die Wirtschaft haben viele Maßnahmen auf den Weg gebracht, um diesem Wunsch Rechnung zu tragen. Das zentrale Instrument, damit Eltern Zeit für ihr Kind haben, gerade in den ersten Lebensmonaten, die so entscheidend für die Entwicklung sind, ist das Elterngeld. Was ist verwerflich daran, wenn Eltern bereit sind, auf Berufstätigkeit und Einkommen zu verzichten, wenn sie sich länger als ein Jahr Zeit nehmen und die Erziehungsarbeit in diesem Zeitraum in vollem Umfang übernehmen?
Eltern sollen entscheiden können, ob sie ihre Kinder im Alter bis zu drei Jahren zu Hause betreuen oder sie in eine Einrichtung geben. Herr Wagner hat in der schulpolitischen Diskussion treffend gesagt: Eltern wissen, was das Beste für ihr Kind ist.
Die Politik muss die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Eltern ihr Lebensmodell verwirklichen können, dass sie über das Familienleben, die Kindererziehung und damit über die Balance von Erwerbs- und Familienarbeit frei entscheiden können. Wir wollen niemanden abqualifizieren, weder die Familien, in denen beide Elternteile berufstätig sind, noch die Familien, in denen die Mutter oder der Vater sich entscheidet, zu Hause zu bleiben, um sich der Kindererziehung zu widmen. Die Begriffe „Rabenmutter“ für die berufstätige Mutter und „Heimchen am Herd“ für die Mutter, die sich entscheidet, zu Hause zu bleiben, gehören in den Papierkorb.
Zu Recht ist der Begriff „Herdprämie“ im Jahr 2007 zum Unwort des Jahres gekürt worden, da er insbesondere die Frauen diffamiert, die sich der Kindererziehung zu Hause widmen.
Meine Damen und Herren, Aufgabe der Politik ist es nicht, einen Weg zu verschließen, indem er keine Unterstützung erfährt. Beide Wege sind gleichwertig. Wahlfreiheit als politisches Credo erfordert vielfältige Optionen einer flexiblen Kinderbetreuung. Hier sind wir auf einem sehr guten Weg. Ein bedarfsgerechtes Betreuungsangebot ist der Dreh- und Angelpunkt, damit Mütter und Väter, die Familie und Beruf vereinbaren wollen oder müssen, nicht mehr Berufsunterbrechung und Teilzeit in Kauf nehmen müssen.
Der Qualifizierung von Kindertageseinrichtungen als Bildungsstätten kommt darüber hinaus eine besondere Bedeutung zu, weil sie die erste öffentliche Bildungsinstanz sind. Gerade weil nicht alle Eltern ihren Kindern die notwendige Förderung garantieren können, bauen wir mit dem Bildungs- und Erziehungsplan und der qualifizierten Schulvorbereitung die frühkindliche Erziehung in Kin
derbetreuungseinrichtungen systematisch aus, damit soziale Benachteiligungen frühzeitig abgebaut werden.
Meine Damen und Herren, Wahlfreiheit als politisches Credo erfordert aber auch eine familienfreundliche Arbeitswelt. Auch hier sind viele Maßnahmen auf dem Weg. Wahlfreiheit bedeutet aber auch mehr Anerkennung für selbsttätige Elternschaft. Es ist eine Aufwertung der Sorgearbeit erforderlich, die die Familien leisten: durch eine verbesserte Anerkennung in der Rentenversicherung sowie als Qualifikation für die Erwerbstätigkeit, durch ein Familien-Realsplitting, aber auch durch das Betreuungsgeld, das im Übrigen nichts anderes ist als die Wiedereinführung des Erziehungsgeldes früherer Zeit.
Es ist angemessen und fair, dass wir nicht nur den Ausbau der U-3-Betreuung durch einen Rechtsanspruch und die Bereitstellung öffentlicher Mittel besonders fördern, sondern dass auch die Erziehungsleistung von Eltern, die öffentlich subventionierte Kinderbetreuung nicht in Anspruch nehmen, eine höhere Anerkennung seitens der staatlichen Gemeinschaft erfährt. Das Modell des Elterngeldes II ist hier eine interessante und moderne Variante, die wir als Landesregierung unterstützen. Wir wollen die Familien und damit das tragende Element unserer Gesellschaft fördern. Starke Familien bedeuten eine starke Gesellschaft. Das Betreuungsgeld ist neben dem Ausbau der Infrastruktur im Bereich der Kinderbetreuung ein Baustein auf diesem Weg – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist mir ein Anliegen, vorab eines klarzustellen: Wir streiten hier nicht über das Ziel, dass viele, möglichst alle Menschen, die arbeiten können, auch Arbeit haben und über ein ausreichendes Einkommen verfügen, um leben zu können. Wir streiten über den Weg, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Sie von der SPD recyceln – same procedure as every year – Ihr Lieblingsthema, den einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn. Ein Begriff, der zwar gut klingt, aber eine semantische Falle ist. Auch durch ständiges Wiederholen wird diese Forderung nicht besser. Für eine erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik gelten die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft. Dieser Ordnung hat sich auch 1959 mit dem Godesberger Programm die SPD verpflichtet. Trotzdem kratzt die SPD immer wieder an den Grundpfeilern dieser Ordnung. Die Väter der sozialen Marktwirtschaft haben uns die Regeln mit auf den Weg gegeben,
dass die Festlegung von Löhnen in erster Linie in der Hand von Gewerkschaften und Arbeitgebern liegt. Das hat sich mehr als bewährt, zu unser aller Wohl – auch ganz aktuell.
Ich bin der tiefen Überzeugung, dass Deutschland vor allem deshalb so gut aus der Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen ist, weil die Sozialpartner sich verantwortlich verhalten haben. Dieses Verhalten hat sich auch in der Lohnpolitik ausgedrückt. Staatliche Lohnfestsetzungen in Form eines einheitlichen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns höhlen das Prinzip der Tarifautonomie aus.
Es ist nicht Aufgabe des Staates, Löhne festzusetzen.
Es ist aber seine Aufgabe, als Sozialstaat dafür zu sorgen, dass die Menschen ein Mindesteinkommen haben, von dem sie leben können. Sie von der SPD verkennen grundsätzlich, dass ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn die Gefahr des Verlusts von Arbeitsplätzen birgt.
Ein solcher Mindestlohn nimmt keine Rücksicht auf die jeweilige Situation einer Branche oder einer Region.
Dieser Mindestlohn ist starr und unverrückbar, und das marktwirtschaftliche Instrument schnell und flexibel, einen angemessenen Lohn auszuhandeln. Dieses Prinzip wird durch den Mindestlohn außer Kraft gesetzt. Arbeitsmarktpolitisch betrachtet ist dies höchst risikobehaftet. Aber exakt dies blenden Sie aus, indem Sie als Argument für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von nunmehr 8,50 € die Ergebnisse einer Studie der Prognos AG ins Feld führen, die einseitig auf die Entlastung der öffentlichen Haushalte ausgerichtet ist, aber nicht auf die Auswirkungen im Arbeitsmarkt.
Nein. – Dies wird auch von den Autoren konzediert. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten:
Übertragen auf die deutsche Situation ist insofern keine exakte Abschätzung der zu erwartenden Beschäftigungseffekte machbar.
Das heißt, eine Quantifizierung oder Modellierung von Beschäftigungswirkungen der zu betrachtenden Mindestlöhne ist nicht Gegenstand dieses Gutachtens.
Meine Damen und Herren, für eine politische, eine ökonomische oder eine wissenschaftliche Diskussion kann man eine solche Milchmädchenrechnung nicht heranziehen.
Die Studie stellt völlig überraschend fest, dass mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns erhebliche fiskalische Effekte verbunden sind. Wer hätte das gedacht? Dass ein gesetzlicher Mindestlohn diese Auswirkungen haben würde, wenn wir in einem Märchenland leben würden, das hat nie jemand bestritten. Jeder halbwegs
gute VWL-Student könnte diese Feststellung treffen. Entscheidend ist aber gerade, die arbeitsmarktpolitischen Effekte einzuschätzen. Da ist der gesunde Menschenverstand ausreichend, um zu wissen, dass ein Mindestlohn zwischen 8,50 € und 12 € natürlich Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hat.
Nach Schätzungen des Instituts der deutschen Wirtschaft würde ein Mindestlohn von 1.500 € im Monat bis zu 3 Millionen Jobs in Deutschland gefährden. Arbeitsmarktpolitik muss zum Ziel haben, arbeitslose Menschen wieder langfristig in Arbeit und Brot zubringen, und zwar zu Konditionen, die marktgerecht sind.
Die Entwicklung dieser marktgerechten Konditionen soll Ergebnis von Tarifverhandlungen der Tarifpartner sein. Sie wissen, welche Löhne für welche Leistungen marktfähig sind. Staatliche Zwangsinstrumente hingegen haben noch nie zum Erfolg geführt.
Besonders zu bedenken ist, dass der gesetzliche Mindestlohn ein Arbeitsplatzrisiko gerade für gering Qualifizierte darstellt.
Trotz der gegenwärtigen positiven Nachrichten vom Arbeitsmarkt gibt es immer noch zu viele Menschen, die ohne Beschäftigung sind. Ein großer Teil dieser Menschen, Langzeitarbeitslose, Menschen mit geringer Qualifikation, erwartet von der Politik Hilfe. Sie erwarten nicht, dass wir für ihre Rückkehr per Gesetz neue Hürden auf dem Arbeitsmarkt aufstellen.
Jeder starr festgelegte Mindestlohn grenzt automatisch diejenigen vom Arbeitsmarkt aus, die nur eine geringe Produktivität erbringen können. Was zunächst sehr sozial daherkommt – denn wer wollte etwas gegen die Forderung nach höheren Löhnen haben? –, bewirkt im Ergebnis das Gegenteil von dem, was er vorgibt erreichen zu wollen. Zu künstlich überhöhten Löhnen wird kein Arbeitgeber Personal einstellen. Jobs müssen sich rechnen, sonst gibt es sie nicht, zumindest nicht bei uns, sondern sie werden ins Ausland verlagert.
Bei den Beschäftigungen, bei denen das nicht möglich ist, die vor Ort erbracht werden müssen, wird die Schwarzarbeit angeheizt. Wer Niedriglohnbereiche per Mindestlohn teuer macht, zerstört Hunderttausende Arbeitsplätze.
Sie weisen in Ihrem Antrag darauf hin, dass der Anteil der Niedriglöhne gestiegen ist.
Dies hängt mit dem generellen Anstieg der Beschäftigungen zusammen, dies hängt aber auch mit den Arbeitsmarktreformen zusammen. Das Ziel der Arbeitsmarktreform, der Hartz-IV-Gesetze, war es, dass dieses Beschäftigungssegment erschlossen wird. Es sollten Anreize zur Aufnahme einfacher, niedrig entlohnter Beschäftigung gegeben werden. Ein solcher Weg rechnet sich für alle. Er rechnet sich für den Arbeitnehmer, der wieder ins Ar
beitsleben kommt, für den Betrieb, für den die Arbeit bezahlbar wird, und für den Staat, der Sozialleistungen spart.
Werfen wir einen Blick auf die sogenannten Aufstocker, also die Personen, die trotz Einkommen ergänzende SGB-II-Leistungen beziehen. Herr Rock hat es bereits erwähnt: Es sind 1,4 Millionen Menschen; zieht man die Selbstständigen ab, bleiben 1,28 Millionen Menschen. Aber nur 27,3 % der Aufstocker arbeiten in Vollzeit. Der Rest ist in Teilzeit beschäftigt oder übt Minijobs aus. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass mit einem Mindestlohn von 8,50 € der Lebensunterhalt bestritten werden könnte.
Die Zahl derer, die in Vollzeit arbeiten und trotzdem Hartz IV bekommen, würde sich durch einen Mindestlohn nicht deutlich reduzieren. Die meisten Aufstocker, die in Vollzeit arbeiten, haben Kinder und einen Partner, der nicht oder nur sehr wenig hinzuverdient. Auch sie würden bei einem Mindestlohn von 8,50 € pro Stunde weiter Hartz IV bekommen.
Sie zitieren so gerne die Länder in Europa und die USA als Beispielgeber für den Mindestlohn. Ich bestreite nicht, dass jüngere Untersuchungen in den USA die Deutung nahelegen, dass trotz der Mindestlöhne kein Beschäftigungsabbau nachweisbar ist. Hingegen liegt auf der Hand, dass in den USA die Arbeitsmarktsituation eine völlig andere ist. Die Höhe der Löhne kann nicht isoliert betrachtet werden. Zu dem deutschen Stundenlohn kommen eben noch einmal mindestens 23 % Lohnnebenkosten hinzu, die natürlich in die ökonomischen Überlegungen eines Arbeitgebers einfließen müssen. Eine solch hohe Quote von Lohnnebenkosten ist unserem Sozialversicherungssystem geschuldet. Das hat aber in den USA keine Entsprechung. Insofern vergleichen Sie Äpfel mit Birnen.
Für uns als Landesregierung gilt der Grundsatz: Wer arbeitet, muss mehr haben, als wenn er nicht arbeitet.
Es ist unstrittig, dass der Lebensunterhalt im Ergebnis sichergestellt sein muss. Dies wird bei uns durch ein Mindesteinkommen über die Regelung der Grundsicherung gewährleistet. Ein solches Mindesteinkommen macht auch Arbeit attraktiver und sichert Arbeitsplätze.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, was ist besser: Arbeit gegen Entgelt, selbst wenn es nicht existenzsichernd ist, oder lieber Geld ohne Arbeit? – Besser einen Job mit Lohnkostenzuschüssen als keine Arbeit und Arbeitslosengeld.
Zum Thema „Dumpinglöhne vermeiden“ weise ich auf die Ausführungen von Herrn Burghardt und Herrn Rock hin. Wir haben in der bundespolitischen Gesetzgebung durch das Entsendegesetz die entsprechenden Schutzmechanismen. Ich weise darauf hin, dass von den zehn Min
destlöhnen nur einer unter Rot-Grün eingeführt worden ist. Sie hatten in rot-grüner Regierungszeit die Möglichkeit, den gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, was nicht passiert ist.
Meine Damen und Herren, Fazit: Wir sind in den vergangenen Jahrzehnten mit dem Wechselspiel von Arbeitgebern und Gewerkschaften bei der Wahrnehmung von wirtschaftlicher und sozialer Verantwortung gut gefahren. Das soll so bleiben. Deshalb lehnen wir diesen Antrag ab und werden auch keine Bundesratsinitiative einbringen.
Ich möchte noch einmal kurz auf einige Argumente dieser Diskussion eingehen.
Sehr geehrter Herr Spies, Sie haben mir vorgeworfen, dass ich einen Zusammenhang zwischen dem Thema Mindestlohn und den Arbeitsmarktreformen unter Bundeskanzler Schröder – Stichwort: Agenda 2010 – herstelle. Exakt diesen Zusammenhang haben Sie in Ihrem Antragstext hergestellt, indem Sie als Begründung für die Notwendigkeit eines einheitlichen gesetzlichen Mindestlohnes anführen, dass wir eine steigende Zahl von Beschäftigten im Niedriglohnbereich haben. – Das ist der Zusammenhang zur Agenda 2010.
Wir waren uns damals einig, und von hessischer Seite aus haben wir es als Landesregierung mit unterstützt, dass im Zuge dieser Gesetze „Fördern statt Fordern“ umgesetzt worden ist, um denjenigen zusätzliche Arbeits- und Beschäftigungschancen zu ermöglichen, die ansonsten nur schwer in den Arbeitsmarkt zu integrieren sind. Aktivierung statt Stütze, Lohnzuschlag, Mindesteinkommen statt Almosen für Untätigkeit – das war die Zielrichtung. Das hat gewirkt.
Jetzt beklagen Sie den Erfolg dieser Reform. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das finde ich schon pharisäerhaft.
Zudem möchte ich auf das Thema „Aufgabenstellung des Staates, die Bürgerinnen und Bürger entsprechend zu schützen“, eingehen. Die haben sowohl Sie, Herr Spies, als auch Sie, Herr Bocklet, angesprochen.
Zum einen haben wir die materielle Absicherung durch die Regelungen der Grundsicherung. Hier ist der Lebensunterhalt gesichert. Wir haben auf der anderen Seite aber auch arbeitsmarktpolitisch die Instrumente durch das
Entsendegesetz. Diese Instrumente greifen, um Lohndumping und sittenwidrige Löhne zu verhindern.
Meine Damen und Herren, es ist wichtig, dieses konkrete Handeln zu betrachten. Vorhin habe ich bereits darauf hingewiesen: Wer hat denn die branchenbezogenen Mindestlöhne umgesetzt? Von den zehn Mindestlohnverordnungen ist eine einzige unter Rot-Grün eingeführt worden.
Alle anderen neun wurden unter einer unionsgeführten Bundesregierung eingeführt. Nicht das Reden über Mindestlohn ist entscheidend, sondern konkretes Handeln.
Die Bundesregierung hat im Einklang mit den Ländern auch dafür gesorgt, dass Deutschland gut auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit vorbereitet ist – indem sie durch die entsprechenden Mindestlohnverordnungen dafür gesorgt hat, dass Lohnuntergrenzen gelten und Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht zu Lohndrückerei missbraucht werden kann.
In der Diskussion ist wieder der Vergleich zu anderen europäischen Ländern angeführt worden. Herr Spies, Sie haben auf den Ex-Arbeitsminister Olaf Scholz hingewiesen. Ja, Sie können auch dessen Amtsvorgänger und auch den damaligen Bundeskanzler Schröder hier zurate ziehen, wenn Sie die Frage eines einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns in unserem Arbeitsmarktsystem beurteilen wollen. Oftmals teile ich die Positionen des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder nicht – aber die eine teile ich: Im Hinblick auf den Vergleich mit anderen Ländern hat er festgestellt, dass der Mindestlohn hier in die Irre führt. Denn er hat gesagt: Wir haben eine andere Tradition als die meisten europäischen Länder; sie einfach über Bord zu werfen, wäre problematisch.
In diesem Sinne hat er recht. – Ich danke Ihnen.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Uns alle haben die Berichte von ehemaligen Heimkindern, die in den Fünfziger- bis Siebzigerjahren in hessischen Heimen und in Heimen anderer Bundesländern lebten, zutiefst erschüttert.
Die bereits erwähnte, im Oktober 2009 durchgeführte öffentliche Anhörung hier im Landtag hat gezeigt, dass emotionale Verwahrlosung, aber auch Missbrauch und
körperliche Misshandlung in vielen Einrichtungen an der Tagesordnung waren. Auch wenn sich viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bemüht haben, in schwieriger Zeit und unter schwierigen Bedingungen den ihnen Anvertrauten eine Heimat zu geben, so haben doch allzu viele ihre Macht über andere missbraucht und ihnen schwere psychische und physische Verletzungen zugefügt. Bei dieser Anhörung haben wir einen Einblick in das Leid und in das Unrecht bekommen, das es in der Heimerziehung vielfach gab, einen Einblick in die Wunden, die den Betroffenen in jungen Jahren geschlagen wurden und die unauslöschlich fortwirken. So wirkt dieses grausame Geschehen fort in nachhaltigem Schmerz. Es war in den Aussagen, in den Berichten und Schilderungen spürbar, wie die Betroffenen mit diesen Auswirkungen und mit ihrem Schicksal ringen.
Die Kindheit bestimmt das Leben. Die Tatsache, dass in jungen Jahren die Basis für die weitere Entwicklung gelegt wird, hat hier in tragischer Dimension mit teilweise traumatischen Auswirkungen ihren Niederschlag gefunden.
Meine Damen und Herren, wenn man sich der Gesamtverantwortung stellen will – und wir wollen dies tun –, dann darf es nicht bei der Information und Aufklärung über dieses menschenverachtende Verhalten bleiben. In einem ersten Schritt hat der Landtag in einem Entschließungsantrag im vergangenen Jahr Stellung bezogen, sein tiefstes Bedauern ausgedrückt und sich bei den Betroffenen für das erlittene Unrecht entschuldigt. Der Anerkennung des Unrechts und der Bitte um Verzeihung muss in einem zweiten Schritt ein konkreter Maßnahmenkatalog folgen. Der vom „Runden Tisch Heimkinder“ in seinem Schlussbericht vorgelegte Vorschlagskatalog ist ein guter Ansatzpunkt. Wir sollten hier anknüpfen, wie es der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert.
Wir im Sozialministerium arbeiten bereits daran, die Empfehlungen des runden Tisches umzusetzen. Im vergangenen Jahr haben wir bereits sichergestellt, dass alle im Ministerium noch vorhandenen Aufsichtsakten weitere 50 Jahre aufbewahrt werden. Nach Ablauf dieses Zeit raums wird erneut geprüft, ob eine weitere Verlängerung angezeigt ist. Gegenwärtig wird geprüft, ob Akten, die sich bei Trägern, in Heimen oder bei Jugendämtern befinden, im Hessischen Staatsarchiv aufbewahrt werden können. Den anfragenden ehemaligen Heimkindern wird problemlos und unbürokratisch Akteneinsicht gewährt. Außerdem unterstützen wir die Aufarbeitung der Akten und Dokumente zur Heimerziehung in Einrichtungen des Landeswohlfahrtsverbandes.
Meine Damen und Herren, der runde Tisch schlägt vor, regionale Anlauf- und Beratungsstellen zu schaffen, die niedrigschwellig angesiedelt sind und eine Lotsenfunktion übernehmen.
Derzeit prüfen wir, von wem und wo das Beratungsangebot vorgehalten wird und ob ein solches Angebot an bereits vorhandene Strukturen angedockt werden kann. Es wird auf diese Weise eine zusätzliche Unterstützung und Begleitung für die ehemaligen Heimkinder geben, beispielsweise bei der Einsicht in die Akten, bei der Ermittlung und Durchsetzung von Ansprüchen, bei der Suche nach therapeutischen Einrichtungen und bei der Aufnahme von Kontakten zu den Leistungsträgern.
Weiterhin stellen wir bereits jetzt einen Ansprechpartner für das Thema zur Verfügung, und wir werden uns in die Finanzierung der Geschäfts- und Infostelle des runden Tisches, die wir bereits in den vergangenen Jahren über
nommen haben, auch zukünftig einklinken, damit es hier eine Anlaufstelle für die ehemaligen Heimkinder gibt und ihre Arbeit fortgesetzt werden kann.
Der zweite Schwerpunkt der Vorschläge des runden Tisches ist die finanzielle Unterstützung, die ermöglicht werden soll, um die Folgen aufzuarbeiten oder behandeln zu lassen, individuell abzumildern oder auszugleichen.
Meine Damen und Herren, dies kann und muss gemeinsam geschultert werden: vom Bund, den Bundesländern, den Kommunen, in Hessen auch vom Landeswohlfahrtsverband sowie von den Kirchen mit den Wohlfahrtsverbänden und Ordensgemeinschaften.
Es sind ein Rentenersatzfonds als Ausgleich für geminderte Rentenansprüche sowie ein Fonds für Folgeschäden vorgeschlagen worden, um dem besonderen Hilfebedarf gerecht zu werden. Der runde Tisch hat sich darüber hinaus für die finanzielle Unterstützung einer überindividuellen Aufarbeitung ausgesprochen, also für eine verstärkte wissenschaftliche Aufarbeitung der Heimerziehung und das Erarbeiten von Ausstellungen und Dokumentationen, aber auch von Symbolen des Gedenkens. Wir planen vorbehaltlich des Haushalts eine finanzielle Beteiligung an den Kosten für die Publikation des LWV zu dem Thema wissenschaftliche Aufarbeitung der Akten.
Für all diese Maßnahmen kalkuliert der runde Tisch 120 Millionen € ein. Ich gehe davon aus, dass sich die hessischen Kommunen inklusive des Landeswohlfahrtsverbands Hessen entsprechend dem Finanzierungsmodell, das Herr Mick bereits vorgestellt hat, an den Kosten des hessischen Anteils beteiligen. Das Land würde – vorausgesetzt, diese Beteiligung der kommunalen Seite erfolgt – Mittel in Höhe von 2,2 Millionen € zur Verfügung stellen.
Hinzu kommen eventuell noch Kosten für die Finanzierung der regionalen Anlauf- und Beratungsstellen.
Ich möchte zum Abschluss kommen. Ich gehe davon aus, dass wir im Sozialpolitischen Ausschuss diese wichtigen Fragen und Vorschläge im großen Konsens erörtern und auch zu einer gemeinsamen Lösung kommen werden. Wir arbeiten im Ministerium bereits parallel daran, möglichst zügig die Voraussetzungen und Strukturen zu schaffen, die für die Verwirklichung erforderlich sind. Ich gehe davon aus, die Diskussion und die Umsetzung werden in einem breiten Konsens erfolgen, wie es der Bedeutung und der Schwere des Themas angemessen ist. – Ich danke Ihnen, dass Sie mir zugehört haben.