Die Hessische Landesregierung hat folgende Handlungsfelder beim Thema Integration identifiziert. Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, grundlegend ist eine Willkommenskultur. Erfolgreiche Integration setzt ein offenes und tolerantes gesellschaftliches Klima voraus. Denn wie entsteht Zugehörigkeit? Durch Anerkennung. Willkommenskultur und Toleranz sind keineswegs mit Beliebigkeit gleichzusetzen. Deshalb erwarten wir von allen hier lebenden Menschen die uneingeschränkte Einhaltung unserer Rechtsordnung. Ein „Rosinenpicken“ getreu dem Motto: „Vom Grundgesetz nehme ich mir die Religionsfreiheit; die Gleichberechtigung der Geschlechter sollen die Deutschen für sich behalten“, ist nicht hinnehmbar.
Die Werte und Normen unserer Demokratie haben ausnahmslos Geltung. Die Erfahrungen der letzten Jahre und Jahrzehnte haben doch deutlich gezeigt, dass dem Beherrschen der deutschen Sprache eine zentrale Schlüsselfunktion bei den Integrationsbemühungen zukommt.
Die Beherrschung der deutschen Sprache ist ein entscheidender Schlüssel zur sozialen, zur politischen, zur wirtschaftlichen und zur kulturellen Integration. Sie ist die Voraussetzung für Kommunikation und Partizipation an der Gesellschaft. Sie ist Voraussetzung für Chancengerechtigkeit. Deshalb ist insbesondere für Kinder aus zugewanderten Familien der frühzeitige Erwerb der deutschen Sprache eine grundlegende Voraussetzung für den Schul erfolg und damit für ihre spätere berufliche und gesellschaftliche Integration. Je früher der Spracherwerb gefördert wird, desto besser. Deshalb müssen die frühkindlichen Betreuungen vor allem im Kindergarten besonders in den Blick genommen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zahlen bestätigen das eindrucksvoll. Bei den unter Dreijährigen besucht nur jedes zehnte Kind mit Migrationshintergrund eine Kindertagesstätte, also 10 %. Bei den Kindern ohne Migrationshintergrund ist es jedoch jedes fünfte Kind, 20 %. Bei den Drei- bis unter Sechsjährigen sieht es etwas besser aus. Beide Gruppen besuchen ganz überwiegend Kindertageseinrichtungen. Allerdings liegt der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund bei 87,4 %, der Anteil der Kinder ohne Migrationshintergrund dagegen bei 95,8 %, also knapp 8 % mehr.
Ganz aktuell wird dieser Befund regional konkret für unsere größte Stadt, für Frankfurt am Main, bestätigt. Am Wochenende wurde von einer Untersuchung der Soziologen der TU Chemnitz und der Psychologen der Universität Jena berichtet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Kindergarteneintrittsalter ist bei deutschen Familien und bei Migrantenfamilien der zweiten Generation in Frankfurt unterschiedlich. Türkische Migranten schicken danach ihre Kinder nicht so häufig in den Kindergarten wie Deutsche. Das Verhältnis liegt nach dieser Untersuchung bei 73 % zu 89 %. Deutsche schicken also ihre Kinder mit 31,2 Monaten in den Kindergarten, russische Spätaussiedler mit 33,9 Monaten, russische Juden mit 35,5 Monaten und Türken mit 39,9 Monaten. Während rund zwei Drittel der deutschen Mütter, also 67 %, berufstätig sind, geht von den befragten türkischen Müttern nur knapp jede fünfte, genau 18 %, einer regelmäßigen Arbeit nach. Bei den russischen Spätaussiedlern sind es 37 %, bei den jüdischen Einwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion 44 %.
Auch die schulische Bildung und der schulische Erfolg sind für eine gelungene Integration maßgebend. Ausländische Schulabgängerinnen und Schulabgänger verfügen fast dreimal so häufig über keinen Schulabschluss wie deutsche. In Zahlen: Bei den ausländischen Schulabgängern haben 14,5 % keinen Abschluss, bei den nicht ausländischen 5,5 %. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir, die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen, sind im Übrigen stolz darauf, dass diese Zahl in den letzten zehn Jahren glatt halbiert worden ist.
Unsere Aufgabe ist es, die Schule so zu gestalten, dass sie zum Erfolgsmodell für sozialen Aufstieg wird.
Zu einer guten Bildung muss aber auch die Eigeninitiative der Menschen zur Chancenwahrnehmung kommen. Jeder, der in diesem Land lebt, ob Deutscher mit oder ohne Migrationshintergrund oder Ausländer, muss an seinem Wohlstand selbst mitarbeiten. Ein Arbeitsplatz bietet hierfür die besten Voraussetzungen für den Einzelnen, aber darüber hinaus auch für die ganze Familie. Arbeit ist ein entscheidender Faktor für das Gelingen von Integration.
Ich freue mich sehr, dass der Deutsche Bundestag am vergangenen Donnerstagabend mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP das Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen verabschiedet hat.
Das vereinfacht die Zuwanderung. Es ist eine große Erleichterung für jeden einzelnen Menschen. Die Hessische Landesregierung, das Land Hessen unterstützt diese Maßnahme. Wir werden gemeinsam in den nächsten Monaten mit den in Hessen ansässigen Kammern an die Hausaufgaben gehen, die wir aufgrund dieses Gesetzes in Hessen zu lösen haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus der Betonung der Eigenverantwortung folgt auch, dass Sozialleistungen Zeichen der Solidarität der Gesellschaft für Menschen in Notlagen und nicht die Regel sind. Gesellschaftliches Engagement fördert die Zusammengehörigkeit. Es war John F. Kennedy, der den Bürgerinnen und Bürgern seines Landes zugerufen hat:
Engagement, vor allem ehrenamtliches Engagement, bedeutet, Verantwortung für sich selbst und für die anderen zu übernehmen, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen: in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz, im Verein, in der freiwilligen Feuerwehr. Dies führt zu einem positiven Zugehörigkeitsgefühl: Wir sind alle Hessen.
Letztlich bedarf es aber auch einer Kultur, ich nenne sie die Kultur des Respekts. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 unseres Grundgesetzes lautet:
Dies ist die Grundlage unserer Arbeit. Respekt verdienen der Einzelne und das Gemeinwesen. Die Kultur des Respekts nimmt für viele Zugewanderte einen ganz besonderen Stellenwert ein. Das wissen wir. Deshalb betone ich, dass der Respekt nicht nur dem eigenen Vater gilt, sondern auch der Lehrerin, nicht nur der eigenen Schwester, sondern auch der Klassenkameradin, nicht nur der eigenen Familie, sondern auch den Institutionen unserer Gesellschaft.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die vorgenannten Bereiche sind die zentralen Handlungsfelder für erfolgreiche Integrationsbemühungen. Ihre Gestaltung liegt aber nicht allein in der Verantwortung des Staates und einer Regierung. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Integration ist mehr als bloße Koexistenz. Es ist kein Nebeneinander,
sondern ein friedliches Miteinander, ein gemeinsames Weiterentwickeln unserer Gesellschaft, ein Weiterentwickeln hin zu einer neuen gemeinsamen Identität.
Dies ist ein Lernprozess für alle Menschen unseres Landes, ein Prozess, an dessen Ende das Gefühl der Zugehörigkeit und der Zusammengehörigkeit stehen wird.
Gerne wiederhole ich hier das Zitat des Dichters Max Frisch, das Volker Bouffier, unser Ministerpräsident, bereits in seiner ersten Regierungserklärung genannt hat: Wir wollen „denen, denen die Heimat zur Fremde, aber die Fremde nicht zur Heimat geworden ist“, eine neue Heimat bieten.
(Beifall bei der CDU und der FDP – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sehr gut, Herr Ministerpräsident!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, schließlich hat nicht nur die Hessische Landesregierung durch die Einrichtung eines Integrationsministeriums, sondern ihr nachfolgend auch der Hessische Landtag – also Sie, wir alle hier – der Bedeutung der Integration durch die Einrichtung der „Enquetekommission Migration und Integration in Hessen“ zur Untersuchung der Chancen und Risiken, der Herausforderungen und der Rahmenbedingungen einer erfolgreichen und zukunftsgerichteten Integrations- und Zuwanderungspolitik diesen Überlegungen Rechnung getragen. Wir alle sind auf die Ergebnisse sehr gespannt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nachhaltige Politik darf sich nicht nur auf Gefühl und Vermutung stützen.
Demzufolge bezieht sich die hessische Integrationspolitik nicht auf einen vermuteten Bedarf, sondern auf Zahlen, Daten und Fakten. Daten sind wie eine Diagnose: Erst sie ermöglichen eine gezielte Therapie. Konkret heißt dies, valide Daten sorgen für passgenaue Angebote für die Integration.
Hessen verfügt über einen eigenen landesweiten Integrationsmonitor mit dem Titel „Integration nach Maß“. Damit operiert die Landesregierung mit einem wissenschaftlich fundierten Instrument, mit dem der Fortschritt der Integration in den verschiedenen integrationspolitischen Handlungsfeldern anhand von Zahlen, Daten und Fakten sichtbar gemacht werden kann. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Hessen stimmt sich bundesweit beim Monitoring ab. Wir wirken in einer eigens ins Leben gerufenen Arbeitsgruppe mit, die sich auf Indikatorenansätze geeinigt und nun ein länderübergreifendes Integrationsmonitoring erarbeitet hat.
In den Modellregionen sind wir derzeit dabei, das kommunale Monitoring mit Schnittstellen zum hessischen Integrationsmonitor voranzubringen, um so eine flächendeckende Zahlen-Daten-Fakten-Sammlung, also ein Integrationsmonitoring, in ganz Hessen aufbauen zu können.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, als Ergänzung haben wir am 22. Juni dieses Jahres die Ergebnisse der Befragung „Meinungsbilder zur Wahrnehmung von Zuwanderung und Integration in Hessen 2011“ prä
sentiert. Gerade diese erfragten Meinungsbilder haben als besonders wichtiges Ergebnis erbracht, dass sich die Auffassung von Personen mit und von Personen ohne Migrationshintergrund in vielen Fragen nur geringfügig voneinander unterscheiden. Die Gegenüberstellung „Wir Einheimische einerseits – die Zugewanderten andererseits“ erscheint somit als überholt. Die deutliche Mehrheit von Personen mit und ohne Migrationshintergrund fühlt sich als ein Teil von Hessen. 93 % der Hessen fühlen sich in ihrem Bundesland wohl, 59 % fühlen sich sogar sehr wohl. – Unter den Menschen mit Migrationshintergrund sind es 86 %, die sich in unserem Land wohlfühlen, unter den Menschen mit eigenen Migrationserfahrungen sogar 91 %.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, einen besseren Beweis für den Erfolg hessischer Integrationspolitik kann man nicht geben, als diese Zahlen zeigen.
Zugewanderte sind angekommen. Ihre Kinder gehören dazu. Integrationsprobleme scheinen eher aus einem schwachen sozialen Status zu resultieren,
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Ja- nine Wissler (DIE LINKE))
Ich bin überrascht, dass Kollege Al-Wazir überrascht ist, aber das ist halt das Überraschende in einer solchen Debatte.
(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich bin nicht überrascht! Ich warte nur darauf, dass Sie einmal sagen, was Sie seit zweieinhalb Jahren machen!)
Es hat nichts damit zu tun, ob eine geografische oder eine kulturelle Herkunft ausschlaggebend ist, sondern in aller Regel hat es etwas mit Ausbildung, Bildung, mit der Wertigkeit von Bildung und mit dem Abholen von Bildungsangeboten zu tun.