Protokoll der Sitzung vom 04.10.2011

Im Übrigen verdeutlicht der Integrationsmonitor einen Handlungsbedarf bei der frühkindlichen, der Schul- und der beruflichen Bildung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier sind wir am Ball. Ein Fokus der hessischen Integrationspolitik liegt weiterhin auf sprachlicher Integration. Zudem soll beispielsweise das bürgerschaftliche Engagement von Zuwanderern stärker unterstützt werden.

Lassen Sie mich an dieser Stelle die Integrationspolitik der Landesregierung dadurch verdeutlichen, dass ich Ihnen vortrage: Das Ziel ist, bestehende Regelstrukturen so zu verändern, dass sie für sämtliche Zielgruppen offen sind. Mittelfristig wollen wir weg von den speziellen Angeboten: „Das muss etwas für die Migranten sein“, sondern wir wollen da hin, dass jedes Angebot so ausgelegt ist, dass auch Menschen mit Migrationshintergrund daran teilnehmen können und wollen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Vielmehr sollen Institutionen und Angebote unserer Gesellschaft von der Schule bis zur Erziehungsberatungsstelle so ausgerichtet werden, dass sie allen hier lebenden Menschen gerecht werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das bedeutet keineswegs, dass spezifische Bedürfnisse und Lebenslagen von Menschen nicht mehr berücksichtigt werden, sondern dass gerade diese Unterschiedlichkeit und Vielfalt bereits in die Konzipierung dieser Angebote und Dienstleistungen eingebunden sind. Denn nur durch die Berücksichtigung von Unterschieden kann Diskriminierung vermieden werden.

Es ist eben schon angemahnt worden: Lassen Sie mich fünf Beispiele nennen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt kommts!)

Die Landesregierung beschränkt sich nicht darauf, andere zu Integrationsbemühungen anzuhalten, sondern wir öffnen uns selbst. Mit der Unterzeichnung der „Charta der Vielfalt“ am 1. Februar 2011 hat sich das Land Hessen öffentlich zu einer Wertschätzung der gesellschaftlichen Vielfalt auch innerhalb seiner Verwaltung bekannt. Mit dem Beitritt zu dieser Initiative, der deutschlandweit inzwischen mehr als 1.000 und hessenweit mehr als 100 Unternehmen, Organisationen und Verwaltungen angehören – darunter Braun Melsungen, die Messe Frankfurt, die Hessische Landesbank, die Viessmann Werke GmbH und Co. KG –, ist Hessen einen weiteren Schritt in Richtung einer interkulturellen Öffnung seiner Verwaltung gegangen. Im Juli dieses Jahres hat die Landesregierung das Ziel der interkulturellen Öffnung als ressortübergreifende Aufgabenstellung anerkannt und eine Arbeitsgruppe unter der Führung des Integrationsministeriums mit der Ausarbeitung konkreter Vorschläge beauftragt.

Zum Zweiten haben wir sehr konkret die Partnerschaft von Hessen mit der türkischen Region Bursa beschlossen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier sage ich noch einmal ausdrücklich Dank für die Unterstützung, die Sie, der Hessische Landtag, mit Ihrem einstimmigen Beschluss der Landesregierung gegeben haben.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Mich erfreut es sehr, dass mich in der letzten Woche viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister angesprochen und gefragt haben: Können wir jetzt nicht auch in Bursa eine Städtepartnerschaft eingehen? – Meine sehr verehrten Damen und Herren, so wird auch das Erleben von der Gesellschaft der Eltern und Großeltern von hier in Hessen lebenden türkeistämmigen Mitbewohnerinnen und Mitbewohner deutlich gemacht.

Zum Dritten haben wir als Herzstück der Integrationspolitik seit eineinhalb Jahren die sogenannten Modellregionen für Integration. Dort werden mit den Städten Kassel, Wetzlar, Wiesbaden, Offenbach und mit dem Hochtaunuskreis sowie dem Main-Kinzig-Kreis, gemeinsam mit der Stadt Hanau, konkret Integrationsbemühungen analysiert, organisiert und durchgezogen. In und mit den Modellregionen stoßen wir an, was uns das zuvor beschriebene Monitoring erbracht hat.

Das Hauptaugenmerk des Landesprogramms Modellregionen Integration liegt auf drei Schwerpunkten. Erstens:

strukturelle Veränderung in den bestehenden Institutionen und Angeboten, um die Bedingungen für Integration zu verbessern. Zweitens: Vernetzung von Akteuren und Aufbau von nachhaltigen Beteiligungsstrukturen. Drittens: Schaffung von Transparenz über die bestehenden Angebote hinaus.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, maßgeblich für das Gelingen ist, dass Integration Chefsache ist und als Querschnittsaufgabe verstanden und umgesetzt wird. Integrationsbemühungen müssen stärker an Ressourcen und Potenzialen von Menschen mit Migrationshintergrund ansetzen und diese von Anfang an einbinden. Hiervon ausgehend werden wir in sechs Modellregionen in diesem Jahr über 65 innovative Modellprojekte fördern.

Der Hochtaunuskreis hat z. B. mit dem Internationalen Bund in Oberursel ein vorbildliches Integrationslotsenprojekt „Einrichtung einer Lotsenvermittlungsstelle für Migrantinnen und Migranten“ eingerichtet.

(Dr. Frank Blechschmidt (FDP): Sehr gut!)

Wenn man dort ist, kann man feststellen, wie hoch die Motivation und das Engagement von Ehrenamtlichen sind. Herr Kollege Blechschmidt, wir waren gemeinsam im Sommer dort und waren beide persönlich sehr angerührt, wie intensiv die Menschen, egal ob sie Migrationshintergrund haben oder nicht, sich mit der Lösung der Aufgaben beschäftigen.

In Kassel, meiner Geburtsstadt, werden Grundschulkinder mit Migrationshintergrund und ihre Familien an die Museumslandschaft und das kulturelle Erbe der Stadt Kassel herangeführt. Das schafft Zusammengehörigkeit, das schafft Zugehörigkeit zu der Stadt. Deshalb werden in Absprache mit dem Oberbürgermeister der Stadt Kassel diese Projekte weiterhin intensiv gefördert.

Zum Stichwort Übernahme von Verantwortung. Wir wollen in stärkerem Maße als bisher Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch Migrantenorganisationen als gleichwertige Partner in die Integrationsarbeit einbeziehen. Die Stadt Offenbach, auch eine Modellregion, fördert deshalb Migrantenorganisationen. Es gibt einen intensiven inhaltlichen Austausch. Insbesondere stimmt die Stadt mit diesen Organisationen ab, mit welchen Maßnahmen sie die kommunale Integrationsarbeit sinnvoll ergänzen können.

Ein weiteres Beispiel aus der Modellregion Offenbach ist ein Projekt zur interkulturellen Öffnung. Türkischstämmige Familien von Behinderten werden über die Angebote des Gesundheitssystems und der Behindertenhilfe informiert und dazu ermutigt, diese zu nutzen. Mittelfristig möchte Frau Bürgermeisterin Simon dort eine Selbsthilfegruppe einrichten, die eigenständig arbeitet. Damit wird der Integrationsprozess der gesamten Familie deutlich vorangetrieben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dass Modellregionen stärker als bisher die vorhandenen Ressourcen und Potenziale von Menschen mit Migrationshintergrund abfragen, ist eine Selbstverständlichkeit. Ihre im Herkunftsland erworbenen Bildungsabschlüsse und beruflichen Qualifikationen sollen Zuwanderer in den hessischen Arbeitsmarkt einbringen können. Voraussetzung ist, dass vorhandene Fähigkeiten und Kenntnisse mit den Anforderungen des Arbeitsmarktes abgeglichen werden.

Dazu hat die Stadt Wiesbaden – hier ganz in der Nähe – mit unserer Förderung eine kommunale Erstberatungsstelle eingerichtet, die bundesweit Aufmerksamkeit ge

nießt. Ein wichtiger Baustein des Projekts ist die Verbesserung der Datenlage in diesem Themenfeld.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich könnte jetzt aus anderen Bereichen, z. B. des Kollegen Rhein, noch anführen, dass im Sport, bei den freiwilligen Feuerwehren, aber unter anderem auch bei der Polizei gemeinsam mit „Hürriyet“ entsprechende Maßnahmen in den letzten Jahren neu angesetzt und erfolgreich umgesetzt werden.

Ich darf deshalb feststellen, dass die bisherigen Erfahrungen aus dem Programm Modellregionen Integration überaus positiv sind. Dies kann man an folgenden Indikatoren ablesen: Feste Kooperations- und Kommunikationsstrukturen innerhalb der Modellregionen, aber auch zum Land hin sind aufgebaut. Der Ansatz des Programms zur strukturellen Weiterentwicklung der Regelinstitutionen wird intensiv diskutiert und umgesetzt. Größere Transparenz und Vernetzung sind in den Modellregionen sichtbar.

Auch die ersten Einschätzungen der wissenschaftlichen Begleitung durch das Europäische Forum für Migrationsstudien sind überaus positiv. Wir werden Ihnen in der ersten Jahreshälfte des kommenden Jahres einen weiteren Bericht vorlegen.

Neben der Modellregion Integration sind wir auch auf bundespolitischer Ebene sehr aktiv, z. B. beim Thema Heiratsmigration. Auf Antrag des Landes Hessen hat die Integrationsministerkonferenz eine Studie angeregt, die das Thema Heiratsmigration in all seinen Facetten beleuchten und Optimierungspotenziale verdeutlichen soll.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Heiratsmigration ist heute der bedeutendste Zuwanderungspfad nach Deutschland. In Wiesbaden hatte 2010 bei 40 % der Eheschließungen von Zuwanderern der Partner den Wohnsitz im Ausland. Wir haben deshalb gemeinsam mit der Landeshauptstadt Wiesbaden im April den Dokumentarfilm „Deutsch aus Liebe“ gezeigt, in dem drei junge türkische Frauen auf ihrem Weg nach und in Deutschland begleitet werden. Die Regisseurin, Frau Trottnow, lässt dabei die jungen Frauen selbst zu Wort kommen und zeigt dem Zuschauer eine Seite der Heiratsmigration, die viele nicht kennen.

Die Grundaussage des Films – über 300 Gäste haben mit uns diese Premiere gesehen – ist ernüchternd. Zwar zeigt er, wie wichtig das Erlernen der deutschen Sprache bereits im Herkunftsland ist, und bestätigt damit eine Grundlinie unserer Integrationspolitik; er legt aber auch Zeugnis der erheblichen persönlichen Schwierigkeiten ab, mit denen die jungen Frauen in ihrem neuen familiären und gesellschaftlichen Umfeld konfrontiert werden.

Es freut mich sehr, dass auf unsere Anregung hin Frau Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper, nunmehr mitgeteilt hat, dass dieser Film in den GoetheInstituten in der Türkei vor Ort tatsächlich gezeigt wird.

Das Thema Heiratsmigration ist auch Anknüpfungspunkt intensiver öffentlicher Debatten. Dies zeigt die bis heute anhaltende Diskussion um die 2007 eingeführte Nachweispflicht einfacher Deutschkenntnisse für zuzugswillige Ehegatten. Sie ist politisch wie rechtlich umstritten. Der türkische Staatspräsident Gül behauptete anlässlich seines Staatsbesuchs vor einigen Wochen in Deutschland, seiner Meinung nach widerspreche diese Praxis den Menschenrechten. – Dem widerspreche ich entschieden.

Er sagte aber auch: „Wenn ich in Deutschland leben würde, wäre das Erste, was ich tun würde, die Sprache zu lernen. Das ist eine Grundvoraussetzung dafür, um erfolgreich zu sein.“ Wenn sie in einem Land dauerhaft leben, sollten sie die Sprache dieses Landes akzentfrei beherrschen. – Dem Staatspräsidenten der Türkei ist zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Sprachkurse sind keine Gängelei, sondern ein ganz konkretes Unterstützungsangebot. Deutsche Sprachkenntnisse sind elementar für gelungene Integration. Nur so ist Chancengleichheit möglich.

(Zurufe der Abg. Mürvet Öztürk und Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir als Aufnahmeland dürfen selbstverständlich erwarten, dass dieses Angebot auch angenommen wird. Das Bundesverwaltungsgericht hat im vergangenen Jahr die Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften zum Ehegattennachzug bestätigt. Es ist die Überzeugung der Hessischen Landesregierung, dass, je früher mit dem Erwerb der deutschen Sprache begonnen wird, desto besser die Integrationschancen sind.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vorbereitende Sprachkurse sind für eine spätere gelungene Integration elementar wichtig. Mitarbeiter des Goethe-Instituts in der Türkei haben berichtet – einige Kolleginnen und Kollegen waren dabei –, dass in vielen Fällen erst der Deutschkurs bei jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmern ein Bewusstsein dafür geschaffen habe, welche Änderungen der Lebensgestaltung mit dem Entschluss einhergehen, in ein anderes Land mit einer anderen Sprache und einer anderen Kultur auszuwandern. Sie würden den Sprachunterricht häufig als erstes Bildungserlebnis seit langer Zeit wahrnehmen und zeigten sich hoch motiviert, auch darüber hinaus weiter zu lernen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist im Interesse dieser Menschen wie unseres Landes, die Zuzugswilligen bereits im Herkunftsland umfassend zu informieren. Es dürfen keine falschen Hoffnungen geweckt werden, sondern wir wollen ein klares Signal setzen: Jeder ist in Hessen willkommen, der sich einbringen möchte. Leistungswille und Engagement werden gebraucht und werden belohnt. Wer nach Hessen kommen möchte, um seine Potenziale zu nutzen, den unterstützen wir.

Die Neuankömmlinge – aber auch Menschen, die vielleicht schon in zweiter oder dritter Generation hier leben – empfinden es oft als Unterstützung bei ihrer Integration in Hessen, wenn sie ihren Glauben pflegen können. Deshalb setzt sich diese Landesregierung dafür ein, dass unsere Schulen islamischen Religionsunterricht anbieten.

Man täusche sich übrigens nicht, wie die Religionszugehörigkeit bei Menschen mit Migrationshintergrund tatsächlich ist: Der überwiegende Teil der Menschen mit Migrationshintergrund ist katholisch, konkret 38,4 %. Weit weniger Menschen aus dieser Gruppe, 20,3 %, also nur jeder Fünfte, zählen sich zu den Muslimen. Der Anteil der Konfessionslosen liegt bei 10,3 %, und auch unter den Muslimen sind beileibe nicht alle tief religiös.

(Zuruf der Abg. Mürvet Öztürk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, was stört Sie daran, wenn ich Ihnen objektive Zahlen berichte, damit wir eine objektive Integrationspolitik machen können?

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP – Ja- nine Wissler (DIE LINKE): Das hätten Sie früher machen sollen! – Zuruf der Abg. Mürvet Öztürk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wieso versuchen Sie mit Zwischenrufen, diese Aussagen zu karikieren, die nicht das Empfinden der Bevölkerung in Deutschland widerspiegeln? Hier sind die Vorurteile weit weg von den Fakten, und es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Vorurteile zu den Fakten kommen. Hoffentlich will die Fraktion der GRÜNEN das auch so machen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den vergangenen Wochen hat es Irritationen um die Bemühungen der Landesregierung gegeben, den islamischen Religionsunterricht an hessischen Schulen einzuführen. Ich möchte Folgendes klarstellen: Diese Landesregierung stützt sich auf die Koalition der Fraktionen von CDU und FDP.

Selbstverständlich sind beide trotz ihrer Koalition nach wie vor eigenständige politische Akteure, die unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt haben und noch immer setzen. Im Rahmen der Bildung einer Koalition und der Bildung einer Landesregierung haben sich beide Fraktionen auf Punkte geeinigt, die gemeinsam umgesetzt werden sollen. Dazu gehört die Prüfung der Einführung des islamischen Religionsunterrichts.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann an dieser Stelle daher nur wiederholen, was Ministerpräsident Volker Bouffier in großer Gelassenheit bereits in der vorvergangenen Woche festgestellt hat: Die Koalitionsvereinbarung, auf die sich diese Landesregierung stützt, gilt.