Protokoll der Sitzung vom 04.10.2011

Die Integration findet vor Ort in den Kommunen statt, in den Städten und Gemeinden. Deshalb hat die Hessische Landesregierung das Programm Modellregionen Integration entwickelt, in welchem ausgewählte Städte und Landkreise ein Handlungskonzept für wirksame Integration ausarbeiten werden, das dann alle übernehmen können.

Hessen ist für viele Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kultur zu einer Heimat geworden. Wir wollen diese Kultur auch lebendig halten. Auch, wenn viel erreicht ist, bleibt noch viel zu tun – hierzu brauchen wir einen offenen Dialog mit den Beteiligten, ihren Verbänden und Vereinen sowie zwischen den Kirchen und den Religionsgemeinschaften.

Meine Damen und Herren, ein wesentlicher Grundsatz christlich-demokratischer Integrationspolitik lässt sich wie folgt umschreiben: Wir wollen fördern, aber auch fordern. Klare und nachvollziehbare Anforderungen stellen für uns kein Hindernis, sondern die Grundlage für Integration dar. Für uns ist die Einbürgerung Ausdruck eines erfolgreichen Integrationsprozesses. Wer Rechte beansprucht, muss auch Pflichten erfüllen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Es ist unser politisches Ziel, dass aus Zuwanderern Einheimische werden, die sich mit unserem Land und seiner Demokratie identifizieren, die an seiner Weiterentwicklung teilhaben und ein Leben in Freiheit, Wohlstand und Sicherheit führen können.

In Deutschland brauchen wir dazu natürlich veränderte Rahmenbedingungen. Beispielsweise wird der Fachkräftemangel in Hessen zunehmend zu einem Problem. In ei

nigen Branchen fehlen Tausende Ingenieure oder IT-Experten. Während sich einerseits Geringqualifizierte am Arbeitsmarkt schwertun, bleiben andererseits Chancen für Wachstum ungenutzt, weil viele Stellen nicht qualifiziert besetzt werden können. Hier wäre nach unserer Auffassung die gesteuerte Zuwanderung qualifizierter Kräfte eine Lösung. Denken Sie nur einmal daran, in Australien haben 75 % der Zuwanderer eine gehobene Ausbildung, in Deutschland nahezu 40 % der 25- bis 64-jährigen Migranten noch nicht einmal irgendeine Berufsausbildung. Darin liegt ein Problem, und hier muss angesetzt werden.

(Beifall bei der CDU)

Die Integrationspolitik darf sich nicht nur auf die Frage der Steuerung von neuen Zuwanderern konzentrieren. Sie muss auch die aktive Förderung der seit Jahren in Hessen lebenden Zuwanderer in den Blick nehmen, zu der nach unserer Auffassung auch die Spätaussiedler gehören.

Meine Damen und Herren, Zuwanderer mit Zertifikaten und Qualifikationen, die im Ausland erworben worden sind, haben es schwer. Es wurde schon erwähnt, dass der Bundestag gerade vor wenigen Tagen ein Gesetz zur Anerkennung dieser ausländischen Abschlüsse verabschiedet hat. Das sind wichtige Voraussetzungen, damit die Integration in Arbeit besser gelingen kann.

(Beifall bei der CDU)

Sprache, Bildung und Arbeit sind für uns die zentralen Voraussetzungen für Integration. Dabei ist Arbeit der bes te Weg zu einem aktiven und selbst bestimmten Leben und zur gleichberechtigten Teilhabe in Wirtschaft und Gesellschaft. Wir sind der Meinung, dass ein gelungener Übergang aus der Schule in die Berufsausbildung einen wesentlichen Beitrag zur gesellschaftlichen Integration darstellt. Deshalb ist die Einbindung in soziale Netzwerke vor Ort für uns eine wichtige Voraussetzung, und sie muss gefördert werden.

Ein verzögerter oder ein gescheiterter Übergang birgt das Risiko sozialer Ausgrenzung, weil fehlende berufliche Abschlüsse häufig in Arbeitslosigkeit oder in prekäre Beschäftigungsverhältnisse münden. Deshalb ist eine bessere Integration in den Arbeitsmarkt ein wesentlicher Faktor für gelungene Integration. Wir müssen den Migrantinnen und Migranten Ausbildungsplätze anbieten und zu einer vernünftigen und qualifizierten Ausbildung verhelfen.

Auch die Unternehmen kommen in den Blick, denn in den Unternehmen begegnen sich Migrantinnen und Migranten mit Einheimischen in besonderer Intensität. Die Unternehmen müssen auch hier ihre Eigenverantwortung aufgreifen und für eine gelungene Integration einen Beitrag leisten. Diese umfasst insbesondere den Aspekt einer gezielten Qualifizierung.

Die fast 600.000 Unternehmerinnen und Unternehmer mit Migrationshintergrund leisten heute schon in Hessen einen großen Beitrag für die Volkswirtschaft. Migrantenunternehmen entfalten neben ihrer ökonomischen Wirkung auch eine integrationsfördernde Leistung. Sie haben eine Vorbildfunktion. Dabei ist das ökonomische Potenzial der selbstständigen Erwerbstätigkeit von Migranten noch bei Weitem nicht völlig ausgeschöpft.

Meine Damen und Herren, Kollege Merz und viele werden es ansprechen. Sprache ist der entscheidende Schlüssel. In den ersten Lebensjahren werden die Weichen für eine erfolgreiche Integration gestellt. Bildung, so früh und so gut wie möglich, ist der Schlüssel zur Integration. Im

Mittelpunkt muss deshalb die Qualität der Kindertagesstätten und Schulen stehen. Wir sind der Auffassung, dass eine frühe Sprachkompetenz im Sinne der Beherrschung der Landessprache eine entscheidende Grundvoraussetzung für Bildung und für eine erfolgreich getragene Integration in und durch Bildung ist.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ziel unserer Integrationspolitik ist es, Zuwanderern gleiche Bildungs- und Berufschancen zu gewährleisten und sie möglichst umfassend am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilhaben zu lassen. Je intensiver Kinder Integration durch Bildung erfahren, desto eher werden sie Träger der Integration in die Gesellschaft. Dabei kommt es auf die frühe Verzahnung der Förderung an, wie es beispielsweise auch der hessische Bildungs- und Erziehungsplan vorsieht.

Dazu gehören Ganztagsschulen auf freiwilliger Basis, die eine durchgehende Förderung ermöglichen. Sie sind alle wichtige Instrumente für eine erfolgreiche Integrationspolitik. Aber ein wichtiges Instrument ist auch der familiäre Hintergrund, der ebenso wie der Spracherwerb für eine erfolgreiche Integration wichtig ist.

Migrantinnen und Migranten haben dann gute Aufstiegs chancen, wenn auch das familiäre Umfeld dies ermöglicht, denn die Familienstrukturen prägen das alltägliche Leben. Sie geben Menschen Halt. Andererseits können sie es auch einengen und das Entstehen von innerethischen Netzwerken erschweren. Eltern haben – gerade die Migrantinnen und Migranten müssen sich hier an die eigene Nase fassen – eine herausragende Verantwortung für die Zukunftschancen ihrer Kinder. Das muss an der Stelle einmal betont werden.

Meine Damen und Herren, die gesellschaftliche Teilhabe ist ein wichtiger Aspekt für Integrationspolitik. Integration bedeutet, Verantwortung für unser Land zu übernehmen. Dafür ist ein gemeinsames Grundverständnis unabdingbar. Es ist ganz klar: Wir haben viele gute Beispiele gelungener Integration. Viele Zuwanderer sind bei uns in Hessen sehr gut integriert.

Fakt ist aber auch, dass Menschen mit Migrationshintergrund viel seltener an gesellschaftlichen und politischen Vereinen und Organisationen partizipieren. Das Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund ist aber eine Bereicherung für diese Organisationen und müsste intensiviert werden. Es dient dem wechselseitigen Kennenlernen, dem Abbauen von Vorurteilen, und es hilft auch bei der besseren Eingliederung in unsere Gesellschaft.

Zur Eingliederung in unsere Gesellschaft ist der Sport ein ganz entscheidendes Beispiel für gelungene Integration. Seit vielen Jahren ist der Sport der Bereich, in dem sich allgemein die meisten Menschen in Hessen engagieren. Er bietet Menschen unterschiedlicher Herkunft eine große Chance zur Integration.

Ein Viertel der Menschen mit Migrationshintergrund ist in deutschen Sportvereinen engagiert. Der Sport ist deshalb eine der wichtigsten Plattformen, um sprachliche, ethnische oder religiöse Trennungen zu überwinden – dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund der im Sport einheitlich geltenden Regeln und sozialen Normen, die sich weltweit etabliert haben. Sport vermittelt Teamgeist und Fair Play. Er hilft, Vorurteile abzubauen, und schafft Brücken zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft mit unterschiedlichen Kulturen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, der Islam gehört mittlerweile zum Alltag in Hessen und auch in Deutschland. Er kann, wie auch das Christen- und das Judentum, einen wichtigen Beitrag zum friedlichen Zusammenleben von Menschen in unserem Land leisten. Wir akzeptieren den Islam als Religion ausdrücklich. Aber religiöser Extremismus und Fundamentalismus müssen in jeder Form bekämpft werden.

Meine Damen und Herren, hat der Islam die nötigen Institutionen ausgebildet, dann muss er auch die gleichen Rechte und Pflichten wie alle anderen Religionsgemeinschaften erhalten. Dazu später mehr von meinem Kollegen Ismail Tipi an geeigneter Stelle.

Hessen hat in der Vergangenheit bewiesen und beweist auch in der Gegenwart, dass es zu gelungener Integration in der Lage ist. Trotz dieser Erfolge bleibt der Prozess der Integrationspolitik in Hessen weiterhin eine wichtige, eine anspruchsvolle Herausforderung, zu der alle Beteiligten – ich betone ausdrücklich: alle Beteiligten – ihren Beitrag leisten müssen. – Besten Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Bauer, vielen Dank. – Als Nächste spricht Kollegin Öztürk für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich hatte das heute so verstanden, dass es hier eine Regierungserklärung geben wird, wo uns die Regierung erklären wird, was sie in Sachen Integrationspolitik bisher in den zweieinhalb Jahren erreicht hat. Aber ich muss feststellen: Wo nichts ist, kann man anscheinend auch nichts erklären.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herr Minister Hahn, die Frage ist, wenn Sie in zweieinhalb Jahren keine Bilanz vorzuweisen haben, inwiefern es noch gerechtfertigt ist, in Ihrem Ministerium noch den Namen Integration zu tragen. Das möchte ich gerne einmal fragen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Eigentlich hätte das heute ein Tag sein können, an dem man gemeinsam in der Integrationspolitik Erfolge aufweisen und sagen könnte: Das ist ein Thema, wo wir zu Beginn der Legislaturperiode auch vonseiten der Opposition sehr massive Unterstützung, Vorschläge und unterstützende Hinweise erhalten haben, wie wir in diesem sehr sachlichen und von mir aus auch für die Zukunft wichtigen Thema gemeinsam einen Schritt nach vorne kommen.

Für uns, die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, kann ich festhalten, dass wir in dieser Debatte von Anfang an sehr großen Wert auf Sachlichkeit und Zielorientiertheit gelegt haben. Da, wo es geht, haben wir versucht, die Landesregierung mit konkreten Anträgen zu unterstützen. Wir haben z. B. die regionale Partnerschaft mit der Türkei maßgeblich unterstützt. Bei der Einführung des islami

schen Religionsunterrichts haben wir konkrete und umsetzbare Vorschläge gemacht, auf die ich gleich noch eingehen werde.

Als einzige Fraktion haben wir im Sommer dieses Jahres ein abgestimmtes, passgenaues Integrationskonzept vorgelegt, das einen nachhaltigen Ansatz hat, das die kommunale Ebene, die Bildungsebene und die Arbeitsebene einbezieht, ein Konzept, von dem man sagen kann: Wenn das 1 : 1 umgesetzt werden würde, dann wären wir in zweieinhalb Jahren viel weiter. – Aber die Landesregierung kann anscheinend nicht das vorweisen, was wir vorzuweisen haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich hatte mir eigentlich überlegt, einen positiven Ansatz zu verfolgen, wie Herr Kollege Merz es hier versucht hat. Aber das gelingt mir nicht. Wenn man sich die 15-seitige Regierungserklärung und die Schwerpunkte anschaut, die die Landesregierung zu setzen meint, dann stellt man fest, dass das ein Armutszeugnis ist. Da kann man nichts schönreden. Das sind Sonntagsreden, das ist kein konkreter Handlungsvorschlag. Herr Minister Hahn, von daher möchte ich wissen: Wann in dieser Legislaturperiode wollen Sie Erfolge vorweisen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Seit Jahren sind die Schlüsselthemen der Integrationsdebatte bekannt. Sie sind mehrfach diskutiert und im Konsens besprochen worden. Wenn wir beim Thema Integrationen einen Schritt weiterkommen wollen, dann ist es bei der Chancengleichheit beim Zugang zu Bildung, zu Ausbildung, zum Arbeitsmarkt und zur sozialen Teilhabe. Viele dieser Punkte könnte die Landesregierung im Rahmen ihres schulpolitischen Ansatzes ganz alleine vorantreiben. Aber anstatt sich auf die Dinge zu konzentrieren, die die Landesregierung vor Ort gemeinsam mit Kultusministerin Henzler, Wirtschaftsminister Posch und Sozialminister Grüttner machen könnte, versucht sie sich auf die Dinge zurückzuziehen, die auf Bundesebene beschlossen werden, wie das Gesetz zur Anerkennung der ausländischen Abschlüsse.

Die Landesregierung versucht sich auf der Arbeit der Kommunen auszuruhen und sagt zu den Modellregionen Integration vor Ort: Yippie, hurra. – Ja, natürlich. Wir wissen seit Jahren, dass die Kommunen vor Ort sehr gute Arbeit leisten. Wir wissen seit Jahren, dass die Anerkennung der ausländischen Abschlüsse ein wichtiges Thema ist. Aber die Frage ist: Was ist die Antwort der Landesregierung, um in diesem Bereich einen Schritt weiterzukommen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Das Gesetz zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse ist ganz „frisch“ beschlossen worden. Ich hätte gedacht, dass sich Herr Minister Hahn jetzt hierhin stellt und sagt: Auf Bundesebene ist zwar das und jenes beschlossen worden, aber auf Landesebene gibt es bei diesen und jenen Themen Nachhol- bzw. Änderungsbedarf. Wir als Landesregierung werden einen Vorschlag XY auf den Tisch legen. – Anstatt einen solch konkreten Vorschlag zu machen, stellt der Herr Minister sich hierhin und sagt: „Juhu, es gibt ein Gesetz.“ Ja, es gibt ein Gesetz, und was machen Sie daraus? Was macht die Landesebene? Was ist Ihr Vorschlag auf Landesebene?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Nancy Faeser (SPD) – Zuruf des Abg. Alexander Bauer (CDU))

Seit Jahren ist bekannt, dass Integrationsdefizite nicht auf die religiöse und nicht auf die kulturelle Herkunft zurückzuführen sind, sondern auf soziale Benachteiligung. Wir haben in der Enquetekommission mehrmals darüber geredet und haben konkrete Vorschläge vonseiten der Experten bekommen.

(Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

Was macht die Landesregierung? Sie lobt die Arbeit der Enquetekommission und freut sich auf die Beschlüsse. Was heißt das im Umkehrschluss? Sie warten noch einmal zweieinhalb Jahre, bis die Enquetekommission zu Ende getagt hat, und dann überlegen Sie sich, ob Sie handeln wollen. – Wenn Sie nicht handeln wollen, dann übergeben Sie die Regierung an eine andere Partei in diesem Landtag. Dies wäre besser. Herr Minister Hahn, das ist das, was ich Ihnen heute vorschlagen möchte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Nancy Faeser (SPD) – Zurufe der Abg. Ismail Tipi und Holger Bellino (CDU))