(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Nancy Faeser (SPD) – Zurufe der Abg. Ismail Tipi und Holger Bellino (CDU))
In Ihrer Regierungserklärung sprechen Sie von einer Willkommenskultur. Auch da möchte ich Ihnen zustimmen. Ja, eine ernst gemeinte Willkommenskultur ist eine Voraussetzung dafür, dass sich die Menschen, die zugezogen sind, wohlfühlen, dass sie sich heimisch und anerkannt fühlen.
Ich möchte wissen, wie das mit Ihrem Koalitionspartner ist. Inwiefern kann er mit seinen Ansätzen im „Wetzlar Kurier“ – das muss ich doch noch erwähnen – eine Willkommenskultur vermitteln? Denn in der letzten Ausgabe, gestern bei mir im Briefkasten gelandet, steht die Aussage: „CDU lehnt Zuzug von Millionen Moslems ab.“
Aha. Was ist Ihre Willkommenskultur? „Wir lehnen den Zuzug von Millionen Moslems ab“? Ich frage mich: Wo werden die Millionen Moslems eigentlich herkommen? – Die Antwort ist: beim EU-Beitritt der Türkei. Das heißt, wenn die Türkei beitreten würde, würden Millionen Moslems in dieses Land ziehen.
(Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die kommen alle nach Wetzlar! – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die kommen alle zum Irmer!)
Um Gottes willen, Herr Irmer muss immer wieder vor der Invasion der Muslime warnen. Das klare Wort, das Herr Hahn hier hätte sprechen müssen, fehlt wieder einmal.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Mathias Wagner (Taunus) (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN): Wir machen Herrn Irmer zum Beauftragten für Willkommenskultur!)
Es ist schon wichtig, was der bildungspolitische Sprecher des Koalitionspartners sagt. Herr Minister Hahn, wenn Sie das schon zur Chefsache erklären, dann ist von Ihnen an dieser Stelle ein klares Wort verlangt. Sie werden von uns als Opposition immer wieder dazu gezwungen werden, in diesen Dingen ein klares Wort zu sagen. Wenn Sie das nicht tun, wenn Sie immer wieder hin und her schwurbeln, dann dürfen Sie sich nicht wundern, dass Sie in der Integrationspolitik null Glaubwürdigkeit, null Credibility haben, um es etwas international auszudrücken.
Von daher weiß ich nicht, was Ihr Ziel ist. Sie wollen doch nicht nur Sonntagsreden schwingen, sondern
Sie wollen von den Migrantenselbstorganisationen, mit denen Sie sich treffen, ernst genommen werden, und Sie wollen, dass Ihre Politik Anerkennung findet. Herr Integrationsminister Hahn, dazu müssen Sie handeln. Machen Sie das doch endlich.
Ich möchte zugeben, dass wir am Anfang, als Sie die Integrationskonferenz einberufen haben, durchaus sehr positiv – „betroffen“ will ich nicht sagen – gestimmt waren, weil wir das Gefühl hatten: Okay, mit einer Integrationskonferenz, die ressortübergreifend aufgerufen worden ist, das könnte etwas werden, das Thema Integration endlich als Querschnittsthema in die einzelnen Ressorts durchzudeklinieren. Ich weiß noch ganz genau: Wir alle haben hier gesessen, und jeder hat einen konstruktiven Beitrag dazu geleistet. Viele junge Leute, positive Beispiele, Menschen mit Migrationshintergrund, haben hier gesessen, Fragen gestellt und von ihren Problemen berichtet.
Ich frage Sie: Wann gibt es eigentlich eine Folgeintegrationskonferenz? Wann werden die Themen Arbeit, Gesundheit, Bildung und soziale Teilhabe noch einmal vertieft werden? Alle sind von dieser Integrationskonferenz mit dem Gefühl nach Hause gegangen, dass es irgendwann eine zweite Auftaktveranstaltung geben wird, die thematisch vertieft organisiert wird und die einen ressortübergreifenden Ansatz haben wird, wie Integrationspolitik als Querschnittsaufgabe verstanden werden kann. Auf diese Integrationskonferenz warten wir noch heute. Wird es irgendwann eine geben, oder ist für Sie das Thema ressortübergreifend nur auf Papier gedruckt, und es wird nicht gehandelt?
Wie gesagt, diese Integrationskonferenz wäre eine sehr gute Chance gewesen, aus Sicht der Landesregierung zu definieren, was ressortübergreifende Integrationspolitik ist. Darauf haben wir lange gewartet. Aber es ist leider nichts gekommen.
Ich möchte kurz noch zwei Sätze zu den Modellregionen Integration sagen. Dass die Kommunen vor Ort seit Jahren gute Arbeit leisten, wie es eben schon von meinen Vorrednern bestätigt worden ist, steht außer Frage. Aber die Kommunen wollen doch seit Jahren von Ihnen einen Vorschlag, wie sie aus dem Modellcharakter der Projekte, aus dem Projektitischarakter herauskommen und wie sie nachhaltige strukturelle Finanzierungen für die Projekte vor Ort erhalten können.
Wir haben beispielsweise erfahren, dass Sie ab 2013 kein Geld mehr im Haushalt dafür vorgesehen haben. Sie machen auch keinen Vorschlag, wie man die 65 laufenden Projekte nach 2013 bündeln und passgenau, flächendeckend für das Land Hessen, für die Kommunen anbieten kann. Ich bitte darum, dass Sie bis zum Jahr 2012, wenn Sie Ihren Evaluationsbericht vorlegen, mit konkreten Maßnahmen kommen und uns nicht wieder mit Sonntagsreden aufhalten. Denn wir haben keine Zeit; wir müssen arbeiten und die Integrationspolitik vorantreiben. Wir können nicht immer wieder Ihren leeren Worthülsen lau
Ich komme nun zum Thema Einführung islamischen Religionsunterrichts. Dazu möchte ich der Landesregierung den einen oder anderen Vorschlag unterbreiten und ein paar Klarstellungen mitgeben.
Um allen Missverständnissen vorzubeugen: Es ist ganz klar auch ein Ziel der GRÜNEN-Landtagsfraktion, aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes islamischen Religionsunterricht für muslimische Schülerinnen und Schüler anzubieten und ein solches Angebot an hessischen Schulen zu organisieren.
Dass die Frage des Ansprechpartners keine einfache ist, wissen wir seit Jahren. Das ist überhaupt nichts Neues. Dass Sie uns das jetzt in Ihrem Antrag als eine neue Erkenntnis verkaufen wollen, spricht dafür, dass Sie von diesem Thema bisher immer noch nichts verstanden haben. Deswegen haben wir als GRÜNE den konstruktiven Vorschlag gemacht und gesagt: Wir müssen Zwischenschritte gehen.
Ein solcher Zwischenschritt ist die Einführung von Islamkunde im Lande Hessen. 2011 ist das zehnte Jahr, dass der Integrationsbeirat beschlossen hat, die Einführung von islamischem Religionsunterricht in Hessen voranzutreiben. Zehn Jahre sind schon vergangen. Was ist denn jetzt eigentlich Ihr Vorschlag? Wie soll das jetzt hier funktionieren?
Wir als GRÜNE sagen, das geht nicht ohne Übergangslösungen und Zwischenschritte. Das ist der aktuelle Stand der fachlichen Debatte.
Herr Minister Hahn, Sie sind Jurist. Eigentlich müssten Sie doch verstehen, was Ihre juristischen Kollegen sagen. Es wird von der Deutschen Islam Konferenz doch ganz klar empfohlen, Ziffer XII des Zwischenresümees, dass die Beiratslösung eine mögliche Übergangslösung ist. Sie verschweigen dem Plenum hier, dass diese Übergangslösung – Ziffer XII der Deutschen Islam Konferenz – von der Kultusministerkonferenz den Ländern weiterempfohlen worden ist.
Ja, fragen Sie einmal Herrn Brockmann, der weiß das besser. Aber anscheinend möchten Sie lieber ignorieren als zuhören. Aber das ist Ihre Entscheidung.
Sie wissen ganz genau: Die Kritik, die muslimischen Dachverbände würden diese Ziffer XII nicht mittragen, das sei nicht im Einvernehmen beschlossen worden, gilt jetzt nicht mehr. In Nordrhein-Westfalen haben genau diese Landesverbände die Beiratslösung mit dem Land akzeptiert. Sie haben es unterschrieben. Das heißt, die Kritik, es gebe hier kein Einvernehmen, ist aktuell nicht mehr zutreffend. Die muslimischen Landesverbände haben es akzeptiert und würden in Nordrhein-Westfalen die Beiratslösung mittragen.
Wenn Sie das aber nicht wollen und sagen: „Das ist mir zu heikel“, dann gehen Sie den Weg der Islamkunde. Das
können Sie mit dem runden Tisch, den Sie hier in Hessen einberufen haben, ganz allein organisieren. Dann können Sie endlich etwas vorweisen. Von mir aus prüfen Sie jahrelang in Ruhe Ihre Gutachten, wenn Sie das wollen. Aber Sie können den muslimischen Schülerinnen und Schülern nicht zumuten, nochmals fünf oder zehn Jahre in diesem Lande Hessen kein Angebot zu haben. Das nehmen wir nicht hin, das tragen wir auf keinen Fall mit.
Wer den Islam aus den Hinterhofmoscheen heraustreiben will – das wurde heute nochmals vom Kollegen Bauer unterstützt, und das wird auch von der Hessischen Landesregierung immer wieder gefordert –, der muss ein Angebot schaffen.
Wenn Kinder in den Schulen kein Angebot über ihr Bekenntnis von in Deutschland ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern bekommen, dann laufen diese Kinder den Islamisten oder den Salafisten in deren Islamseminaren in die Fänge und fangen dort an, sich in irgendwelchen Internetforen über den Islam zu informieren. Wenn Sie das vermeiden wollen, dann schaffen Sie endlich ein Angebot in den Schulen.
Und hören Sie endlich auf, diese juristischen, verfassungsrechtlichen Diskussionen zu führen. Von mir aus sollen die geführt werden – aber ich erinnere daran, dass der Deutsche Juristentag im Herbst 2010 in Berlin ganz klar beschlossen, empfohlen hat, Übergangslösungen bei der Einführung des islamischen Religionsunterrichts zu vereinbaren. Das wird vom Wissenschaftsrat und von der KMK unterstützt – um Gottes willen, warum ist es im Lande Hessen so schwer, zu begreifen, dass man ohne Übergangslösung keinen Schritt weiterkommen wird?
Was die aktuelle Kritik auch der katholischen Kirche betrifft, so möchte ich hier kurz erwähnen – weil hier immer wieder Nordrhein-Westfalen genannt worden ist –: Zu Recht will die katholische Kirche darauf bestehen, dass die Übergangslösungen, die jetzt eingeführt werden, auch als „Übergangslösungen“ benannt werden und nicht als „Religionsunterricht“ – denn das ist ein verfassungsrechtlich verbriefter Terminus technicus. Stattdessen möchte sie, dass nach außen ganz klar das Signal gesendet wird, dass das nur eine Übergangslösung, ein Islamunterricht und nicht die verfassungsrechtliche Lösung des Religionsunterrichts nach Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes ist. Wenn Sie das in Ihrem Vorschlag oder in unserem Vorschlag als Übergangslösung so gewährleisten, dann ist weder vonseiten der Kirchen noch vonseiten der Verfassungsrechtler Kritik zu erwarten.
Ich kann nur sagen: Wo ein Wille ist, da ist eigentlich auch ein Weg. Mir scheint jedoch, dass hier sowohl der Wille fehlt als auch der Weg nicht gesehen wird – weil diese Landesregierung total ignorant ist und sich seitens eines Koalitionspartners immer wieder an der Nase herumführen lässt.
Ganz kurz möchte ich auch einmal die Mär von den Aleviten erwähnen. Es wird gesagt, die alevitische Gemeinde
hat zehn Jahre lang gebraucht, bis sie als Kooperationspartner anerkannt worden ist. – Was Sie dabei ganz dezent verschweigen – oder vielleicht auch gar nicht wissen, das weiß ich nicht, das kann ich nicht beurteilen –: In vier Bundesländern haben die Aleviten zur gleichen Zeit einen Antrag gestellt. Bis dato waren die Aleviten nirgendwo auf der Welt als Glaubensgemeinschaft anerkannt. Das ist das erste Land, hier in Deutschland, in dem sie als Glaubensgemeinschaft eine Anerkennung gefunden haben. Deswegen kann es sein, dass es länger gedauert hat, bis das erforderliche Gutachten erstellt worden ist und sie als Kooperationspartner anerkannt worden sind.
Was Sie aber nicht ignorieren können, ist: Seit dem Jahr 2006 sind wir in der fachlichen Debatte zur Einführung des islamischen Religionsunterrichts einen massiven Schritt weitergekommen. Es gibt Vorschläge. Sie müssen sich entscheiden, ob Sie jetzt zehn Jahre lang islamischen Religionsunterricht vor sich herschieben wollen – die Zeit, die die Aleviten benötigt haben – oder ob Sie an schnelleren Übergangslösungen interessiert sind, die auch verfassungsrechtlich tragfähig sind. Herr Hahn, ich frage Sie das – vielleicht antworten Sie darauf gleich noch.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe des Ministers Jörg-Uwe Hahn und des Abg. Ismail Tipi (CDU))
Last, but not least will ich noch ganz kurz dazu kommen, wie man in Hessen Integrationspolitik abgestimmt und nachhaltig formulieren könnte.
Wir GRÜNE haben einen Vorschlag unterbreitet, in dem wir in zehn verschiedenen Themenfeldern beschrieben haben, wo wir Handlungsbedarf haben. In 17 konkreten Maßnahmen haben wir beschrieben, wie Integrationspolitik effektiv umgesetzt werden kann.