Protokoll der Sitzung vom 04.10.2011

Wir GRÜNE haben einen Vorschlag unterbreitet, in dem wir in zehn verschiedenen Themenfeldern beschrieben haben, wo wir Handlungsbedarf haben. In 17 konkreten Maßnahmen haben wir beschrieben, wie Integrationspolitik effektiv umgesetzt werden kann.

Wir haben vorgeschlagen, dass man dann, wenn man eine nachhaltige Integrationspolitik praktizieren will, einen hessischen Integrationsplan erstellen soll, dass es eine Integrationsvereinbarung geben soll, gemeinsam mit den Verbänden, die ohnehin seit Jahren zum Thema Integration arbeiten – und zwar nicht nur mit den Migrantenorganisationen, sondern auch mit den Kirchen und den Stiftungen. Wir haben auch vorgeschlagen, in Hessen eine regelmäßige Integrationskonferenz abzuhalten, auf der man die gemeinsam gesteckten Ziele immer wieder abstimmt, schaut, wie weit man gekommen ist, und neue Ziele formuliert.

Wir möchten gerne, dass all diese verschiedenen Ansätze gemeinsam in ein Integrationskonzept münden, in ein Integrationsgesetz, in dem konkrete gesetzliche Veränderungsmaßnahmen eingeleitet werden.

Aus unserer Sicht ist das ein abgestimmter Prozess, den man mit Integrationsverbänden und mit Migratenselbst organisationen gehen kann. Das wäre eine gute Grundlage, um in Hessen endlich Integration streitfrei zu organisieren. Denn wir als GRÜNE verstehen unter dem Thema Integration, dass die Vielfalt in diesem Land eine Bereicherung ist. Meine Damen und Herren, wir verstehen unter Integration die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen in der Gesellschaft. Und natürlich verstehen wir Integration als Aufgabe. Da haben wir ganz klargemacht: Als Aufgabe müssen sowohl die Zugewanderten als auch die seit Langem hier Lebenden ihren Beitrag leisten.

Die Menschen, die hierher zugewandert sind, müssen natürlich die deutsche Sprache lernen. Das steht doch außer

Frage. Das ist überhaupt nicht das Problem. Von Ihnen will ich nur wissen: Welche Maßnahmen und Sprachkurs angebote wollen Sie denn vor Ort unterstützen, und wie wollen Sie sich dafür einsetzen, dass überhaupt alle, die bisher auf den Wartelisten stehen und an diesen Kursen teilhaben wollen, endlich drankommen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Wir GRÜNE schlagen vor, dass die Landesregierung endlich einmal anfängt zu arbeiten und nicht einfach nur Sonntagsreden schwingt,

(Holger Bellino (CDU): Das darf doch nicht wahr sein! – Ismail Tipi (CDU): Wir arbeiten sehr gut!)

dass sie endlich einmal anfängt, in diesem Land eine vernünftige Willkommenskultur zu etablieren und sich gegenüber den Irmers und Wagners in dieser Fraktion durchsetzt. Das ist die Aufgabe von Herrn Integrationsminister Hahn.

(Nancy Faeser (SPD): Das stimmt!)

Wenn er dazu nicht in der Lage ist, dann muss er sich überlegen, ob er den Namen „Integration“ weiterhin in seinem Ministeriumsschild führen soll. Wir wollen auf jeden Fall nicht mehr mit Ihren Sonntagsreden aufgehalten werden, sondern wir möchten gerne eine nachhaltige Integrationspolitik für all jene Menschen, die hier seit Jahren leben, die hier erfolgreich ihren Beitrag geleistet haben. Für die möchten wir endlich an den Punkten ansetzen, wo Bedarf besteht, nicht immer nur mit dieser – ich will ja gar nichts mehr sagen, aber – – Nein, das fällt mir wirklich sehr schwer, bei dieser Regierung, die wirklich nichts leistet, aber immer wieder versucht, sich auf der Arbeit anderer auszuruhen.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Das ist für das Land Hessen nicht glücklich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Es tut mir leid im Namen all derer, die daran geglaubt haben, dass diese Landesregierung etwas verändern würde. Arbeiten Sie endlich, handeln Sie endlich, und hören Sie auf, Sonntagsreden zu schwingen. – Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der SPD und bei Abgeord- neten der LINKEN)

Danke, Frau Öztürk. – Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Frau Cárdenas zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Minister, Sie betiteln Ihre Regierungserklärung „Hessische Integrationspolitik – gemeinsam die Zukunft gestalten“. Allerdings ist es Ihnen damit unseres Erachtens nicht gelungen, die Zukunft Ihres Ministeriums zu gestalten.

Sehr geehrter Herr Minister, als ich Ihre Erklärung gelesen habe – –

(Unruhe)

Möchte mir vielleicht jemand zuhören?

(Gerhard Merz (SPD): Entschuldigung!)

Herr Kollege Merz, danke schön. – Als ich Ihre Erklärung gelesen habe, habe ich mir gedacht: Das, was Sie da gesagt haben, hätte man locker auf einer halben bis Dreiviertelseite unterbringen können.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist ohne Substanz, es ist dahingehudelt, es ist ohne Anspruch, und es wird aus ihr absolut nicht ersichtlich, was die Einrichtung eines Integrationsministeriums bisher überhaupt für Hessen gebracht hat.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein echter Hahn!)

Im Gegenteil, es wird eher deutlich, dass der Ertrag für Hessen und für die Menschen mit Einwanderungsgeschichte bisher gegen null geht. Dabei haben sich damit so viele Hoffnungen verbunden, Herr Minister. Hessen wollte und sollte nicht nur Bildungsland Nummer eins werden, es sollte auch Integrationsland Nummer eins werden. Die AGAH, die Selbstorganisation der Migranten, die Vereine, die sich für das Zusammenleben der Kulturen einsetzen, aber auch Flüchtlingshilfe und Pro Asyl, alle wünschten und hofften – und wir mit ihnen –, dass jetzt endlich bessere Zeiten anbrechen für eine substanzielle Migrationspolitik, für eine substanzielle Flüchtlingspolitik, für eine Politik der Partizipation und eine Politik der Gleichstellung. Aber wir wurden alle enttäuscht, und wir wurden vermutlich auch getäuscht.

Herr Minister, Sie werden in den nächsten zwei Jahren deutlicher in die Puschen kommen müssen, und ich denke und hoffe, dass Sie das auch schaffen.

Was haben Sie als neues Ministerium in den letzten zwei Jahren neu auf den Weg gebracht? Wenn man genau hinschaut: doch nur die Modellregionen und Bursa. Sie wissen, wir als LINKE – –

(Zurufe der Abg. Gerhard Merz (SPD) und Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))

Nein, die Regionalpartnerschaft mit Bursa war tatsächlich etwas Neues. Das kann man schon sagen.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber Bursa gab es vorher schon!)

Das ist richtig. – Sie wissen, wir als LINKE haben Sie dabei sogar unterstützt, damit es zu einem positiven Votum des ganzen Hauses kam, obwohl wir ursprünglich einen anderen Vorschlag gemacht hatten, den Vorschlag, auch die heimliche Hauptstadt der Kurden zu besuchen, Diyarbakir, auf Kurdisch Amed. Wir meinen, das war ein guter Vorschlag unsererseits, da angesichts der anhaltenden Repressionen gegenüber der kurdischen Bevölkerung in der Türkei dies ein gutes Signal gewesen wäre.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieser Vorschlag war Ihnen aber zu politisch und vor allem zu unabhängig und zu sehr auf Konfrontationskurs zum türkischen Gastgeber.

Jetzt haben wir die Partnerschaft mit Bursa, und Sie wissen wie wir, dass es immer wieder zu Klagen kommt und kam über die unerträgliche Praxis der Visavergabe. Klar, eine Partnerschaft einzugehen, ist das eine, eine Partner

schaft zu gestalten, ist das andere, Herr Minister. Aber was haben Sie zu diesem Punkt inzwischen in Bursa erreicht?

Wir haben einen Antrag zum Thema Visavergabe gestellt, und wir hoffen und wünschen uns, dass Sie diesen unterstützen.

Was die Modellregionen anbelangt, so fördern Sie nur ein Drittel der Kommunen, die sich beworben haben, obwohl auch die anderen nach Ihren Angaben allesamt Erfolg versprechende Vorhaben beschrieben haben. Das dort hineingesteckte Geld wäre unseres Erachtens doppelt und dreifach zurückgekommen, besonders dann, wenn es tatsächlich nachhaltig angelegt gewesen wäre und in die Regelförderung übernommen würde.

Nur sechs von 17 – wir denken, das ist ein Armutszeugnis für eine nach vorne blickende Integrationspolitik. Von daher haben Sie auch da eher ein schlechtes Ergebnis.

Zweitens schreiben Sie sich unseres Erachtens etwas zu Unrecht auf Ihre Fahne. Kommen wir zur Sprachförderung in den Kitas. Die gab es schon lange vorher. Dafür hätten wir kein eigenes Ministerium gebraucht. Zudem bezweifle ich sehr stark die Effektivität dieser Maßnahme, und ich stehe damit nicht alleine. Die spezifische Förderung der einzelnen Kinder ist in der Regel nicht herzuleiten aus den individuellen Ergebnissen des Sprachtests. Sprachtests, die aber statt einer differenzierten individuellen Förderempfehlung nur dazu geeignet sind, Ihnen statistisches Material im Sinne von „Unsere Sprachförderung ist erfolgreich, wir können Vollzug melden“ an die Hand zu geben, sind eindeutig überbezahlt und kontraproduktiv.

(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Meine Damen und Herren, es geht in der frühkindlichen Sprachförderung weiterhin nicht darum, in kurzer Zeit einzelne, zweifellos wichtige Kompetenzen zu testen und zu trainieren. So etwas kritisieren wir in der Pädagogik zu Recht als Training for the Test. Anders heißt es auch: Vom Wiegen werden die Schweine nicht fett.

Notwendig ist vielmehr ein übergreifendes Konzept von Bildung, Erziehung und Betreuung von Anfang an, ein Konzept, das hilft, Benachteiligungen der Kinder aufgrund familiärer oder sozialer Beschränkungen auszugleichen. Genau das wäre auch Ihre Aufgabe gewesen, Herr Minister – aber Fehlanzeige.

(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Interessanterweise berichtet heute die „FAZ“ über eine Studie von Toprak und El-Mafaalani. Es wurden Gründe für Schulversagen bei Kindern türkischer und allgemein muslimischer Elternhäuser gesucht, und es wird gesagt, dass dafür kulturelle Unterschiede benannt werden müssen. Natürlich war das bei einer von der Konrad-Adenauer-Stiftung finanzierten Studie zu erwarten.

Aber anders als erwartet zieht sie politische Konsequenzen daraus, die auch wir unterstützen würden: die Aufwertung frühkindlicher Erziehung, das Einstellen auf heterogene Lerngruppen von Anfang an, das längere gemeinsame Lernen – man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen; das ist immer noch ein rotes Tuch für die hessischen Konservativen und Liberalen – und echte Ganztagsschulen, in denen die Verantwortung für den Lernerfolg auf die Schule übergeht und die Eltern entlastet werden.

Wenn Sie das ernst nehmen würden, was die Konrad-Adenauer-Stiftung vorgelegt hat, dann wären wir ein ganzes Stück weiter, meine Damen und Herren und Herr Minister.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Alle ernst zu nehmenden Sprachwissenschaftler sagen, dass Sprachentwicklung, zumal in der Zweitsprache, erst mit zwölf Jahren beendet ist. Das heißt, und das forderten wir von Beginn an, dass Sprachförderung in der Schule weitergeführt werden muss als Deutsch als Zweitsprache, damit Kinder mit Migrationshintergrund mit den anderen Kindern gleichziehen können, was die Schulabschlüsse und das Erlangen der Hochschulreife anbelangt. Hier gibt es großen Nachholbedarf, der aufgrund von ideologischen Scheuklappen und Haushaltserwägungen von Ihnen weiterhin nicht berücksichtigt wird.