Protokoll der Sitzung vom 04.10.2011

Alle ernst zu nehmenden Sprachwissenschaftler sagen, dass Sprachentwicklung, zumal in der Zweitsprache, erst mit zwölf Jahren beendet ist. Das heißt, und das forderten wir von Beginn an, dass Sprachförderung in der Schule weitergeführt werden muss als Deutsch als Zweitsprache, damit Kinder mit Migrationshintergrund mit den anderen Kindern gleichziehen können, was die Schulabschlüsse und das Erlangen der Hochschulreife anbelangt. Hier gibt es großen Nachholbedarf, der aufgrund von ideologischen Scheuklappen und Haushaltserwägungen von Ihnen weiterhin nicht berücksichtigt wird.

Natürlich darf das Thema Berücksichtigung und Förderung der Herkunftssprache nicht fehlen. Sogar auf der Homepage des Goethe-Instituts, das wirklich nicht regierungskritisch ist, lese ich, in den Schulen und Kindergärten dominiere die Einsprachigkeit, es fehlten bilinguale Bildungsangebote. Nur in 1 % der deutschen Schulen – ich denke, Hessen ist nicht weit davon entfernt – gebe es überhaupt bilinguale Sprachangebote, in der Regel in Französisch, Englisch und Spanisch, und es gebe das Paradox, dass die Sprachkenntnisse von Kindern, die bereits zweisprachig sind, im Bildungssystem nicht weiter gefördert würden und unter Umständen verkümmerten. – So weit das Goethe-Institut.

Herr Minister, auch hier ist kein Fortschritt erzielt worden. Ihre vollmundige Forderung in der Regierungserklärung nach einer Kultur des Respekts, der natürlich auch die Herkunftssprachen umfassen sollte, begraben Sie damit gleich wieder, und das ist fatal.

(Beifall bei der LINKEN)

Das führt mich zu einer generellen Kritik an Ihrer Regierungserklärung. Sie sprechen zwar immer und überall davon, dass Integrationspolitik eine Querschnittsaufgabe sei, aber in Ihrer Regierungserklärung ist davon fast nichts zu hören. Wo machen Sie gemeinsam mit dem Kultusministerium eine Bildungspolitik, die Benachteiligungen endlich abbaut und die realen Herausforderungen aufgreift? Wo zeigen Sie auf, wie Sie zusammen mit dem Sozialministerium Benachteiligungen von Familien mit Migrationshintergrund abbauen, die – wie die Enquetekommission immer wieder zutreffend feststellt – vor allem sozialer und eben nicht kultureller oder religiöser Natur sind? Wo entwickeln Sie gemeinsam mit dem Innenministerium eine humane Flüchtlingspolitik? Wo machen Sie Vorschläge zur Verbesserung der Partizipationsmöglichkeiten der hier lebenden Menschen? Wenn Sie von uns schon nichts lernen wollen, dann nehmen Sie sich doch ein Beispiel an der SPD, die jetzt die Forderung aus unserem HGO-Novellierungsentwurf aufgreift, dass Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, ein allgemeines Wahlrecht bekommen.

(Beifall bei der LINKEN)

All das fehlt, Herr Minister; kaum eine Bezugnahme auf die Enquetekommission „Migration und Integration“. Hätten Sie deren bisherige Ergebnisse auch nur geringfügig einbezogen – Kollege Merz hat als Beispiel die Wohnungsbau- und die Gesundheitspolitik genannt –, hätte

Ihre Regierungserklärung wesentlich gehaltvoller ausfallen können.

Damit komme ich zu dem Punkt, der Sie – so vermuten wir jedenfalls – überhaupt dazu bewogen hat, zu diesem Zeitpunkt eine Regierungserklärung abzugeben: der islamische Religionsunterricht. Die Presse schreibt über „feine Risse“ innerhalb Ihrer Koalition. Sie sprechen in Ihrer Regierungserklärung nur von „Irritationen“. Doch muss man nicht vielmehr von offenen Gräben sprechen, wenn auf der einen Seite Sie, Herr Minister Hahn, am Koalitionsvertrag festhalten wollen, auf der anderen Seite der Kollege Wagner diesen aber quasi aufkündigt?

(Alexander Bauer (CDU): Das ist gar nicht wahr! Das war doch eine CDU-Veranstaltung! Sie haben einen Riss in der Wahrnehmung!)

Das sind keine Irritationen mehr, sondern das sind tiefe, befestigte Gräben, die Sie heute mit Ihrem Antrag ein biss chen zugeschüttet haben. Da haben Sie recht, Herr Bauer.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Alexan- der Bauer (CDU))

Verlassen wir diesen Kampfschauplatz, wo es den handelnden Personen allein um die Stärkung ihres jeweils eigenen Profils geht. Ihr Regierungssprecher sagte unlängst, dass es in Sachen islamischer Religionsunterricht in der Regierungskoalition keine Kontroverse gebe. Bei dieser angeblich nicht vorhandenen Kontroverse kann man die Störgeräusche von rechts außen aber gar nicht überhören – jene diskriminierenden Töne, welche den Muslimen in diesem Land in den Ohren hallen und ihnen die Frage aufzwingen, ob sie – wie schon so oft – aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Herkunft benachteiligt werden. Eben diese Frage zerstört bei ihnen jegliches Vertrauen in eine gerechte Integration, bei der sie ihre Kultur und ihre Religion ohne Abstriche ausleben und mit einbringen können.

Ich denke, dass diese Debatte und das, was in den letzten Tagen passiert ist, sehr viel Porzellan zerschlagen haben. Herr Irmer, wie kommen Sie eigentlich darauf, dass es in dieser Legislaturperiode keinen islamischen Religionsunterricht mehr geben wird? – Herr Irmer ist nicht da. Sind das seine persönlichen Wunschträume, oder weiß er mehr als wir alle? Weiß er vielleicht schon von einem negativen Ausgang der Prüfung der Anträge der DITIB und der Ahmadiyya-Gemeinde? Bei Ihren Aussagen muss man quasi davon ausgehen, dass das Ergebnis der – eigentlich unabhängigen – Prüfung schon im Vorfeld feststeht. Ist dies der Fall, dann fordere ich Sie, Herr Minister, dringlichst auf, endlich reinen Tisch zu machen. Hören Sie auf, Ausreden zu benutzen, um bei diesem Thema Zeit zu gewinnen. Prüfen Sie die eingegangenen Anträge ordentlich, und machen Sie, falls diese fehlerhaft oder nicht ausreichend sind, vernünftige Vorschläge zu deren Verbesserung.

(Alexander Bauer (CDU): Das macht er doch! Da brauchen wir Sie nicht dafür!)

Die Muslime in diesem Land haben sich auf Sie verlassen. Halten Sie sie nicht länger hin.

(Beifall bei der LINKEN – Alexander Bauer (CDU): Es sind halt sehr unterschiedliche Gruppen! Bringen Sie einmal Ahmadiyya und Muslime unter einen Hut! Das geht nicht!)

Zu Ihrer Aussage über die Diskussion in Ihrer eigenen Partei, die darauf abzielt, bekenntnisorientierten Religionsunterricht ganz abzuschaffen, muss ich Sie fragen, wie Sie als Justizminister zum Grundgesetz und zur Hessischen Verfassung stehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn es der FDP mit diesem Thema und mit dieser Diskussion wirklich ernst ist, werden Sie in unserer Fraktion ganz sicher einen Ansprechpartner finden, der mit Ihnen vernünftig die Frage erläutert, wie die Trennung von Kirche und Staat ausgestaltet und dennoch Religionsfreiheit verwirklicht werden kann.

(Horst Klee (CDU): Da brauchen wir insbesondere Sie nicht!)

Falls Sie diese Bemerkung nur abgegeben haben, um den Entgleisungen Ihres Koalitionspartners etwas entgegenzuhalten, dann sollten Sie sich dafür schämen. Sie tragen in diesem Fall auf dem Rücken der Schülerinnen und Schüler den Konflikt mit Herrn Irmer und Herrn Wagner aus. Sie verunsichern muslimische Eltern und die Lehrerinnen und Lehrer in unserem Land. Herr Minister, vor Kurzem hat der Kollege Beuth über Sie gesagt, Sie trügen immer unterschiedliche Hüte. Er hat das auf die Bundesund die Landespolitik bezogen. Ich sage Ihnen aber ganz klar: In diesem wichtigen Punkt sollten Sie ohne Hut, quasi baren Hauptes, authentisch und ehrlich Politik machen. Profilieren Sie sich nicht auf Kosten der Menschen in diesem Land.

(Beifall bei der LINKEN)

Noch kurz zu den vorliegenden Anträgen. Bei den Anträgen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD werden wir uns enthalten – bei dem der GRÜNEN deshalb, weil wir Islamkunde weiterhin eher als einen Umweg zum grundgesetzlich geschützten Religionsunterricht sehen, bei dem der SPD deshalb, weil die Formulierungen im ers ten Teil ihres Antrags von uns nicht mitgetragen werden können.

Zu dem mit heißer Nadel gestrickten Antrag von CDU und FDP. Diesen werden wir ablehnen, zum einen da er keine Hilfestellung vonseiten der Ministerien bei der Anerkennung von Muslimen als legitimierte Ansprechpartner erkennen lässt und zum anderen weil das Einschwenken auf eine islamkundliche Unterweisung im Ethikunterricht – das wird aus Ihrer Begründung deutlich – nur als ein Wiederaufguss der als Modellversuch bereits vor Jahren gescheiterten Bemühungen der CDU zu bewerten ist. Mit Shakespeare könnte man tatsächlich sagen: Das, was in den letzten zwei Jahren passiert ist, war viel Lärm um nichts. Außerdem benachteiligen Sie damit einseitig die Muslime in Hessen, was wir nicht mittragen können.

Eine letzte Anmerkung zu den Ausführungen des Kollegen Merz. Ethik für alle, was Sie als eine mögliche Lösung beschrieben haben,

(Gerhard Merz (SPD): Eine Lösung für etwas ganz anderes!)

ist unseres Erachtens nur dann eine Lösung, wenn dies den bekenntnisorientierten Pflichtunterricht ersetzt; denn sonst wären die Muslime weiterhin nicht gleichgestellt und benachteiligt. Wenn Ethik den Pflichtunterricht ersetzte, wären wir dabei; das entspräche dann dem Weg, der in Berlin, Brandenburg und Bremen eingeschlagen wurde.

Herr Minister, zusammenfassend möchte ich zu Ihrer Regierungserklärung sagen: Wir sind erschrocken, wie wenig Sie zu sagen hatten, wie wenige Inhalte Ihre Regierungserklärung enthält, wie flach Sie argumentieren. Wir sind erschrocken,

(Leif Blum (FDP): So geht es uns immer mit euch!)

weil viele notwendige Inhalte fehlen, die allerdings auch real in Ihrer Politik fehlen, z. B. ein mutiger und ernst zu nehmender Vorstoß in Richtung politischer Partizipation aller hier lebenden Menschen – Stichwort: Wahlrecht –, Schritte hin zu einer Gleichstellung der Migrantengruppen – zu nennen wären hier vor allem die Kurdinnen und Kurden –, Schritte zusammen mit anderen Ministerien, wie dem Kultusministerium und dem Sozialministerium, um Benachteiligungen abzubauen. Diese Schritte gehörten allerdings finanziell unterfüttert.

Sie haben die Arbeit des Ministeriums weitgehend auf Formalismen reduziert. Sie stützen sich zunehmend auf ehrenamtliche Arbeit – an den Integrationslotsenprojekten wird das ganz deutlich, das ist sicher der Schuldenbremse geschuldet –, statt die Integrationspolitik so auszustatten, wie sie es verdient und wie es erforderlich ist, um die Zukunft Hessens, wie Sie so schön gesagt haben, zu gestalten. Herr Minister, Sie haben nur noch wenig Zeit, substanziell an der Umsetzung Ihrer Politik etwas zu ändern, die in Zukunft jeden zweiten Einwohner in Hessen betreffen wird, wie Sie richtigerweise, aber konsequenzlos festgestellt haben. Kommen Sie endlich in die Pötte. Der Unterstützung einer solchen Politik durch DIE LINKE können Sie sich sicher sein. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der FDP)

Danke, Frau Cárdenas. – Es folgt, wie schon angekündigt, ein zweiter Beitrag für die CDU-Fraktion, nämlich durch Herrn Tipi.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zuerst möchte ich mich bei der Hessischen Landesregierung für die gute Integrationsarbeit herzlich bedanken.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich möchte mich aber auch bei allen Kolleginnen und Kollegen, die in diesem Haus sitzen, für die Integrationsarbeit bedanken, die hier geleistet wird, für alle guten Tipps und alle Arbeit, die zu diesem Thema geleistet wird. Ich möchte mich aber ganz besonders bei allen Menschen in diesem Land bedanken, die eine der höchsten Willkommenskulturen, die ich mir vorstellen kann, gegenüber den Migranten vorweisen können. Dafür habe ich meinen größten Dank, meinen höchsten Respekt und meine Hochachtung. Normalerweise müsste man sich vor dieser Willkommenskultur verneigen, und das tue ich hier.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, meine Koalitionskollegen haben schon völlig zutreffend festgestellt, Integration ist eine der ganz großen Herausforderungen unserer Gesellschaft. Heute ist schon mehrfach deutlich geworden, die Landesregierung nimmt diese Herausforderung an und ist damit, wie ich finde, sehr erfolgreich.

Integration heißt Nehmen und Geben. Integration heißt aber auch, das Fremde zu verstehen und zugleich das Eigene. Beide Seiten zueinanderzuführen, darauf kommt es an. Integration bedeutet Teilhabe an der Gesellschaft und Verantwortung für unser Land als Chance und als Auftrag.

Gerade bei muslimischen Migranten spielt die Religion eine ganz große Rolle – eine Religion, die von der Geschichte her nicht zu unserem Land gehört, eine Religion, die heute aber durch unsere muslimischen Mitbürger zu unserem gesellschaftlichen Alltag gehört. Ein Religionsunterricht für Muslime könnte eine wichtige zusätzliche Brückenfunktion bei der Integration in unserem Land übernehmen.

Wir haben deshalb dieses Thema in den Koalitionsverhandlungen intensiv beraten und hierzu eine klare vertragliche Vereinbarung mit unserem Koalitionspartner geschlossen. Hier möchte ich ganz klar und deutlich sagen, es gibt keinerlei Anlass, daran zu zweifeln, dass diese Vereinbarung gilt. Die Vereinbarung sieht ganz klar vor, dass wir die Möglichkeit eröffnen wollen, einen solchen Unterricht anzubieten.

Die Religionsfreiheit gehört zu den unveräußerlichen Grundrechten unserer Verfassung. Aber unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung stellt auch verfassungsbedingte Auflagen an jeden Religionsunterricht an unseren Schulen. Daher sieht auch die entsprechende Vereinbarung in unserem Koalitionsvertrag vor, dass wir einen Religionsunterricht für Muslime erst einrichten können, wenn die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen dafür vorliegen. Wir sind bereit, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Aber wir wollen hierfür nicht die Verfassung ändern oder beugen. So können wir dabei nicht die muslimischen Ansprechpartner aus der Pflicht entlassen, die diese verfassungsrechtlichen Auflagen zu erfüllen haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wie der gesamte Integrationsprozess ist auch die Einführung eines muslimischen Religionsunterrichts ein Geben und Nehmen. Die Hessische Landesregierung hat hierbei bereits, wie ich finde, sehr viel gegeben.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was denn?)

Staatsminister Hahn hat entscheidende Schritte auf dem Weg zum muslimischen Religionsunterricht schon erläutert.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Welche denn?)

Meine Damen und Herren, ohne den runden Tisch, ohne den Prozess der Moderation wären wir heute doch immer noch nicht weiter als zu rot-grünen Zeiten.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Alexander Bauer (CDU): So ist es, nur reden und nichts getan!)

Gerade ich als Muslim bin deshalb sehr zufrieden, dass in diesem Land schon so viel erreicht wurde. Ich weiß aber auch, wie schwierig ein solcher Prozess noch ist. Der Islam ist eben nicht so organisiert wie die christlichen Kirchen, das Judentum oder andere Religionsgemeinschaften in Deutschland. Solange der Staat keinen legitimierten Ansprechpartner hat, so lange kann er einen konfessionellen Religionsunterricht für Muslime auch nicht einrichten. Das haben sich die Regierungsfraktionen nicht ausge