Protokoll der Sitzung vom 04.10.2011

Gerade ich als Muslim bin deshalb sehr zufrieden, dass in diesem Land schon so viel erreicht wurde. Ich weiß aber auch, wie schwierig ein solcher Prozess noch ist. Der Islam ist eben nicht so organisiert wie die christlichen Kirchen, das Judentum oder andere Religionsgemeinschaften in Deutschland. Solange der Staat keinen legitimierten Ansprechpartner hat, so lange kann er einen konfessionellen Religionsunterricht für Muslime auch nicht einrichten. Das haben sich die Regierungsfraktionen nicht ausge

dacht, das folgt aus den Regelungen unserer Verfassung. Hier zeigt sich die Kehrseite der staatlichen Neutralität. Der Staat kann und darf nicht nach Gutdünken aussuchen, wer Ansprechpartner sein darf und wer nicht.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Die Voraussetzungen hierfür folgen aus unserer Verfassung. Der Staat kann nur prüfen, ob sie vorliegen.

(Mürvet Öztürk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann soll er doch prüfen! – Gerhard Merz (SPD): Das Problem ist, dass hier einige Leute sind, die das nicht wollen!)

Er darf die Glaubensinhalte nicht festlegen, das muss schon die Religionsgemeinschaft selbst tun. Aber er muss wissen, welche Inhalte die Religionsgemeinschaft vertritt. So muss der Staat vor allem prüfen, ob die Gemeinschaft verfassungstreu ist. Gerade im Hinblick auf die Verfassungstreue darf er kein Auge zudrücken.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen und wir werden die Erreichung integrationspolitischer Ziele nicht über die Verfassungstreue stellen. Das bedeutet, dass Frauen und Männer als gleichwertig und gleichberechtigt angesehen werden müssen. Es bedeutet auch, dass anderen Religionsgemeinschaften, nicht nur den Christen, sondern auch den Juden, Toleranz entgegengebracht werden muss. Dies gebieten unsere Verfassung und unsere Geschichte gleichermaßen. Religionsfreiheit ist keine Einbahnstraße. Das heißt auch, dass die verfassungsmäßige Ordnung unseres Landes angenommen werden muss: Gewaltenteilung, Demokratie und gerade auch Rechtsstaatlichkeit, kurzum: die freiheitlich-demokratische Grundordnung.

(Zuruf der Abg. Mürvet Öztürk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Gegenruf des Abg. Alexander Bauer (CDU): Die Scharia z. B.!)

Der Staat muss deshalb wissen, mit wem er es zu tun hat.

Meine Damen und Herren, verfassungsfeindliche Gruppierungen wollen wir an Hessens Schulen nicht haben. Es wäre sehr gefährlich, wenn rechtsstattlich bedenkliche Organisationen im staatlichen Gewande Zugang zu unseren muslimischen Schülerinnen und Schülern bekämen. Es wäre auch nicht gut, wenn der Religionsunterricht an deutschen Schulen zum verlängerten Arm der türkischen oder anderer Religionsbehörden würde.

Der Staat muss auch genau wissen, wer überhaupt Mitglied in den Organisationen ist. Der muslimische Religionsunterricht soll ein ordentliches Lehrfach sein. Das heißt, dass nicht jeder kommen und gehen kann, wann er will. Deshalb bedarf es Partnern, die wissen, wen sie vertreten. Bisher haben sich nur wenige Prozent der in Deutschland lebenden Muslime vereinsrechtlich organisiert. Manche Verbände haben gar kein Mitgliederverzeichnis. Der Staat darf aber nicht alle Muslime pauschal zu einem Unterricht verpflichten;

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie sagen immer nur, was nicht geht! Was geht denn?)

genauso wenig, wie er einfach davon ausgehen darf, dass jeder Deutsche ein Christ ist. Herr Al-Wazir, gerade ich kann sehr gut verstehen, dass der Wunsch nach Einführung eines muslimischen Religionsunterrichts groß ist.

Aber ich lege großen Wert darauf, dass wir auf die Verfassungsvoraussetzungen keinen Rabatt gewähren.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Lassen Sie mich auch erwähnen, dass dazu gehört, dass der Ansprechpartner die Gewähr der Dauer bieten muss. Wenn wir Lehrstühle einrichten, wenn wir Stundenpläne verfassen, wenn wir Lehrer ausbilden, dann muss das schon für einen längeren Zeitraum sinnvoll sein und nicht nur für eine oder zwei Schülergenerationen. Dabei dürfen wir das Problem der vielen verschiedenen Richtungen und Kulturkreise im Islam nicht außer Acht lassen. Sie wissen, dass es bereits heute Spaltungen innerhalb der türkischen Gemeinden gibt und man nicht in eine Moschee geht, die eine andere Sichtweise oder Tradition des Islam befolgt. Diese Probleme können und dürfen nicht auf den Staat übertragen werden. Diese Probleme müssen die Muslime selbst lösen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Der Ansprechpartner ist auch nur dann eine Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes, wenn die mit dem Glauben verbundenen Angelegenheiten möglichst allumfassend wahrgenommen werden. Es reicht nicht aus, wenn es sich nur um einen Kulturverein handelt. Es reicht nicht aus, wenn nur politische Ziele verfolgt werden. Schon gar nicht reicht es aus, wenn es sich nur um eine Art Lobbygruppe zur Durchführung eines Religionsunterrichts handelt.

Der überwiegende Teil meiner Kolleginnen und Kollegen in diesem Parlament wird christlichen Glaubens sein. Daher brauche ich Ihnen nicht zu erklären, dass es sich hierbei nicht um willkürliche Hürden handelt, sondern um solche, die auch die christlichen Kirchen zu erfüllen haben. Sie wissen dann auch, dass in unserer Geschichte diese verfassungsrechtlichen Voraussetzungen insbesondere der katholischen Kirche viel Anpassung abverlangt haben.

Liegen – wie bei den christlichen Kirchen – all diese von der Verfassung vorgegebenen Voraussetzungen vor, werden wir uns an die Verfassung halten und einen solchen Unterricht einführen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Liegen die Voraussetzungen aber nicht vor, werden wir uns ebenfalls an die Verfassung halten und einen solchen Unterricht nicht einführen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sehr konsequent!)

Auch für diesen Fall sieht der christlich-liberale Koalitionsvertrag eine Regelung vor. Wir würden dann im Fach Ethik eine verpflichtende religionskundliche Unterweisung in islamischer Religion einführen. Dies ist meiner Meinung nach jedoch nur die zweitbeste Option.

Ich möchte alle potenziellen Partner noch einmal ausdrücklich dazu ermuntern, sich so zu organisieren, dass sie den Voraussetzungen gemäß der Verfassung entsprechen. Wir können die potenziellen Partner hierzu motivieren; aber wir dürfen nicht künstlich Religionsgemeinschaften dort schaffen, wo keine sind.

Es kann bei dieser Frage nicht um Schnelligkeit, sondern nur um Sorgfalt gehen; denn nicht ein schnell eingerichteter, sondern nur ein sorgfältig eingerichteter Unterricht wird erfolgreich sein.

(Beifall bei der CDU)

Würde die Landesregierung die Voraussetzungen nicht sorgfältig prüfen, bedeutete das, sie würde bei elementaren Verfassungsanforderungen fünfe gerade sein lassen, nur um sich einen schnellen integrationspolitischen Erfolg auf die Fahne schreiben zu können. Wem wäre damit geholfen, wenn dann etwas schiefgehen würde? Am Ende wären beide beschädigt, sowohl der Staat als auch die Muslime.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren, das wollen wir nicht. Wir wollen keine schnellen und unüberlegten Übergangslösungen. Wir wollen einen verfassungsgemäßen und gut vorbereiteten Religionsunterricht oder – als Alternative – einen Islamkundeunterricht. Das nutzt am Ende allen. Vor allem aber nutzt es der Integration.

Diesem Anspruch wird der Antrag der SPD nicht gerecht.

(Zuruf von der SPD: Was?)

Daher ist er abzulehnen.

(Beifall bei der CDU)

Wer für einen verfassungskonformen islamischen Religionsunterricht ist, hat die Möglichkeit, dem Antrag von CDU und FDP seine Zustimmung zu geben.

Eigentlich wollte ich auf nichts, was von Kollegen gesagt worden ist, antworten; aber Sie, lieber Herr Merz, haben mich im Zusammenhang mit der Kopftuchfrage zitiert. Sie haben gesagt, ich hätte kürzlich erklärt, das Tragen des Kopftuchs sei ein Integrationshindernis. Es ist zutreffend, dass ich das gesagt habe. Aber es kommt darauf an, wie ich es gesagt habe.

Lieber Herr Kollege Merz, dieses Stück Stoff von der Größe eines Quadratmeters, über das wir sprechen und das von vielen Frauen – auch in Deutschland – als Kopfbedeckung genutzt wird, ist nicht mein Problem. Es ist auch nicht unser Problem. Wir sehen ein Problem in dem, was geschieht, wenn das Kopftuch zu einem politischen Symbol wird. In diesem politischen Symbol sehe ich ein Integrationshindernis, und so etwas dürfen wir in diesem Land nicht tolerieren.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Janine Wissler (DIE LINKE): Wer entscheidet denn, wann es religiös ist und wann nicht?)

Liebe Frau Kollegin, das kann ich Ihnen wahrscheinlich in zwei Stunden auf Türkisch, auf Deutsch und auch in vielen anderen Sprachen erklären.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das entscheiden Sie, oder wie?)

Aber ich glaube, Sie wissen genau, was ich damit meine.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Nein, weiß ich nicht!)

Ich glaube, das sollte für heute ausreichen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Janine Wissler (DIE LINKE): So viel zur Frauenemanzipation!)

Danke, Herr Tipi. – Als Nächster spricht Herr Mick für die FDP-Fraktion.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist die Frage, von wem das Kopftuch zum politischen Symbol gemacht wird! – Janine Wissler (DIE LINKE): Entscheiden jetzt Männer, warum Frauen Kopftücher tragen?)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Integrationspolitik ist für mich das wichtigste gesellschaftspolitische Thema, wenn es um die Zukunft unseres Landes geht. Wir werden uns darauf einstellen, dass immer mehr Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und auch mit unterschiedlichen Lebensentwürfen in unserer Gesellschaft zusammenleben. Dieser Prozess muss gestaltet werden. Dabei ist natürlich auch die Politik gefordert.

Diese vielfältige Gesellschaft bereichert uns; aber sie bringt natürlich auch Herausforderungen mit sich, die zu bewältigen sind. Aus meiner Sicht muss sich eine gute Integrationspolitik an alle Menschen in der Gesellschaft richten, nicht nur an die Neuankömmlinge oder an die Migranten, die schon länger hier leben. Vielmehr muss sie auch versuchen, die „alteingesessene“ Bevölkerung mitzunehmen und Aufklärung zu betreiben, wenn sich z. B. Stadtviertel verändern.

Ich kenne das aus meinem Wahlkreis sehr gut. Dort gibt es viele soziale Brennpunkte. Ich werde immer wieder von älteren Menschen ohne Migrationshintergrund angesprochen, die sagen: Das Viertel hat sich verändert, es ist nicht mehr dasselbe. – Auch diese Leute müssen mitgenommen werden, wenn wir wollen, dass unsere Integrationspolitik nachhaltig ist und allen Menschen in der Gesellschaft etwas bringt.

(Beifall bei der FDP und der CDU)