Frau Ministerin, ich habe das hier an dem Pult schon öfter gesagt. Wir GRÜNEN loben die steigenden Hochschulmittel. Wir GRÜNEN loben auch das Forschungspro
gramm LOEWE, und wir loben auch die baulichen Investitionen in die Hochschulen mit dem Programm HEUREKA. Es ist unbestritten, dass LOEWE wichtige Impulse für die Wissenschaft und natürlich auch für die Wirtschaft bringt.
Aber diese Regierungserklärung ist auch irgendwie sehr erstaunlich gewesen. Die Hochschulen sind überfüllt. Die Studierendenzahlen steigen weiter, und die Wissenschaftslandschaft ist seit über zehn Jahren in einem enormen Umbruch. In Hessen warten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Präsidien der Hochschulen, die Studierenden und alle, die sich für die Wissenschaftslandschaft interessieren, seit Jahren auf die Vorstellung und auf Impulse zu den zahlreichen Herausforderungen im Wissenschaftsbereich.
Wir haben einen wahnsinnigen Studierendenansturm, der weiter steigt. Herr Kollege Grumbach hat auch darauf hingewiesen, dass inzwischen davon auszugehen ist, dass da eben nicht nur ein Studierendenberg ist, der wieder abnehmen wird, sondern dass es neue Prognosen gibt, die davon ausgehen, dass dieser Studierendenberg noch eine ganze Weile weiter ansteigen wird. Wir haben die große Frage nach der Gerechtigkeit in der Hochschulfinanzierung. Wir haben die Umstellung auf Bachelor und Master und damit verbunden die Diskussion um das sogenannte Bulimielernen. Wir haben die Anforderungen der Wirtschaft an die Studierenden und die Diskussion darüber, ob über Bachelor und Master die Studierenden noch so ausgebildet werden, dass sie diesen Anforderungen gerecht werden. Wir haben auch einen Bildungsauftrag von Hochschulen. Wir wollen schließlich verantwortliche Menschen und verantwortliche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausbilden, die gesellschaftliches Gespür für das haben, was sie tun – siehe Finanzkrise, siehe Ehrenkodex EBS und siehe generell die Herausforderungen dieser Gesellschaft.
Wir haben neben dem Ansturm der Studierenden auf die Hochschulen eine Diskussion, wie wir das Bildungssystem generell chancengerechter gestalten können. Dazu gehört ganz sicher auch die Frage, wie wir den Zugang zu den Hochschulen weiter chancengerechter gestalten können. Und wir haben natürlich gerade jetzt noch einmal mit der immer weiter steigenden Zunahme an Studierenden die Frage, wie wir bessere Studienbedingungen und eine bessere Lehre unter diesen Bedingungen erreichen können.
Dies alles sind erst einmal im Groben die Herausforderungen in der Wissenschaftslandschaft. Jetzt haben wir die erste Regierungserklärung dieser Ministerin zum Thema Wissenschaftspolitik überhaupt. Sie begnügt sich, obwohl wir alle von diesen Herausforderungen in der Wissenschaftslandschaft wissen, einfach nur mit Eigenlob. Sie begnügt sich mit Eigenlob, statt auf all die grundlegenden Probleme an den hessischen Hochschulen auch nur mit einem kleinen Satz einzugehen. Wir haben zahlreiche Baustellen und Problemlagen, auf die mit wissenschaftspolitischen Konzepten zu reagieren wirklich nötig wäre.
Diese Regierungserklärung der Ministerin hat wieder einmal erschreckend dokumentiert, dass sie meilenweit von der Realität an den hessischen Hochschulen entfernt ist.
Frau Kühne-Hörmann, den zahlreichen Menschen, die nicht in Exzellenzprogrammen forschen, sondern die in überfüllten Hörsälen oder sogar in Kinos lehren oder lernen oder auch dem wissenschaftlichen Mittelbau, der sich mit immer unsichereren Arbeitsverträgen abfinden muss, diesen Menschen kann diese Regierungserklärung sicher nur wie eine Verblendung und eine Verhöhnung der realen Verhältnisse an den Hochschulen vorkommen.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Zu dem Zeitpunkt, zu dem LOEWE erfunden wurde, nämlich in der Hochphase der Exzellenzinitiative – nebenbei erwähnt, weil die Ministerin sich hier so mit Eigenlob bedeckt, wurde es von dem ehemaligen Wissenschaftsminister Udo Corts erfunden –, war das hessische Forschungsprogramm LOEWE eine strategische Antwort auf ein erkanntes Problem. Zu diesem Zeitpunkt war es eine strategisch richtige Antwort. Es war eine gute und nach vorn weisende Antwort.
Das Problem, mit dem wir es heute zu tun haben, ist, dass die Wissenschaftsministerin aus meiner Sicht genau diese Aufgabe, nämlich die Lage an den Hochschulen und der Wissenschaftslandschaft erst einmal genau zu analysieren und dann auf diese Analyse die passende Antwort zu setzen, hier nicht erfüllt hat. Das ist mit dem aktuellen Selbstlobhudeln dieser aktuellen LOEWE-Staffel aus meiner Sicht nicht geschehen.
Die Ministerin führt hier einfach eine Idee ihres Vorgängers weiter und erhofft sich dadurch, den gleichen Erfolg, den gleichen Glanz und das gleiche Licht des Leuchtturms einzuheimsen. Leider aber schaut sie dabei weder rechts noch links an diesem LOEWE-Glanz vorbei auf die realen Entwicklungen an den Hochschulen.
Schauen wir uns die Problemlagen doch noch einmal im Einzelnen an. Wir haben mehr Studierende. Das erzählen wir hier seit Jahren. Inzwischen können es vielleicht einige schon nicht mehr hören. Aber das ist durchaus nach wie vor ein großes Problem, mit dem die Hochschulen zu kämpfen haben. Hier haben wir nicht nur dieses Mehr an Studierenden durch die Umstellung auf G 8 und die teilweise doppelten Jahrgänge sowie durch die Abschaffung der Wehrpflicht, sondern wir haben es generell mit einer gestiegenen Studierneigung zu tun. Das ist im Prinzip auch gut so, weil wir immer wieder sagen – und das ist auch richtig –, dass wir, um wettbewerbsfähig zu sein, in Zukunft – dieses Stichwort hat die Frau Ministerin in ihrer Regierungserklärung auch wiederholt benannt – Innovationen brauchen, in die Köpfe investieren müssen und einfach in Deutschland gut ausgebildete Leute haben müssen, die diese Anforderungen an immer mehr Fachwissen in Arbeit, aber auch in Wissenschaft erfüllen.
Allerdings haben wir hier noch weitere Problemlagen, und zwar durch diese Fülle. Wir hatten schon über Jahrzehnte hinweg eine viel zu geringe Grundfinanzierung der Hochschulen. Dieses Problem haben wir aber nicht nur fortgetragen, sondern dieses Problem hat sich inzwischen vergrößert – und zwar dadurch, dass die Studierendenzahlen extrem gestiegen sind. Wir haben außerdem das Problem, dass wir durch diese Unterfinanzierung am Rande dessen sind, wo man Studierende noch wirklich gut ausbilden kann. Wir müssen uns also dringend Gedanken machen, wie wir gerade durch die Umstellung auf Bache
lor und Master und eine andere Generation von Studierenden, die durch diese Umstellung auch anders im Studierverhalten erzogen wurde, hier sicherstellen, dass die Qualität nicht abnimmt, sondern im Idealfall sogar gesteigert wird, wie sich Studienbedingungen verbessern lassen und wie wir auch qualitative Verbesserungen didaktisch in der Lehre erreichen.
Wir haben das Ziel, die Abbrecherquoten zu senken. Auch das ist in der Koalitionsvereinbarung der Regierungsfraktionen als ein großes Ziel ausgegeben. Wenn wir uns die jüngste Antwort der Landesregierung auf die Anfrage der GRÜNEN einfach noch einmal vergegenwärtigen – ich nehme an, Sie haben sie alle gelesen –, merken wir, dass hier nicht so viele Instrumente Anwendung finden, wie es richtig wäre. Aber gerade dann, wenn wir wenige Mittel haben und diese Mittel so einsetzen müssen, dass sie auch da ankommen, wo sie hingehören, müssen wir uns dringend Gedanken machen, wie wir es hinkriegen, die Abbrecherquoten zu senken. Denn jeder, der ein Studium abbricht, war in erster Linie eine Fehlinvestition. Insofern ist es sehr wohl gut, dass die Landesregierung sich im Koalitionsprogramm dieses Thema auf die Fahnen geschrieben hat. Leider vermisse ich – Herr Dr. Büger, Sie nicken so fleißig – die Handlungen in diesem Bereich, wie Sie das umsetzen wollen. Das Thema haben Sie gut erkannt.
Wir haben das riesige Problem der Zugangschancen. Dieses Problem wird sich sehr wahrscheinlich noch verschärfen, zum einen wegen der Unterfinanzierung der Hochschulen und des Andrangs auf die Hochschulen, zum anderen aber auch wegen der Umstellung auf die Abschlüsse Bachelor und Master. Schon jetzt ist bei den ers ten Masterplätzen zu hören, dass nicht alle, die dazu geeignet wären, nach dem Abschluss Bachelor zum Masterstudium wechseln können. Offensichtlich gibt es schon jetzt zu wenige Plätze für die Ausbildung zum Masterabschluss.
Das ist genau das Problem, das wir zu Beginn des Bologna-Prozesses diskutiert haben. Da waren sich alle einig. Durch die Einführung der Abschlüsse Bachelor und Master darf es nicht zu einer Verflachung der Grundausbildung der gesamten Gesellschaft kommen.
Genau dieses Problem haben wir jetzt. Wir müssen dafür sorgen, dass mindestens genauso viele wie früher, die die Abschlüsse Diplom, Master oder adäquate andere Abschlüsse gemacht haben, jetzt Plätze für den Abschluss Master bekommen und dann selbstverständlich auch mit dem Master abschließen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Willi van Ooyen und Janine Wissler (DIE LINKE))
Wir haben aber nicht nur das Problem der Verflachung der Ausbildung. Vielmehr haben wir auch noch ein anderes Problem bei der Ausbildung zum Master. Auch da gibt es erste Studien, die davor warnen, dass das wieder ein Instrument ist, die Chancenungleichheit im Bildungssystem zu zementieren.
Es gibt z. B. Untersuchungen, die zeigen, dass es weit weniger Frauen gibt, die nach dem Abschluss Bachelor den Abschluss Master anstreben. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass es wieder die „üblichen Verdächtigen“ trifft, nämlich die, die aus den sogenannten bildungsfernen
Schichten kommen, die sich mit dem Bachelor begnügen. Da müssen wir als Gesellschaft – das ist nicht allein die Aufgabe der Hessischen Landesregierung, sondern der Gesellschaft – aufpassen, dass wir da nicht wieder strukturelle Instrumente einführen, die dazu führen, dass die üblichen benachteiligten Gruppen weiterhin aufgrund der Strukturen benachteiligt werden.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Gernot Grumbach (SPD) und Willi van Ooyen (DIE LINKE))
Wir haben einen weiteren großen Themenkomplex, der auch sehr wichtig hinsichtlich der Fragestellung ist, die die Ministerin in der Regierungserklärung angesprochen hat. Dabei geht es um Antworten auf die Frage nach guter Forschung, nach Innovation und nach Ideen zur Lösung der Probleme dieser Welt. Das betrifft also die Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Dabei geht es vor allem darum, die guten Leute an den Hochschulen zu halten, damit sie eine Karriere als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler überhaupt anstreben.
Auch da gibt es das Problem, dass es durch die Umstellung aufgrund des Bologna-Prozesses, also durch die Umstellung auf die Abschlüsse Bachelor und Master, ein anderes Lern- und Lehrverhalten gibt. Viele Menschen, die aufgrund der alten Struktur vielleicht automatisch an der Hochschule geblieben wären, kommen aufgrund des Denkens, fertig werden zu müssen, überhaupt nicht mehr auf den Gedanken, im Wissenschaftsbetrieb zu bleiben. Wir müssen da wirklich aufpassen, dass wir dadurch nicht innovatives Potenzial an die Wirtschaft verlieren. Denn wir müssen als Gesamtgesellschaft ein enormes Interesse daran haben, die guten Köpfe in den Hochschulen zu halten.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Willi van Ooyen und Janine Wissler (DIE LINKE))
Ein weiterer Themenkomplex ist die Weiterbildung. Das ist etwas, was immer ein bisschen untergeht. Bei der Umstellung auf die Abschlüsse Bachelor und Master ist das ein breit diskutiertes Feld gewesen. Wir haben gesagt: Es kann für die Entwicklung eines Menschen durchaus gut sein, wenn er erst einmal eine wissenschaftliche Grundausbildung mit dem Abschluss Bachelor macht und dann ins Arbeitsleben geht. Danach kann er beispielsweise den Abschluss Master noch draufsetzen, oder er kann an einer Hochschule einen zusätzlichen Master auf einem anderen Gebiet machen, etwa dem, auf dem er gearbeitet hat. Er kann aber auch über andere Formen der Weiterbildung an die Hochschulen zurückgehen.
Auch diese Form des lebenslangen Lernens hat etwas damit zu tun, wie wir in der internationalen Konkurrenz aufgestellt sind. Dabei geht es ums Wirtschaftliche, aber natürlich auch um die guten Ideen.
Das ist aus meiner Sicht ein riesengroßes Thema, mit dem sich eine Wissenschaftsministerin beschäftigen sollte. Sie sollte da Ideen entwickeln, mit denen sie Antworten auf die Frage hinsichtlich der aktuell nicht stattfindenden Entwicklungen geben sollte.
Es gibt ein weiteres riesengroßes Thema. Da rollt etwas auf uns zu. Das hat sehr wohl explizit mit LOEWE zu tun. Das betrifft die Arbeitsbedingungen in den Hochschulen. Da geht es um die Arbeitsbedingungen der Wissenschaft
Die LOEWE-Projekte bieten zwar gute Forschungsbedingungen, aber die LOEWE-Projekte sind genauso wie die Drittmittelprojekte oder andere Forschungsprojekte für eine bestimmte Zeit angesetzt. Sie bieten den Hochschulen keine Verlässlichkeit.
Das führt an den Hochschulen strukturell dazu, dass unser wissenschaftlicher Nachwuchs in immer kürzer befristeten Zeitverträgen hängt. Das betrifft selbst den wissenschaftlichen Nachwuchs, der in den Exzellenzprojekten und den Exzellenzinitiativen der Bundesebene oder auch in den LOEWE-Projekten arbeitet.
Ob das wirklich die Arbeitsbedingungen sind, die dazu führen, dass diese klugen Köpfe, die wir unbedingt fördern und die wir unbedingt in Hessen und in Deutschland halten wollen, sich auch genug wertgeschätzt fühlen, möchte ich doch mit einem sehr großen Fragezeichen versehen. Ich glaube, das ist eines der drängendsten Probleme, mit dem wir uns im Hinblick auf die Innovation und auf gute neue Forschungsideen dringend beschäftigen müssen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Gernot Grumbach (SPD) und Willi van Ooyen (DIE LINKE))
Ich habe es eben schon angedeutet. Genau das sind die Probleme bei LOEWE. Genau deswegen habe ich gesagt: Zu der Zeit des Udo Corts war das Programm LOEWE die richtige Antwort. Aber angesichts der momentanen Entwicklung der Hochschulen ist LOEWE, wenn keine anderen zusätzlichen Antworten gegeben werden, die falsche Antwort. Denn LOEWE glänzt zwar, aber daneben wird es immer trüber. Denn der Schein von LOEWE glänzt nicht etwa auf die anderen Bereiche ab, sondern er zieht die Möglichkeit ab, in der breiten Fläche zu schimmern oder zu leuchten.
Das führt also dazu, dass die Arbeitsbedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs schlechter werden. LOEWE führt aber auch dazu, dass diese Mittel der Grundfinanzierung der Hochschulen fehlen. Aufgrund der eben beschriebenen Strukturen, dass nämlich immer mehr Menschen an die Hochschulen kommen, zementiert das die Unterfinanzierung der Grundfinanzierung der Hochschulen.
Das bedeutet, nur diejenigen, die sich in Exzellenzprojekten befinden, beispielsweise in LOEWE-Projekten, finden einigermaßen gute Forschungsbedingungen vor. Aber diejenigen, die in anderen Bereichen forschen, müssen mit immer weniger Geld, mit immer mehr Studierenden und mit immer größeren Anforderungen an die Lehre, also mit immer weniger Zeit für ihre Forschungsprojekte, zurechtkommen.
Frau Ministerin, ich glaube, damit geht es genau in die falsche Richtung. Denn wir brauchen überall gut ausgebildete Köpfe. Es muss überall Anreize für Innovationen geben. Das darf es nicht nur in einzelnen Leuchtturmprojekten geben.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Gernot Grumbach (SPD), Willi van Ooyen und Janine Wissler (DIE LINKE))
30 Minuten gehen doch schneller vorbei, als ich zu Anfang meiner Rede gedacht habe. Deswegen muss ich meine Rede langsam ein bisschen straffen.
Das ist aus meiner Sicht so. Aber Sie sitzen noch da und hören fleißig zu. So schlimm kann es also nicht sein.