Protokoll der Sitzung vom 10.01.2012

Auf jeden Fall ist es so, dass diese halbe Million Euro offensichtlich nicht ausreichen, sondern uns aus den Hochschulen die Nachricht erreicht, dass die Hochschulen jetzt auch noch die Daumenschrauben angelegt bekommen, zu dieser Wahlkampffinanzierung, wie ich es nennen mag, einen eigenen Obolus zu leisten.

Das finde ich ein wirklich starkes Stück. Frau Kühne-Hörmann, kümmern Sie sich endlich einmal um die Probleme an den Hochschulen, geben Sie Antworten auf diese Probleme an den Hochschulen, anstatt sich hier einfach für das – nach allem, was ich Ihnen aufgezeigt habe, strukturell auch noch in die falsche Richtung gehende – LOEWE-Programm selbst zu loben. Hier bleiben die Aufgaben weit größer als das, was Sie heute vorgetragen haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Sorge. – Als Nächste wird Frau Kollegin Wissler für die Fraktion DIE LINKE zu uns sprechen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es gibt zweifellos genug Gründe für eine Regierungserklärung der Wissenschaftsministerin; denn die Hochschulen in Hessen platzen aufgrund des Ansturms von Studierenden aus allen Nähten, in vielen Städten herrscht Wohnungsmangel unter Studierenden, und die Arbeitsbedingungen an den hessischen Hochschulen werden immer schlechter. Angesichts dieser schwierigen Situation gäbe es also genug Gründe für diese Regierungserklärung. Es gäbe auch mehr als genug Fragen, die seitens der Ministerin zu beantworten wären.

Aber – und das ist das Problem – zu all diesen drängenden Problemen haben Sie leider nichts gesagt, Frau Ministerin. Anstatt die realen Probleme der hessischen Hochschulen im Landtag zu thematisieren, loben Sie sich für Ihre völlig verfehlte Politik, und dafür bekommen Sie noch Applaus von den Regierungsfraktionen. Dieser Beifall ist angesichts der Situation an den Hochschulen völlig unangebracht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben hier ein Bild gezeichnet bekommen, das mit der realen Situation wenig bis gar nichts zu tun hat. Im Vergleich zu Ihrer Regierungserklärung wird jede Fantasy-Saga zum Dokumentarfilm; denn wenn man Ihnen Glauben schenken würde, gäbe es in der Wissenschaftslandschaft Hessens nur Höhepunkte.

Nach all den Skandalen der letzten Zeit – wie etwa der „kreativen“ Buchführung bei der Privatuni EBS, in die die Landesregierung zig Millionen Euro an Steuergeldern versenkt hat, der in Teilen verfassungswidrigen Privatisierung des Uniklinikums Gießen und Marburg und dem bis heute nicht realisierten, aber bei eben dieser Privatisierung versprochenen Partikeltherapiezentrum –, nach all der Kritik und den Notrufen aus den Hochschulen des Landes präsentieren Sie hier ein Ausmaß von Realitätsverleugnung, das wirklich seinesgleichen sucht, Frau Ministerin.

(Beifall bei der LINKEN – Horst Klee (CDU): Ach du lieber Gott!)

Statt konkrete Lösungsansätze anzubieten, philosophieren Sie darüber, was wäre, wenn die Landesregierung dieses oder jenes nicht getan hätte, anstatt über das zu sprechen, was jetzt ist. Eine Regierungserklärung, die in weiten Teilen im Konjunktiv vorgetragen wird, ist überhaupt nicht brauchbar und nur Ausdruck hochschulpolitischen Versagens. Das ist keine Regierungserklärung, sondern allenfalls eine Regierungsvermutung.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)

Zu Beginn Ihrer Ausführungen haben Sie den Schriftsteller Mark Twain zitiert. Von ihm stammt auch der Satz: „Tatsachen muss man kennen, bevor man sie verdrehen kann.“ Bei Ihnen frage ich mich in der Tat, ob Sie die Tatsachen nicht kennen oder sie nicht wahrhaben wollen, Frau Ministerin. Deshalb meine immer wiederholte Empfehlung an Sie: Besuchen Sie doch einmal eine hessische Hochschule. Schauen Sie sich die überfüllten Hörsäle und Bibliotheken an. Dann würden Ihre Ausführungen vielleicht etwas weniger vollmundig ausfallen, als es heute der Fall war.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie sprachen davon, dass die Autonomie, die Sie den Hochschulen gegeben hätten, zu mehr Selbstbewusstsein

und Eigenverantwortung geführt habe, Frau Ministerin. Auch das ist blanker Hohn, wenn man bedenkt, wie Sie mit den Hochschulpräsidenten umgegangen sind, als es um den Hochschulpakt ging. Sie haben doch demonstriert, dass es sich dabei um eine reine Scheinautonomie handelt. Sie haben den Hochschulpräsidenten, die sich gegen die Mittelkürzungen gewehrt haben und die sich zuerst weigerten, den Hochschulpakt zu unterschreiben, mit weiteren Kürzungen gedroht. Damit haben Sie die Unterschriften der Präsidentinnen und Präsidenten geradezu erzwungen. Sie reden von Selbstbewusstsein und Eigenverantwortung, behandeln die Hochschulen aber nach Gutsherrenart; das ist Ihr Problem, Frau Ministerin.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch in dieser Regierungserklärung: kein einziges Wort zu der Kritik, die Ihre Politik gerade bei den Hochschulen hervorgerufen hat. Nehmen Sie die Kritik doch wenigs tens zur Kenntnis. Nehmen Sie wenigstens zur Kenntnis, was von den besorgten Fachhochschul- und Universitätspräsidenten in diesem Land immer wieder vorgetragen wird.

Ihr Hochschulpakt ist ein Hochschulabbaupakt. Es wurde nicht nur in der Grundfinanzierung gekürzt, sondern es wurden zusätzlich 20 Millionen € aus der Grundfinanzierung in das Erfolgsbudget verlagert. Frau Ministerin, wenn Sie die Forschung fördern wollen – was wir begrüßen würden –, dann müssen Sie auch zusätzliche Mittel bereitstellen. Aber Sie können nicht die Mittel bei der Lehre kürzen, schon gar nicht in einer Zeit, in der wir in Hessen ein Rekordniveau an Studierenden haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihre Politik der Unterfinanzierung beschneidet die Bildungschancen junger Menschen. Die Masse der Studierenden soll im Schnellverfahren durch die Hochschulen gejagt werden. Die Studiengänge wurden auf ein Kurzzeitstudium mit Bachelorabschluss komprimiert. Nur für eine Minderheit gibt es die Möglichkeit eines Masterabschlusses.

Zum Bologna-Prozess, zur Überlastung vieler Studierender durch den dichten Prüfungsrhythmus, zu den Schwierigkeiten bei der Umstellung auf Bachelor und Master, zu dem Mangel an Masterstudienplätzen – zu all dem haben Sie nichts gesagt, Frau Ministerin. Es reicht eben nicht, einen „Kummerkasten Bologna“ einzurichten und das Thema danach ad acta zu legen.

In den nächsten Jahren werden die Studierendenzahlen dramatisch ansteigen. Alle bisherigen Voraussagen sind immer wieder übertroffen worden. Schon jetzt ist klar, dass die Hochschulen im Herbst mit den doppelten hessischen Abiturjahrgängen einen erneuten Ansturm erleben werden. Ihre Zahlen der zu erwartenden Studienbewerber beruhen nicht auf realistischen Berechnungen, sondern allein auf der Hoffnung, es möge doch nicht so dicke kommen.

Sie loben die Hochschulen noch dafür, dass sie doppelt so viele Studierende wie eigentlich vereinbart ausbilden. Die Hochschulen tun in der Tat alles, um diese Situation aufzufangen und möglichst viele Studierende möglichst gut auszubilden. Aber statt die Hochschulen zu unterstützen, kürzen Sie ihnen die Mittel, Frau Ministerin. Das muss zwangsläufig zulasten der Ausbildungsqualität, zulasten der Beschäftigten und zulasten der Studierenden gehen.

Dieser Studierendenberg wird sich nicht untertunneln lassen. Wir reden mindestens über die nächsten acht bis zehn

Jahre. Jetzt müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, um die Studierquote langfristig zu erhöhen und diese Studienplätze auch auszufinanzieren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Hochschulen sind strukturell unterfinanziert. Sie sprechen vom zweithöchsten Hochschulbudget aller Zeiten, verschweigen aber, dass es heute auch so viele Studierende gibt wie nie zuvor in der Geschichte Hessens, Frau Ministerin. Die von Ihnen vorgetragene absolute Zahl bestreitet auch keiner. Entscheidender aber ist, wie sich die Mittel pro Studierenden entwickeln, und diese sinken. Die genauen Zahlen dazu liegen vor, jeder kann sie sich im Haushalt des Wissenschaftsministeriums ansehen. Dort ist nachlesbar, dass die Grundfinanzierung der Studienplätze gerade einmal für die Hälfte der Studienplätze ausreicht, aber nicht für alle Studienplätze.

Diese Entwicklung wollen Sie übertünchen, indem Sie die Hochschulfinanzierung in schön klingende kleine Teilbereiche aufspalten, wie etwa das LOEWE-Programm zur Forschungsförderung und HEUREKA für den Hochschulbau. Aber Ihre Wissenschaftspolitik hat mit sozialer und Bildungsgerechtigkeit nichts zu tun, Frau Ministerin; denn auch jetzt ist klar, dass mit der durch Ihre Politik ausgelösten Mangelsituation diejenigen am leichtesten zurechtkommen, die einen entsprechenden ökonomischen Hintergrund haben, und diejenigen das größte Problem haben, die ohnehin schon unter größten Schwierigkeiten überhaupt an die Hochschulen gekommen sind. Deshalb ist Ihre Politik zutiefst sozial selektiv, und sie führt nicht dazu, dass mehr Menschen aus einkommensschwachen Familien den Weg an die Hochschulen oder gar den erfolgreichen Abschluss eines Studiums schaffen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie feiern sich für das Exzellenzprogramm des Landes, für LOEWE. Was ist LOEWE? – Ich finde, das hat Herr Prof. Frenking von der Universität Marburg anlässlich der Demonstration gegen den Hochschulpakt einmal sehr treffend beantwortet. Herr Frenking sagte, wenn sich die Landesregierung mit LOEWE brüste, sei das ungefähr so, als wenn man 1.000 Hungernden erkläre, fünf von ihnen dürften gleich in ein Dreisternerestaurant. – Ich finde, das trifft es ganz gut, weil es nämlich zeigt, dass die Mehrheit erst einmal überhaupt nichts von LOEWE hat. Bei LOEWE gilt: Wer hat, dem wird gegeben. Und so sehen wir, dass das LOEWE-Programm vor allen Dingen immer stärker eine Konzentration fördert.

Die von Ihnen ausgeschauten Exzellenzuniversitäten wie Frankfurt und Darmstadt ziehen das Gros der Förderung an sich. Dahinter bleiben dann die anderen Hochschulstandorte zurück, vor allem die Fachhochschulen und gänzlich die Kunsthochschulen. Die haben nämlich überhaupt nichts von LOEWE. Die einen werden aufgewertet, die anderen werden abgewertet – mit gewaltigen Folgen für ihre Ausstattung. Es ist in Hessen so, wie es in dem Bibelzitat heißt: „Wer aber nichts hat, von dem wird auch genommen, was er hat.“

Die einzelnen Forschungsprojekte aus dem LOEWEProgramm werden sicher wichtige Resultate hervorbringen, die Grundlagenforschung voranbringen und auch wirtschaftliche Innovationen anregen. Unsere Kritik an der Forschungspolitik, wie sie die Ministerin betreibt, bezieht sich ausdrücklich nicht auf die Forscherinnen und Forscher mit ihren zahlreichen und oftmals sehr beeindruckenden Projekten. Da können wir ihnen nur viel Er

folg bei der Realisierung wünschen. Aber die Förderung einer Reihe exzellenter Forschungsvorhaben gleicht Ihre gescheiterte Wissenschafts- und Hochschulpolitik nicht aus.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will es klar sagen: Wir halten die Förderung von unabhängiger Forschung für dringend notwendig. Frau Ministerin, deshalb wäre es eigentlich einmal ganz interessant, über den Programmbeirat von LOEWE zu sprechen und darüber, wie er besetzt ist. Ich habe mir das angeschaut. Außer Wissenschaftlern sind darin nur Siemens und die Deutsche Bank vertreten – warum eigentlich?

Frau Ministerin, Sie verkünden, dass Hessen sich als „Schaufensterregion Elektromobilität“ bewerben will. Das versinnbildlicht Ihre Hochschulpolitik: Sie schmücken das Schaufenster, damit die Fassade gut aussieht, aber die Regale im Inneren werden immer leerer und leerer.

(Zuruf des Abg. Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU))

Herr Müller, wenn Sie die Hochschulpolitik der Ministerin mit der Hochschulpolitik in der DDR vergleichen wollen, dann ist das Ihre Sache. Ich wäre jetzt nicht so weit gegangen. Aber wenn Sie meinen, dass es da Ähnlichkeiten gibt, dann wird es schon stimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

In jedem Fall kann man sagen, wir haben in den hessischen Hochschulen Mangelverwaltung. Von daher gibt es sicherlich eine Parallele zur DDR.

Frau Ministerin, wenn Ihnen die Energiewende, der Klimaschutz und die Forschungen in diesem Bereich so am Herzen liegen, wie Sie es in Ihrer Rede dargestellt haben, dann frage ich mich, warum die Landesregierung in ihrer Energiepolitik nicht vielleicht ab und zu einmal auf die ganzen Forscherinnen und Forscher hört und ein paar praktische Vorschläge umsetzt. In der Regel ignorieren Sie Klimaforscherinnen und Klimaforscher leider.

Frau Ministerin, wenn LOEWE wirklich so erfolgreich ist, wie Sie sagen, dann frage ich mich schon, warum Sie 500.000 € für eine Werbekampagne ausgeben müssen. Das ist immerhin eine halbe Million. Die Hochschulen brauchen in dieser Situation sicher keine Werbertafeln und keine Hochglanzbroschüren. Am Ende wird sich nur die Landesregierung darstellen. Aber wenn dieses Programm so erfolgreich wäre, müssten Sie es nicht aufwendig und mit viel Geld bewerben.

Dieses Geld wäre woanders viel besser eingesetzt. Sie müssten es einsetzen, um wirkliche Probleme zu lösen, und nicht, um diese Illusion zu schüren, an den hessischen Hochschulen würde alles ganz gut aussehen. Mit der Hervorhebung dieser sogenannten Leuchtturmprojekte versuchen Sie, den Eindruck zu erwecken, es gehe den Hochschulen heute so gut wie noch nie.

Frau Ministerin, eigentlich soll ein Leuchtturm an der Küste den Schiffen den Weg weisen. Ihre Leuchttürme hingegen sollen dazu dienen, die Menschen zu blenden.

Bemerkenswert ist auch, dass in Ihrer ganzen Regierungserklärung kein einziges Wort über die European Business School gefallen ist – kein einziges Wort über den großen Leuchtturm, den wir in Hessen haben. Sonst loben Sie sich doch für jeden Cent, den Sie irgendwo ausgeben, als hätten Sie ihn aus Ihrer Privatschatulle genommen.

Aber dass Sie 24 Millionen € für die EBS ausgegeben haben, lassen Sie heute einfach unter den Tisch fallen. Daraus schließe ich, dass nicht einmal mehr Sie sie als Ruhmesblatt Ihrer Regierung bezeichnen. Deshalb wiederhole ich meine Forderung, dass die Förderung der EBS sofort und vollständig eingestellt werden muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das LOEWEProgramm ist ein hessischer Beitrag zur Verdrittmittelung der Hochschulen bei einer immer weniger ausreichenden Grundfinanzierung. Dabei wird auch die Hierarchisierung der Hochschulen vorangetrieben, sowohl zwischen den Hochschulen als auch im Innern. Das erlaubt nämlich, die Kosten zu senken. Wir erleben, dass ein wachsender Teil der wissenschaftlichen Arbeit an den Hochschulen – und dazu gehört vor allem die Lehre – dem Mittelbau aufgetragen wird. Denn der Mittelbau bietet einen Vorteil: Er ist weitgehend nur mit befristeten Arbeitsverträgen zu versehen.

Das heißt, nach der Erledigung des konkreten Auftrags ist er kein Kostenfaktor mehr, wie man das betriebswirtschaftlich ausdrücken würde. Es ist natürlich auch so, dass sich der Mittelbau leichter disziplinieren lässt, wenn es darauf ankommt. Dieser Prozess der Verschlechterung der Lage des Mittelbaus hat sich in den letzten Jahren durch eine Reihe von politischen Vorgaben verschärft, wie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft das immer wieder aufzeigt.

Die Zeitschrift des Deutschen Hochschullehrerverbandes „Forschung & Lehre“ hat das in einer Grafik deutlich gemacht, die ich Ihnen gerne zeigen möchte. In diesem Fall ist es anders als im realen Leben so, dass rot schlecht ist.