Es macht sich doch bei einigen in unserer Bevölkerung die Haltung breit: Demokratie ist nur dann, wenn ich recht bekomme.
Aus dem großen Satz der Wendezeit „Wir sind das Volk“ ist doch für einige in unserer Gesellschaft geworden: „Ich bin das Volk, und ich bestimme, was der Volkeswille ist“ –
Hier ein Zeichen zu setzen, dass es tagtäglich Menschen in unserem Land gibt, die etwas anderes leben, die Selbstlosigkeit leben, die Engagement für andere leben, die sich für die Meinungsfreiheit einsetzen, das ist doch der Gegenstand der Debatte, und das sollte doch bei allem Streit, den wir hier im Hessischen Landtag zu Recht haben, nicht aus dem Blick geraten, meine Damen und Herren.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Thorsten Schäfer- Gümbel (SPD): Ja!)
Deshalb: Lassen Sie uns dieses gemeinsame Zeichen für Respekt setzen. Es geht mittlerweile in unserer Gesellschaft um weit mehr als die Frage, wie wir hier im Landtag miteinander umgehen – bei aller Bedeutung, die das natürlich hat. Aber wenn wir so tun, als ließen sich die Probleme, die wir unbestritten im Umgang hier vielleicht manchmal miteinander haben, gleichsetzen mit den Menschen, die die Medien als „Lügenpresse“ bezeichnen und die die Institutionen unseres Landes infrage stellen, dann machen wir einen ganz fatalen Fehler;
denn diesen Menschen müssen wir klar sagen: Ihr seid außerhalb der Gesellschaft. – Es ist nicht gleichzusetzen mit anderen Debatten, was diese Menschen tun.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie haben es ja in den Drucksachen des Hessischen Landtags erkennen können, und Sie haben es auch in dem einen oder anderen Medium – z. B. in der „Frankfurter Rundschau“ – nachlesen können, dass wir als Freie Demokraten mit einem gewissen Vorverständnis – das ist neudeutsch für Vorurteil – an diese Maßnahmen herangegangen sind.
Ja, Herr Ministerpräsident, die Zahlen, die die Kollegen der Sozialdemokratie zitiert haben, sind zum Teil aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage, die ich zu Beginn dieses Jahres gestellt habe, und die – ich schaue gerade – am 3. April von Ihrem Leiter der Staatskanzlei gezeichnet worden ist.
Ja, wir hatten das Vorverständnis und formulieren es auch noch einmal, dass es sich mehr um eine Kampagne han
deln sollte, die schön in die Kampagne der Landesregierung hineinpasst. Ich sehe gerade, dass der Finanzminister nicht anwesend ist. Aber da haben wir ja nun öffentlich angelegte Kampagnen rund um die Uhr. Und der Wirtschaftsund Verkehrsminister übt sich auch immer mehr darin.
Also, irgendwie war es garantiert nicht Zufall, dass wir dieses Vorverständnis oder auch Vorurteil hatten, aber ich will an dieser Stelle für die FDP-Fraktion in diesem Haus sagen: Herr Ministerpräsident, mit Ihrem Redebeitrag haben Sie uns überzeugt, dass wir jetzt vollkommen entspannt und hoffnungsfroh auf Ihre Taten warten.
Wir wollen da wirklich nicht herangehen – das hat ja auch mein erster Redebeitrag schon gezeigt und auch die öffentliche Diskussion, die wir hier schon geführt haben –, indem wir uns jetzt wieder in dem Typischen verlieren, was dieses Haus ausmacht, nämlich in kleinkarierten Spiegelstrichen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe gestern Morgen, als ich an meinen Schreibtisch ging, auf meinem Schreibtisch liegend eine sehr schöne Flasche Marc vom Riesling liegen gehabt.
(Allgemeine Heiterkeit – Zurufe der Abg. Hans-Jür- gen Irmer, Horst Klee (CDU) und Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Aller Respekt, die ist noch zu. Die hat mir der Präsident unseres Hauses, unser Präsident, überreichen lassen, weil ich vor wenigen Tagen mein 30. Jubiläum als Mitglied im Hessischen Landtag gefeiert habe.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt viele Situationen in diesem Haus, in denen wir uns prügeln. Ich glaube, dass ich in den 30 Jahren auch nicht zu denjenigen gehört habe, die das Prügeln gelassen haben. Aber – das sage ich jetzt sehr respektvoll – nehmen wir uns doch jetzt bitte einmal vor, den Ministerpräsidenten hoffnungsfroh ernst zu nehmen.
Herr Schäfer-Gümbel, wir jedenfalls nehmen das Angebot an, auch wenn die Vorgeschichte eine andere gewesen ist. Ich bin eigentlich noch einmal hier nach vorne gekommen, weil René Rock mich darum gebeten hat, um allen in diesem Hause zu sagen: Jetzt gehen wir doch einmal respektvoll miteinander um. Dazu gehört es auch, dass man vielleicht Startfehler ein bisschen übersieht. Wir Freie Demokraten sind jedenfalls bereit, bei dieser Kampagne mit vollem Herzen und voller Überzeugung mitzumachen. Wir warten nun auf die Einladung. – Vielen herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Als Nächste spricht Kollegin Wissler, Fraktion DIE LINKE. 3:16 Minuten sind noch übrig.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ja, ich stimme dem Ministerpräsidenten zu, dass es nicht reicht, in Sonntagsreden über Respekt zu reden, sondern dass man Respekt leben muss. Aber genau das vermisse ich seitens der Landesregierung in den Bereichen, wo Sie direkten Einfluss haben, wo Sie direkt etwas verändern könnten und wo Sie Respekt ganz bewusst leben könnten. Ich will nur die Landesbeschäftigten nennen: Nullrunden, Kürzungen, die längste Arbeitszeit bei den Beamtinnen und Beamten.
Meine Damen und Herren, das ist kein Ausdruck von Wertschätzung. Es ist kein Ausdruck von Respekt gegenüber den Beschäftigten, wenn man eine solche Personalpolitik macht.
Aber auch gegenüber Menschen, die hier Schutz suchen: Eine Schülerin aus der Schule heraus abzuschieben, einen Patienten aus der Psychiatrie abzuschieben, Menschen in Kriegsgebiete abzuschieben, das hat doch mit Respekt, mit Menschlichkeit nichts zu tun.
Da will ich jetzt gar nicht über den NSU-Untersuchungsausschuss reden. Das wäre ein eigenes Thema. Aber, Herr Ministerpräsident, Sie haben gesagt, die Opposition sollte sich dazu durchringen, diese Kampagne zu unterstützen und Gemeinsamkeiten zu betonen.
Herr Ministerpräsident, ich möchte Sie an das letzte Plenum erinnern. Da hatten die SPD, die FDP und wir als LINKE einen Antrag eingebracht, in dem die Freilassung des Journalisten Deniz Yücel gefordert wurde. Wir haben heute den Tag der Pressefreiheit. Der aus Hessen stammende Journalist Deniz Yücel sitzt seit Wochen in der Türkei in Haft. Herr Ministerpräsident, diesen Antrag haben Sie abgelehnt.
Sie haben sich nicht enthalten. Sie haben gegen einen Antrag der Opposition gestimmt, der gefordert hat, dass Deniz Yücel freigelassen werden muss. Herr Ministerpräsident, wer so etwas tut, soll sich, bitte, hier nicht hinstellen und irgendetwas von Gemeinsamkeiten erzählen, die Sie hier betonen wollen.
(Lebhafter Beifall bei der LINKEN und der SPD – Zurufe der Abg. Holger Bellino und Michael Bod- denberg (CDU))
Er schrieb, Schwarz-Grün habe damit erneut „ihren notorischen Starrsinn unter Beweis gestellt“. Ich zitiere den „Wiesbadener Kurier“ wörtlich:
Und die GRÜNEN heben, die linke Faust in der Tasche, fügsam die rechte Hand zum Treueschwur. Gleich im Anschluss verabschiedete der Landtag übrigens einen Antrag …