Protokoll der Sitzung vom 31.05.2017

Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Damit sind wir am Ende der Debatte. Die Große Anfrage ist besprochen.

Wir treten nun in die Mittagspause ein und sehen uns wieder um 15:15 Uhr. Guten Appetit.

(Unterbrechung von 13:20 bis 15:16 Uhr)

Kolleginnen und Kollegen! Ich hebe die Unterbrechung der Sitzung auf.

Wir beraten als Erstes Tagesordnungspunkt 39:

Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN betreffend Hessen stärkt Wissenschaftsfreiheit und Internationalisierung von Wissenschaft, Forschung und Lehre – Drucks. 19/4920 –

Als Erster spricht Kollege May, Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Wissenschaftsgemeinschaft ist in Aufruhr. Vielerorts verschlechtert sich gerade das Verhältnis zwischen Wissenschaft und staatlicher Gewalt. Das Verhältnis zwischen Wissenschaft und staatlicher Macht ist in der Ver

gangenheit immer wieder schwierig gewesen; denn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fördern auch für Mächtige unbequeme Wahrheiten zutage. Hochschulen sind seit jeher Kristallisationskeime von kritischen Debatten in Gesellschaften. Deswegen werden vielerorts – ich will klar sagen: nicht bei uns – Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter Druck gesetzt, oder es geschieht ihnen weit Schlimmeres.

Umso bedauerlicher ist es, dass es nun auch in Ländern, in denen wir in den vergangenen Jahren eher eine Tendenz zur Freiheit hatten, beispielsweise in der Türkei oder in Ungarn, Bestrebungen gibt, diese Freiheit einzuschränken. Bedauerlich ist auch, dass andernorts, wo wir solche Probleme nicht vermuten würden – dann allerdings auch in einer anderen Qualität –, sich der Geist der Unfreiheit auszubreiten versucht und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter Druck gesetzt werden.

In der Türkei ist es seit dem Putschversuch vom Juli 2016 zu massiven Eingriffen in Bürger- und Menschenrechte gekommen und damit auch in die Wissenschaftsfreiheit. Viele Hochschulen wurden geschlossen. Tausende Hochschulmitarbeiterinnen und -mitarbeiter wurden entlassen oder gar verhaftet. Rektoren wurden abgesetzt, und alles unter dem Vorwand, dass die Betroffenen der Gülen-Bewegung angehörten.

Es muss an dieser Stelle ganz klar gesagt werden: Ein solcher Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit ist für uns absolut nicht hinnehmbar.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Man muss bedauerlicherweise an dieser Stelle auch die Vereinigten Staaten von Amerika nennen. Nicht, dass die Vorgänge dort in der Qualität wären, wie sie es in der Türkei sind. Nein, das ist auf jeden Fall nicht der Fall. Das möchte ich hier betonen.

Aber es waren Vorgänge, wie dass Präsident Trump der Umweltbehörde EPA untersagt hat, selbstständig Forschungsdaten zu veröffentlichen. Berichte der EPA müssen zunächst einmal von der Trump-Administration genehmigt werden, bevor sie publiziert werden dürfen, was dort auch zu Aufruhr führte.

Deshalb hat der Vorsitzende des Bundes der amerikanischen Wissenschaftler, Lawrence Krauss, in einem Gastbeitrag für den „New Yorker“ davon gesprochen, es gebe einen Krieg gegen die Wissenschaft. Es ist auch vollkommen klar, was mit solchen Operationen versucht wird: Dort wird versucht, wissenschaftliche Erkenntnisse, die der eigenen Interessenlage nicht passen, zu unterdrücken, um andere Interessen zu schützen. In diesem Fall, wenn wir an die Umweltbehörde denken, ist das sicherlich die Lobby für fossile Energieträger, die die Forschungen in Sachen Klimawandel unterdrücken möchte.

Das zeigt sich aber auch in anderen Bereichen. So wurde in dem ersten Budget, das Trump vorgelegt hat, der Fonds für die Förderung der Geisteswissenschaften in den USA, der National Endowment for the Humanities, zusammengestrichen. Auch hier wird deutlich, dass Politik über den Rotstift gemacht wird, dass versucht wird, Forschung in gesellschaftlich relevanten Bereichen, z. B. Gender Studies, unmöglich zu machen, weil das den ultrarechten Trump

Wählern ein Dorn im Auge ist. Das ist eine Art von Wissenschaftspolitik, der wir uns entgegenstellen müssen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich führe das auch deswegen aus, weil das der Ursprung der Entwicklung war, bei der versucht wird, gesicherten Erkenntnissen alternative Fakten entgegenzusetzen, bei der mit Fake-News operiert wird, bei der die Wahrheit munter verdreht wird. Es war diese Entwicklung, die in den USA dazu geführt hat, dass der March for Science geboren wurde, der auch bei uns im Land viele Tausend Menschen Ende April auf die Straße brachte. Auch zwei hessische Hochschulstädte waren dabei. Frankfurt beteiligte sich mit 2.500 Leuten, und 200 Leute waren in Kassel auf der Straße.

Ich möchte mich auch namens meiner Fraktion ganz herzlich bei all denjenigen bedanken, die dafür gesorgt haben, dass auch bei uns auf der Straße ein starkes Signal für die Wissenschaftsfreiheit gesetzt werden konnte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Sehr geehrte Damen und Herren, bei uns in Hessen ist die Freiheit der Wissenschaft durch die Verfassung geschützt. In Art. 10 unserer Verfassung heißt es:

Niemand darf in seinem wissenschaftlichen oder künstlerischen Schaffen und in der Verbreitung seiner Werke gehindert werden.

Mir ist auch klar, dass keine Fraktion in diesem Hause diese Freiheit angreifen will. Trotzdem finde ich es notwendig, dass wir als Hessischer Landtag Stellung nehmen zu der öffentlichen Debatte, die dazu geführt hat, dass es auch bei uns einen March for Science gegeben hat, dass wir Stellung dazu nehmen, was die Demonstranten am Tag der Erde beim March for Science geäußert haben.

Von daher haben wir heute die vorliegende Initiative zum Setzpunkt erhoben; denn wir wollen, dass der Landtag ein klares Signal setzt, dass die Wissenschaftsfreiheit für uns ein hohes Gut ist und bleibt, dass Bildung an und für sich wichtig für eine offene Gesellschaft ist und dass es ohne freie Wissenschaft keine freie Gesellschaft geben kann, weil, wenn die Freiheit der Wissenschaft stirbt, die Demokratie mit ihr stirbt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Wir möchten heute betonen: Wir sehen die Wissenschaft auch als treibende Kraft für einen internationalen Austausch und für den interkulturellen Dialog. Wenn man sich die große Anzahl an Studenten anschaut, die jedes Jahr an wissenschaftlichen Austauschprogrammen teilnimmt, dann wird doch deutlich, dass die Wissenschaft die erfolgreichste Maßnahme zum internationalen Austausch und zum interkulturellen Dialog ist.

Bei der internationalen Zusammenarbeit in der Wissenschaft sieht man immer wieder: Auch wenn es zwischen Staaten Spannungen auf politischer Ebene gibt, bleiben die Kooperation und die Verbindung in der Wissenschaft stark. – Von daher gehört für uns Folgendes mit dazu: Wenn wir über die Freiheit der Wissenschaft und über die Internationalisierung sprechen, müssen wir wissen, dass wir über den internationalen Austausch auch die Freiheit

der Wissenschaft in aller Welt beflügeln und weiter voranbringen. Von daher hat das eine ganz wichtige Qualität.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Deswegen haben wir als wichtigen Punkt in unserer Initiative klar gesagt: Internationalisierung an unseren Hochschulen hat einen wichtigen Stellenwert. Wir möchten, dass die Landesregierung zusammen mit den Hochschulen noch einmal schaut, wie wir die Internationalisierung unserer Hochschulen weiter unterstützen können.

Auch das ist uns sehr wichtig: Wir wollen verfolgten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus aller Welt ein sicherer Hafen ein, genauso wie denjenigen, die vor Krieg geflüchtet sind. Das Land hat deswegen extra den Hessenfonds für Flüchtlinge, ein eigenes Programm zur Förderung der Studierenden und der Wissenschaftler, aufgelegt. Wohlgemerkt, das ist eine freiwillige zusätzliche Aufgabe. Wir haben das mit 1 Million € im Haushalt hinterlegt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Es war uns sehr wichtig, dass wir nicht nur internationale Solidarität bekunden, sondern dass wir das in praktische Politik einfließen lassen, genauso wie wir es schon getan haben, als wir im Rahmen des „Aktionsplans zur Integration von Flüchtlingen und Bewahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts“ schon sehr viel Geld an die Hochschulen gegeben haben, um Deutschkurse speziell im akademischen Bereich zu fördern. Wir haben mit diesem Programm klargemacht: Für uns bedeutet internationale Solidarität die Förderung der Freiheit der Wissenschaft nicht nur bei uns. Die Internationalisierung unserer Hochschulen ist Maßgabe für unsere ganz praktische Politik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Es geht heute also darum, ein positives Signal an die Gemeinschaft der Wissenschaftler zu senden, dass wir klar sind und dass wir klar bleiben, was die Freiheit der Wissenschaft angeht. Das ist aber nicht nur ein positives Signal für die Freiheit. Es ist auch ein klares Nein an diejenigen, die es auch bei uns gibt, die meinen, dass man wissenschaftlich begründete Fakten der politischen Meinung anheimstellen könnte.

Es ist auch ein klare Signal an diejenigen, die versuchen, mit alternativen Fakten zu operieren – ich habe das Thema Klimakatastrophe schon erwähnt –, die meinen, dass man Fake-News verbreiten könnte, und die meinen, dass man Verschwörungstheorien verbreiten sollte. Das betrifft all die, die sogenannte alternative Fakten verbreiten und die die Wissenschaft zensieren wollen. All denen setzen wir ein klares Stoppschild und sagen: Die Freiheit der Wissenschaft ist und bleibt in unserem Land geschützt. Daran wird es mit uns kein Rütteln geben. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Herr Kollege Lenders für die FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Antrag enthält prinzipiell wichtige und richtige Fragestellungen, weswegen wir, die Mitglieder der FDP-Fraktion, dem auch zustimmen können.

Im letzten Punkt des Antrags steht:

Der Landtag bittet die Landesregierung vor diesem Hintergrund zu prüfen, ob die hessischen Hochschulen Unterstützung bei ihren Bemühungen zum Erhalt und Ausbau ihrer internationalen Kooperationen benötigen.

Ob man da bitten muss, weiß ich nicht. Das ist die grundlegende Arbeit einer Landesregierung. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein.

(Beifall der Abg. René Rock und Dr. Frank Blech- schmidt (FDP))

Die Wissenschaft muss frei sein. Das ist ein urliberales Grundverständnis. Deswegen können wir die zentralen Forderungen nur unterstützen. Die Freiheit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist nicht nur bei uns zu schützen. Darüber hinausgehend ist es eine internationale politische Aufgabe, genau hinzuschauen, in welchen Ländern auf welche Art und Weise diese Freiheiten eingeschränkt werden und wie mit dem Fortschritt umgegangen wird. Das gilt nicht nur für die offensichtlichen Diktaturen und autoritären Regime, sondern auch innerhalb Europas bei befreundeten Mitgliedstaaten der Europäischen Union.

Reflexhaft in eine antiamerikanische Haltung zu verfallen, ist sicherlich nicht richtig. Es geht vielmehr darum, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Freiheit insgesamt und insbesondere die Freiheit der Wissenschaft zu schützen und sie einzufordern, wenn wir sie bedroht sehen.

(Beifall bei der FDP)

Neben der außenpolitischen Zuständigkeit, die vordergründig bei der Bundesregierung anzusiedeln ist, sollte die Hessische Landesregierung ihre Möglichkeiten ausschöpfen, um im Rahmen der internationalen und der europäischen Verständigung – Delegationsreisen und Gespräche mit internationalen Vertretern kennen wir z. B. alle – auf die entsprechenden Notwendigkeiten hinzuweisen und um entsprechende Bedingungen für ein freies wissenschaftliches Arbeiten und Forschen einzufordern. Darüber hinaus leisten unsere Universitäten, Hochschulen für angewandte Wissenschaften und Forschungsinstitute einen wichtigen Beitrag im Rahmen der Kooperation mit Hochschulen in vielen Ländern. Es gibt Austauschprogramme mit Stipendien für ausländische Studierende. Es gilt, dieses Engagement auch zukünftig zu unterstützen und auszubauen.

Doch auch in unserem Land müssen wir den Grad der Freiheit der Wissenschaft immer wieder auf den Prüfstand stellen und dafür Sorge tragen, dass unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht durch grundlegende Denkverbote eingeschränkt werden oder es Einflussnahme dahin gehend gibt, dass Forschungsergebnisse in eine bestimmte Richtung verlangt werden. Da ist ein dauerhaftes Engagement notwendig.

Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass die Lage der Wissenschaft in Deutschland gut ist. Es ist unsere Aufgabe, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass die Wissenschaftler die Themen und die Zukunftsfelder in eigener Verantwortung ohne Einschränkungen erforschen können.