Protokoll der Sitzung vom 01.06.2017

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Heute hat der Deutsche Bundestag einer der schnellsten Grundgesetzänderungen aller Zeiten zugestimmt: Zwischen dem Gesetzentwurf, dem Beschluss im Bundestag und der Abstimmung im Bundesrat liegen gerade einmal 48 Stunden. Allein der Umstand, dass diese Grundgesetzänderung mit solch weitreichenden Änderungen so schnell durch Bundestag und Bundesrat gepeitscht wird, ist schon Grund genug, misstrauisch zu sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Gleich mehrmals gab es in den letzten Monaten Meldungen, dass die Autobahnprivatisierung jetzt verhindert worden sei, jetzt sei sie wirklich verhindert, jetzt sei sie endgültig vom Tisch. Uns aber ist wichtig, festzustellen: Nein, das ist sie nicht.

(Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Genau!)

In Art. 90 des Grundgesetzes soll nämlich weiterhin formuliert werden:

Die Verwaltung der Bundesautobahnen wird in Bundesverwaltung geführt. Der Bund kann sich zur Erledigung seiner Aufgaben einer Gesellschaft privaten Rechts bedienen.

Auch wenn diese Gesellschaft im unveräußerlichen Eigentum des Bundes sein sollte, ist das erst einmal eine Privatisierung, weil es natürlich die Überführung der bisherigen Verwaltung in eine Gesellschaft nach privatem Recht ist. Das ist eine formelle Privatisierung, also die Gründung einer Autobahninfrastruktur-GmbH. Das wäre die größte Privatisierung von Infrastruktur seit Gründung der Deutschen Bahn AG vor mehr als 20 Jahren. Auch bei der Deutschen Bahn AG handelt es sich natürlich um eine Gesellschaft, die sich immer noch im Eigentum des Bundes befindet, aber sie agiert als Privatunternehmen, und das ist der entscheidende Unterschied.

Das heißt, der Bund bleibt vielleicht formal Eigentümer der Grundstücke unter der Autobahn, aber entscheidend ist der Betrieb der Autobahn. Das bedeutet, dass die privatwirtschaftliche Logik voll auf die Autobahnen ausgreift, mit ganz weitreichenden Folgen – guten Folgen für die Investoren, die glauben, richtig Reibach machen zu können, aber negativen Folgen für die Bürgerinnen und Bürger bzw. für die Steuerzahler.

Aus Bürgern, die selbstverständlich ihre durch Steuern bezahlten Straßen nutzen, werden plötzlich Kunden, die ein Produkt kaufen. Die GmbH hätte also sogar ein wirtschaftliches Interesse daran, möglichst viel Verkehr auf die Straßen zu ziehen. Das ist umwelt- und verkehrspolitisch absurd und genau das Gegenteil von dem, was wir brauchen.

Über ÖPP-Projekte, die sogenannten öffentlich-privaten Partnerschaften, sollen private Investoren sehr wohl praktisch unbegrenzt beteiligt werden können. Es wird zwar ei

ne Grenze von 100 km pro Projekt eingeführt, aber es kann unbegrenzt viele Projekte geben. Das heißt also, es soll sehr wohl auch private Rendite mit der Autobahn gemacht werden, und die wird jemand bezahlen müssen: Ob die Nutzer oder die Steuerzahler – am Ende wird es die Allgemeinheit sein.

Meine Damen und Herren, eine GmbH ist viel weniger transparent und demokratisch kontrollierbar als eine Behörde. Es gibt plötzlich Geschäftsgeheimnisse, und wir wissen doch alle von unserem Umgang mit der Fraport, dass man als Parlament nicht mehr allzu viel zu melden hat, wenn man seine Infrastruktur erst einmal privatisiert hat.

Deshalb ist die Frage: Was steckt dahinter? – Das ist nichts anderes als Schäubles schwarze Null. Die GmbH bildet einen Schattenhaushalt. Das Unternehmen kann Schulden aufnehmen und ÖPP-Projekte mit privaten Investoren betreiben. Die Schuldenbremse spielt dann keine Rolle mehr, weil die Mittel, vor allem auch die Mauteinnahmen, überhaupt nicht mehr im Bundeshaushalt auftauchen. Das steckt dahinter.

Die Mauteinnahmen sollen dann komplett in der GmbH bleiben, mit dem Argument: Jeder Euro der Maut fließt wieder in die Straße. – Aber genau das nimmt dem Parlament als Haushaltsgesetzgeber die Möglichkeit, die Mauteinnahmen für etwas anderes zu benutzen, z. B. den Schienenausbau oder die Bewältigung der durch Autos verursachten Umweltschäden.

Weiterhin besteht auch die Gefahr einer materiellen Privatisierung, also eines Verkaufs von Tochterfirmen dieser GmbH an Private. Daran gab es eine ganze Menge Kritik. Es gab viele Warnungen.

Natürlich müssen wir auch sehen, dass die Menschen, die in diesen Jobs arbeiten, derzeit im öffentlichen Dienst in der Straßenverwaltung beschäftigt sind. Es hat eine lange Hängepartie für die Beschäftigten gegeben. Jetzt werden sie langfristig für eine GmbH arbeiten.

Das sind die großen Probleme der privaten Rechtsform. Die Gründung einer GmbH ist unnötig, sie ist schädlich. Die Infrastruktur ist kein Produkt, das in private Hände gehört.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Offensichtlich haben 29 SPDler und immerhin drei CDU/ CSUler heute in der Abstimmung im Bundestag das so gesehen. Wir hoffen, dass der Bundesrat dieses Projekt morgen stoppt; denn es geht nicht um die Interessen der Investoren, es geht um die Interessen der Bürgerinnen und Bürger. Deswegen sollte Hessen morgen im Bundesrat nicht zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Nächste Wortmeldung, Herr Abg. Lenders für die FDPFraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn man sich das anschaut, was jetzt auf den Weg gebracht worden ist, fragt man sich allen Ernstes: Was ist aus den Diskussionen um eine Föderalismusreform geworden?

Der Bund zieht immer mehr Kompetenzen an sich, die Länder werden in ihrer Hoheit immer weiter ausgeblutet. Das deckt der Bund jetzt ein bisschen mit Geld zu. Man kann das, was der Bund im Moment vornimmt, als eine Art Notwehr sehen, zumindest wenn man sich mit Landesregierungen wie in Hessen auseinanderzusetzen hat. Es ist eine Art von Notwehr, weil der Bund möchte, dass seine Bundesstraßen und vor allem seine Bundesautobahnen möglichst schnell vorangetrieben werden. Er sieht in manchen Ländern, in manchen Landesministern wohl eher einen Hemmschuh. Das kann man hier in Hessen sehr gut nachvollziehen.

(Beifall bei der FDP)

Frau Müller, Sie haben es wieder schön gemacht, dass Sie Ihren Staatsminister Al-Wazir quasi als Straßenbauer, als Autobahnminister hier verkauft haben.

(Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bauminister!)

Von mir aus nennen wir ihn jetzt auch Bob, den Baumeister. Das können wir auch machen. – Ich bin mir nur nicht ganz sicher, ob Ihnen als GRÜNEN das wirklich gefallen kann. De facto ist es etwas anders; denn allein von 2015 bis 2017 haben wir 64 Millionen € weniger Investitionsvolumen. Diese Landesregierung hat freiwillig 30 Millionen € an den Bund zurückgegeben. Damit hätte man die eine oder andere Ortsumgehung längst bauen können.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Tobias Eckert (SPD))

Frau Müller, die Tatsachen sind etwas anders, als Sie es dargestellt haben. Insofern könnte man dem Bund folgen, dass es sozusagen eine Notwehr ist, um sich gegen unwillige Landesregierungen zur Wehr zu setzen.

Meine Damen und Herren, wenn man schon eine Bundesfernstraßengesellschaft ins Leben ruft, wenn man die Kompetenzen der Länder nicht mehr nutzen will, dann hätte man zumindest die Chance nutzen sollen – Frau Wissler, von Privatisierung kann hier wirklich nicht die Rede sein –,

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Warten wir es ab!)

privates Kapital in die Bundesfernstraßengesellschaft hineinzuholen.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, dafür wird es kein großes Zeitfenster geben. Das Interesse von Investoren, von Kapitalgebern, sich an einer Bundesfernstraßengesellschaft zu beteiligen, ist ein bisschen dieser Zinsmarktpolitik geschuldet. Das Zeitfenster wäre ein gutes gewesen. Die Chance scheint vertan zu sein.

(Beifall bei der FDP)

Als die Diskussion um die Bundesfernstraßengesellschaft losging, hatten wir immer wieder die Diskussion: Wie können wir die Infrastruktur in Deutschland erhalten und ausbauen? Da stellte sich die Frage der Finanzierung. Das ist eine ganz andere Zeit gewesen als jetzt bei diesen vollen Haushaltskassen.

Ich glaube, dass wir hier eine Riesenchance vertan haben. Aber das, was wir in Hessen wirklich diskutieren müssen und was mit diesem Antrag von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN überhaupt nicht rüberkommt, ist die

Frage: Wie geht es mit Hessen Mobil weiter? Die Bundesfernstraßengesellschaft kann man so oder so sehen, aber die Frage, wie es mit den Beschäftigten bei Hessen Mobil weitergeht, beantworten Sie nicht.

Bevor Sie sich hier loben lassen und tolle Anträge stellen, um uns die Tagesordnung vollzumachen, wäre es Zeit, hier Konzepte vorzulegen. Ich möchte hoffen, dass diese Landesregierung schon etwas weiter gedacht hat, Herr Kaufmann, als das, was Sie hier hineinzurufen versuchen.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kaufmann, vielleicht legt diese Landesregierung dann auch Konzepte vor, wie es mit Hessen Mobil weitergehen soll und was aus den Beschäftigten wird. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort hat Herr Abg. Frankenberger für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zum letzten Tagesordnungspunkt zu reden ist schon eine besondere Verantwortung. Ich hoffe, ich werde dieser Verantwortung auch gerecht.

Die Abstimmungen im Bundestag sind gelaufen. Liebe Kollegin Müller, nach Ihrer Rede ist mir nicht ganz deutlich geworden, warum sich die GRÜNEN heute im Bundestag enthalten haben. Ihre Rede hat nur zu dem Eindruck beigetragen, dass die GRÜNEN die Bundesfernstraßengesellschaft hinlänglich unterstützen und voll dahinterstehen. So habe ich das jedenfalls verstanden.

Meine Damen und Herren, im Vorfeld der Diskussion – darauf möchte ich hinweisen – hatte man den Eindruck, dass von den Bundesländern keines so richtig die Bundesfernstraßengesellschaft wollte.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

Ich kann mich an Treffen der SPD-Verkehrspolitiker erinnern – ich glaube, bei den anderen Parteien war es genauso –: Alle haben kraftvoll gesagt, sie wollen diese Infrastrukturgesellschaft nicht. Und doch kommt sie jetzt, von einer breiten Mehrheit im Bundestag beschlossen, und morgen im Bundesrat. Was ist da passiert?

Es gab – ein amerikanischer Präsident würde sagen: einen Deal – einen Kompromiss bei den Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Der hat dazu geführt, dass die Bundesländer, was uns alle freut, mehr Geld bekommen. Auf der anderen Seite hat der Bund Beharrungsvermögen gezeigt und auf die Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft gedrungen. Er hat sich hier durchgesetzt, und für das Beharren des Bundes zur Gründung dieser Gesellschaft hat sicherlich eine entscheidende Rolle gespielt, dass die meisten Bundesländer – liebe Kollegin Müller, darunter auch Hessen – in der Vergangenheit nicht in der Lage waren, die vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel für den Bundesfernstraßenbau zu verbrauchen.

(Günter Rudolph (SPD): Hört, hört!)

Herr Kollege Lenders hat darauf hingewiesen. Dazu gab es eine Kleine Anfrage von dem Kollegen. Das kann man

auch nicht schönreden. Das ist so. Es ist immer ärgerlich, wenn Gelder, die für Infrastrukturmaßnahmen zur Verfügung gestellt werden, in Hessen nicht verbaut werden können, weil die Landesregierung nicht in der Lage ist, das umzusetzen.