Protokoll der Sitzung vom 01.06.2017

Ich halte das, gelinde gesagt, für ungebührlich. Ob das parlamentarisch ist, wage ich anzuzweifeln.

(Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Herr Schaus, ich kenne Sie. Ich weiß, Sie sprechen prägnant. Aber da sind Sie über das Ziel hinausgeschossen.

Heute Morgen nach dem Beitrag des Kollegen Wilken hatte ich kurz die Hoffnung, dass die LINKEN vielleicht die Rechtsstaatlichkeit entdeckt haben. Aber das war eher ein Zitat, weil es gepasst hat. Der Antrag macht deutlich, dass bei Ihnen die Rechtsstaatlichkeit absolut verlustig gegangen ist. Das hat Frau Kollegin Wallmann auch gesagt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Janine Wissler (DIE LINKE): Das darf man sagen?)

Das sage ich. Das kann ich Ihnen auch belegen. Ich bin am Anfang meiner Rede. Nach zwei oder drei Minuten rufen Sie schon dazwischen. Getroffene Hunde bellen. Das sage ich dann auch.

Dann haben Sie auch noch die Menschenrechte abgesprochen. Das ist für mich, der mit dem Asylrecht und mit den Grundrechten agiert und der in Deutschland mit seiner Geschichte und mit seinem Grundgesetz lebt, abenteuerlich.

(Beifall des Abg. Jürgen Lenders (FDP) und bei Abgeordneten der CDU)

Das sage ich nicht nur als Jurist, sondern auch als jemand, der politisch immer aktiv war. Das kann nicht sein.

Ich will den Antrag einmal zum Anlass nehmen, zum Bürgerasyl die eine oder andere Ausführung zu machen.

Ich will deutlich machen, dass der Vorwurf der LINKEN, Hessen und Deutschland betrieben eine unfaire, diskriminierende oder gar schikanierende Asyl- und Flüchtlingspolitik, unhaltbar ist. Frau Wallmann hat das schon sehr gut dargelegt. Ich möchte das nur kurz und prägnant wiederholen.

Allein im Jahr 2015 hat Deutschland bis zu 1 Million Flüchtlinge aufgenommen. Die bereinigte Zahl liegt bei 890.000 – Ausrufezeichen. Im Jahr 2016 kamen noch einmal knapp 300.000 dazu. Hessen selbst hat in diesem Zeitraum im Jahr 2015 75.000 und im Jahr 2016 20.500 Flüchtlinge aufgenommen. Es hat große Anstrengungen für die Zivilgesellschaft bedeutet – Ihr Antrag richtet sich auch gegen die Zivilgesellschaft –, Nothilfe während der Flüchtlingswelle zur Verfügung zu stellen, wie z. B. die Belegung von Turnhallen und die Sperrung von öffentlichen Gebäuden. Was das aber auch für den Steuerzahler aufgrund des hessischen Aktionsplans für Flüchtlinge in Höhe von rund 1,3 Milliarden € und für die Behörden bedeutet hat, wird von Ihnen nicht einmal mit einem Komma oder einem Punkt erwähnt, geschweige denn, mit einem Wort. Das finde ich auch nicht parlamentarisch und angemessen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Jeder hat doch die Situation lebhaft vor Augen. Jeder weiß doch, was damals passiert ist. Ich sage einmal aus Sicht der FDP, was unsere Säulen bei Flucht und Asyl sind. Wir habe ein Drei-Säulen-Modell: Asyl, Flüchtlingsstatus und Zuwanderung wegen Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion und aus politischen Gründen. Individuell Verfolgte erhalten Asyl oder werden als Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt, Art. 16a Grundgesetz – Ausrufezeichen.

Bürgerkriegsflüchtlinge sollen schnell und unbürokratisch humanitären Schutz erhalten, und zwar zeitlich befristet. In der Regel wird der jeweils einjährige Schutz so lange verlängert, wie die Kriegssituation andauert – Ausrufezeichen. Wir wollen ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild. Dafür werben wir schon seit Jahren. Wir wollen damit den Fachkräftebedarf – Frau Wallmann hat das auch indirekt erwähnt –, der bei uns herrscht, mit etwa 350.000 qualifizierten Zuwanderern decken.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Kriegsflüchtlinge, die nach Ablauf ihres befristeten Aufenthalts – maximal drei Jahre – die Kriterien des Einwanderungsgesetzes erfüllen, d. h. die die deutsche Sprache gelernt und einen Arbeitsplatz gefunden haben, der den Lebensunterhalt sichert, erhalten einen dauerhaften Aufenthaltstitel – ausdrücklich großes Ausrufezeichen.

Das, was dankenswerterweise CDU und GRÜNE als Dringlichen Entschließungsantrag eingebracht haben, erspart es mir, insbesondere zu den Punkten 1 bis 4 Ausführungen zu machen. Mir fällt da viel ein; aber selbst ich laufe Gefahr, unsachlich zu werden. – Das unterstützen wir. Ich sage voraus, dass wir uns zu Punkt 5 enthalten werden, weil wir als Liberale eine andere Auffassung haben, die ich Ihnen im Rahmen von Kirchen- und Bürgerasyl deutlich machen will.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Wir Liberale vertreten die Auffassung, dass jede Unterwanderung rechtsstaatlicher Entscheidungen – deshalb können wir Punkt 5 des Antrags auch nicht so ganz zustimmen, sondern uns nur enthalten – weder juristisch noch politisch akzeptiert werden kann. Sowohl bei dem Kirchenwie auch bei dem sogenannten Bürgerasyl – das wurde nur von Frau Wallmann erwähnt –, das die LINKEN in Punkt 5 des Antrags so loben, wird genau das getan. Es gibt kein Recht auf Kirchenasyl, das neben dem Rechtsstaat besteht – Ausrufezeichen. Das ist ausdrücklich eine liberale Auffassung.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

In diesem Bewusstsein sind im Übrigen auch die Kirchen in den letzten Jahren sehr zurückhaltend mit dem Kirchenasyl umgegangen. Die mit der Menge an Flüchtlingen steigenden Zahlen beim Kirchenasyl haben daher auch die berechtigte Kritik des Bundesinnenministers erfahren. Das ist auch in der Presse dokumentiert. Die Tradition des Kirchenasyls – ich spreche von einer Tradition – wird akzeptiert, jedoch ausdrücklich unter der Prämisse, dass die Kirchen dieses restriktiv und nur als Ultima Ratio im Einzelfall anwenden.

Liebe LINKE, ganz anders stehen wir zum Bürgerasyl. Der ganze Antrag läuft darauf hinaus, Bürgerasyl zu loben und die Bürger aufzufordern, mehr Bürgerasyl auszuüben. Das kann nicht sein. Es gibt hier keine Tradition und keine Absprachen. So verständlich es im Einzelfall auch sein mag, die Abschiebungen, die Sie nicht nachvollziehen können, zu kritisieren – das unterstreiche ich absolut –: Den Vollzug einer rechtsstaatlich getroffenen, rechtskräftigen Entscheidung in einem Rechtsstaat wie Deutschland zu ändern, ist nicht etwa legitimer ziviler Ungehorsam – wie es die Vertreter des Bürgerasyls nennen –, sondern es ist eine Straftat.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Hermann Schaus (DIE LINKE): Das Recht muss durch das Parlament geändert werden, dann ist es geltendes Recht!)

Herr Schaus, es ist eine Straftat. Sie müssen da Ihr eigenes Verständnis zum Gesetz und zum Strafgesetzbuch einmal überprüfen. Aber jeder Jurist und auch Sie als Parlamentarier wissen, dass hier der Verdacht der Beihilfe zum illegalen Aufenthalt gegeben ist, § 27 Strafgesetzbuch in Verbindung mit § 95 Aufenthaltsgesetz. Das ist so. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Das wissen Sie als Nichtjurist ebenso, weil Sie parlamentarisch geschult sind. Es ist daher unverantwortlich und unverständlich, wenn eine politische Kraft glaubt, dass sie über dem Gesetz steht, weil sie es besser weiß, und Bürger noch dazu anstachelt, Straftaten mit weitgehenden Folgen für die Betroffenen zu begehen.

Aus diesem Grund sagen wir auch: Wegen der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts können wir Punkt 5 des Antrags nicht mittragen. Wir müssen uns enthalten, weil diese Entscheidung existent ist und von den Bürgern zu beachten ist. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank Herr Kollege Dr. Blechschmidt. – Zu einer Kurzintervention hat sich Dr. Wilken gemeldet. Bitte sehr, Sie haben das Wort. Zwei Minuten.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Verehrter Herr Dr. Blechschmidt, Sie haben mich hier gerade als Beleg dafür angeführt, dass die Linksfraktion zur Rechtsstaatlichkeit zurückgefunden hätte,

(Zuruf des Abg. Dr. Frank Blechschmidt (FDP))

um uns dann aber im selben Atemzug genau diese Rechtsstaatlichkeit wieder abzusprechen und uns als Rechtsbrecher und Hunde zu bezeichnen. Das ist natürlich schon amüsant.

(Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Was?)

Getroffene Hunde bellen laut, hat er gesagt.

Meine Damen und Herren, ich habe großes Verständnis dafür, wenn wir hier in einer emotionalen Rede und einer emotionalen Atmosphäre debattieren. Deswegen schätze ich diesen Landtag. Aber uns als Rechtsbrecher zu bezeichnen, geht meiner Meinung nach nicht. Wir alle sind es gewohnt, wenn sich die gesellschaftliche Situation ändert, dass wir gegebenenfalls darum kämpfen, Recht und Gesetz auch der neuen gesellschaftlichen Situation anzupassen. Von daher zu Ihrer pauschalen Ablehnung von Bürgerund Kirchenasyl: Sie haben die Diskussion auf dem Kirchentag, wie viele Kirchenasyle es jetzt gibt, doch wahrscheinlich auch verfolgt. Wir als Politiker sind gefordert, die notwendigen Anpassungen an Recht und Gesetz dann im Zweifelsfall auch vorzunehmen. Unterlassen Sie es bitte, uns als nicht auf dem Boden des Grundgesetzes argumentierend und handelnd darzustellen. – Ich danke.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Vielen Dank, Herr Kollege. – Herr Kollege Dr. Blechschmidt, Sie haben Gelegenheit zur Erwiderung. Ebenfalls zwei Minuten.

Herr Präsident, sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Es gibt im Deutschen in der Tat den Spruch – ich vervollständige ihn noch einmal –, dass getroffene Hunde bellen. Meine Lebenserfahrung ist, dass getroffene Hunde manchmal sogar stärker oder lauter bellen, als sie zuvor getroffen wurden.

Wenn ich mit meinem ironischen Beitrag zu ihrem rechtsstaatlichen Ausflug den Eindruck vermittelt habe, dass Sie rechtsstaatliche Grundsätze verlassen haben, ziehe ich das zurück.

Das andere lasse ich stehen. Ich glaube schon, dass Sie mit Ihrem Antrag Bürger veranlassen, gegen das Strafgesetzbuch und Gesetze zu verstoßen. Diese Meinung erhalte ich aufrecht.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Blechschmidt. – Als Nächster spricht Herr Kollege Ernst-Ewald Roth für die Fraktion der SPD. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es liegen zwei Anträge zu einer Debatte vor, die wir in Nuancen schon oft und immer wieder geführt haben. Ich will meinen Eindruck wiedergeben.

Wenn ich mir den Antrag der Fraktion DIE LINKE und noch mehr die beigelegte Begründung anschaue – zu einzelnen Punkten sage ich noch etwas –, dann könnte man den Eindruck gewinnen, als sei in der gesamten Flüchtlingsarbeit der letzten Wochen und Monate überhaupt nichts geschehen. Wenn ich mir den Antrag anschaue, den die Koalition vorgelegt hat, dann sieht das so aus – den Eindruck könnte man zumindest gewinnen –, als hätten wir angesichts der Flüchtlingsfrage überhaupt nichts mehr zu klären. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Was ist in der Zeit nicht alles schon passiert? Wir tun uns doch hier im Parlament selbst keinen Gefallen, wenn wir die Arbeit von Menschen im Petitionsausschuss, in der Härtefallkommission, im Innenausschuss und in all den Ressorts der Landesregierung, die damit beschäftigt sind, nicht wahrnehmen. Wir tun uns auch keinen Gefallen, wenn wir nicht wahrnehmen, was Bürgerinnen und Bürger in unserem Land in den letzten Monaten an dieser Front vielfach geleistet haben. Das ist großartig, und das dürfen wir nicht zerreden.

(Beifall bei der SPD, der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, wir sind – das war einmal anders – wieder in die alten Muster zurückgefallen. Ich kann das nicht anders sagen. Da kommt eine Gruppe und hält ein Stöckchen hin, und die anderen springen. Das ist diesem Thema – das habe ich hier schon oft gesagt – nicht angemessen.

Wer wäre ich, wenn ich eine Initiative des Kollegen Dr. Spies nicht unterstützen könnte? Wer wäre ich, wenn ich nicht einen Vorschlag von Gesine Schwan für gut befinden würde?

(Clemens Reif (CDU): Alles lupenreine SPDler!)

Wenn Sie das sagen, Herr Reif, gilt das in doppeltem Maße.

(Günter Rudolph (SPD): Wir hätten auch Wolfgang Schuster sagen können! Ein guter Mann!)

Wenn dieses Engagement, das ich übrigens unterstütze, zum Greifen kommt, wären wir doch in der Flüchtlingsfrage bei den Herausforderungen, denen man sich stellen muss, vielleicht ein paar Zentimeter weiter, aber keinen Schritt weiter. Die Menschen, die vor den Grenzen Europas stehen, werden wir nicht mit dem Engagement – ich habe das Engagement eingangs positiv gewürdigt – einiger weniger Kommunen schultern können. Bei dieser Herausforderung – darauf muss unser Bemühen hinauslaufen; das ist ein Teil des Antrags der Koalition – muss Europa endlich in die Puschen kommen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)