Ernst-Ewald Roth
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Ich frage die Landesregierung:
Plant sie, die Landespolizei zukünftig personell wieder so auszustatten, dass für alle Schülerinnen und Schüler in Hessen, auch an Privatschulen, der obligatorische Verkehrserziehungsunterricht mit einer Fahrradprüfung angeboten werden kann?
Herr Minister, nachdem Sie in der Antwort unterschieden haben – dafür bin ich dankbar –, wo ein solcher Unterricht erteilt wird und wo nicht, frage ich Sie: Können Sie sagen, an welchen Stellen und in welchem Umfang dieser Unterricht tatsächlich hessenweit ausgefallen ist?
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn ich das richtig sehe, habe ich in den vergangenen drei Legislaturperioden am häufigsten zu diesem Bericht gesprochen. Nun zeichnet mich auch Altersmilde aus. Insofern will ich nicht auf die Punkte zu sprechen kommen, die vielleicht zu korrigieren wären.
Das tragen wir woanders aus.
Ich will auch nicht all das bestätigen, was in der Tat richtig gesagt worden ist. Ich möchte die Aussage des Kollegen Blechschmidt aufgreifen, der sagte, dass das Petitionsrecht einen eigenen Stellenwert hat und einen eigenen Weg gegangen ist. Das hat mich in der Vorbereitung auf die heutige Sitzung ermutigt, dem noch einmal ein Stück nachzuspüren.
44 vor Christus, an den Iden des Märzes, ist Cäsar ermordet worden. Das geschah im Senat. Wenn man in die Quellen schaut, kann man feststellen, was da passiert ist.
In der Sitzung, in der er ermordet wurde, hat er sich mit einer Bürgereingabe beschäftigt.
So weit geht das zurück. Ich bin froh, dass ich nach drei Legislaturperioden immer noch hier stehen darf.
In der Zeit der römischen Kaiser wurde dieses Recht ein Stück weiter ausgebaut. Vorhin war von Kaisers bzw. Königs Gnaden die Rede. Aber für den Einzelnen, der eine Eingabe gemacht hat, der stattgegeben wurde, war das etwas völlig anderes, als nur Kaisers oder Königs Gnaden zu erleben. Dem wurde konkret geholfen. Das hat sich fortgesetzt, auch in der Zeit des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Bei den Fürsten kann man das wieder feststellen. Es gab diesen Zugang in ganz konkreten Situationen.
Ich möchte aus einem Brief von Friedrich dem Großen an Voltaire zitieren:
Ich für meinen Teil versuche, in meinem Land bloß zu verhindern, dass der Mächtige den Schwachen unterdrückt … Jedermann hat Zutritt zu mir; alle Klagen werden entweder von mir selbst oder von anderen untersucht.
Ich bin froh, seit vielen Jahren zu dieser Gruppe der anderen zu gehören.
Anders erst wird es 1848 in der Pauskirche. In § 48 der Geschäftsordnung der Nationalversammlung taucht zum ersten Mal der Petitionsausschuss auf, und zwar mit folgendem Wortlaut:
Dem Petitionsausschuss ist ein bestimmter Tag in jeder Woche zur Vorlegung seiner Berichte einzuräumen.
Dann kommt es:
Erst nach völliger Erledigung dieser Berichte kann zur anderweitigen Tagesordnung übergegangen werden.
Das halte ich für einen deutlichen Hinweis, wie sehr die Demokratie zu diesem Zeitpunkt daran interessiert war, den Kontakt zum Bürger zu halten und das, was der Bürger einbringt, zu hören.
In der Weimarer Reichsverfassung von 1919 heißt es – das sage ich deshalb, weil vorhin mehrmals von „jedermann“ die Rede war –:
Jeder Deutsche hat das Recht, sich schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständige Behörde oder an die Volksvertretung zu wenden.
Erst nach der Zeit des Nationalsozialismus, also mit Beginn der Bundesrepublik Deutschland, konkret mit der Verabschiedung des Grundgesetzes und natürlich vorher mit der Hessischen Landesverfassung, steht der Text:
Jedermann
statt „jeder Deutsche“; wie gut wäre es, wenn dort auch „jede Frau“ stehen würde –
hat das Recht, sich … an die Volksvertretung zu wenden.
Ich habe diesen historischen Ausflug gemacht, um deutlich zu machen, dass die Geschichte der Demokratie und die Entwicklung des Petitionsrechts eng miteinander verwoben sind.
An dieser Stelle auch von mir ein herzlicher Dank an all diejenigen, die in diesem Bereich gearbeitet haben und arbeiten, im Plenum, im Parlament, in der Verwaltung und in den Ministerien.
Ich möchte noch auf etwas anderes zu sprechen kommen. In diesem Jahr fand die Sprecherkonferenz Petitionen der SPD statt. Einige derjenigen, die ich dort erlebt habe, schauen mit brennender Sorge auf die Länderparlamente und auch auf die neue Situation im Deutschen Bundestag, was das Petitionsrecht und die Petitionsangelegenheiten angeht. Nicht de jure, aber de facto ist durch den Einzug einer neuen Fraktion in verschiedene Parlamente in diesem Bereich schon eine Menge passiert. Es wird unser aller gemeinsamer Anstrengung bedürfen – von da bis da –, dass wir am 28. Oktober alles daransetzen, dass dieses Recht von jedermann und jeder Frau am Ende nicht wieder zurückgeführt wird auf jeden Deutschen.
Wir sind gut beraten, an dieser Stelle wachsam zu sein und alles dafür zu tun, dass wir das erworbene Recht und die Praxis, die wir haben, hochhalten. Denn wer Hand an das Petitionsrecht legt, der schadet der Demokratie. Wenn aber die Demokratie Schaden nimmt, dann leidet das Volk. – Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Als wir den Gesetzentwurf in erster Lesung beraten haben, haben wir dazu gesagt: Damit werden Notwendigkeiten umgesetzt, die sich aufgrund einer neuen Situation in unserem Land ergeben haben. Auf den ersten Blick scheint es keine Probleme zu geben. Wir haben dann gesagt: Vorbehaltlich der Anhörung haben wir keine Probleme damit.
In der Anhörung wurden ein paar Dinge benannt, die aus unserer Sicht doch gravierend sind. Wir waren dann der Meinung, den Gesetzentwurf ablehnen zu müssen.
Zum Glück kam dann die Koalition mit dem Änderungsantrag, der zumindest eine große Frage, die noch im Raum stand, geklärt hat. Mit ihm wurde das Kindeswohl wieder in den Mittelpunkt gerückt und an einer ganz entscheidenden Stelle in den Gesetzentwurf aufgenommen. Deshalb lehnen wir diesen Gesetzentwurf nicht mehr ab. Wir können ihm aber aufgrund mancher Dinge – ich erspare mir und uns, das jetzt im Einzelnen zu nennen –, die in der Anhörung genannt wurden, zum jetzigen Zeitpunkt nicht zustimmen. Wir werden uns der Stimme enthalten.
Letzter Punkt. Das ist mir wichtig. Auf dem 9. November ruht schon einiges. Manches lastet auf ihm. Am letzten 9. November gab es neun Anhörungen zu Gesetzentwürfen, die im Innenausschuss und im Sozial- und Integrationspolitischen Ausschuss nacheinander abgearbeitet wurden. Ich sage das deshalb, weil es bei der Fülle der Themen, die da dran waren, kaum möglich war, Änderungsanträge in einem normalen Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Deshalb kündige ich etwas an. Wenn die Themen, wie Kollege Rock gesagt hat, ganz normal laufen, ist das in Ordnung. Wenn es bei der konkreten Umsetzung durch die Verwaltung Probleme geben sollte, werden wir im kommenden Jahr durch entsprechende Initiativen nachbessern. – Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Auch hier gilt die gleiche Vorbemerkung: Ein so umfangreiches Gesetz mit sehr vielen Detailregelungen kann man nicht innerhalb von sechs Wochen, zumindest nicht als Oppositionsfraktion, durchziehen. Darüber sind wir uns auch im Klaren gewesen. Ich glaube, das bestreitet auch niemand.
Besonders ärgerlich ist bei diesem Gesetz – das hat der Landkreistag sehr deutlich gemacht –, dass es eine Vereinbarung mit den Kommunalen Spitzenverbänden gibt. Sie gilt ab 01.01.2017. Die Kommunen gingen davon aus, dass dann zeitnah dieses Gesetz kommt. Sie kommen jetzt in die Situation, wenn das Gesetz im Dezember in Kraft gesetzt wird, bis alles zusammengetragen wird, womöglich 15 Monate rückwirkend abrechnen zu müssen. Das haben sie deutlich benannt, und das ist – ich will es hier wenigstens gesagt haben – mehr als ärgerlich.
Zwei Punkte zum Gesetz selbst. Der Landkreistag hat seinerseits sehr dafür geworben, dass der zweite Punkt in das Gesetz aufgenommen wird, den ich meinerseits sowohl in der Anhörung wie in der Auswertungssitzung angesprochen habe. Ich verstehe es nicht: Auf Landesebene legen wir sehr großen Wert darauf, dass wir entsprechende Standards – manchmal sagen wir: Mindeststandards – haben. Aber dass wir die Standards der Unterbringung – eben sind ein paar Dinge dazu genannt worden; ich muss mir das nicht alles zu eigen machen – im Gesetz aufgenommen hätten, wäre mehr als wünschenswert gewesen. Deshalb behalten wir uns auch hier vor, im kommenden Jahr entsprechende ergänzende Gesetzesänderungen einzubringen. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich sind es vier Punkte, aber ein Thema. Deshalb versuche ich, dies zunächst ein Stück weit zu strukturieren. Ich beginne mit dem Gesetzentwurf, der es am einfachsten macht. Das ist der Gesetzentwurf, den die Landesregierung eingebracht hat, der notwendig geworden ist, um jetzt ein paar Dinge, die in der Sozialgesetzgebung sozusagen vorgegeben sind, anzupassen. Deshalb stimmen wir – die Berichterstattung hat es schon deutlich gemacht – diesem Gesetzentwurf zu, um das vorweg zu sagen, weil er aus unserer Sicht und aus Sicht vieler Fraktionen im Ausschuss zwingend notwendig ist.
Der zweite Teil ist der Antrag der Fraktion der FDP, die sich mit der Ausbildung von Taubblinden-Assistenten beschäftigt. Das ist ein Thema, das in der Anhörung zu dem eben genannten Gesetzentwurf und zu dem Gesetzentwurf, auf den ich gleich noch zu sprechen kommen werde, noch einmal so richtig aufgeschlagen ist, wenn ich das so sagen darf.
Ich gehe davon aus, dass der Antrag der FDP an den Sozialpolitischen Ausschuss überwiesen wird und wir dort die Gelegenheit haben werden, hierüber ausführlich zu sprechen. Um es vorweg zu nehmen: Er trifft, was uns die Anzuhörenden nahegebracht haben. Wir werden diesem Antrag unsererseits daher auf jeden Fall beitreten.
Dritter Punkt. Ich komme auf den Gesetzentwurf, den ersten, der vorliegt, zu sprechen, also auf den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion, wo es darum geht, im Landesblindengeldgesetz für die Gruppe der Taubblinden ein doppeltes Blindengeld auszuzahlen. Wir haben das hier bereits in erster Lesung besprochen. Als ich den Gesetzentwurf für meine Fraktion einbringen durfte, habe ich auf die Besonderheit dieser Gruppe von behinderten Menschen hingewiesen.
Ich wiederhole mich, wenn ich sage: Das ist nicht die Addition von zwei Behinderungen, also von blind und taub, sondern die Menschen sind so sehr beeinträchtigt, dass wir gar von einer eigenen Behinderung in einem besonderen Maße sprechen müssen, und deshalb haben wir den Gesetzentwurf eingebracht. Nachdem abgefragt worden war, wie viele Menschen es sind, kamen wir – das war die Mel
dung aus dem Sozialministerium – auf 30 Personen. In der Anhörung ist deutlich geworden – ich beschreibe das deshalb so ausführlich –, dass es mindestens zehnmal so viele sind, die sich aber in der Öffentlichkeit nicht zeigen, die gar nicht vor die Tür können, weil sie derart gehandicapt sind, dass sie über weite Strecken vom gesellschaftlichen Leben und von der Teilhabe ausgeschlossen sind. Ich habe bei den vielen Anhörungen, die wir im Sozial- und Integrationspolitischen Ausschuss haben, selten eine so beeindruckende Anhörung erlebt, wo deutlich geworden ist, um welche Personengruppe es sich hier handelt.
Ich sage es noch einmal: Obwohl wir den Gesetzentwurf eingebracht haben und mir dies ein Herzensanliegen war, war mir die Dramatik dieser Thematik nicht bewusst. Bis auf eine Ausnahme, aus guten Gründen, haben die Anzuhörenden unisono gesagt: Ja, in diesem Bereich muss dringend etwas geschehen. – Dass damit das Problem, das diese Menschen haben, nicht gelöst ist, ist auch den Antragstellern bekannt. Das ist all denen hinreichend bekannt, die in diesen Themen unterwegs sind.
Ich kenne das Argument der Koalition, die sagt: Wir kommen doch zu diesen Assistenzleistungen; das ist durch das neue Bundesteilhabegesetz alles geregelt. – Ja, das stimmt, aber noch ist es nicht so. Deshalb ist es uns so wichtig, dass wir hier ein deutliches Zeichen setzen. Wir wollen, dass diese Personengruppe, indem wir ihnen den doppelten Satz des Blindengeldes gewähren, erkennt, dass wir ihre Situation sehen, dass sie von uns gesehen werden und wir darum bemüht sind, ihnen einen Weg zu ebnen, ein Stück weit mehr in diese Gesellschaft hinein. Das ist ein wichtiger Beitrag, den wir für diese Gruppe leisten können und der, wie ich finde, geleistet werden muss.
Ich kenne die Argumentation der Koalition. Über diese wurde sich im Ausschuss ausgetauscht. Aber, ich glaube, es geht Ihnen wie uns, denn wir haben in der Anhörung in der Tat neue Argumente gehört. Wenn es nicht so wäre, wenn es nicht so ist, dann wollen wir Ihnen auf jeden Fall die Gelegenheit geben, weiter darüber nachzudenken. Wir beantragen deshalb jetzt schon die dritte Lesung für dieses Gesetz.
Dem einen Entwurf stimmen wir jetzt zu. Für diesen Gesetzentwurf beantragen wir die dritte Lesung.
Nun komme ich zum vierten und letzten Punkt. Das ist der Dringliche Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der sich im Grunde um diesen Themenkreis bewegt. Nur ein kurzes Wort dazu: Hilfe ist manchmal ganz konkret. – Deshalb glauben wir, dass wir der Gruppe der Taubblinden durch unseren Gesetzentwurf einen größeren Dienst erweisen, als wenn wir all die Prüfaufträge und Sondierungsaufträge abarbeiten, die richtigerweise in diesem Antrag stehen. Ich gehe davon aus, dass hier über diesen Antrag abgestimmt wird. Bei dieser Abstimmung werden wir uns enthalten. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! „Tritt frisch auf! Tu’s Maul auf! Hör bald auf!“ – das ist die kürzeste Rednerschulung, die ich kenne: die Predigtlehre Martin Luthers. Ob das, insbesondere an diesem Ort, immer gelingt – gerade das baldige Aufhören –, sei dahingestellt.
Ich will mit dem Bild anfangen, das Tobias Utter an den Schluss seiner Rede gestellt hat. Wann immer ich in den letzten Wochen durch die Stadt ging, leuchtete mir – zum Glück hoch aufgehängt – ein Plakat entgegen, auf dem Martin Luther zu sehen war. Darunter stand der Satz: „Ich würde NPD wählen – Ich könnte nicht anders.“
Ja, das ist widerlich.
Aber wer das nicht will, muss anderen Dingen Vorschub leisten. Es geht nicht, dass jemand Martin Luther für sich vereinnahmt, glaubt, damit auf Stimmenfang gehen zu können, und ihn dann auch noch völlig falsch zitiert. Der Satz von Martin Luther „Ich stehe hier und kann nicht an
ders“ macht deutlich, dass er zu den zentralen Fragen der damaligen Gesellschaft einen Standpunkt hatte, und auf diesen kommt es an, auch in der heutigen Debatte über diesen Punkt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, lassen Sie mich das humorvoll und heiter sagen: Nachdem es der ehemalige Nachbarbischof, Kardinal Lehmann, im Landtag nur zu einer Aktuellen Stunde mit einer Redezeit von fünf Minuten gebracht hat, haben es die Reformatoren, Martin Luther und all die anderen, jetzt immerhin zum Setzpunkt gebracht, und wir haben die Gelegenheit, darüber zehn Minuten lang zu sprechen.
Aber, ich glaube, es ist nicht angemessen, den Menschen, um die es in der Reformation geht, nur einen Setzpunkt einzuräumen, wo es doch eigentlich – das habe ich eben versucht mit dem Satz deutlich zu machen, ich habe das Anliegen verstanden – auf den Standpunkt ankommt. Wenn Luther und all die anderen nicht widerstanden hätten, wären die Geschichte unseres Landes und die Geschichte Europas und darüber hinaus an vielen Stellen anders gelaufen. Das ist unbestritten. Dennoch ist die Frage gestattet, und ich frage das bewusst als Theologe: Darf man theologische und politische Aussagen so einfach in einen Zusammenhang bringen, wie es unter anderem in dem Entschließungsantrag an der einen oder anderen Stelle passiert ist?
Das schmälert aber das Verdienst der Reformation nicht, ganz im Gegenteil. Ich will auf einen Punkt konkret eingehen: Am Ende wird das Gemeinsame betont, das durch die Reformation gekommen sei. Stellen wir miteinander aber doch fest: Zunächst ist die Reformation Trennung, Spaltung und Schisma, wie manche sagen. Das ist so; und beide Kirchen leiden darunter bis heute, dass das so ist. Dass im letzten Jahrhundert ökumenische Bewegungen wirklich in Gang gekommen sind, darüber kann sich doch jeder nur freuen, der am gesellschaftlichen Zusammenleben in unserem Land Interesse hat. Natürlich ist das so.
Aber erinnern wir uns an den Anfang. Als Jesuitenschüler bin ich mit Ignatius von Loyola und seinen Schriften sehr vertraut. Dieser sprach vom Protestantismus immer wieder als „Gift“ und als „Krebsgeschwür“. Im Gegenzug sprach Martin Luther, wenn er vom Papst sprach, von dem „Dreck, den der Teufel in die Kirche geschissen hat“. Das ist die Realität, von der die Reformation ihren Ausgang genommen hat.
Damit habe ich noch nicht die gesellschaftlichen Situationen beschrieben, die damals galten und die mit dazu geführt haben. Das Reformationsjubiläum heute, 500 Jahre später, hat einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass wir versöhnter und versöhnlicher mit dieser Geschichte umgehen können. Die evangelische Kirche war vom Anfang der Vorbereitungen dieses Jubiläums an darum bemüht, diese 500 Jahre nicht triumphalistisch zu feiern. Ich finde, das ist ihr gelungen. Eher nachdenklich – Tobias Utter hat es angesprochen – ist der Umgang mit der Judenfrage. Das Jubiläum begann mit einem Schuldbekenntnis, also alles andere als triumphalistisch; und sie hat es ökumenisch angelegt, um gerade nicht die 500 Jahre Trennung zu feiern, sondern das Gemeinsame in dieser Zeit in den Mittelpunkt zu stellen. Das ist bewundernswert.
Dass das Land Hessen – das will niemand leugnen, und das verschweigt auch niemand – einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, dass wir solch ein kulturelles Erbe in unserem Land pflegen und weitertragen, das mit so einer Einrichtung wie dem Lutherweg unterstützt wurde, erkennen und anerkennen wir. Das ist überhaupt keine Frage. Wenn gestern Kardinal Marx bei der Bischofskonferenz festgestellt hat, dass es eigentlich nichts Kirchentrennendes mehr gibt, ist das ein weiterer Beleg dafür, wie eng diese Gruppierungen in dieser Gesellschaft zusammengekommen sind – wohl wissend, dass es dennoch zwei getrennte Konfessionen sind.
In dem Entschließungsantrag der Koalition – das soll mein letzter Punkt sein – steht etwas von Vielfalt, Pluralität und Toleranz. – Ja, da sind wir heute angekommen; dies aber der Reformation selbst zuzuschreiben, ist, bei allem positiven Blick darauf, falsch.
Pluralität und Toleranz sind keine Kinder der Reformation, allenfalls deren Urenkel. Das hat sich im Laufe der Zeit entwickelt, und wir sind Gott sei Dank dorthin gekommen. Aber die Reformation selbst war davon weit entfernt. Das sagt nichts gegen irgendeine Kirche oder für eine – ganz im Gegenteil –, man muss nur die geschichtliche Wirklichkeit im Blick behalten.
Ich darf abschließend sagen: Kein anderer Deutscher hat die Geschichte Europas zwischen Mittelalter und Moderne stärker geprägt als Martin Luther. Der Mönch von Wittenberg hat dem Kaiser, dem Papst und der Kirche die Stirn geboten. Er hat die universale Reform der Christenheit gewollt, aber – das sage nicht ich; das sagt einer der europäischen Historiker – den Protestantismus begründet.
Kolleginnen und Kollegen, ich erinnere mich gut an die drei Vorträge, die wir auf Einladung des Landtagspräsidenten im Zusammenhang mit dem Ersten und Zweiten Weltkrieg sowie der Wiedervereinigung hatten, die in den Mittagspausen der Landtagsdebatten stattgefunden haben. Das war großartig. Ich selbst bin nicht auf die Idee gekommen, aber es wäre ein angemessenes Zeichen gewesen, einen solchen Vortrag in der Mittagsstunde zu halten, um sich mit Reformation und Reformationsgeschichte auseinanderzusetzen.
Bei aller Zustimmung zu dem einen oder anderen Inhalt halten meine Fraktion und ich es nach wie vor für falsch, dass wir dies im normalen parlamentarischen Alltag diskutieren. Denn wie sollen wir am Ende in einem Entschließungsantrag gegen oder für Reformation, gegen oder für Reformationsgeschichte abstimmen? Deshalb werden wir uns an der Abstimmung über die Anträge nicht beteiligen.
Von den vielen Büchern zur Reformation und Reformationsgeschichte, die ich kenne, möchte ich noch auf das Buch von Heinz Schilling mit dem Titel „Martin Luther: Rebell in einer Zeit des Umbruchs“ hinweisen. Wer das von vorne bis hinten gelesen hat, kann nur zu dem Ergebnis kommen, dass wir gut beraten sind, auf die Trennung von Kirche und Staat größten Wert zu legen, damit sich die Dinge in unserem Land nicht vermischen.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist heute Nachmittag der zweite Gesetzentwurf, der sich mit der ganz großen, ja, ich möchte sagen, der größten Herausforderung für unsere Gesellschaft in dieser Legislaturperiode beschäftigt: die Aufnahme und die Integration von Flüchtlingen.
Der Gesetzentwurf ist durch die Koalitionsfraktionen eingebracht. Ich will in der gebotenen Kürze vier bis fünf Punkte nennen, die aus meiner Sicht für die erste Lesung wichtig sind.
Der erste Punkt, der in diesem Zusammenhang zu nennen ist: Das Landesaufnahmegesetz scheint, das war nicht zu allen Zeiten und nicht immer im ersten Anlauf so, für die Kommunen keine Nachteile zu bringen. Das ist eine wichtige und gute Feststellung.
Zweitens. Die Grenze, die überschritten werden muss, wenn es um die Kostenerstattung in der Krankenhilfe geht, ist um 226 € gesenkt worden. Das hört sich viel an, aber wenn man weiß, dass sie von 10.226 € auf 10.000 € gesenkt wurde, dann müsste man im Gesetzgebungsverfahren noch einmal darüber nachdenken, ob es für die Kommunen nicht vielleicht eine bessere Lösung geben kann.
Der dritte Punkt, den ich nennen möchte: Ganz positiv ist, dass es nun die Möglichkeit gibt, Abschlagszahlungen bis zu 90 % der im Abrechnungszeitraum zu erwartenden Erstattungen zu beantragen. Das ist für die Kommunen sehr gut.
Gleichzeitig gibt es aber aus meiner Sicht so viele Fristen, mehr als bisher, dass zumindest die Gefahr besteht, dass die Abrechnung komplizierter werden könnte. Auch darüber wird man im Gesetzgebungsverfahren noch sprechen müssen.
Aus Sicht der Kommunen scheint es auch gut zu sein, dass die Unterbringungsgebührensatzung jetzt im Sinne der Ermächtigung möglich ist.
Gewundert hat mich, dass es hierbei nicht zu einem Regierungsgesetzentwurf gekommen ist, sondern dass die Fraktionen den Entwurf eingebracht haben. Deshalb sagen wir: Wir brauchen unbedingt, weil wir nicht auf eine Regierungsanhörung zurückgreifen können, die schriftliche und die mündliche Anhörung in dieser Frage. Dann haben auch die Kommunen die Möglichkeit, vorzutragen – ich nenne hier ganz besonders die Städte; die Stadt, in der wir uns befinden, hat dieses Problem auch –, dass sie die Flüchtlinge in ordentlichen Gemeinschaftsunterkünften unterbringen und dass sie auskömmlich finanziert werden.
Daran gibt es immer wieder Zweifel. Das könnte im Gesetzgebungsverfahren mit geklärt werden. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es liegen zwei Anträge zu einer Debatte vor, die wir in Nuancen schon oft und immer wieder geführt haben. Ich will meinen Eindruck wiedergeben.
Wenn ich mir den Antrag der Fraktion DIE LINKE und noch mehr die beigelegte Begründung anschaue – zu einzelnen Punkten sage ich noch etwas –, dann könnte man den Eindruck gewinnen, als sei in der gesamten Flüchtlingsarbeit der letzten Wochen und Monate überhaupt nichts geschehen. Wenn ich mir den Antrag anschaue, den die Koalition vorgelegt hat, dann sieht das so aus – den Eindruck könnte man zumindest gewinnen –, als hätten wir angesichts der Flüchtlingsfrage überhaupt nichts mehr zu klären. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Was ist in der Zeit nicht alles schon passiert? Wir tun uns doch hier im Parlament selbst keinen Gefallen, wenn wir die Arbeit von Menschen im Petitionsausschuss, in der Härtefallkommission, im Innenausschuss und in all den Ressorts der Landesregierung, die damit beschäftigt sind, nicht wahrnehmen. Wir tun uns auch keinen Gefallen, wenn wir nicht wahrnehmen, was Bürgerinnen und Bürger in unserem Land in den letzten Monaten an dieser Front vielfach geleistet haben. Das ist großartig, und das dürfen wir nicht zerreden.
Ich glaube, wir sind – das war einmal anders – wieder in die alten Muster zurückgefallen. Ich kann das nicht anders sagen. Da kommt eine Gruppe und hält ein Stöckchen hin, und die anderen springen. Das ist diesem Thema – das habe ich hier schon oft gesagt – nicht angemessen.
Wer wäre ich, wenn ich eine Initiative des Kollegen Dr. Spies nicht unterstützen könnte? Wer wäre ich, wenn ich nicht einen Vorschlag von Gesine Schwan für gut befinden würde?
Wenn Sie das sagen, Herr Reif, gilt das in doppeltem Maße.
Wenn dieses Engagement, das ich übrigens unterstütze, zum Greifen kommt, wären wir doch in der Flüchtlingsfrage bei den Herausforderungen, denen man sich stellen muss, vielleicht ein paar Zentimeter weiter, aber keinen Schritt weiter. Die Menschen, die vor den Grenzen Europas stehen, werden wir nicht mit dem Engagement – ich habe das Engagement eingangs positiv gewürdigt – einiger weniger Kommunen schultern können. Bei dieser Herausforderung – darauf muss unser Bemühen hinauslaufen; das ist ein Teil des Antrags der Koalition – muss Europa endlich in die Puschen kommen.
Es muss endlich etwas passieren – auch das ist gesagt worden –, damit nicht Tausende Menschen im großen Grab Mittelmeer ertrinken.
Ich unterstütze nicht die Vokabeln, die in diesem Zusammenhang genannt worden sind, aber ich möchte noch einen Punkt nennen. Welchen Aufschrei, welche Betroffenheit und welche Entrüstung gibt es in unserem Land – ich weiß, dass man das nicht gegeneinander ausspielen kann –, wenn im Mittelmeer ein Kreuzfahrtschiff sinkt. Dann ist die Klage groß. Ich vermisse diese Klage bei der deutlich größeren Zahl von Menschen, die über dieses Meer kommen, das andere Ufer aber nicht erreichen.
Dieses grundsätzliche Problem bekommen wir nicht in den Griff durch das Engagement – so lobenswert es auch ist – einiger Kommunen. Es muss eine andere, eine weitreichendere Entscheidung getroffen werden. Ich habe in diesem Zusammenhang Europa genannt. Dass in diesem Zusammenhang Deutschland vorbildlich ist und Hessen ganz viel gemacht hat, habe ich hier schon mehrfach gesagt und will ich heute noch einmal deutlich sagen. Das ist unbestritten. Ich will die eigene Arbeit und das eigene Bemühen in dieser Frage nicht selbst infrage stellen.
Abschließend möchte ich noch etwas zum Thema Kirchenasyl sagen, zu dem auch der Kollege Blechschmidt bereits ausführlich etwas gesagt hat. Ich habe einmal selbst Kirchenasyl durchgeführt, und zwar als Solitär. Es gab nicht 50 oder 60 andere, die das auch gemacht haben. Das auszuhalten, stellt eine verdammt harte Situation dar. Wenn man das tut, ist man isoliert. All diejenigen, die einem dabei zujubeln und meinen, das müsse doch jetzt so sein, sind
anschließend in den Büschen. Das ist eine schwierige Entscheidung.
Kollege Blechschmidt hat es angesprochen. Beim Kirchentag in der letzten Woche habe ich mit dem Menschen bei der EKD, der das mit dem BAMF und dem Bundesinnenministerium verhandelt, ein ausführliches Gespräch geführt, wie das mit dem Kirchenasyl aussieht. Dazu gibt es kein verbrieftes Recht. Der Begriff ist genannt worden. Aufgrund der guten Tradition, die es in dieser Frage gibt, wird das mitgetragen bzw. wird das geduldet. Rechtlich kann man in diesem Zusammenhang aber nicht argumentieren.
Bei diesem Thema wäre es angemessen, wir würden uns im Ausschuss die Zeit nehmen,
die Punkte zu diskutieren, bei denen es noch offene Fragen gibt. Hiervon gibt es noch ganz viele. Außerdem sollten wir gemeinsam anerkennen, was wir in diesem Bereich geschafft haben. Das ist für die Betroffenen gut, und das ist für uns selbst sehr gut. – Danke.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wieder einmal Flüchtlinge, wieder einmal Afghanistan. Sie wissen, dass ich einer Flüchtlingsdebatte nicht ausweiche und bisher
nicht ausgewichen bin. Aber die Frage heute stellt sich: Muss die Debatte zu diesem Zeitpunkt sein?
Denn wenn wir im Petitionsausschuss wären, hätte ich zu dem Antrag der LINKEN und der Kollegin Öztürk gesagt, die Sache ist erledigt, da dem Anliegen Rechnung getragen ist.
Alle Dinge, die in dem Antrag der Koalition aufgelistet sind – bis auf einen Punkt, den ersten –, haben wir hier in verschiedenen Anträgen schon gelesen, sind beschlossen worden, also Geschäftsgrundlage in diesem Haus. Ausdrücklich will ich den ersten Punkt des Koalitionsantrags herausnehmen und auch für meine Fraktion sagen, dass wir der Opfer des Anschlags heute Morgen gedenken, dass wir ihren Tod beklagen, und ich will ausdrücklich hinzufügen, dass wir aber auch die anklagen, die dies tun und die für dieses Tun die Verantwortung tragen. Wann endlich hat dieses sinnlose Morden ein Ende?
Nun zur inhaltlichen Position. Da geht es mir ähnlich wie der Kollegin Wallmann. In den Debatten um Afghanistan habe ich mehrmals die Position meiner Fraktion dargelegt. Wenn ich zugrunde lege, dass wir eine Anerkennungsquote, eine Schutzquote, bei afghanischen Flüchtlingen von um die 50 % haben, dann ist damit deutlich – auch bei denen, die das zu entscheiden haben –, was in diesem Land los ist. Da kann man von einem sicheren Land oder von sicheren Regionen in diesem Land kaum reden.
Deshalb haben wir deutlich gesagt: zu diesem Zeitpunkt, solange das nicht geklärt ist und solange die Verhältnisse dort sind, wie sie sind, keine Abschiebung dorthin.
Ich will persönlich einen Punkt hinzufügen. Da mag ich mich auch von vielen anderen hier unterscheiden. Natürlich weiß ich um den Unterschied zwischen Straftätern und anderen. Aber wenn wir sagen, aus humanitären Gründen ist das nicht möglich, dann fällt es mir schwer, zu sagen: Aber Straftäter dürfen wir hinschicken.
Von daher noch einmal die Erinnerung an unsere Position in der Frage. An der hat sich nichts geändert. Wir von der SPD-Fraktion sind klar entschieden: bei den jetzigen Verhältnissen keine Abschiebung nach Afghanistan.
Ich frage die Landesregierung:
Welche Personengruppen unter den derzeit in Hessen lebenden vollziehbar ausreisepflichtigen afghanischen Staatsangehörigen kommen für Sammelabschiebungen nach Afghanistan bis auf Weiteres nicht infrage?
Herr Minister, Sie haben auf die verschiedenen Debatten zu diesem Thema hingewiesen. In einer dieser Debatten wurde vom Kollegen Bocklet für die Koalition gesagt, dass nur Straftäter nach Afghanistan abgeschoben werden. Das steht für meine Begriffe im Widerspruch zu dem, was Sie eben auf meine erste Frage geantwortet haben. Ist das so?
Herr Minister, noch einmal zu meiner Eingangsfrage: Das heißt, es werden vorrangig und zuerst Straftäter abgeschoben, aber nicht nur. Habe ich das richtig verstanden?
Ich frage die Landesregierung:
Ist es zutreffend, dass in Hessen jugendliche bzw. junge volljährige Flüchtlinge, die an Maßnahmen des InteA-Programms teilnehmen, abgeschoben wurden?
Vielen Dank, Herr Minister. – Können Sie etwas dazu sagen – wir reden nicht über freiwillig Ausgereiste, die Frage bezieht sich auf Abgeschobene –, aufgrund welcher Rechtsgrundlage dies in den vorliegenden Fällen geschehen ist?
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, in der Debatte ist es notwendig, erst darüber zu sprechen, worüber wir heute nicht reden. Wir reden erstens nicht über ein laufendes Petitionsverfahren, das noch im Petitionsausschuss ansteht und dort aus guten Gründen beraten und abgestimmt wird und am Ende ins Plenum kommt. Das könnte frühestens in der nächsten Plenarrunde geschehen. Wir reden zweitens nicht über eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gießen vom 1. März. Wir reden drittens nicht über eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, ebenfalls vom 1. März dieses Jahres.
Herr Kollege Bocklet, wir reden auch nicht über eine abgeschlossene Petition, die es in der Tat gegeben hat. Dazu hat der Kollege Richtiges gesagt. Das war die letzte Entscheidung der 18. Wahlperiode; bevor wir hier hinausgingen, haben wir über diese Petition abgestimmt. Das Ergebnis war so, wie es Herr Kollege Bocklet beschrieben hat.
Zur Sache, die jetzt ansteht. Die Person, um die es geht, ist vollziehbar ausreisepflichtig. Daran ist überhaupt nichts zu deuteln.
Dennoch steht die Frage an: Wie wird diese Abschiebung vollzogen? Da habe ich überhaupt keine Schuldzuweisung an das Innenministerium, da habe ich Klärungsbedarf. Um das im Petitionsausschuss angemessen beurteilen zu können, muss ich mehr über die konkrete Situation erfahren. Durch die Medienberichterstattung sind ganz viele Fragen aufgeworfen worden, die wir deutlich beantwortet haben müssen. Wie war denn das Zusammenspiel zwischen der Ausländerbehörde vor Ort und der zentralen Ausländerbehörde des Regierungspräsidiums Darmstadt?
Zweitens. Die Medien sagen, er sei aus der Psychiatrie abgeschoben worden. Wie ist er denn aus der Psychiatrie herausgekommen? – Die einen sagen mir, er sei einbestellt worden. Andere sagen, er sei freiwillig gekommen, aber zufällig sei die Polizei da gewesen. Ein paar Dinge sind also zu klären. Herr Minister, vielleicht können Sie es heute klären, es muss aber heute nicht sein. Es wäre aber gut, wenn wir die Informationen im Petitionsausschuss hätten, wegen mir auch ergänzend im Innenausschuss. Aber derzeit liegt die Petition im Petitionsausschuss, und dort wäre die Antwort zu geben.
Was ist da alles im Ablauf passiert? – An der Vollziehbarkeit ist nichts zu deuten. Aber es stellt sich dann die Frage, wie das mit dem Schutz ist, wenn er noch krank ist und sich in der Klinik aufhält – er ist reisefähig, gar keine Frage. Dann muss man mit diesem Thema sorgsamer umgehen, als es offensichtlich in diesem Fall geschehen ist.
Es muss in diesem Zusammenhang auch gesagt werden: Wir klagen nicht darüber, dass es zu viele Ärzte gibt, die sich gerade um diese Menschen kümmern. Ich kenne Herrn Prof. Gallhofer persönlich aus vielen Situationen, in denen es um Abschiebungen ging. Dabei hat er hilfreiche und weiterführende Gutachten erstellt, die den Betroffenen und den Behörden geholfen haben. Ich verstehe überhaupt nicht, dass in einer so angespannten Situation von einem Landkreis gegen diese Person Klage geführt wird. – Ich danke Ihnen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir einen kurzen Blick in die 18. Wahlperiode. Damals haben wir uns gemeinsam darüber gefreut, dass es uns an irgendeinem Punkt gelungen ist, die Residenzpflicht aufzuheben. Das war
einstimmig. Das ist wichtig, damit wir die Wohnsitzauflage richtig einordnen. Es ging darum, dass wir festgestellt haben: Die Residenzpflicht ist über weite Strecken integrationshemmend, weil die Menschen dort gelebt haben, wo der Arbeitsplatz nicht gegeben war – um einmal ein Beispiel zu nennen. Wir haben versucht, so viel Flexibilität und Mobilität hineinzubringen, dass es am Ende funktioniert. Das ist wichtig.
Wenn wir die Wohnsitzauflage, wie sie jetzt möglich ist – sie muss noch konkret ausgestaltet werden –, richtig einordnen wollen, stellen wir fest: Der Bund hat seine Entscheidung getroffen, was die Zuweisung zu den Ländern angeht. Innerhalb unseres Bundeslandes haben wir dies jetzt für uns zu regeln. Der Bund nennt aber Kriterien. Er sagt nicht, die Wohnsitzauflage sei einfach eine Form der Wohnraumbewirtschaftung, nämlich dass wir Flüchtlinge in Gebiete schicken, wo es freien oder leer stehenden Wohnraum gibt. Ich will all diese Kriterien in dem einen, vielleicht ethischen Satz zusammenfassen: Am Ende kommt es darauf an, dass es allen gut geht, dass die Integration gelingt, dass Wohnung und Arbeit zusammenpassen und dass andere Integrationsmaßnahmen dabei im Blick sind.
Daher ist es gut, dass jetzt noch abgewogen wird, dass noch Kriterien benannt werden und dass die Landesregierung bei diesem Vorhaben konkret wird. Wenn die Dinge konkret vorliegen, müssen wir entscheiden, welchen Weg wir bei dieser Frage gemeinsam gehen wollen.
Eines will ich noch nennen. Der Bund nennt zwei Möglichkeiten, zum einen positiv die Wohnsitzzuweisung und zum anderen negativ den Ausschluss eines Zuzugs in ein bestimmtes Gebiet – Ballungsraum –, um Segregation zu vermeiden. Ohne groß zu prüfen, und in Kenntnis der hessischen Landschaft meine ich sagen zu können, dass wir den Ausschluss auf keinen Fall brauchen. Wie wir die positive Möglichkeit gestalten, darüber können wir künftig noch im Ausschuss sprechen.
Ich möchte noch einen Satz in eigener Sache sagen, weil sicher noch eine halbe Minute Redezeit vorhanden ist. – Sogar noch eine Minute, die ich aber nicht brauchen werde.
Wir haben heute in zwei unterschiedlichen Debatten, einmal in der Debatte zur Aktuellen Stunde und einmal in der Debatte über die Freilassung des Journalisten Deniz Yücel, von der Landesregierung eine Bewertung gehört, in der ersten Debatte vom Innenminister, wobei sich das auf mich bezog, und in der anderen Debatte von der Europaministerin, wobei sie sich auf den türkischen Staatspräsidenten bezog. In beiden Fällen sind die gleichen Worte und die gleichen Vokabeln gebraucht worden, nämlich „fehlende Rechtsstaatlichkeit“ bzw. „fehlendes Bekenntnis zum Rechtsstaat“. Für diese Gleichsetzung möchte ich mich ausdrücklich bedanken.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Wiesbadener Abgeordneten haben gemeinsam, dass sie stark erkältet sind.
Zunächst möchte ich auf die Historie dieses Themas zu sprechen kommen. Das wurde von einigen schon angesprochen. In den Neunzigerjahren bis Anfang 2000 gab es im Stadtparlament eine große Mehrheit für die Errichtung der Stadtbahn. Dann nutzte die FDP im Kommunalwahlkampf 2001 die Gunst der Stunde und hat das zum Wahlkampfthema gemacht. Sie hat dann in der Tat in dieser Stadt stark dazugewonnen.
Kollegin Wissler, das muss in der Tat der Aufrichtigkeit wegen wirklich gesagt werden: Danach gab es eine Gestaltungsmehrheit in dieser Stadt aus CDU, FDP und einem Republikaner, die dieses Projekt dann gestoppt hat.
Zweiter Versuch. Vor knapp fünf Jahren gab es eine Neuauflage unter der Überschrift „Regiobahn“ – eine Initiative der Stadtentwicklungsdezernentin Möricke. Das ist gescheitert – in der Tat nicht an der FDP, aber an einem FDP-Minister, der jetzt hier im Hessischen Landtag Fraktionsvorsitzender ist.
Dritter Versuch. ESWE-Verkehr im September 2016 – jetzt heißt das ganze Projekt Citybahn. Es ist erfreulich, dass sieben von acht Fraktionen im Stadtparlament dieses
Projekt unterstützen und einen Brief an den amtierenden Wirtschafts- und Verkehrsminister unterschrieben haben, der sich dieses Projekts angenommen und 15 % der Planungskosten in Aussicht gestellt hat. Ich könnte jetzt aus meiner Fraktion viele Namen nennen, die sich meinem Dank anschließen.
Von den vielen Dingen, die von den Vorrednerinnen richtig benannt wurden, will ich wenigstens noch zwei Punkte nennen. Wir gehen derzeit von einem Fahrgastaufkommen von 82.000 Personen täglich aus, darunter 22.000 neue, die vom Auto auf den ÖPNV umsteigen. Die anderen Projekte, was die Senkung der Schadstoffbelastung und viele andere Punkte mehr angeht, sind genannt.
Ich sage das jetzt an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen der GRÜNEN: Wir wünschen uns, dass die Citybahn ins Rollen kommt, aber wir sind in einem weit entfernten Stadium. Frau Wallmann hat es angesprochen. Die Stadtverordnetenversammlung hat das am 16. Februar Gott sei Dank beschlossen. Mein Wiesbadener Parteivorsitzender hat gesagt: Wir entscheiden heute nicht über die Details der Streckenführung, nicht über die Standorte der Haltestellen, nicht über die Taktung der Bahnen, nicht über Rasengleise, nicht über Oberleitungen und nicht darüber, ob der Grundwasserschutz gewahrt ist oder ob und welche Buslinien in Zukunft anders fahren werden. Wir entscheiden heute einzig und allein über eine Vor- und Entwurfsplanung, die Vorbereitung der Gründung einer Citybahn GmbH und die Bereitstellung von Mitteln für dieses Projekt.
Die Vorplanung ist entschieden. Wir alle wissen aus anderen Projekten im Lande Hessen, bei denen schon Bagger gerollt sind, wo wir jetzt stehen. Hier ist es so: Ich hoffe, dass die Citybahn ins Rollen kommt, aber wir sind noch weit davon entfernt.
Ein Punkt unter vielen, der in der Kritik der FDP zu allen Zeiten eine Rolle gespielt hat, war das Schotterbett in dieser Stadt. Da wird ein Schotterhaufen quer durch die Stadt gezogen – das kann man vergessen. Mir fallen dabei Hänsel und Gretel ein, die eine Kiesspur gezogen haben
ja, das gab es schon –, damit sie wussten, wie sie von A nach B wieder zurückfinden. Herr Kollege Lenders, so wie Sie es gesagt haben, kann man nicht irgendwo in den Bus einsteigen. Man muss sich da schon orientieren. – Ich danke Ihnen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich sage es der Vollständigkeit halber schon einmal am Anfang. Ich glaube, ich bin in den letzten neun Jahren hier keiner flüchtlingspolitischen Debatte ausgewichen. Als ich diese Aktuelle Stunde heute gesehen habe, habe ich mich aber gefragt: Um was geht es da? Es gibt keinen Antrag. Dann muss man sich mit der Überschrift zufriedengeben. Aber die spricht Bände: „Regierung Bouffier muss endlich Doppelbezug von öffentlichen Leistungen stoppen“. – Dann kommt der Zusammenhang. Das ist das eigentlich Perfide und Unerträgliche. „Vollständige Registrierung von Flüchtlingen zügig umsetzen und Datenabgleich ermöglichen“ – natürlich brauchen wir das Zweite. Das ist in den Debatten der letzten Monate immer wieder Thema gewesen. Aber den Zusammenhang herzustellen, dass es mas
senhaften Missbrauch – Doppelbezug – gebe, und den mit den Flüchtlingen in Verbindung zu bringen, ist unerträglich.
Die Frage spielte bereits in der letzten Sitzung des Sozialund Integrationspolitischen Ausschusses eine Rolle. Daraufhin gab es eine Antwort des Ministers in Form eines Briefes an alle Fraktionen. Er ist von den Vorrednern schon genannt worden. Der Brief beantwortet für mich die Fragen. Er sagt auch, wo noch Klärungspunkte sind; aber er erwähnt auch, dass die nicht vom Hessischen Landtag zur klären sind.
Nein. – Ich will das deshalb sagen. Ich musste von meinem Arbeitskreiskreis – –
Das suggerieren Sie. – Ich musste von meinem Arbeitskreissprecher buchstäblich genötigt werden, zu diesem Punkt zu reden.
Ich hätte heute am liebsten keine Wortmeldung abgegeben, weil ich mich an diesem Spiel, das hier passiert, an der Stelle nicht beteiligten wollte. – Danke schön.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der Vorbereitung auf diesen Gesetzentwurf haben wir, die Kollegin Dr. Sommer und ich, eine Kleine Anfrage an die Landesregierung gerichtet mit Datum 15. Juli 2016, wo wir ein paar Zahlen und ein paar Bedingungen abgefragt haben, die der Minister uns dann sehr ausführlich beantwortet hat.
Außerdem liegt die Kleine Anfrage des Kollegen Rock vom 07.02.2017 vor. Es geht um die gleiche Fragestellung. Um es einzugrenzen, geht es konkret um 30 Personen in Hessen, die von dieser Gesetzesänderung betroffen sind. Das sind 30 Personen, die wir Taubblinde nennen. Bisher wurde das so geführt: Da gab es Blinde und Gehörlose, und dann gab es die 30 Personen, für die beides zutrifft. – Mittlerweile wissen wir aber, dass Taubblindheit eine Behinderung ist, die mehr ist als die Summe von Blindheit und Taubheit. Wenn man sich damit beschäftigt, wird einem das sehr bewusst.
Während die einen, beispielsweise die Gehörlosen, vieles von ihrem Handicap dadurch ausgleichen können, dass sie mit den Augen wahrnehmen – oder umgekehrt –, ist genau dieser Gruppe dies überhaupt nicht möglich. Sie sind in ihrem Alltag noch einmal viel deutlicher eingeschränkt als die Gruppen, die ich eben genannt habe.
Taubblindheit ist der Begriff, den Betroffene weltweit als Bezeichnung für ihr eigenes Handicap, für ihre spezielle Behinderung propagieren. Taubblindheit wurde 2004 vom Europäischen Parlament als Behinderung eigener Art anerkannt. Taubblindheit ist nach Auffassung des Bundesteilhabegesetzes, das mittlerweile verabschiedet ist, auch ein fester Bestandteil und eine feste Terminologie.
Konkret: Wir wollen mit diesem Gesetzentwurf folgenden Passus in das zurzeit gültige Gesetz einfügen, einen einzigen Satz:
Leistungsberechtigte Personen nach § 2, die taubblind sind, erhalten jeweils den doppelten Betrag nach Abs. 1. Taubblind ist ein blinder Mensch im Sinne von Satz 1 mit vollständigem Hörverlust oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit. Eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit liegt bei einem Hörverlust von mindestens 80 % vor.
Dabei haben wir uns an den Sätzen und den Graden orientiert, die derzeit in unserem Land Gültigkeit haben.
Wir schlagen vor, dass diese Menschen den doppelten Satz des Landesblindengeldes bekommen. Derzeit beträgt das Landesblindengeld monatlich 586,26 €. Wenn man diesen Betrag verdoppelt und mal 30 nimmt, kommen wir im Jahr auf eine Summe von 210.000 € an Mehraufwendungen, die beim Landeswohlfahrtsverband anfallen.
Aber wenn der Landeswohlfahrtsverband diese Summe auszahlen will und damit Menschen überhaupt die Möglichkeit haben, den Antrag zu stellen, muss es diesen gesetzlichen Rahmen geben. Deshalb haben wir nur diesen einen einzigen Punkt jetzt in die Änderung aufgenommen, damit möglichst schnell die Auszahlung dieses doppelten Satzes möglich ist.
Dass darüber hinaus auch noch das eine oder andere im Zusammenhang mit dem Bundesteilhabegesetz und mit dem Aktionsplan, der von der Landesregierung für 2017 angekündigt ist, zu klären ist, haben wir außen vor gelassen. Darüber wird man dann, wenn der Text der Landesregierung vorliegt, gesondert reden. Aber dieser Punkt war uns aus dem Gespräch mit den Betroffenen so wichtig, dass wir ihn vorziehen.
Wir bitten um Zustimmung, wenn wir in der Ausschussberatung bzw. in der Gesetzesberatung sind, dass sich möglichst alle Fraktionen diesem konkreten Vorhaben anschließen. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Als ich mich gestern auf die Aktuelle Stunde der FDP vorbereitet habe, habe ich einmal ins Netz hineingeschaut und nachgesehen, was der Landtag zu diesem Thema bereithält. Dabei ist mir aufgefallen – da gab es die beiden Anträge, die jetzt auf dem Tisch liegen, noch nicht –, dass wir in dieser Legisla
turperiode 308 parlamentarische Initiativen zu Flüchtlingsfragen hatten. Ich frage mich – wenn ich höre, was die Kolleginnen und Kollegen allesamt gesagt haben – , ob wir beide Anträge heute tatsächlich gebraucht hätten.
Ich erinnere mich sehr wohl an das Datum – es war der 4. Februar 2016 –, als mein Fraktionsvorsitzender zu diesem Thema – andere auch, aber er für uns – gesprochen hat. Wenn es sonst schon keiner tut, tue ich es. Ich darf zitieren:
Die Ausweitung des Konzepts der sicheren Herkunftsstaaten auf die Maghreb-Staaten ist umstritten, auch in meiner eigenen Partei.
Dann fügt er hinzu:
Um ein wichtiges Missverständnis auszuräumen, will ich es am Anfang gleich sagen: Die Einstufung von sicheren Herkunftsstaaten führt ausdrücklich nicht zur Aussetzung des Art. 16a und des individuellen Rechtsanspruchs.
Kolleginnen und Kollegen, damit ist die gesamte Thematik, um die es geht, eigentlich beschrieben.
Was uns dann beschäftigt, wozu sich der Bundestag zu verhalten hat – ich habe die Einschränkung erwähnt –: Am Ende ist es ein Kompromiss. Und bei Kompromissen ist es immer so, dass die einen, die mit einer festen Position hineingehen und die anderen, die mit einer festen Position hineingehen, am Ende so nicht wieder herauskommen. Ich glaube, dass der in dieser Frage vorgelegte Entwurf – und wir reden hier nur über Maghreb, nicht über Westbalkan, wir reden nicht über Afghanistan, was der Bundesinnenminister im Kopf hatte oder hat, wir reden nur über Maghreb –, zu dem man sich verhalten muss, ein solcher Kompromiss ist.
Ich will allerdings auch nicht verhehlen, dass es zwingend notwendig ist – auch diese Stichworte sind eben gefallen – und im Zusammenhang mit den sicheren Herkunftsstaaten umso notwendiger wird, über die Themen Einwanderungsgesetz und Zuwanderung viel deutlicher zu reden, als wir es bisher tun.
Ein vierter und für mich letzter Punkt, auf den bereits hingewiesen wurde, sind Rückführungsabkommen. Eben ist klar gesagt worden, sowohl von der CDU wie auch von den GRÜNEN, wo die Verantwortung liegt. Es wurde gesagt, sie liege bei der Bundesregierung; das stimmt. Aber zuständig für die Frage sind der Bundesinnenminister und das Bundeskanzleramt – –
Ja, aber in deren Rückführungsabkommen sind genau die beiden diejenigen, die auch angekündigt haben, dass sie in den Maghreb-Staaten darüber verhandeln werden.
Deshalb ist es zwingend notwendig, dass von dort die Vorgabe kommt, die wir in der Frage zwingend brauchen. Dann, glaube ich, wird es auch der Koalition in Hessen leichter fallen, endlich zu Entscheidungen zu kommen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Am 14. Dezember 2016 haben wir im Hessischen Landtag einen Dringlichen Antrag eingebracht, der noch am späten Nachmittag desselben Tages beraten wurde und der sich mit einem Aussetzen der Abschiebungen nach Afghanistan beschäftigt hat, so lange, bis in Absprache mit dem UNHCR und der IOM die aktuelle Sicherheitslage in Afghanistan belegt wäre.
Die Mehrheit des Hauses hat diesen Antrag abgelehnt. Damit können oder konnten wir leben, wenn auch schwer. Am selben Abend allerdings hat ein Teil derer, die abgelehnt haben, im Landesvorstand von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eigentlich das gefordert, was wir in unserem Antrag stehen hatten.
Sie haben es nur etwas anders beschrieben. – Daraufhin haben wir am Tag danach, am 15. Dezember 2016, jenen Antrag, der eben aufgerufen worden ist, als Dringlichen Antrag eingebracht. Dieser wurde abgesetzt, die Dringlichkeit wurde für dieses Plenum nicht gesehen – also ist er heute dran.
Seitdem hat sich ein bisschen was getan: Nicht nur, dass jemand, der bei dem Thema am späten Nachmittag rechts abgebogen ist, das am Abend gegenüber der Öffentlichkeit korrigieren wollte, indem er nochmal kurz links aufgeblinkt hat.
Das geht angesichts einer so schwerwiegenden Materie wie der Abschiebung nach Afghanistan überhaupt nicht.
Es hat sich noch etwas getan; denn unmittelbar nach unserer letzten Plenarsitzung kam die Bewertung des UNHCR, die vertieft anzuschauen sich lohnt. Da ist zur Sicherheitslage in Afghanistan ein einziges Wort genannt, und das klingt so: Vol. „Volatil“ heißt es dort. Ich kannte bisher nur eine Übersetzung, die hieß „flüchtig“. Aber es gibt offensichtlich ein paar mehr, die ich dazu gefunden habe. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist veränderlich, beweglich, flüchtig, dampfförmig, unbeständig, sprunghaft. In dieses Land können wir nicht einfach Menschen abschieben. Das geht nicht.
Konkret sagt der UNHCR, dass sich nach dem letzten Bericht von April 2016 die Situation und die Sicherheitslage noch einmal deutlich verschärft haben. Es werden bewaffnete Konflikte angeführt, die sich 2016 ausgebreitet hätten. Es gibt in der ersten Jahreshälfte 1.600 zivile Tote und 3.500 verletzte Zivilpersonen. In Afghanistan selbst sind derzeit mehr als 530.000 Menschen auf der Flucht – nicht, weil sie es irgendwo nicht mehr ausgehalten haben, sondern weil sie vertrieben worden sind.
Aus diesem Grund hat der Innenminister des Landes Schleswig-Holstein – und zwar aufgrund des UNHCR-Berichts – von seiner Möglichkeit Gebrauch gemacht, mindestens für drei Monate Abschiebungen nach Afghanistan
auszusetzen. Damit beschäftigt sich der Antrag der LINKEN, die eigentlich das, was Schleswig-Holstein praktiziert, auch in Hessen einrichten wollen. Um es vorweg zu sagen: Deshalb haben wir diesem Antrag keinen mehr nachgeschoben, sondern werden ihm unsererseits zustimmen.
Der nachgelegte Dringliche Antrag der Koalition, der am Nachmittag eingegangen ist, hebt einzig und allein auf einen Punkt ab, nämlich auf die Einzelfallprüfungen. Es ist zwar richtig und wichtig, den jeweiligen Einzelfall zu prüfen; aber wenn die Gesamtlage in Afghanistan so ist, wie auch Sie sie regelmäßig einschätzen, dann verbietet es sich, Einzelfallentscheidungen zu praktizieren.
Ich frage die Landesregierung:
Wie ist die derzeitige rechtliche Situation von geduldeten jungen Menschen in Ausbildung?
Herr Minister, kann es sein, dass das, was Sie eben in der Antwort auf meine Frage gesagt haben, in unserem Bundesland von unterschiedlichen Kommunen unterschiedlich praktiziert wird?
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe mir in der Vorbereitung zu diesem Tagesordnungspunkt sämtliche Reden durchgelesen, die zur Gesetzesänderung im Bundestag gehalten wurden. Mir ist dabei aufgefallen, dass es eigentlich ein Paradoxon ist, wenn man es hört. Aber wenn man in die Materie einsteigt, wird es nachvollziehbar.
Auch nach dem neuen Asylbewerberleistungsgesetz steigen die Leistungen, weil die Preise gestiegen sind. Die Auszahlungsbeträge aber sinken. Dafür gibt es einen Grund. Zwei wesentliche Elemente, die bisher diesen Betrag bestimmt haben, wurden aus der Rechnung herausgenommen und werden nun als Sachleistung gezahlt. Das sind im Wesentlichen die Leistungen für den Strom und die Leistungen für die Wohnungsinstandhaltung, also nicht die Wohnungskosten. Da werden Erfahrungswerte zugrunde gelegt. Das wurde herausgenommen. Die Beträge für alles andere sind dringeblieben.
Ich kann noch einen weiteren Punkt nennen, der dazugekommen ist. Das ist die Anrechnung der Einkünfte aus ehrenamtlichem Engagement. Auch das ist möglich. Bis zu 200 € monatlich ist es anrechnungsfrei. Dann wird das nicht auf diesen Regelsatz angerechnet. Das ist für viele ein echtes Zubrot. Ich kann jedenfalls nicht erkennen, dass das, was in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012 steht, nämlich dass die Menschenwürde bei der Migration nicht relativiert werden darf, mit diesem Gesetz mit einer Herabsetzung der Sätze passiert wäre. Aus diesem Grund werden wir dem Dringlichen Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE nicht zustimmen können.
Nur weil bald Weihnachten ist, will ich ein paar wenige Sätze zu dem Dringlichen Entschließungsantrag sagen, den die Koalition vorgelegt hat. Man muss ihn Wort für Wort lesen und sich jedes Wort auf der Zunge zergehen lassen. Für die Debatte bringt er aber, weiß Gott, keinen Fortschritt.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Worüber sprechen wir bei diesem Setzpunkt? – Wir sprechen zum wiederholten Mal – das ist zunächst einmal etwas Gutes – über Flüchtlinge, Asylsuchende und darüber, wie wir damit umgehen. Jedes Mal, wenn wir dabei zu einem Erkenntnisfortschritt kommen und einen Beitrag dazu leisten könnten, dass die Integration in unserem Land möglich ist oder dass, wenn das alles nicht geht, die Rückführung notwendig ist,
die dann nach humanitären Aspekten geschieht, hat sich die Debatte gelohnt.
Wenn ich den ersten Antrag lese, der uns für diese Debatte vorgelegt wurde, und ihn nicht nur lese, sondern – das Wort gebrauche ich hier gerne – eine ordentliche Exegese dieses Textes mache, dann stelle ich fest – ich glaube, die Mitglieder der Fraktion DIE LINKE sehen das auch so –, dass es demnach überhaupt keine Abschiebungen geben soll.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der LINKEN, das ist nicht unsere Position – nicht deshalb, weil wir es toll finden würden, Menschen abzuschieben. Dazu hat Kollege Merz in der Kurzintervention schon deutlich etwas gesagt. Vielmehr tut es in der einen oder anderen Situation wirklich weh, das umzusetzen. Wer macht das schon gerne? Aber angesichts der Situation, in der wir leben, des Staates, in dem wir leben, und der Rechtsordnung, die wir haben, gibt es dazu keine Alternative.
Deshalb glauben wir, dass wir uns überhaupt keinen Gefallen damit tun – weder uns noch der Gesellschaft, noch denen, die einen Beitrag dazu leisten wollen, dass die Gesellschaft zusammenbleibt, aber erst recht nicht den Betroffenen. Wenn wir zu jedem Zeitpunkt alles und jedes diskutieren, in einen Topf werfen und glauben, damit Stimmung machen zu können, ist das nicht hilfreich – und schon gar nicht für die Betroffenen, um die es geht.
Deshalb haben wir uns in der Fraktion dazu entschieden, einen eigenen Antrag vorzulegen, der eine Konzentration auf eine bestimmte Frage innerhalb der Flüchtlingspolitik vornimmt. Mir ist aufgefallen, dass der Antrag der Koalition mit einer anderen Akzentuierung im Grunde den gleichen Weg gegangen ist. Unser Antrag hat die Überschrift „Abschiebungen nach Afghanistan“. Ich glaube, wir sollten auch bei diesem Thema – und nur bei diesem Thema – bleiben.
Dazu drei Punkte entlang unseres Antrags. Auch das ist vom Kollegen Merz kurz angesprochen worden. Wir beschreiben in Punkt 1 ganz bewusst, welche Verfahren wir haben und wie sorgsam wir mit diesen Verfahren umgehen, damit Punkt 3 am Ende nicht falsch verstanden wird. Es gibt viele Möglichkeiten, zu einer positiven Entscheidung zu kommen, die da heißt, dass jemand am Ende eines Asylverfahrens Anspruch auf Asyl, eine Anerkennung nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder eine Anerkennung auf subsidiären Schutz hat. Wenn das aber alles nicht geht und am Ende eine Ablehnung steht, dann gibt es genug Möglichkeiten – über eine Klage, aber auch parlamentarisch über den Petitionsausschuss, im Anschluss daran über das Härtefallverfahren –, diese Entscheidung immer wieder überprüfen zu lassen. Wer das wie ich so oft tut – ich bin jeden Tag mit diesen Fragen beschäftigt – und wer das mit so viel Leidenschaft macht – das darf ich sagen –, der kann nur schwer mit dem leben, was Sie, Frau Kollegin Faulhaber, heute hier von sich gegeben haben.
Wer um Menschen weiß, die wirklich deportiert worden sind – wenn ich mich nicht täusche, hatten wir in Deutschland ein paar davon –, der muss am Ende feststellen, dass
Sie die Deportierten im Nachhinein wirklich noch einmal strafen.
In einem zweiten Punkt unseres Antrags nehmen wir bewusst auf einen negativen Ausgang des Asylverfahrens Bezug, d. h. wenn es zu keinem positiven Ergebnis kommt. Wir nennen noch einmal all die Verfahrensschritte, die es dann gibt. Wir sagen zum guten Schluss, dass es oft keine andere Möglichkeit gibt als die Rückführung. Aber auch dann gilt es, noch einmal ganz genau darauf zu achten, nach welchen Kriterien das geschieht. Das haben wir gerade in der letzten Plenarrunde deutlich besprochen, als es um eine Abschiebung sozusagen aus der Schule heraus ging. Da sollten wir schon sehr genau aufpassen, was wir machen oder was wir nicht machen. Aber diese Kriterien müssen bekannt und vereinbart sein.
Eines dieser Kriterien – das ist dann der dritte Punkt in unserem Antrag – ist die Einschätzung der Sicherheitslage in dem betroffenen Land. Wir haben guten Grund, anzunehmen, dass dies für Afghanistan – nur darum geht es uns heute – nicht in vollem Umfang gegeben ist. Auch die Konferenz der Innenminister hat sich vor wenigen Tagen oder Wochen in Saarbrücken nicht ohne Grund mit der Frage beschäftigt – dazu wird der Innenminister nachher vielleicht selbst den einen oder anderen Satz sagen. Man muss in der Tat feststellen, dass die jüngsten Anschläge auf das deutsche Generalkonsulat in Masar-e Scharif auch deutlich machen, wie die Lage vor Ort ist. Das Generalkonsulat ist nun nicht irgendeine Einrichtung. Wie wird es dem einen oder anderen Flüchtling gehen, den wir in dieses Land zurückschicken?
Solange die aktuelle Lage und die Sicherheitsfrage nicht abschließend geklärt sind – auch das ist in Punkt 3 klar benannt –, und zwar nicht nur nach der Einschätzung des Bundesinnenministeriums, sondern ganz bewusst auch in Absprache mit UNHCR und IOM – auch das haben wir benannt; wenn die Analyse vorliegt, ist die Frage neu zu bewerten –, solange sie aber nicht vorliegt – gute Gründe sprechen dafür, dass die Analyse des Bundesaußenministeriums deutlich differenzierter und vorsichtiger mit der Einschätzung umgeht – und ich das alles zusammennehme – das hat meine Fraktion so getan –, verbietet sich derzeit eine Abschiebung nach Afghanistan. Das haben wir in Punkt 3 deutlich beschrieben. Dazu bitten wir um Ihre Zustimmung.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt tatsächlich Themen, über die sich nicht leicht reden lässt. Ich will nach dem vielen, was gesagt worden ist, schon noch einmal versuchen, zwei Dinge scharf auseinanderzuhalten.
Es geht zum Ersten um ein abgeschlossenes Asylverfahren und um ein abgeschlossenes Asylfolgeverfahren. Ein Petitionsverfahren hat es nicht gegeben, folglich auch kein Härtefallverfahren. Damit hat die Entscheidung, die getroffen worden war, Rechtskraft erlangt. Die Menschen reisen nach einer solchen Entscheidung freiwillig aus oder werden abgeschoben. Das haben wir hundertfach, ja, tausendfach in unserem Land erlebt. – Damit ist der erste Teil der Angelegenheit formal exakt beschrieben. Um den geht es aber nicht, und an diesem Teil hat kein Mensch Kritik geübt.
Zum anderen geht es um den Vollzug der Abschiebung. Bei der Behandlung dieses Teils der Angelegenheit dauernd den Inhalt des ersten Teils, die Verfahren, als Argument heranzuziehen, ist nicht in Ordnung.
Ich will die Polizei nicht kritisieren.
Das habe ich nicht getan und werde ich nicht tun, da ich heute Abend noch mit Anstand nach Hause kommen will.
Ich will die Verantwortung aber auch nicht auf der Schulsekretärin abladen. Diesen Versuch gab es gestern.
Herr Minister, Sie haben eben – endlich! – dankenswerterweise das Verfahren erklärt. Ich hätte mich gefreut, wenn Sie das gestern getan hätten.
Zuhören. – Ich las gestern von einer Meldung des Regierungspräsidiums Darmstadt, von der bisher nicht gesprochen wurde. Die Gesamtorganisation der Abschiebung lag beim Regierungspräsidium Gießen. Das hat diese Abschiebung organisiert, aber die beiden Personen, um die es jetzt geht, sind vom Regierungspräsidium Darmstadt in deren Zuständigkeit zugeführt worden. Die anderen 14 Leute saßen im Bus. Über die redet kein Mensch; das war kein Problem, das ist gut gelaufen. Angesichts dieser Situation ist der Formulierung des RP Darmstadt geradezu zynisch, dass es von den Umständen her „unglücklich gelaufen“ sei, die Flüge aber schon gebucht gewesen seien. Wie oft haben wir in Abschiebeverfahren die Situation, dass Flüge gebucht sind, aber es nicht zur Abschiebung kommt, weil im Prozess, im Verlauf des Verfahrens irgendetwas passiert ist.
Dann muss man in einer anderen Weise damit sensibel umgehen.
Ein zweiter Punkt in dem konkreten Verfahren: Ich lese, dass die Polizei mitgeteilt hat, die zur Ausreise Verpflichteten seien untergetaucht. Das kann ich gut nachvollziehen. Im nächsten Satz heißt es aber: Die 16-jährige Schülerin wurde in der Schule vorgefunden. – Was ist das für eine Vorstellung von Schule, wenn dort Menschen „untertauchen“?
Ich will angesichts der politischen Situation der Flüchtlinge sagen: Wir haben bisher über eine Abschiebung aus der Schule heraus nicht gesprochen. Dazu gab es keinen Anlass. Uns ist wichtig, diesmal darüber zu reden, damit es diesen Anlass nie wieder gibt.
Wer einmal ins Internet schaut, der kann lesen, dass die eine Gruppe, die am liebsten alle abschieben würde, fröhliche Urständ feiert.
Die anderen, die keinen abschieben wollen, haben auf einmal Oberwasser.
Diese Dinge kriegen wir nicht geregelt, wenn wir in solchen Situationen allesamt sagen: Das ist misslich, das ist schwierig, da müssen wir alles daransetzen, dass es dazu nicht kommt, und womöglich intern noch klären, warum es im vorliegenden Fall dazu gekommen ist.
Es liegen zwei Anträge vor. Bei dem der Koalition werden wir uns enthalten, weil er zum konkreten Fall nichts sagt.
Wir werden dem Antrag der LINKEN und von Frau Öztürk zustimmen, weil er diesen einen Fall an der Schule regelt.